Ausgabe 2 - 2011
Attraktivität litt unbemerkt unter Krise
Die zurückliegenden Kostenreduzierungen haben das Engagement und die Stressresistenz von Mitarbeitern beeinträchtigt. Was sich verändert hat und was Unternehmen jetzt tun können, zeigt eine Studie.
Deutschlands Wirtschaftsweise haben ein Wachstum von 3,2 Prozent für 2011 prognostiziert, gleichzeitig sinken die Arbeitslosenzahlen. Das Land ist also wieder auf dem richtigen Weg. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass die Unternehmen durch die Krise stark in Mitleidenschaft gezogen wurden und viele Arbeitnehmer aufgrund krisenbedingter Sparmaßnahmen zurückstecken mussten. Nur weil die Aussicht insgesamt positiver wird, ist der Ausgangszustand von vor der Krise noch längst nicht wieder hergestellt. Denn die meisten Unternehmen haben als erste Reaktion auf die schlechte Wirtschaftslage an der Kostenschraube gedreht – besonders im Personalbereich, einem der größten Kostenfaktoren. Unternehmen weltweit haben die Auswirkungen dieser Sparmaßnahmen unterschätzt.
Die aktuelle Situation wirft zahlreiche Fragen auf: Welche Folgen hatten die Kostenreduktionen für die Motivation und das Engagement der Arbeitnehmer? Wie stehen die Arbeitgeber da? Was müssen deutsche Unternehmen tun, um sich vor dem Hintergrund des Aufschwungs im War for Talent nachhaltig behaupten zu können?
Antworten liefert die „Global Talent Management & Rewards Study 2010“, für die die aktuellen Herausforderungen im Vergütungs- und Talent Management von insgesamt 1176 Unternehmen aus 17 Ländern abgefragt wurden. Ergänzt wird die Studie durch die Ergebnisse der Arbeitnehmerbefragung „Global Workforce Study 2010“.
Geringere Stressresistenz
Die Krise und die darauf folgende Rezession ließ Unternehmen weltweit mit Personalkostenreduktionen, vor allem in der Form von Einstellungsstopps (64 Prozent) und Nullrunden (55 Prozent), reagieren, wobei in Deutschland trotz der nun allgemein günstigen wirtschaftlichen Lage mehr Unternehmen diese Maßnahmen ergriffen (83 Prozent beziehungsweise 67 Prozent). Hier war auch die Beschränkung von Überstunden (57 Prozent) und die Reduzierung von Bonuszahlungen eine gängige Interventionsmaßnahme. Die Hälfte der Unternehmen weltweit griffen eher auf Beurlaubungen, Entlassungen und Stellenabbau zurück.
Die geläufigen Kostensenkungen sowie die Kürzungen an Bonuszahlungen, Gehältern und Weiterbildungsbudgets blieben nicht ohne Folgen für die Belegschaft. Zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland konstatiert zum Beispiel einen negativen Einfluss auf die Stressresistenz und die Arbeitsbelastung der Angestellten. Auch das Mitarbeiterengagement und die Work Life Balance haben deutlich unter den krisenbedingten Sparmaßnahmen gelitten (siehe Abbildung 1). Zudem scheint nun die Devise „Safety first“ zu gelten: Die Bereitschaft, ein unternehmerisches Risiko einzugehen – ein Prozess, der zu erfolgreichem Wirtschaften gehört – lässt nach. Man könnte meinen, dass sich die Arbeitnehmer – froh, überhaupt eine Stelle zu haben – schon auf die nächste Krise einstellen und lieber auf Sicherheit setzen. Hinzu kommt, dass sie jetzt für ihre Mühen in der Krise belohnt werden wollen, sei es in Form einer Beförderung und/oder einer Gehaltserhöhung.
Abbildung 1
Nachteilige Auswirkung von Kostensenkungen*

Quelle: Towers Watson Talent Management & Rewards Survey 2010
Prozentsatz der befragten Unternehmen, die angaben, dass sich ihre Kostensenkungen negativ auf den jeweiligen Bereich ausgewirkt haben/auswirken.
