Ausgabe 12, Special Managementberatung - 2014
Selbstbewusste Kurskorrekturen

„Nachbessern“ lautet das Gebot der Stunde von Personalchefs, die ihre HR-Organisation für die Zukunft fit machen und die HR-Aufgaben effizient meistern wollen. Wie HR-Managementberater sie dabei unterstützen und welche Erfahrungen diese einbringen können, diskutierten Vertreter von führenden Beratungshäusern.
Die eigene Rolle gestalten, Talent Management auf die Schiene bringen und Vergütungsmodelle anpassen: Um diese drei Kernaufgaben kreisen aktuell die Anstrengungen von HR-Managern. Wobei die zwei erstgenannten Herausforderungen das Personalmanagement stark strapazieren. Manchem Personaler bereitet das Drei-Säulen-Modell ihrer HR-Organisation – Business Partner, HR Service Center und Center of Expertise – inzwischen Albträume. 15 Jahre nach der „Geburt“ des Business Partner-Modells kann Dave Ulrich nicht glücklich darüber sein, dass sein Drei-Säulen-Modell für eine effektivere HR-Organisation in vielfacher Hinsicht falsch übersetzt wurde; die Personaler können nicht zufrieden sein, weil sie dem Ziel einer nachhaltig wirkungsvollen HR-Organisation und Prozessoptimierung nicht so zügig näherkommen wie gedacht, ganz zu schweigen vom Ziel des Business Partners auf Augenhöhe. Doch die Fehlerquellen, sei es im Originalmodell oder in der Umsetzung, sind identifiziert und gerade in Großunternehmen beginnen sinnvolle Kurskorrekturen.

Prof. Dr. Dirk Sliwka von der Universität zu Köln (rechts) und Erwin Stickling, Chefredakteur der Personalwirtschaft, moderierten die Diskussion.
Jedoch darf 15 Jahre nach dem Impuls zur Neuaufstellung der HR-Organisation auch nicht geschlussfolgert werden, dass sich Personalbereiche aller Branchen und Unternehmenstypen den neuen Anforderungen von Rollen, Kompetenzen und Instrumenten gestellt haben. Zwar bewegen sich die DAX- und viele Großunternehmen schon auf gewohntem Terrain, aber im öffentlichen Sektor „betreten wir oft noch Neuland“, sagt Dr. Felix Kratz, geschäftsführender Partner beim Baumgartner & Co. Der Vorteil des öffentlichen Sektors: Er kann aus den Fehlern der frühen Anwender lernen. Und anstatt das Modell 1:1 zu übernehmen, könne HR zunächst klären, ob es Dienstleister, „Enabler“ oder strategischer Treiber sein möchte. Welchen Stellenwert es einnimmt, entscheide es nicht alleine, sondern es brauche den Rückhalt von oben.
Auch im Mittelstand sind die Fragezeichen nach wie vor groß, wie sinnvoll die drei Säulen sind. Denn, so erlebt es Garsten Schlichting, Partner bei hkp Deutschland, die Qualitätsversprechen müssten sich in der Praxis noch beweisen. Der Denkansatz des Rollenmodells sei durchaus sinnvoll, doch die Stunde der Wahrheit komme erst noch.
![]() | „Im Mittelpunkt von Talent Management-Prozessen stehen heute die Vorgesetzten, an deren Bedarfe müssen wir uns ausrichten und Komplexität reduzieren.“ |
![]() | „HR wird ernst genommen, wenn es Zahlen und Fakten zeitnah liefert und damit auf Augenhöhe kommunizieren kann.“ |
Neuauflage mit anderer Gewichtung
Dass nun Kurskorrekturen des Rollenmodells greifen, ist eine logische Reaktion, Erfahrungen aus der Praxis führen zu sinnvollen Modifizierungen. Dazu zählt auch die Rückbesinnung auf die Elemente, die „vorher auch nicht schlecht waren“, beobachtet Lurse-Projektmanager Stefan Fischer, wie zum Beispiel dem bewussten Agieren aus einer Support-Rolle heraus, auch wenn dies „manchem strategischem Business Partner schwerfalle“. Das Business sehe häufig keinen Mehrwert in der HR-internen Rollenfindung, sondern fordere eine verlässliche Unterstützung in einem definierten Umfang. Werde diese durch HR nicht erbracht, „baut sich das Business seine eigenen Kapazitäten auf“, wie man es in zahlreichen Unternehmen erleben könne.
