„Beim Change muss HR einen echten Mehrwert bieten“

Jörg Müller, Senior Vice President Human Resources, Berner SE
Es kommt selten vor, dass HR mit der Organisation einer komplexen Transformation beauftragt wird. Doch bei der Berner Group in Künzelsau war das der Fall. 2011 übertrug das Unternehmen seinem Personalchef Jörg Müller die Leitung eines wichtigen Change-Projektes. Ein Glücksfall für beide Seiten.
Personalwirtschaft: Wann haben Sie von der geplanten Transformation erfahren?
Jörg Müller: Sozusagen in der Stunde null – ich habe sie mit eingeleitet. Eines Tages kam der Geschäftsführer unseres Geschäftsbereichs BTI Befestigungstechnik auf mich zu, beschrieb sein Problem und schlug ein Gemeinschaftsprojekt von BTI und der HR der Holdinggesellschaft vor. Unser Eingangsziel war, die anhaltende Fluktuation im Vertrieb dieses Bereichs zu senken. Wir hatten schon viel ausprobiert, aber nichts hatte gefruchtet. Uns war daher klar, dass wir einen neuen Weg suchen und gehen mussten.
Warum hat sich der Divisionschef direkt an den Leiter HR und nicht zuerst an den Vorstand gewandt? Normalerweise läuft das doch so.
Ich war damals erst ein halbes Jahr im Unternehmen. Kurz davor hatte ich mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung meine Sicht der Dinge diskutiert, was nämlich im ersten und im zweiten und dritten Schritt zu tun sei, um den Erfolg der Geschäftsbereiche nachhaltig zu sichern. Das hat ihn wohl nachdenklich gemacht. Ich glaube, dadurch erkannte er, dass HR das Business bei seinen Geschäften unterstützen kann.
Wie haben Sie auf die Extraportion Verantwortung reagiert?
Natürlich habe ich mich gefreut. Ich habe aber auch klipp und klar gesagt: Wenn ich die Organisation des Changes übernehmen soll, dann muss ich mit allen Mitgliedern im Projektteam offen und vorbehaltlos reden dürfen. Ich wusste, dass ich auf die Unterstützung durch die Linie angewiesen bin. Sonst konnte das nicht funktionieren.
Was qualifizierte Sie für die Leitung des Vorhabens? Frech gefragt: Wo haben Sie Change Management gelernt?
Learning by Doing und sehr viel bei anderen abschauen. Ich war zwölf Jahre lang Offizier bei der Bundeswehr und bin seither mehr als 20 Jahre im HR-Geschäft unterwegs. Während meiner gesamten Berufszeit habe ich mich intensiv mit Führungsthemen beschäftigt, ich habe viel gelesen und anderen zugehört. Aber bis auf einen zweitägigen Workshop für Change Management hatte ich keine spezifische Change Management-Weiterbildung. Trotzdem hatte ich aber durch meine langjährige Führungserfahrung mehr als eine Idee davon, wie eine solch umfassende Transformation ablaufen muss.
Wer gehörte zu Ihrem Projektteam?
Zu Beginn waren das nur die Führungskräfte aus dem operativen Geschäft, außer mir war niemand von HR dabei. Recht bald kamen dann zwei Kollegen aus dem Personalbereich hinzu. Einer arbeitete an unserem neuen Vergütungssystem mit und der andere kümmerte sich um Weiterbildung und Qualifizierung.
Wie reagierte die Belegschaft auf das Vorhaben? Gab es Widerstände?
Natürlich stehen die Mitarbeiter Veränderungsthemen zunächst sehr reserviert gegenüber. Da muss man viel erklären und coachen. Für die Führungskräfte auf der mittleren Ebene und für die Belegschaft war das schwierig. Zumal wir viele Dinge gleichzeitig angefasst haben. Das muss man aber tun, wenn man eine Organisation ganzheitlich verändern will. Und so etwas irritiert.
Der wesentliche Teil des Projekts betraf Vertriebs- und Marketingthemen. Wie kamen die dortigen Linienmanager mit der Projektleitung HR klar?
Sehr gut. Ich habe mich mit dem Business sehr intensiv vertraut gemacht, und die Leute merkten das. Ich sah das daran, wie die Führungskräfte mit mir umgegangen sind. Die haben gespürt, dass ich ihnen bei der Bewältigung ihres Geschäfts einen echten Mehrwert bieten kann. Das muss HR heute zwingend leisten, um in der Linie akzeptiert zu sein und auch bei geschäftlichen Fragen um Rat gebeten zu werden. Wenn das so ist, regt sich auch niemand auf, wenn HR mit der Leitung eines großvolumigen Changes beauftragt wird. Aber Obacht: Man darf als Personaler nur ja nicht den Eindruck entstehen lassen, man sei der bessere Stratege oder Vertriebler.