Die Arbeitnehmerbefragung wiederum hat gezeigt, dass Mitarbeitermotivation und -wohlbefinden einen deutlichen Einfluss auf die Unternehmensperformance haben. Deutsche Unternehmen müssen deshalb gerade jetzt auf das gestiegene Bedürfnis der Mitarbeiter nach einem sicheren Arbeitsplatz, Stabilität und Möglichkeiten zur Beförderung und für Gehaltserhöhungen eingehen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Unpassende Angebote binden Mitarbeiter nicht
Firmen hierzulande haben trotz der negativen Auswirkungen der Kostenreduktionen keine allgemeinen Rekrutierungsschwierigkeiten. Allerdings geben mehr als 60 Prozent der Befragten an, dass die Suche nach Mitarbeitern mit erfolgskritischen Fähigkeiten und nach Spitzenkräften eine große Herausforderung darstellt. Auch die Bindung von High Potentials erweist sich in Deutschland für über 70 Prozent der Unternehmen als Problem, wobei diese Besorgnis weltweit von weniger als der Hälfte geteilt wird. High Potentials sind am ehesten bereit, das Unternehmen zu wechseln, sollte sich ein attraktiveres Angebot ergeben. Die Studie zeigt, dass deutsche Unternehmen davon ausgehen, dass ein wettbewerbsfähiges Grundgehalt der wichtigste Grund für die Arbeitgeberwahl ist. Für die Arbeitnehmer hingegen steht dieser Punkt erst an sechster, eine herausfordernde Aufgabe dafür aber an erster Stelle. Viele Arbeitgeber unterschätzen, wie wichtig etwa betriebliche Altersversorgung, Arbeitsplatzsicherheit und flexible Arbeitszeiten sind, um gerade diese Mitarbeiter für einen Verbleib im Unternehmen zu motivieren. Um die finanziellen Interessen der Arbeitnehmer mit den Unternehmenszielen in Einklang zu bringen, nehmen die Firmen starke, an die individuelle Leistung gekoppelte Gehaltserhöhungen und Short-Term-Incentives vor. So erhalten Mitarbeiter in Deutschland, die die Erwartungen weit übertroffen haben, fast dreimal so große Grundgehaltserhöhungen wie Mitarbeiter, die die Erwartungen „nur“ erfüllt haben. Die Leistungsdifferenzierung spiegelt sich etwas geringfügiger bei den Bonuszahlungen wieder. So erhalten Mitarbeiter in Deutschland bei weit übertroffenen Erwartungen bis zu 1,5 Mal mehr Bonus im Gegensatz zu denen, die die Erwartungen nur erfüllt haben.
Wie die Ergebnisse der Parallelstudie zeigen, läuft dies jedoch an den Mitarbeiterwünschen vorbei. Gerade den für ein Unternehmen erfolgskritischen Mitarbeitern, Top-Performern und High Potentials sind zum Beispiel weiche Faktoren, wie die Work Life Balance, wesentlich wichtiger als der finanzielle Aspekt. Die Folgen dieser Disharmonie zeigen sich nun deutlich in den Schwierigkeiten bei der Bindung und Gewinnung von Mitarbeitern. Viele Unternehmen haben durch die Personalkostenreduktionen an Attraktivität verloren.
Erwartungen verfehlt
Erfolgskritisch wird für Arbeitgeber weltweit eine Harmonisierung der unterschiedlichen Erwartungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein. Hierzu benötigen sie gezielte Informationen darüber, weshalb sich Mitarbeiter für ein bestimmtes Unternehmen entscheiden. Die Antworten der Arbeitgeber auf diese Beweggründe werden in der sogenannten Employee Value Proposition (EVP) gebündelt. Als Unterscheidungs- oder Alleinstellungsmerkmal umfasst sie alles, was man seinen Mitarbeitern als Gegenleistung für eine Beschäftigung bietet. Dazu zählen neben der Gesamtvergütung beispielsweise die Reputation, Aufstiegsmöglichkeiten oder die Work Life Balance.
Es bestehen jedoch zum Teil signifikante Unterschiede zwischen den Erwartungen der Arbeitnehmer an ihren Arbeitgeber und dem Angebot der Unternehmen. Die Chance auf eine deutlich höhere Vergütung ist global der mit Abstand auffälligste Punkt, an dem Angebot und Erwartung auseinander gehen. So wünschen sich 68 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland die Chance auf höhere Vergütung, aber nur 14 Prozent der Arbeitgeber haben dafür ausreichend Mittel zur Verfügung. Unternehmen unterschätzen ebenfalls den Stellenwert einer sicheren und stabilen Stelle für die Mitarbeiter (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2
Angebot und Nachfrage: Sind die Erwartungen der Arbeitnehmer realistisch?

Die Mitarbeiter hoffen unter anderem auf eine deutlich höhere Vergütung. Doch die Differenz zu dem, was die Arbeitgeber realistisch bieten können, ist bei diesem Punkt besonders groß.
Obwohl sich in nahezu allen deutschen Unternehmen im Laufe der Zeit eine informelle EVP entwickelt hat, wurde sie in weniger als 30 Prozent der Studienteilnehmer klar definiert und explizit kommuniziert. Über die Hälfte derjenigen mit einer definierten EVP haben ihre HR-Prozesse auf das EVP-Gesamtleistungspaket – bestehend unter anderem aus Vergütung, Arbeitsklima und Weiterbildung – abgestimmt. Insgesamt korreliert eine sorgfältig gestaltete EVP deutlich mit geringeren Problemen in der Rekrutierung und der Bindung von Mitarbeitern.