Einer Richtigstellung bedarf auch immer noch die Interpretation des Modells, denn „Dave Ulrich ist nicht die Vorgabe, sondern die Idee“. Pointiert bringt Nelson Taapken, Partner bei Ernst & Young, auf den Punkt, was sich in den Köpfen von HR-Managern noch festsetzen muss: „Wer das Drei-Säulen-Modell einfach kopiert, ist schon gescheitert.“ Nur entsprechend ausgestaltet, kann es den spezifischen Anforderungen eines Unternehmens gerecht werden.
Trotz aller Schwierigkeiten bei der Umsetzung: Sich vom Drei-Säulen-Modell trennen wolle keiner. „Niemand würde einen Schritt in die Vorzeit machen wollen, Redesigns sind gefragt“, sagt Walter Jochmann. Dies sei allerdings schwierig, „da es eine gewisse Tranformationsmüdigkeit gibt“, ergänzt der Geschäftsführer der Kienbaum-Gruppe. Es gäbe enorme Investitionen in großen Personalbereichen, die in die zweite oder dritte Veränderungswelle gehen und „saubere Prozesse, klare Verantwortlichkeiten und ausdifferenzierte Rollen“ in den Vordergrund stellen – und mit ihnen die Bündelung von operativen und strategischsteuernden Aufgabenstellungen.
Wer kann Business Partner?
Ein Problem teilen alle Unternehmen bei der HR-Transformation. Das Rollenmodell erfordert andere Qualifikationen als die, die traditionell bei einem Personalmanager vorhanden sind. Und selbst wenn die fachlichen Qualifikationen erlangt sind, wird aus einem administrativen Mitarbeiter noch kein pro-aktiver Partner, fasst Martin Theo Carbon zusammen. Was also tun? In der Praxis, so der Towers-Watson-Director, hätten sich Assessment- und Development Center speziell für HR Business Partner sehr bewährt.
Eine andere Empfehlung spricht Dr. Michael R. Träm, Managing Director der HayGroup aus: Eine Führungskraft, die einige Jahre in der Linie gearbeitet habe und dann erst das Handwerk Personalmanagement erlerne, agiere eher als Business Partner als ein Personaler, der in einer Kaminkarriere in HR aufgestiegen sei. „Unternehmen sollten mehr Mut zeigen, Linienmanager auch in Personaljobs zu entwickeln.“
Um Partner auf Augenhöhe zu werden, braucht das HR-Management häufig vor allem mehr Kenntnis „vom Grundgeschäft des Unternehmens“, so die Erfahrung von Claudia Schmidt, Geschäftsführerin von Mutaree. In vielen Unternehmen sei die Transformation zur HR Business Partner-Organisation auf halbem Weg stehen geblieben. Eine erfolgreiche Implementierung setze eine ganzheitliche Transformation des Modells voraus, „die durch professionelles Change Management unterstützt werden muss und bei der die Rollen klar definiert werden“.
