Ausgabe 2 - 2018
Was die Kollegen wollen

In den vergangenen Ausgaben haben wir uns damit beschäftigt, was IT, Einkauf, Marketing und Co. vom Personalmanagement erwarten. Zeit, ein Fazit aus unserer Lastenheft-Serie zu ziehen. Hier sind die aus Sicht der anderen Fachbereiche wichtigsten Aufgaben von HR.
Von Winfried Gertz
Zuletzt ließen sich etliche Studien in teils epischer Breite über die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild von HR aus. Mit welchem Anspruch Personaler ihr Tätigkeitsfeld beackern und was umgekehrt Unternehmensleitung und Linie von HR erwarten, stimmt offenkundig selten überein. Gut im administrativen Klein-Klein, schlecht in Strategie und Wertschöpfung – so in etwa sieht das Meinungsbild zu HR aus. Die Personalwirtschaft fragte deshalb bei Linienverantwortlichen nach, wie es um die Kooperation mit den Personalern tatsächlich bestellt ist und was HR aus ihrer Sicht unbedingt anpacken sollte. Herausgekommen ist ein Lastenheft für HR, das die wichtigsten Anforderungen von IT, Controlling, Vertrieb, Marketing und Einkauf an gutes Personalmanagement dokumentiert.
Beginnen wir mit dem, was Personalern als wichtigste Bringschuld abverlangt wird. Uneingeschränkten Vorrang vor allen anderen HR-Aufgaben hat nach Meinung der Fachbereiche das Recruiting. Von der Personalabteilung wird schlicht erwartet, möglichst schnell Fachkräfte auf hohem Qualifikationsniveau zu beschaffen. „Wir sind darauf angewiesen, dass HR die besten Talente findet“, sagt in fast flehentlichem Unterton Alastair Bruce, Vertriebsleiter von Xing. Das erhofft sich auch Tanja Lockwood, Marketingdirektorin von Villeroy & Boch. HR sollte unbedingt „eine große Stütze“ im Recruiting sein.
„Wir sind darauf angewiesen, dass HR die besten Talente findet.“
Alastair Bruce, Vertriebsleiter, Xing
Welche Verfahren im Recruiting sich hierzu vorrangig anbieten, unterstreicht Daniel Krauss, Gründer und CIO von Flixbus. Er erwartet, dass HR aktiv Fachkräfte anspricht. Arbeitgeber müssten auf Kandidaten zugehen und „sich bei ihnen bewerben“. Das fordert auch Astrid Paefgen, Einkaufsleiterin der Biomarktkette Alnatura: „Active Sourcing und die Einschaltung von Personalberatern bleiben bei der Suche nach talentierten und erfahrenen Einkäufern die Mittel der Wahl.“ Ein Blick ins Lastenheft, das darüber Auskunft erteilt, was der Fachbereich ganz allgemein an Unterstützung von HR benötigt, bekräftigt die Prioritäten der Linienverantwortlichen. So sollte HR aus Sicht der IT primär Dienstleister sein, der nicht allein Vakanzen passgenau besetzt, sondern im Interesse einer vorbildlichen Candidate Experience auch möglichst einfühlsam auf die Bedürfnisse und Erwartungen etwa von Entwicklern eingeht. Ähnliche Akzente setzt das Marketing. Wie der Kunde im Verkaufsprozess soll auch der Bewerber in klaren Schritten durch die Candidate Journey geführt werden. Controller nehmen einen anderen Blickwinkel ein. Ihnen ist wichtig, Aufwand und Ertrag im Recruiting anhand von Kennzahlen zu verfolgen. Wie lange dauert eine Stellenbesetzung; wer wird eingestellt, der bereits als Nachfolger aufgebaut worden ist? Aufwand und strategische Ziele fließen so ins Gesamtbild ein.
