Berufliche Perspektiven eröffnen

Mitarbeiter der deutschen Logistik- und Kundendienstzentren von Amazon können sich in den unterschiedlichsten Berufsfeldern aus- und fortbilden lassen – unabhängig davon, ob der Beruf mit der Tätigkeit im Unternehmen zusammenhängt oder nicht.
Das Programm Career Choice wurde im August 2014 in den Logistik- und Kundendienstzentren von Amazon eingeführt. Seit der Einführung haben über 600 Mitarbeiter (gewerbliche sowie kaufmännische Mitarbeiter) das Aus- und Weiterbildungsprogramm neben dem Beruf in Anspruch genommen. Die weltweite Beteiligung liegt aktuell bei über 5800 Mitarbeitern. Die finanzielle Förderung beträgt in Deutschland bis zu 2000 Euro im Jahr für maximal vier aufeinanderfolgende Jahre. Insgesamt übernimmt Amazon 95 Prozent der Kosten, höchstens jedoch 8000 Euro.
Voraussetzung für die Teilnahme an dem berufsbegleitenden Programm ist eine Betriebszugehörigkeit von mindestens zwei Jahren. In der Wahl der beruflichen Ausrichtung sind die Bewerber absolut frei. Das ist die Besonderheit des Career-Choice-Programms. Bedingung ist lediglich, dass die Abschlüsse auch fernab der Logistik vom Markt nachgefragt werden: Buchhalter, Fernfahrer oder Handelsfachwirt sind beispielsweise Berufsbilder mit vielversprechenden Jobaussichten.
Derzeit haben die Teilnehmer die Wahl zwischen Weiterbildungen in den Berufsfeldern Gesundheitswesen, Informationstechnologie, Buchhaltung und Betriebswirtschaftslehre, Mechanik und Elektrohandwerk, Medien und Kommunikation, Senioren- und Kinderbetreuung sowie Transportwesen und Logistik. Alle Zertifikate, Schul- und Berufsabschlüsse sowie Qualifizierungen, die den Mitarbeiter in eine verbesserte berufliche Ausgangslage versetzen und vom Markt nachgefragt werden, sind zugelassen. Ein Katalog, der von Standort zu Standort auf den lokalen Arbeits- und Fortbildungsmarkt abgestimmt wurde, informiert über verschiedene Berufsbilder, den aktuellen Bedarf an bestimmten Berufen sowie über die entsprechenden Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Die Wahl der Schule ist frei, solange sie ein akkreditiertes Weiterbildungsinstitut ist.
Abwandern in Kauf nehmen
Das Programm bindet die Teilnehmer nicht an das Unternehmen. Damit hebt sich Career Choice von den meist jobgebundenen Angeboten anderer Firmen deutlich ab. In den USA, wo das Programm 2012 ins Leben gerufen wurde, ist derzeit zum Beispiel die Ausbildung zum Truck Driver sehr gefragt. Auch in Deutschland interessieren sich die Mitarbeiter verstärkt für dieses Berufsbild, denn die Jobaussichten sind gut und die Weiterbildung ist zügiger zu absolvieren als andere. In den Logistikzentren in Bad Hersfeld und Brieselang ist die Nachfrage so stark, dass die Weiterbildung zum Berufskraftfahrer für ganze Gruppen am jeweiligen Standort angeboten wird. Simone Schlegel, Rezeptionistin im Logistikzentrum in Brieselang, hat beim Career-Choice-Infotag eine Probefahrt mit einem Dreitonner unternommen und Blut geleckt: „Für mich beginnt Bildung mit Neugierde. Deshalb habe ich die Chance der Probefahrt genutzt. Jetzt gebe ich Gas mit Career Choice.“ Für 2017 ist geplant, langfristige Partner der Logistikbranche mit den angehenden Berufskraftfahrern bekannt zu machen, um die potenzielle berufliche Veränderung bestmöglich zu unterstützen. „Wenn wir einen so wichtigen Schritt wie die berufliche Veränderung etwas leichter gestalten und Mitarbeiter in attraktive Positionen vermitteln können, ist die Mission, mit dem Programm unsere Mitarbeiter zu qualifizieren und zu fördern, gelungen“, sagt Dirk Draheim, Personalleiter am Standort Graben und verantwortlich für das Programm in Deutschland.