![]() | „Unternehmen rücken davon ab, individuelle Ziele zu incentivieren, nutzen aber die Zielvereinbarungen weiterhin zur Führung und Steuerung.“ |
![]() | „Datenanalyse und datenbasierte Entscheidungsfindung werden ein Schlüssel in der professionellen Zusammenarbeit zwischen Fachbereich und HR Business Partner sein.“ |
Wirtschaftlichkeit vor Wertschöpfung
Die Abkehr vom internen Administrator zum Business Partner wurde durch wirtschaftliche Erfordernisse vorangetrieben. Zwar gewann das Argument der Wertschöpfung immer mehr an Bedeutung für die Umwandlung, doch der Kostenfaktor scheint die Oberhand zu behalten. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe. Der erste: „Der Effizienzdruck auf HR ist groß und wird noch wesentlich zunehmen, der Nachweis des ROI muss noch erbracht werden.“ Zu diesem Schluss kommt Michael Holle, Market Vice President von Right Management. So seien in der Personalarbeit viele HR-Abteilungen weiterhin vorsichtig, die Auswirkung von Personalmaßnahmen auf das Business zu quantifizieren und zu messen. Doch ohne eine Argumentation mit dem Return on Investment werde es immer schwieriger, Unterstützung und Budget für Maßnahmen zu erhalten. HR müsse sich dieser Herausforderung stellen.
Der zweite Grund: Smarte, effiziente HR-Abteilungen sind noch lange nicht die Regel. So gibt es in Dax-Konzernen immer noch Personalbereiche, die mit einem Headcount-Schlüssel von 1:50 arbeiten, wobei 1:85 die normale Größenordnung darstelle. Gerade im Mittelstand oder in funktional aufgestellten HR-Bereichen von Großunternehmen, so Walter Jochmann, agieren immer noch 55 bis 60 Prozent des HR Headcounts in der Service-Rolle. Dies fördere die aktuellen Effizienzprogramme und die Bildung starker Shared Service Center (SSC), verbunden mit Produktivitätsgewinnen und in der Folge mit der Reduktion von Services-Kapazitäten. Problematisch sieht er die „zunehmend expansive SSC-Aufstellung, in der neben transaktionalen Prozessen oder deren Anteilen auch komplette Konzeptions- und Lieferprozesse wie Recruiting, Learning oder Talent Management verankert werden“. Dies könne dazu führen, dass die HR-Bereiche in zehn Jahren zu sehr schmalen Expertenbereichen mutieren würden, vorausgesetzt, die optimistischen Business Cases großer Service-Center-Konglomerate bewahrheiteten sich.
Unterstützt HR-Technologie das Business-Modell?
Den Personalern wird vom Business gerne fehlende Datenaffinität vorgeworfen. Diese kontern, dass es keine Frage der Affinität, sondern der Datensicherheit sei, die zur Zurückhaltung führe. Wie viele Daten braucht HR? Für Martin Theo Carbon steht fest, dass Personaler mit HR-Software und webbasierten HR-Tools deutlich besser gerüstet sind. Sie würden ernst genommen, wenn sie Zahlen und Fakten zeitnah liefern und damit auf Augenhöhe kommunizieren könnten. Der Spezialist für Data, Surveys and Technology bei Towers Watson registriert allerdings kritisch, dass Daten zur Beantwortung geschäftsrelevanter Fragen erst noch generiert werden müssten. Hier bestehe ein deutlicher Handlungsbedarf, ebenso wie beim Thema „Predictive Analytics“. Daten aus unterschiedlichen Quellen zum besseren Verständnis für Zusammenhänge zu kombinieren und zu analysieren, schaffe einen deutlichen Mehrwert.
An Big Data und Predictive Analytics führe kein Weg vorbei, bekräftigt auch Nelson Taapken, Ernst & Young. Die Aggregation der HR-Daten geschehe bereits aktuell, zum Beispiel im Strategic Workforce Planning, bei dem auch anonymisierte Daten von Sozialversicherungen und statistischen Ämtern eingesetzt würden. „Durch die Kombination strategischer Fragestellungen und der Datenintelligenz im Talentbereich bekommt HR ein Instrument in die Hand, das dem Business echten Wert generiert.“ Für die Entwicklung der HR-Funktion bedeute dies, dass sich die Bereiche „Administration“ und „Strategischen Inhalte“ immer weiter auseinanderentwickeln. Für Letzteren sei die Datenanalyse und datenbasierte Entscheidungsfindung ein Schlüssel in der professionellen Zusammenarbeit zwischen Fachbereich und HR Business Partner.