„Meine Ansprechpartnerin in HR weiß genau, worauf ich Wert lege.“
Astrid Paefgen, Einkaufsleiterin, Alnatura
Branding, Kultur, Entwicklung
Auf Rang zwei der Prioritätenliste folgen die Aufgabenbereiche Employer Branding, Unternehmenskultur und Personalentwicklung in etwa gleichauf. Für Linienverantwortliche sind sie mit dem Recruiting aufs Engste verknüpft. Im Wissen, dass Personalbeschaffung im herkömmlichen Stil (Post and Pray) zu kurz greift, sollte HR frühzeitig ins Employer Branding investieren, um dem Unternehmen im Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt eine vorteilhafte Position zu eröffnen.
Erfolgreich werde eine Arbeitgebermarke erst dank einer guten Unternehmenskultur, betont Matthias von Daake, Controllingchef der Blanco Group, Deutschlands erfolgreichstem Produzenten von Küchenspülen. „Wie wir miteinander umgehen und wie wir flexibel gestalten, wann und wo wir arbeiten“, dies sage viel über den kulturellen Kontext aus. Wer solche Rahmenbedingungen im Arbeitsmarkt bekannt macht, verschafft sich unbestreitbar Vorteile bei der Suche und Bindung von Fachkräften.
Doch das allein wird kaum ausreichen, um der Konkurrenz in angespannten Arbeitsmärkten die Stirn zu bieten. Nun kommt die Personalentwicklung ins Spiel: Von ihr wird erwartet, die Hürden fürs Recruiting in externen Arbeitsmärkten durch gezielte Personalgewinnung aus eigenen Reihen zu kompensieren. „Rotation sollte ganz normal sein“, beurteilt Einkäuferin Paefgen ein Instrument, das die Binnenfluktuation gezielt stimulieren könnte. So sieht es auch Xing-Chefverkäufer Bruce: Warum sollte ein Vertriebler nicht beispielsweise zu HR wechseln, wo er „sein Erfahrungs- und Kompetenzspektrum erweitern kann“? Neue Herausforderungen anzunehmen empfiehlt auch Flixbus-Vorstand Krauss. Phasenweise bei „befreundeten Unternehmen“ in spannenden Projekten zu arbeiten, erhöhe den Lernerfolg. Prinzipiell sei es besser, in Talentförderung zu investieren statt „stets Rockstars zu hohen Kosten anzuheuern“.
Grundsätzlich sollten in der Personalentwicklung diejenigen Akzente gesetzt werden, die dem Bedarf der jeweiligen Fachkräfte am besten entsprechen: Controller etwa müssen sich neben technisch-analytischen Skills weitere Kompetenzen aneignen. „Sie wachsen in die Rolle des Managementpartners hinein“, sagt von Daake. „Dafür müssen sie kommunikativer werden.“ Auch das Berufsbild des Verkäufers ändert sich. Statt wie früher Produktfeatures zu präsentieren, müsse der Vertriebler den Kunden zunehmend beraten, „wie das Angebot ihm dabei hilft, die Wertschöpfung zu stärken“, so Chief Sales Officer Alastair Bruce. Beraten, erklären und sich in die Bedürfnisse von Kunden einfühlen zu können, sollte Richtschnur der Personalentwicklung im Vertrieb sein.
Arbeitsgestaltung, Digitalisierung
Hinter dem Spitzenfeld aus Recruiting, Employer Branding, Unternehmenskultur und Personalentwicklung klafft eine große Lücke zu weiteren Aufgaben von HR, die für die Fachbereiche von Belang sind. Abgesehen von Führung, Vergütung oder Personalplanung, die in den Fachbereichen offenbar selten als Kern-HR-Themen identifiziert werden, ist lediglich die Organisation von Arbeit ein weiterer zentraler Sachverhalt für die Kooperation mit der Personalabteilung. Laut Vertriebsleiter Bruce eröffne die Digitalisierung „neue Perspektiven für die räumliche und zeitliche Arbeitsgestaltung“. Solange das Ergebnis stimmt, könne jeder Mitarbeiter in Absprache mit seinem Team arbeiten, „wann und wo er will“. Aufgabe von HR sei es, Strukturen zu schaffen, damit solche Flexibilität möglich ist.