Aus dem Logistikzentrum an die Börse
Marc Piekarczyk arbeitet seit fünf Jahren bei Amazon, zuerst im Warenausgang im Logistikzentrum Bad Hersfeld, dann in Werne und heute im Bereich Kommissionieren von Kundenbestellungen im Logistikzentrum Rheinberg. Er hat ein Faible für alles, was mit dem Börsengeschehen zu tun hat, und entschied sich für eine Weiterbildung zum „Börsenprofi“ an einer Fernhochschule. Marc Piekarczyk sagt darüber: „So richtig glauben konnte ich nicht daran, dass mein Arbeitgeber die Kosten dafür übernimmt. Denn mit meiner Aufgabe in der Logistik hatte die Weiterbildung nichts gemeinsam.“
In der Tat ist die Bandbreite an Berufen, aus denen die Mitarbeiter wählen können, sehr groß. So ließ sich der ehemalige Mitarbeiter Fred Stempin, der erst in Leipzig und dann in Koblenz für die Ausbildung neuer Mitarbeiter verantwortlich war, zum Wirtschaftsfachwirt ausbilden. Inzwischen arbeitet er als Schichtleiter bei einem Zulieferer für die Automobilbranche und profitiert von den bei Amazon erworbenen Fähigkeiten: „Mein Wissen über Logistik und Mitarbeiterführung hilft mir hier jeden Tag.“
Rüstzeug und Sprungbrett
Ganz bewusst fördert Career Choice nicht ausschließlich berufsgebundene Fortbildungen. Dazu Rabea Brietze, europaweit verantwortlich für das Programm: „Die Menschen, die zu uns kommen, glauben an uns. Viele planen ihre berufliche Zukunft mit uns, und das freut uns sehr. Für einen Teil unserer Mitarbeiter ist die Arbeit bei Amazon jedoch ein Job, der dem Übergang dient oder als Sprungbrett in eine andere Branche. Sie finden für eine gewisse Zeit eine berufliche Heimat bei uns, würden nach einigen Jahren aber gerne etwas anderes machen. Dazu benötigen sie Rüstzeug wie zum Beispiel eine fundierte Fortbildung. Das ist unser Dankeschön an Mitarbeiter, die dem Unternehmen längere Zeit treu waren.“
Die Idealvorstellung, dass jeder den Beruf ausübt, für den er brennt, ist Teil der Firmenphilosophie „Work hard. Have fun. Make history.“ Dafür nimmt das Unternehmen auch in Kauf, dass einige Mitarbeiter das Unternehmen für eine neue Karriere verlassen.
Yvonne Rossberg nimmt bereits zum zweiten Mal an Career Choice teil. Die gelernte Verkäuferin arbeitet seit 2009 im Wareneingang des Logistikzentrums Leipzig. Inzwischen ist sie Gruppenleiterin. Im Herbst 2014 meldete sie sich erstmals über Career Choice für einen Englisch-Sprachkurs an. Um ganze zwei Level konnte sie so ihr Englisch verbessern. „Ich habe jetzt einen viel größeren Wortschatz und kann beinahe fließend sprechen. Das hilft mir auch beim schriftlichen E-Mail-Verkehr“, sagt sie.
Die Chance zur Weiterbildung hat Yvonne Rossberg nun erneut ergriffen. Im April begann sie mit der Fortbildung zur geprüften Wirtschaftsfachwirtin. Lerninhalte sind unter anderem Projektmanagement und Mitarbeiterführung – Wissen, das die 37-Jährige in ihrem Berufsalltag als Gruppenleiterin gut nutzen kann und das sie weiterbringt, denn sie möchte „nicht auf meinem Posten sitzen bleiben, sondern mich weiterentwickeln“.
Abbildung
Weiterbildungsrichtungen im Programm „Career Choice“

Zugelassen sind Zertifikate, Schul- und Berufsabschlüsse sowie Qualifizierungen, die Mitarbeiter in eine verbesserte berufliche Ausgangslage versetzen.