Bei aller Unterstützung durch Software und webbasierte Anwendungen sollte eines nicht vergessen werden: Daten schützen nicht davor, falsche Entscheidungen zu treffen. „Am Ende des Tages zählt, was aus der Talent-Pipeline kommt und ob der passende Mitarbeiter rekrutiert wurde“, betont Michael Holle, Right Management. Eine IT-Software sei keine Lösung, sondern lediglich ein Instrument, das diese Prozesse unterstützt. Zu häufig gehe ein großer Teil der Energie und Investitionen primär in die Implementierung der Software, statt Zielsetzung und Abläufe effizient zu definieren.
![]() | „Ein transparenter, funktionierender interner Arbeitsmarkt bringt wesentlich mehr Impact als ein isolierter Talentpool.“ |
![]() | „Welchen Stellenwert HR einnimmt – ob als Dienstleister, „Enabler“ oder strategischer Treiber – kann es nicht alleine entscheiden.“ |
Problematisch: Zielerreichung 100 plus
Auf dem Prüfstand stehen ebenso Anreiz- und Entlohnungsmodelle. Anlass dafür bilden im Wesentlichen drei Entwicklungen. Viele Zielkataloge zur Bestimmung des jährlichen variablen Gehalts sind starr vorgegeben. Sie bieten den Linienmanagern keinen Raum für eine gesamthafte übergeordnete Beurteilung, die zu mehr oder weniger Bonus führt, stellt Hay-Group-Chef Michael Träm fest. Es fehle „der Ermessenspielraum, den sich Linienmanager wünschen, um individuell Mitarbeiter motivieren zu können“. Ein weiterer Grund: Die durchschnittliche Zielerreichung des Mitarbeiters liegt unabhängig vom Geschäftserfolg immer über 100 Prozent, weil „Führungskräfte nicht kritisch genug beurteilen oder Ziele nicht konsequent aus den übergeordneten Zielen abgeleitet werden“, so Stefan Fischer von Lurse. Er beobachtet, dass Unternehmen davon abrücken, individuelle Ziele zu incentivieren, insbesondere wenn die Zielsetzung der variablen Vergütung echte Variabilität, das heißt, Kostenflexibilisierung sei. Das bedeute nicht, dass sich die Unternehmen von Zielvereinbarungen verabschieden, „sie werden weiterhin zur Führung und Steuerung genutzt“. Zur Leistungsbewertung nehme man zunehmend die gesamthafte Beurteilung, in die aber die Zielerreichung als ein Aspekt einfließe.
Beim Beratungsunternehmen hkp erlebt man beide Richtungen: also Unternehmen, die keine individuelle Komponente im Bonus haben und sie einführen wollen, aber auch solche, die sie abschaffen wollen. Das Plädoyer von Carsten Schlichting lautet: Trotz des Aufwands und der häufigen „Rechtsverschiebung“ der Bewertungen sei die individuelle Komponente wichtig. Er hat Zweifel, ob Führungskräfte sonst noch systematisch Ziele vereinbaren und die Mitarbeiter sich für ihre Leistung anerkannt fühlen würden. Der gesamte Druck laste dann auf der Grundgehaltsdifferenzierung.