Dass Mitarbeiter anspruchsvolle Aufgaben und ihr Privatleben in Einklang bringen können, liegt auch dem Marketing von Villeroy & Boch am Herzen. Dank Vertrauensarbeitszeit, sagt Fachbereichsleiterin Lockwood, „könnten die Kollegen je nach Terminplan und Projektstatus ihr Berufs- und Privatleben eigenverantwortlich organisieren“. Grundsätzlich seien dabei die jeweiligen Bedürfnisse unterschiedlicher Generationen aufeinander abzustimmen. Im Controlling schließlich mit seinem recherche- und analyseintensiven Aufgabenspektrum kommen technische Möglichkeiten wie gerufen, um den Akteuren bei der Vereinbarung von Beruf und privaten Belangen entgegenzukommen. Matthias von Daake empfiehlt HR, mit den Betriebs- und Sozialpartnern solche Lösungen auszuhandeln, „die eine hohe Flexibilität ermöglichen“.
Mangelndes Einfühlungsvermögen?
Explizite Kritik am Personalmanagement äußerten die Linienverantwortlichen kaum in den Interviews. Das ist nicht allein mit guten Manieren zu erklären. Zu berücksichtigen ist, dass ausnahmslos alle Unternehmen, zum Teil als Markenanbieter, einen mehr oder minder steilen Wachstumspfad verfolgen und sich deshalb, zumindest im Umgang miteinander, weniger Reibungspunkte ergeben als in Krisenphasen. Hätten die Interviews im Zeichen abflauender Konjunktur oder gar Restrukturierung gestanden, wären gewiss substanziell andere Positionen eingenommen worden.
Allein Flixbus-CIO Krauss spart nicht mit Kritik. Und die hat es in sich: Personaler, sagt er offen heraus – und richtet sich damit weniger an seine eigenen Kollegen, sondern an HR in Gänze –, seien vielfach damit überfordert, sich in die Belange von Fachbereichen wie der IT einzufühlen. Ohne Abstimmung würden „irgendwelche Prozesse, Programme oder Methoden“ implementiert. Um jedoch gemeinsam Werte generieren zu können, sollte HR unbedingt „Anspruch, aber auch Prozesse und Werkzeuge neu justieren“, fordert Krauss.
Eine andere Sicht präsentiert Alnatura-Einkaufschefin Paefgen mit einem Urteil, das jeder HR-Bereich wie Balsam empfinden müsste. Zugleich spiegelt es die großen Stärken einer erfolgreichen Kooperation zwischen HR und Fachbereichen wider: Sie bezeichnet es als großen Vorteil, sich stets mit demselben Ansprechpartner von HR austauschen zu können. Etwa im Recruiting, wie bei der Formulierung von Ausschreibungen, der Mitarbeitersuche oder in der Vorbereitung und Durchführung von Bewerberinterviews.
Das erfolgreiche Prinzip greift auch in anderen HR-Belangen, wie der Personalentwicklung oder der Arbeitszeitverwaltung. Offensichtlich hat HR diese facettenreiche Aufgabe der dafür am besten geeigneten Personalerin übertragen: „Sie weiß genau, worauf ich großen Wert lege“, lobt die Einkaufsmanagerin diese Form der Zusammenarbeit in höchsten Tönen. „Zudem ist sie mit den speziellen Anliegen des Einkaufs sehr vertraut.“ Aus Sicht der Kollegen im Unternehmen ist ein guter Personaler also ein Fachbereichsversteher, der ihre Nöte kennt und Abhilfe schafft. Ein Lastenheft kann dabei helfen und nicht zuletzt dafür sorgen, dass Selbst- und Fremdbild von HR näher zusammenrücken.