Wie haben Sie das Change-Vorhaben strukturiert? Sind Sie nach einem bestimmten Modell vorgegangen?
Ich habe das Eisberg-Modell zugrunde gelegt. Das ist ein hierarchisches Modell mit einem klaren Ziel, zu dem man über die drei sichtbaren Ebenen Aufgaben und Kompetenzen, Struktur und Prozesse gelangt. Das sind die harten Themen, an die man ranmuss. Das alles wird aber getragen und gestützt von der Unternehmenskultur. Diese gilt zwar als weiches Thema, berührt aber Denkweisen und Paradigmen, die wesentliche Treiber für den Erfolg des Gesamtprojektes sind.
Und dann die klassische Aufgabenverteilung: Die Linie gestaltet die harten Themen, bei denen es auch um Geld geht, und HR darf sich an der Kultur abarbeiten?
Eben nicht. Schon die Zieldefinition haben wir gemeinsam gemacht. Dabei habe ich fachlich stark mitdiskutiert. Auch bei den Folgethemen: Wie treten wir an den Kunden heran? Wie organisieren wir den Vertrieb auf der Prozessebene? Wie sieht das künftige Organigramm aus? Welche Führungsspanne halten wir noch für zulässig? Wer berichtet an wen? Und zum Schluss: Welche Vertriebsprofile brauchen wir? Bei all dem saß HR mit am Tisch.
Und wann ging es um Werte, Mitarbeiterbedürfnisse und die Einstellung zur Arbeit?
Die weichen Themen waren von Anfang an mit dabei. Alle unsere Überlegungen waren hinterlegt mit der Frage, wie der Betrieb in Zukunft kulturell geprägt sein soll. Wir haben parallel diskutiert, aber die Kulturdiskussion war wesentlich für das Ergebnis.
Inwiefern?
Unser Eingangsziel war ja, die Fluktuation zu verringern. Viele Diskussionen kreisten in diesem Zusammenhang um die Vergütung der Mitarbeiter. Da Geld bekanntlich keine dauerhafte Motivation erzeugt, haben wir darüber nachgedacht, wie wir unseren Mitarbeitern im Vertrieb mehr Sicherheit und Stabilität geben können. Als Ergebnis dieses Prozesses wurde das Vergütungssystem signifikant umgestellt. In der Vergangenheit haben wir sehr variabel gezahlt, was unter anderem aufgrund der saisonalen Schwankungen zu stark variierenden Monatseinkommen und damit zu geringer finanzieller Stabilität geführt hat. Unser neues Entgeltsystem sieht eine gleichmäßigere Vergütung vor. Das gibt den Mitarbeitern mehr Planungssicherheit. Für uns war das eine Revolution, und dorthin gelangten wir vor allem über die Kulturdebatte. Die war ein starker Treiber für das neue Entgeltsystem.
Wie wurden die Führungskräfte und Mitarbeiter in den Change eingebunden?
Nicht alle Mitarbeiter waren involviert. Weil unsere Teammeetings aber oft in Form von Workshops organisiert waren, und zwar immer zusammen mit Vertretern des Betriebsrats, war die Rückkopplung an die Belegschaft gesichert. Die Führungskräfte, also die Verkaufsleiter, waren von Anfang an eingebunden, zum Beispiel über die Linienmanager im Projektteam, die als Botschafter hin zur Belegschaft wirkten. Zusätzlich haben wir alle Führungskräfte zu einem zweitägigen Workshop eingeladen und dort ein Zukunftsbild gezeichnet
Was würden Sie im Nachhinein anders machen?
Man lernt immer dazu. Im Rückblick sehe ich: Wir hätten noch früher und noch intensiver über die Rolle der Führungskräfte im Change reden müssen. Wir sind davon ausgegangen, dass diese die Veränderungen sehr gut führen würden. Deshalb haben wir das Thema erst zu einem Zeitpunkt angesetzt, der aus jetziger Sicht zu spät war. Die Führungskräfte auf allen Ebenen müssen früher informiert und gecoacht werden, was auf sie zukommen wird und wie sie damit umgehen sollen. Aber jetzt wissen wir das auch.
Erwarten Sie, dass HR auch mit den nächsten Veränderungsvorhaben beauftragt werden wird?
Ich bin im engen Austausch mit den Kollegen vom Business und die sind alle der festen Überzeugung, dass unser Weg absolut richtig war. Von daher würden die das sicher begrüßen.
Was halten Sie von der Idee, in einer Ecke der Konzern-HR eine kleine Change-Truppe aufzustellen?
Es ist nicht dumm, Change Agents auszubilden und vorzuhalten. Wir denken darüber nach. Es gibt ja bereits einige gute Beispiele für Personaler, die erfolgreich als Change Agents tätig werden.
Autorin
Das Interview führte Christine Demmer.
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