Zudem hat sich als Irrweg erwiesen, in allen Funktionsbereichen Zielerreichungsgrade und daraus Prämien unter IT-Einsatz prozentscharf auszurechnen. Der Aufwand, die fehlende Flexibilität und vor allem die unzureichende Abbildung der Gesamtleistung führen in vielen Unternehmen zum Umdenken, erlebt Felix Kratz, Baumgartner & Co. Der Weg heute laute „Leistung durch Führung“. „Vergütungssysteme werden wieder einfacher und sehen Entscheidungsspielräume vor.“ Das Beratungshaus hat gute Erfahrungen mit dem Drei-Zonen-Modell gemacht, das Leistung und Zielerreichung in drei Bereiche einteilt und auf eine „allzu detaillierte Scheingenauigkeit“ bewusst verzichtet. So wird der mittlere Bewertungsbereich bei 95 bis 110 Prozent als Normalleistung ausgewiesen. Top-Leister müssen 10 bis 20 Prozent höher liegen. Mitarbeiter, die ihre Ziele nur teilweise erfüllen, sind der dritten Zone zugeordnet.
Beurteilung per Panel
Eine aktuelle Gehaltsstudie von Towers Watson bestätigt, dass einige Unternehmen wieder auf Kollektivziele und deren Vergütung zurückgehen. „Bei den Zielvereinbarungen ist man teilweise einen Schritt zu weit gegangen“, stellt Martin Theo Carbon fest. Vielleicht mache es nicht für jedes Unternehmen auf jeder betrieblichen Ebene Sinn, Ziele zu vereinbaren, deren Erreichung dann incentiviert werden. In jedem Fall bewährt haben sich in der Diskussion um Zielkalibrierung und Leistungsbeurteilung Panel-Diskussionen. Diese Erfahrung teilen die Experten, denn die Panel-Diskussion sei ein gutes Instrument, um mehr Differenzierung einzuführen und die Entscheidung auf mehrere Schultern zu legen. Die macht Sinn sowohl bei der Frage der Leistungsbeurteilung für die Entlohnung als auch im Talent Management. Der Vorteil: Über vorgelagerte bereichsübergreifende Zielkonferenzen lasse sich sehr gut eine gemeinsame Ziele- und Leistungskultur etablieren, betont Felix Kratz, Baumgartner & Co. Gemeinsame Zielmaßstäbe schafften Verbindlichkeit und HR könne dieses Format nutzen, um seine strategischen Themen stärker anhand von Kennzahlen zu treiben.
![]() | „Trotz des Aufwands der Bewertungen ist eine individuelle Komponente im Bonus wichtig, damit Mitarbeiter sich für ihre Leistung anerkannt fühlen.“ |
![]() | „Unternehmen ohne ein funktionierendes Nachfolgemanagement oder Workforce-Planning müssen unter Umständen sehr tief in die Tasche greifen.“ |
Schwieriges Talent Management
Kopfschmerzen bereitet nach wie vor das Talent Management, das häufig in der Praxis Bewährungsprobleme zeigt. Nur wenige Unternehmen scheinen die gewünschten Ziele zu erreichen, Kurskorrekturen sind in vielerlei Hinsicht angebracht. Die Managementexperten diskutieren sehr kontrovers das „Wer, Wann und Wie“ der Verbesserungen. „In aufwendigen Prozessen identifiziert, in teuren Programmen trainiert und bei der Besetzung frustriert“, auf diese Formel bringt Carsten Schlichting die gängigen Besetzungsprozesse, die nach seiner Auffassung in vielen Unternehmen „noch zu wenig gesteuert und oft zufällig“ verlaufen. Ein Grund sind zu komplizierte Prozesse und Instrumente, zudem die Schnittstellen zur konkreten Besetzung nicht in ausreichendem Maße funktionieren. Seinen Glauben „an aufwendige, feinziselierte interne Talent Management-Prozesse“ hat Walter Jochmann verloren, da „zu wenig aus der Pipeline herauskommt“. Problemtisch aus seiner Sicht: Unternehmen betreiben Aufwand, doch dann stehen die Potenziale in der Pipeline nicht zur Verfügung; sie können damit weder ihre Gender- noch Internationalisierungsbedarfe bedienen. Notwendig beim Talent Management sei „mehr Business-Sicht, mehr Jobgruppenorientierung, weniger HR-dominierte Portfolio-Diskussionen“ und Nähe zu Geschäftsanforderungen. Gleichwohl sei der Talent Management-Prozess als solcher unersetzlich. Jochmanns Lehre aus der Praxis: Ein transparenter und funktionierender interner Arbeitsmarkt habe einen wesentlich größeren Effekt als ein isolierter Talentpool.