Lastenheft: Das brauchen die Fachbereiche von HR
Priorität/Bereich | Anforderung | Zeithorizont |
1 / Recruiting | Fachkräfte werben Vorrangigste Aufgabe von HR ist für die Fachbereiche die Rekrutierung von qualifiziertem Personal. Spezialisten wie Softwareentwickler, Controller, Vertriebsprofis, digitalaffine Marketeers und Einkäufer werden dringend gesucht. Gefragt ist eine möglichst schnelle Besetzung von Vakanzen mit hoch qualifiziertem Fachpersonal. | kurzfristig |
2 / Recruiting | Neue Wege gehen Angesichts des hohen Rekrutierungsdrucks fordern die Linienverantwortlichen, dass HR sich im Recruiting neuer Methoden bedient und kreativ wird. Gefragt sind eine ausgeprägte Dienstleistungsmanier, der Einsatz von Recruiting-KPIs, das aktive Ansprechen von Kandidaten (Active Sourcing) und die stete Verbesserung der Candidate Experience. | mittelfristig |
3 / Employer Branding und Unternehmenskultur | Die Arbeitgebermarke stärken HR muss den Rahmen für erfolgreiches Recruiting schaffen, dem Unternehmen also eine vorteilhafte Position im Wettbewerb um Fach- und Führungskräfte verschaffen. Die Fachbereiche wünschen sich von HR, dass es ins Employer Branding investiert, die Attraktivität des jeweiligen Tätigkeitsfelds kommuniziert und eine Unternehmenskultur mitgestaltet, die Talente anzieht und hält. | langfristig |
4 / Personalentwicklung | Potenziale und Perspektiven erschließen HR soll Controlling, Marketing, Einkauf und Co. dabei unterstützen, den steigenden Anforderungen und dem Wandel der Berufsbilder gerecht zu werden. Dabei gilt es nicht nur, die fachbereichsspezifischen Skills weiterzuentwickeln, sondern den Mitarbeitern Perspektiven zu bieten, zum Beispiel über interne Wechsel zwischen den Fachbereichen. | mittelfristig |
5 / Arbeitsorganisation | Agilität und Flexibilität fördern Die Digitalisierung ermöglicht flexiblere Formen der räumlichen und zeitlichen Gestaltung von Arbeit. Zudem wird in Unternehmen immer agiler gearbeitet. Aufgabe von HR ist es, Strukturen zu schaffen, die Flexibilität und Agilität fördern, zum Beispiel indem es neue Lösungen mit dem Betriebsrat aushandelt oder die Etablierung neuer Führungsprinzipien begleitet. | mittelfristig |
6 / Work-Life-Balance | Nachhaltige Erholung gewährleisten Mitarbeiter müssen ihre anspruchsvollen Aufgaben und ihr Privatleben in Einklang bringen können. HR sollte sich für Angebote wie Vertrauensarbeitszeit und Homeoffice-Regelungen einsetzen. Mehr Nachhaltigkeit und Bindung erzielt, wer über den Tag hinaus blickt und zum Beispiel Sabbaticals ermöglicht. Grundsätzlich sind die Bedürfnisse aller Generationen aufeinander abzustimmen. | langfristig |
7 / HR-Selbstverständnis | Personalarbeit neu justieren Angesichts der vielen Anforderungen aus dem Business muss HR seinen Anspruch, seine Prozesse und seine Werkzeuge erneuern. HR ist gefordert, nah am internen und externen Kunden zu sein und mehr für Wertschöpfung und Strategie zu tun. Bei der Planung neuer Prozesse, Programme und Methoden sollte es sich mit den Fachbereichen abstimmen. | langfristig |
- Vertrauen und Freiraum
- Was die Kollegen wollen
- Verdeckte Ermittler
- „Neugierde und Abenteuerlust waren mein Motor“
- Innovation braucht das persönliche Gespräch
- Tool 5: Geschäftsmodellinnovationen
- Wer fliegen darf, kommt gern zurück
- „Flexibles Instrument, aber bitte ohne Zwang“
- Die Quintessenz. So schaffen Sie durch Jobausflüge Perspektiven
- Antworten für Berufsstarter liefern
- Spielend zum Erfolg
- Im Kern sinnvoll
- Den Recruiting-Trichter durchleuchten
- Die Zeit der Angst ist vorbei
- Gefahr für den Betriebsfrieden?
- HR-Karriere: eine Frage der Persönlichkeit?
- Das Nachhaltigkeitskonzept im Vergütungsmanagement
- „Wir müssen es den Bewerbern so einfach wie möglich machen“
- „Wachstum hängt entscheidend vom Recruiting ab“
- Viel Theorie, wenig Praxis
- Mehr als eine Award-Verleihung