Ausgabe 2 - 2018
Spielend zum Erfolg

Arbeit, die Spaß macht. Das versprechen Gamification-Ansätze für betriebliches Lernen, Recruiting und Onboarding. Doch bislang kommen spielerische Elemente erstaunlich selten in Unternehmen zum Einsatz.
Von Ulli Pesch
Wer im aktuellen Trendreport des MMB-Instituts nach Gamification-Ansätzen sucht, findet sie an vorletzter Stelle, was die Bedeutung einzelner Anwendungen für das betriebliche Lernen angeht. Das Forschungsinstitut reiht Serious Games weit abgeschlagen hinter der Spitzengruppe (Blendend Learning, Erklärvideos, Micro-Learning) ein. Lediglich Twitter und Micro-Blogging kommt noch weniger Bedeutung zu als den spielerischen Lernansätzen. Was für das Learning gilt, betrifft in noch stärkerem Maße die Bereiche Recruiting und Onboarding. Dort sind gamifizierte Anwendungen bislang sehr selten oder so gut wie gar nicht im Einsatz.
Königsweg Gamification?
Unter Gamification versteht man den Einsatz spieltypischer Elemente in einem spielfremden Kontext. Das heißt zum Beispiel, dass im Arbeitskontext Gaming-Elemente wie Highscores, Fortschrittsbalken, Erfahrungspunkte, Ranglisten, virtuelle Güter oder Auszeichnungen eingesetzt werden. Serious Games (englisch für „ernsthafte Spiele“) sind primär digitale Spiele mit ernstem Inhalt. Im Gegensatz zu sonstigen (Computer-) Spielen dienen sie nicht vorrangig der Unterhaltung, sondern der Vermittlung von Informationen. Sie werden zum Beispiel in Management-, Produkt- und Servicetrainings, im Assessment oder im Vertrieb eingesetzt. Mit der Integration des Spielerischen ins Recruiting, Learning und in andere Bereiche versuchen Lösungsanbieter beziehungsweise deren Kunden im Wesentlichen eine Motivationssteigerung zu erreichen. Gamification kann dafür sorgen, wenig herausfordernde, monotone und mäßig spannende Tätigkeiten interessanter zu gestalten. In Fachartikeln unterschiedlichster Medien wird Gamification gar als eine Art Königsweg für Motivation und Engagement der Mitarbeiter beschrieben. Und insbesondere in Unternehmen mit dezentralisierten Arbeitsstrukturen gilt Gamification zunehmend als Bindeglied für Mitarbeiter, die vorwiegend mobil oder an anderen Standorten arbeiten. Das meint jedenfalls Dan Boccabella, Vice President Product Management beim Talent-Management-Lösungsanbieter Sumtotal. Denn die physische Distanz zum Hauptstandort könne das Zugehörigkeitsgefühl und damit das Engagement der betreffenden Beschäftigten erheblich verringern. Oft genügten schon einfache Gamification-Maßnahmen, etwa die Einführung virtueller Zielvorgaben, Progressionsmesser, Schwierigkeits-Levels oder Erfahrungs-Punktesysteme, um ein Zugehörigkeitsgefühl zur Unternehmens-Community zu erzeugen und das Engagement der Mitarbeiter zu steigern.
Die Ursachen für die bislang geringe Akzeptanz gamifizierter Ansätze sind nach Meinung von HR- und Spieleexperten leicht auszumachen. Eine Reihe von Unzulänglichkeiten, vor allem beim Design, behindere, dass sich das Spielerische durchsetze. Christoph Hieber etwa, Digital-Learning-Experte bei Deloitte, sagt: „Wenn ich mir die installierten Learning-Lösungen und die entsprechend integrierten Gamification-Ansätze ansehe, stelle ich fest, dass der große Durchbruch bislang ausgeblieben ist. Das liegt meiner Ansicht nach daran, dass die Hersteller oft nicht mehr als ein paar oberflächlich angeordnete Beispielelemente zeigen, die eher symbolhaft und auf Ebene der Benutzeroberflächen darstellen, was möglich ist.“ Konzeptuelle Spielansätze, die systematisch eine Anwendung durchdringen, seien eher die Ausnahme.
Wären die Angebote in den betrieblichen Anwendungen professionell konzipiert, hätten sie enormes Potenzial. Denn wer würde es nicht begrüßen, wenn eine Bewerbung, das Onboarding oder das Lernen im Unternehmen Spaß machten?