Mit Durchhaltevermögen und Ehrgeiz
Trotz der Möglichkeiten, die Career Choice den Mitarbeitern bietet, hatte das Programm zu Beginn Anlaufschwierigkeiten. Rabea Brietze: „Es musste erst einmal verstanden werden. Viele waren verunsichert, warum Amazon das anbietet.“ Mehrere Kanäle mussten genutzt werden, um die Weiterbildungsmöglichkeiten zu erklären und zu bewerben. Zum einen wurden Flyer verteilt und Aushänge in den Logistikzentren gemacht, zum anderen stellten die Standortleiter als wichtigste Ansprechpartner der Mitarbeiter das Programm in den Betriebsversammlungen vor. Inzwischen steht an allen Standorten ein Career-Choice-Berater zur Verfügung. Auch der Austausch zwischen den Mitarbeitern ist wichtig. Im Idealfall sprechen diese untereinander über die Chancen, die ihnen das Programm bietet, und denken sich dann: „Das kann ich auch.“
Eine der größten Barrieren, an dem Programm teilzunehmen, ist nach wie vor die Frage: „Wo mache ich das und wie kann ich die Fortbildung mit meinem Arbeitsalltag vereinbaren?“ Den Unterricht müssen die Teilnehmer außerhalb ihrer Arbeitszeit besuchen, das ist ihr persönliches Investment in ihre Weiterentwicklung. Wille sei wichtig, Durchhaltevermögen und Ehrgeiz, sagt Yvonne Rossberg über die Anforderungen. „Natürlich muss an den Fortbildungstagen die Freizeit ganz klar zurückstehen. Aber dafür lernt man etwas Neues und tut etwas für sich selbst.“ Auch Marc Piekarczyk musste anfangs jeden Tag eine gute Stunde in seinen Kurs investieren, bevor sich das Lernen im weiteren Verlauf der Ausbildung auf die Wochenenden beschränkte.
Das Unternehmen versucht, die Rahmenbedingungen so günstig wie möglich zu gestalten. So werden etwa die Kurszeiten von vor Ort durchgeführten Unterrichtseinheiten so nah wie möglich an die Schichtenden gesetzt. Auch möchte man Weiterbildungsangebote verstärkt inhouse anbieten, um lange Fahrwege zu vermeiden. Institute, mit denen Amazon auf diesem Gebiet eng zusammenarbeitet, sind unter anderem die IHK, Dekra, lokale Fahrschulen und die ESO Education Group. Career Choice ist schon jetzt überaus beliebt bei den Mitarbeitern – 40 Prozent der befragten Logistikmitarbeiter gaben kürzlich an, dass sie stolz auf dieses Programm sind. Derzeit arbeiten wir an einem Konzept für Bildungsangebote mit internen Vortragenden, um den Austausch mit dem lokalen Management und das Teilen internen Know-hows zu fördern. Das Ziel von Career Choice ist, Lernen und die berufliche Weiterentwicklung an den Amazon-Standorten zu stärken und für jeden zugänglich zu machen. Dieses Konzept findet großen Anklang auch bei anderen Unternehmen und Branchen. Career Choice soll kein Geheimnis bleiben, und wir teilen gerne Inhalte des Programms mit Unternehmen, die sich für die Einführung eines ähnlichen Konzepts interessieren.
Autor
Robert Marhan, Director HR Operations, Amazon Deutschland, München,
rmarhan@amazon.de
- Die richtige Wahl
- Mit HR-Tekkies nach Paris
- Mitwirkung statt Mitbestimmung
- „Wir sollten mehr ausprobieren“
- Sichtbar gute HR-Arbeit
- Volle Transformation voraus
- Magenta MOOC – neue Arbeitswelt erleben
- Mit guter Führung punkten
- Vorausgehen statt nur Schritt halten
- Arbeiten 4.0 – Selbstverantwortung lernen
- Luft zum Atmen lassen
- Gemeinsam vom Bildungsurlaub profitieren
- Eintauchen in die Virtual Reality
- Einblicke in den Antrieb von morgen
- Berufliche Perspektiven eröffnen
- Das eine passiert nicht ohne das andere
- Personaler auf Kaperfahrt
- Einzelkämpfer ziehen den Kürzeren
- Feedback ohne Verletzung
- Warum wir mehr Weiblichkeit in Organisationen brauchen
- Wie Mitarbeiter unternehmerisch handeln