Der Talent Management-Experte Kai Anderson von der Unternehmensberatung Promerit verfügt über andere und positive Erfahrungen in der Unternehmenspraxis. Talent Management funktioniere hervorragend „mit Struktur und einer veränderten Führungskultur“. Von komplizierten Kompetenzmodellen und diagnostischen Verfahren als Basis hätten Unternehmen, die Talent Management erfolgreich betreiben, sich lange verabschiedet. „Im Kern von Talent Management stehen heute die Führungskräfte in ihrer zentralen Verantwortung. Dabei richten wir uns an deren Bedarfen aus und reduzieren die Komplexität.“ Panel-Diskussionen bewährten sich bei der Talentidentifikation, wenn sie einen kritischen Dialog über Leistung und Potenzial zulassen würden. Von individuellen Fördermaßnahmen profitierten Talente, aber gelegentlich fehle noch „der Mut in Besetzungsentscheidungen“.
Auch der Mittelstand braucht sich vor Talent Management nicht zu fürchten. Denn zum Aufbau und zur nachhaltigen Steuerung von entsprechenden Talent Management-Systemen haben sich „pragmatische Modellierungsmodelle“ bewährt, berichtet Stefan Fischer, Lurse AG. Ohne aufwendige Rechenmodelle könne HR die kritischen Funktionen und Mitarbeitergruppen identifizieren und die Wirksamkeit von Maßnahmen vor der Umsetzung simulieren.
Nachfolgeplanung ist ein Muss
Nur für 37 Prozent der Unternehmen in Europa ist Talent Management ein relevantes Thema. Dieses Ergebnis einer aktuellen Studie von Right Management ist ein erschreckend geringer Wert. Trotz aller Schwierigkeiten, die ein funktionierendes Talent Management mit sich bringt: Unternehmen sollten sich vergegenwärtigen, dass ein fehlendes Nachfolgemanagement oder entsprechendes Workforce-Planning dazu führen kann, dass sie unter Umständen sehr tief in die Tasche greifen müssen, um passende Mitarbeiter zu rekrutieren. Das erlebt Claudia Schmidt, Geschäftsführerin bei Mutaree, deren Empfehlung an Arbeitgeber lautet: Bei der Identifizierung der Talente stärker auf das Potenzial, neue Fähigkeiten erlernen zu können, zu achten, sowohl beim Nachfolgemanagement als auch bei Rekrutierung und Personalentwicklung. Was einen Mitarbeiter in der Vergangenheit oder auch heute erfolgreich mache, nütze ihm vielleicht schon morgen nichts mehr.
Leadership und Talent Management sollten auf der Agenda des Vorstandes stehen, mahnt Michael Holle, Right Management. Um sicherzustellen, dass ein Unternehmen auch in Zukunft die Talente an Bord hat, die es für eine erfolgreiche Umsetzung ihrer Geschäftsziele benötigt, sollte ein systematisches Talent Management auf der Prioritätenliste des Vorstands stehen. Dabei reichen Insellösungen, wie ein vereinzelt aufgesetzter Talentpool, nicht mehr aus. „Talent Management muss bei allen Schritten der Personalarbeit realisiert werden.“
Eine andere Baustelle ist das „Zielsubjekt“ – der Mitarbeiter. Denn wie wollen Talente heute gemanagt werden? Traditionelle Talent Management-Modelle stoßen bei der Generation Y nicht auf Gegenliebe, erklärt Hay-Group-Chef Michael Träm. Die nachwachsende Generation möchte sehr viel stärker Sinn am Arbeitsplatz erleben. „Loyalität muss sehr viel stärker über die Führungskraft hergestellt werden und lässt sich nicht automatisch über Brands realisieren.“ Sein Fazit: Talent Management muss in vielen Unternehmen, besonders bei traditionellen Großkonzernen, neu definiert werden.
