Ausgabe 2 - 2016
Performance ist alles

Wird Leistung gemessen, will sie dargestellt werden. Also reichen wir passgenaue Indikatoren ein und melden volle Zielerreichung. Wir werden zu Angebern – mit Formeln, die wohl schon genügen werden, um Performance zu suggerieren. Die Darstellung unserer Leistung wird zur eigentlichen Performance. Ein Essay.
Was unterscheidet eigentlich den Sitcom-Büroleiter Bernd Stromberg aus der gleichnamigen TV-Serie von dem ein halbes Jahrhundert älteren Heinz Erhardt als Komödien-Buchhalter Willi Winzig? Willi Winzig wusste, so viel steht fest, von „Performance“ noch nichts: Er war Input-orientiert und simulierte, wo erforderlich, Betriebsamkeit. Stromberg dagegen ist, auch wenn seine Performance durchwachsen ist, Output-orientiert; er präsentiert selbst da Ergebnisse, wo keine Leistung war. Er weiß, dass Performance alles und alles Performance ist. Wenn das Subjekt als Manager funktioniert, dann heißt das auch, dass wir laufend an der Performance arbeiten und dass wir Performance planmäßig mit Leistung verwechseln. Wo Leistung war, scheint es, ist nun Performance. Zwischen Leistungsdarstellung und Darstellungsleistung ist kaum noch ein Unterschied auszumachen. Wir sind alle Performer – wobei noch zu klären ist, ob und wieso wir Outperformer, Underperformer oder Market Performer sind.
Unsere Darstellung, unser Auftritt
Der Boom des Performance-Begriffs geht Hand in Hand mit dem des Verbums „darstellen“. Wohin man schaut und hört, wird dargestellt. Was „nicht darstellbar“ ist, das existiert nicht. Und wer nicht(s) darstellt, der ist gar nicht da. Wir sind jetzt alle Darsteller, vor allem Selbstdarsteller auf dem Sichtbarkeitsmarkt. Wir haben eine Performance abzuliefern, die nicht so aussehen soll, als wären wir Rule Player. So sauber auch immer unsere Prozesse aufgesetzt, so qualitätsgemanagt unsere Abläufe sein mögen, es kommt auf die Performance an: auf die Darstellung unseres Selbst nicht nach den überlieferten Regeln des Berufs, sondern nach denen der Darstellung selbst.
Performance oder Performanz kam als Begriff Mitte der 1950er-Jahre, zeitgleich mit Peter Druckers Erfindung des Managements in die Welt. Die Prägung des Begriffs fällt zeitlich zusammen mit der „performativen Wende in den Künsten“, wie es Erika Fischer-Lichte, die führende Theoretikerin des Performativen in der Kultur, formuliert. Wenn Manager wie Künstler unaufhörlich von Prozessen reden, die sie höher schätzten als fertige Werke oder Produkte, wenn sie die engen ständischen und disziplinären Grenzen ihrer Kunstsparten und Firmenbranchen geringschätzen und der Entgrenzung das Wort reden, wenn sie in Projekten denken und eben in Performanzen, Präsenzen, Präsentationen, dann könnte das die Vermutung belegen, dass Contemporary Art und Contemporary Management, diese amerikanischen Nachkriegszwillinge, mehr miteinander verbindet, als das die verbliebenen Verächter der Kunst unter den Managern oder Verächter des Managements unter den Künstlern wahrhaben möchten.
Ein Nachweis des Selbst
„Performance umfasst“, wie der Soziologe Ulrich Bröckling bemerkt hat, „sowohl Leistung sowie Darstellung, Verbildlichung, Symbolisierung und Messung, und beides in einem Begriff zu repräsentieren, verweist nicht nur darauf, dass (theatralische) Darstellung eine Leistung ist, sondern auch darauf, dass Leistung dargestellt, theatralisiert werden muss, um als solche wahrgenommen zu werden.“ In der Performance erst erbringen wir den Nachweis, dass wir überhaupt ein Selbst haben. Dass wir uns verlässlich von anderen unterscheiden. Dass wir „wir selbst“ sind, wenn wir arbeiten, und nicht etwa nur ein Weisungsempfänger. Der komplexe Aufbau der gouvernementalautonomen Persönlichkeit erfordert zwingend die Performanz oder Performance: als Nachweis und Dokumentation meines Selbst, als seine Präsentation, als Ort seiner Evaluation. Die Performance, so könnte man allgemein formulieren, ist die Kunstform des fortgeschrittenen Kapitalismus, in dem alles Ständische, Zünftige, Disziplinäre und Werkhafte verdampfen soll.
Die verflüchtigte Leistung
Wir sehen also, wie die beiden Bedeutungen von Performance sich gegenseitig bedingen. Leistung und Darstellung, Leistungsdarstellung und Darstellungsleistung gehören zusammen in einer Gesellschaft, die weit weniger Leistungs- als Darstellungs- oder Performance-Gesellschaft ist, und dies nicht etwa nur, weil das Ökonomische die Oberhand über alle Lebensbereiche gewonnen hätte, sondern auch, weil die Gesetze der visuellen und performativen Kultur alle Lebensbereiche, also auch Politik und Ökonomie, beherrschen.
So wie sich etwa die Idee der Dienstpflicht in Luft aufgelöst hat, so auch, scheint es, die der Leistung; beide scheinen eher dem mittelalterlichen Zunftwesen zuzurechnen als unserer Gegenwart. Während Leistung früher einmal im Wesentlichen in selbständiger, mitunter überdurchschnittlicher Pflichterfüllung mitsamt gelegentlicher Berichtspflichten und Kontrollen bestand, im Grunde also auch unabhängig von ihrer Beobachtung und Darstellung existierte, hat sich jetzt das Moment der permanenten Beobachtung und Darstellung oder Darstellbarkeit von Leistung ins Zentrum eben der Leistungs- und eben nun Performance-Idee gedrängt. Leistung ist nur, was gerade „auf dem Schirm“ ist, und dort am besten als Chart, also darstellbar.