Verknüpfung herstellen
Ein nachhaltiges Talent Management-Modell muss in jeder wirtschaftlichen Lage effektiv sein und flexibel auf alle wichtigen Mitarbeitergruppen reagieren können. Es muss in die angrenzenden Belohnungssystemen integriert werden.
Das bedeutet, global konsistente Systeme zu entwickeln und die für alle Mitarbeiter wichtigsten Aspekte zu adressieren.
Die am häufigsten eingesetzten Systeme sind unternehmensweit einheitliche Funktionsbewertungssysteme, die als Grundlage für ein erfolgreiches Talent Management dienen. Mehr als 70 Prozent der befragten Unternehmen nutzen ein solches System; rund 15 Prozent plant die Einführung in den nächsten 24 Monaten. Als wichtigste Gründe für die Einführung oder die Anpassung der Systeme wurden vor allem genannt:
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betriebliche Umstrukturierung hat interne Verhältnisse verändert,
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Neudefinition von Karrierepfaden für wichtige Funktionsbereiche oder Funktionen,
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deutliche Umgestaltung von Stellen/ Neudefinition von Karrierestufen,
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um Unterscheidung zwischen den Karrierestufen zu formalisieren, mit der Absicht, Karriereentwicklung und die effektive Vereinbarung von Zielen zu fördern.
Solche weltweit konsistenten Funktionsbewertungssysteme können die Rahmenbedingungen für die Anpassung und Integration von Talent Management Programmen liefern und den Unternehmen helfen, auch in ihren anderen Programmen effektiver zu werden. Unternehmen, die solche Systeme nutzen, haben die anderen Personalprogramme häufiger als „sehr effektiv“ eingestuft im Unterschied zu Unternehmen, die kein entsprechendes System nutzen.
Ansprüche abgleichen
Obwohl sich Deutschland von der Krise im internationalen Vergleich gut erholt hat, hat die Wirtschaftskrise doch Spuren bei den Mitarbeitern hinterlassen. Sie erholen sich langsam von den Einsparmaßnahmen, aber das Bedürfnis nach Sicherheit, Stabilität und beruflichen Perspektiven ist nun umso stärker. Unternehmen hingegen überdenken vor allem ihre Geschäftsstrategie zum Erhalt der „Bottom Line“ und zum Ankurbeln der Produktivität.
Um die Rezession endgültig zu überwinden, sollten deutsche Unternehmen die Gestaltung und das Management ihrer Programme überarbeiten und eine Strategie entwickeln, die flexibel auf künftige Erfordernisse des Konjunkturverlaufs reagieren kann (siehe Infokasten).
Festzuhalten bleibt: Der oft heraufbeschworene Fachkräftemangel ist weder allein von der allgemeinen Wirtschaftslage noch von der Demografie abhängig. Personalabteilungen können einen wesentlichen Faktor beitragen. Mit einer nachhaltigen Strategie, die auf den Ansprüchen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite fußt, wird es Unternehmen gelingen, auch in kommenden schwierigen Zeiten Top-Performer und andere erfolgskritische Mitarbeiter zu rekrutieren, an das Unternehmen zu binden und zu einem höheren Engagement zu motivieren.
Maßnahmen für eine nachhaltige Vergütungs- und Talent Management-Strategie
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Grundlagen stabilisieren: ein wettbewerbsfähiges Grundgehalt und Nebenleistungen sichern
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Leistung weiterhin belohnen: Gehaltserhöhungen und Bonuszahlungen nach individueller Zielerreichung differenzieren
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Flexibel sein: die veränderten Bedürfnisse der Mitarbeiter anerkennen und darauf eingehen, insbesondere im Hinblick auf die weichen Faktoren, wie Klarheit über die Karriereentwicklung oder Work Life Balance
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Entwicklung vorantreiben: die Karrieremöglichkeiten für Top-Talente und Mitarbeiter mit entscheidenden Fähigkeiten klar kommunizieren und fördern
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Neue Führungskompetenzen im Top-Management entwickeln, um dem sich wandelnden Umfeld gewachsen zu sein
Autor
Carl Walinski, Senior Consultant, Towers Watson Deutschland, Frankfurt,
carl.walinski@towerswatson.com
- Inhalt Personalwirtschaft 02/2011
- Alltägliche Fragen
- Man kann nicht immer Kumpel sein
- Macher mit dem gewissen Etwas
- Was erfolgreiche Management-Teams ausmacht
- „Professionelle Instrumente einsetzen“
- Wenig Kenntnisse – aber konkrete Erwartungen
- Die richtige Position spielen lassen
- Deutschland gehen die Ideen aus
- Neue Rolle für den Chef
- Führung in der Praxis lernen
- Wie Butter ohne Brot
- Attraktivität litt unbemerkt unter Krise
- Ein Portal für alle
- Kein Problem mit den Daten