![]() | „Die Kompetenzen der HR-Mitarbeiter müssen sich konsequenter auf die Geschäftsanfordernisse ausrichten, damit das HR Business-Modell einen echten Wertbeitrag beisteuert.“ |
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Kollaboration statt Ein-Mann-Führung
Digitalisierung, Demokratisierung, Wegfall von Hierarchiestufen, Vernetzung Mensch-Maschine, Industrie 4.0: Was ändert sich kulturell, organisatorisch und an Führungsstrukturen? Und was bedeutet das für HR? Schwierig wird es allemal, die Zukunft der Arbeit zu prognostizieren, denn „wir müssen uns vermehrt auf disruptive Veränderungen einstellen, die sind nun einmal nicht vorhersehbar“, bemerkt Towers-Watson-Experte Carbon. Aber Trends lassen sich bereits heute ablesen. Gerade in den Beratungsunternehmen, die häufig als Early Adapter gelten, zeigt sich, dass Führung zunehmend in Projekten stattfindet. Das bedeutet beispielsweise, dass sich Unternehmen „zu Kompetenz- und Erfahrungshierarchien entwickeln, die der starren Linienorganisation den Rang ablaufen“, meint Kai Anderson, Promerit. Wie wird Führung in Zukunft überhaupt noch definiert? Viele Antworten gibt es bislang noch nicht. Die Arbeit der Zukunft wird nicht nur digitaler, sondern auch „demokratischer, weil die Lösung komplexer Fragestellungen auf die Ideen aller Beteiligten angewiesen ist“, so die Einschätzung von Nelson Taapken. Bei Ernst & Young befinde man sich auf dem Weg zu Smarter Workforce, was bedeutet: Nicht nur Arbeitszeit und Arbeitsort werden flexibel, auch modernste Technologien kommen zu Anwendung, Privilegien werden abgeschafft wie auch stationäre feste Arbeitsplätze. „Ersetzt werden sie durch Kollaboration, Transparenz, Vertrauen und deutlich größere Gestaltungsräume.“
Die zu erwartenden Innovationsschübe durch Industrie 4.0 werden die Veränderungsbereitschaft und Lernagilität vieler Branchen und Geschäftsmodelle bis aufs Äußerste fordern sowie jahrzehntelang gewachsene Managerrollen und Führungsbilder ablösen, prognostiziert Walter Jochmann. Flexible Arbeitszeit/ort-Modelle, bedarfsorientierte Laufbahnen, kreative Vertretungs- und Rotationsansätze sowie Selbstnominierung für Projekte seien schon heute in einigen Organisationen Realität. In Zukunft machten solche Modelle den Unterschied „zwischen Mittelklasse und Attraktivitätsführer unter den Arbeitgebern“.
Die Frage nach der Zukunft von Führung ist gestellt. Bleibt offen, wie der „Mitarbeiter der Zukunft“ aussieht und ob er den technologischen Sprüngen und der prophezeiten Demokratisierung folgen kann.
Autorin
Christiane Siemann, freie Journalistin, Bad Tölz
- Stillstand ist Rückschritt
- Selbstbewusste Kurskorrekturen
- Mit eigenen Mitteln oft überfordert
- Nachfolgeplanung als strategische Personalentwicklung
- Deutsche Unternehmen vernachlässigen den eigenen Nachwuchs
- Den Wertbeitrag von HR steigern
- Großprojekte erfolgreich durchführen
- Vernetzen, Priorisieren, Quantifizieren
- Personalarbeit in der Zulieferindustrie: Alles anders?