Performer mit Potenzial
War Leistung einstmals etwas Vollendetes und zu Vollendendes, hat Performance die Zeitform der Präsenz und des Präsens. Es ist der Leistung, wenn sie Performance sein will, von Anfang an die Dimension des Zeigens und Versprechens eingeschrieben. Den Gipfel unserer Leistungsfähigkeit oder Performance haben wir stets noch vor uns; sobald wir hier und da noch ein bisschen etwas optimiert haben, werden wir endlich unser ganzes Potenzial „abrufen“ können. Wer oder was bin also „ich“ in der Performance-Welt? Ein Mensch mit einem Potenzial. Im Sinne des Performance Managements wird Leistung als Input-Größe im Prozess der Performance-Erbringung betrachtet; Performance dagegen ist das Ergebnis und damit eine Output-Größe. Strombergs Vorgesetzte etwa sind nicht zufrieden mit ihm, sie finden ihn ebenso peinlich, wie ihn seine Untergebenen finden – aber man sieht auch, dass sie gegen ihn nicht viel ausrichten können. Wahrscheinlich sind seine Kennzahlen und Indikatoren in Ordnung, wahrscheinlich erreicht er sogar seine Ziele. Wenn Stromberg nicht gerade von Kameras verfolgt wird und Mitarbeiterinnen anbaggert, wird er wahrscheinlich seine Berichtspflichten „nachhalten“, seine Projekte in einem „Pflichtenheft“ dokumentieren, er wird evaluieren und evaluiert werden, Ziele vereinbaren und Lenkungsausschüsse bevölkern. Und überhaupt: Sollen Manager nach Tom Peters nicht genau das tun, was Stromberg jeden Tag gelingt oder unterläuft: provozieren, schockieren, „Denkanstöße geben“, Konventionen in Frage stellen, den Change instrumentieren?
Wirkungslose Steuerungslehre
Zur Logik des Darstellens gehört die des Hinweisens, des Anzeigens und, in welchem Wort sinn auch immer, die des Angebens. Wir arbeiten nicht nur – was einmal eine selbstvergessene Tätigkeit sein konnte –, wir zeigen oder weisen nach, während wir arbeiten, dass wir arbeiten und sind schon deshalb niemals selbstvergessen. Was uns quält, ist der Angeber in uns, der wieder mal passgenaue Indikatoren eingereicht hat, der volle Zielerreichung meldet, kurz: der gar nicht mal besonders marktschreierische, eher mittlere Angeber, der wir sein müssen. Weil wir es jetzt mit der Wahrheit immer ganz genau nehmen sollen, nehmen wir es in Wahrheit mit der Wahrheit überhaupt nicht genau, sondern begnügen uns mit Formeln, die genügen, um Performance zu indizieren.
Ich bin nicht nur der Leistungserbringer, auch nicht nur der Leistungsperformer, sondern derjenige, der die Leistung überhaupt erst erfindet und konfektioniert. Und ich werde smart genug sein, nichts zu produzieren, das nicht gemessen werden kann. Ich werde meinen eigenen mittleren Realismus als Leistung oder gar Leistungssteigerung zu inszenieren haben und ich nehme an, ich weiß, wie das geht. Ich kann, wir alle können Semantik. Wir können labeln, packagen, branden und „signallen“. Ehe uns die neue Steuerungslehre auf die Schliche kommen konnte, sind wir schon ihr auf die Schliche gekommen; wir kennen ihre Art Datenhunger und haben gelernt, ihn zu befriedigen. So gesehen ist die ganze neue Steuerungslehre vielleicht gar nicht mal so besonders menschenverachtend und totalitär und postdemokratisch, sondern nur eines: wirkungslos. Sie funktioniert im Prinzip gut, nur nicht mit Menschen.
Autor
Dr. Christoph Bartmann, Regionalleiter Nordamerika und Leiter Goethe-Institut New York, USA,
christoph.bartmann@newyork.goethe.org
Leben im Büro
Mit „Leben im Büro“ (Hanser, 2012) ist Christoph Bartmann eines der besten Bücher geglückt, die in den vergangenen Jahren zur Arbeitswelt erscheinen sind. Bartmann gelingt es, zugleich essayistisch zu mäandern und doch immer wieder entwaffnend pointiert die Mechanismen des modernen Bürolebens herauszuarbeiten. Der vorliegende Text ist ein für die „Personalwirtschaft“ gekürzter und bearbeiteter Auszug.
- Experimente wagen
- Ein Tabu in der Wissensgesellschaft
- Ein Hauch von schöner neuer Welt
- „Performance Management ist Beziehungsmanagement“
- Konstruktionsfehler vermeiden
- Mit Vollgas in die Vergangenheit
- Performance ist alles
- Karriere-Webseiten schicken in mobile Sackgassen
- „Viele Organisationen stehen sich selbst im Weg“
- Was Unternehmen von Berliner Start-ups lernen
- Engagement zahlt sich aus
- Was bleibt, was kommt
- Fachwissen allein reicht nicht mehr
- Zukunftssimulator für die Personalplanung
- Schwache Marken bezahlen mehr Gehalt
- Vom Mitarbeiter zum passionierten Markenbotschafter
- Einfach genial, weil herrlich normal
- Wertschätzung für Migranten