Keine Lösung für alle
Klaus P. Jantke ist ein alter Hase, wenn es um E-Learning geht. Vor Jahren baute der heutige Chief Scientific Officer der Adicom Group das Kompetenzzentrum für E-Learning am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) auf. Nach seiner Überzeugung ist die bislang mangelnde Akzeptanz von E-Learning-Anwendungen auf grobe Denkfehler bei der Konzeption und Umsetzung entsprechender Lösungen zurückzuführen. Für ihn bedeutet Gamification „Lehren aus Spielen zu ziehen“ und sie in das Erleben anderer Systeme zu übertragen. Er sagt: „Gamification bedeutet, den Prozess, den man aus Computerspielen kennt, auf andere IT-Systeme zu übertragen – und zwar den Prozess, in dem die Menschen an der Interaktion mit dem System Freude haben, emotional angesprochen werden und infolgedessen intensiver beziehungsweise länger mit dem System umgehen. Es geht um das Erleben.“
Jantke, Informatik-Professor mit Schwerpunkt KI im Bereich Lernende Systeme, geht hart mit denen ins Gericht, die die spielerischen Ansätze pauschal in den Himmel loben: „Manche behaupten, Gamification würde für alle Mitarbeiter oder alle Kunden funktionieren.“ Das sei genauso blanker Unfug wie zu meinen, man könne Spiele für alle machen. „Menschen sind unterschiedlich. Aus Sicht der Medienwissenschaft ist es deshalb vollständig ausgeschlossen, dass man ein bestimmtes Angebot gamifiziert und es dann auf alle Menschen gleichermaßen wirkt“, fährt Jantke fort.
„Wer ein professionelles Game einsetzen will, muss zurzeit noch tief in die Tasche greifen.“
Prof. Dr. Nele Graf, Geschäftsführerin, Mentus
Ein teurer Spaß
Oder könnte der Fehlstart gamifizierter Anwendungen im Unternehmensumfeld womöglich ganz andere Ursachen haben? Es kursieren Vermutungen, dass die bislang hohen Herstellungskosten professioneller Games für den Unternehmenseinsatz deren flächendeckende Verbreitung verhindern. Das meint etwa Nele Graf, Geschäftsführerin der Beratung Mentus und Professorin für Personal und Organisation an der Hochschule für angewandtes Management in Berlin. Für sie hat die bislang eher marginale Verbreitung von Serious Games in Unternehmen vor allem wirtschaftliche Ursachen: „Wer ein professionelles Game beispielsweise im Learning-Bereich einsetzen will, muss zurzeit noch tief in die Tasche greifen. So ein Spiel kann schon mal eine Million Euro oder mehr kosten.“ Durch den Einsatz von Toolboxen, Bots und ähnlichen Programmierwerkzeugen werde die Herstellung allerdings viel einfacher, sodass davon auszugehen sei, dass derlei Spiele in vielleicht ein oder zwei Jahren schon für 300 000 Euro zu haben sein dürften. „Das könnte dann zu einem breiteren Einsatz solcher Spiele in Unternehmen führen.“
Hingegen ist für Jo Diercks, Betreiber des Recrutainment-Blogs und Geschäftsführer des Recrutainment-Spezialisten Cyquest, der Kostenfaktor von Games nicht das Hauptproblem für deren marginale Verbreitung. Die hohen Preise für gute Games entständen häufig durch die intensive Einbindung multimedialer und filmischer Elemente. Es gehe jedoch auch anders: „Gamification im Recruiting kann beispielsweise daraus bestehen, dass ein Bewerber zusätzlich zu seinen üblichen Bewerbungsunterlagen eine für das Arbeitsfeld, für das er sich bewirbt, typische Aufgabe oder Lösung beschreibt und zusammen mit der Bewerbung einsendet“, so Diercks. „Insgesamt liegt die Krux eher in mangelnder Kreativität beim Design von Games.“
Für wieder andere geht es gar nicht so sehr darum, ob sich ein Spiel im Unternehmen, ganz gleich in welchem Einsatzbereich, streng an Gamification-Grundsätzen orientiert. Beispielsweise weiß Hubert Hofmann aus eigener Erfahrung: „Das Bauen und Programmieren eines Spiels – ob mit oder ohne Gamification-Elemente – ist gar nicht so schwierig.“ Das sei nur Technik, sagt der geschäftsführende Gesellschafter der Enspira-Connect, einem Spezialisten für vernetzte Unternehmensführung. „Das Wichtigste ist der Erkenntnistransfer nach dem Spiel, dessen psychologisch und didaktisch fundierte Aufarbeitung. Das kommt leider meist viel zu kurz.“

Gamification live: Ein Ausschnitt aus einem Workshop der Deutschen Bahn
„Das Wichtigste ist der Erkenntnistransfer nach dem Spiel. Doch der kommt leider meist viel zu kurz.“
Hubert Hofmann, geschäftsführender Gesellschafter, Enspira-Connect
Einsatzmöglichkeiten für Gamification
Aber es ist nicht so, als gäbe es keinerlei gamifizierten Anwendungen. Ein Beispiel: Die Business School ESMT Berlin bietet seit Sommer vergangenen Jahres ein Spiel mit einer Reihe von Gamification-Elementen für den mobilen Einsatz im Bereich der Executive Education an. Der Inhalt dreht sich um das Thema: Wie können Manager bessere Entscheidungen treffen? Benjamin Quaiser, Director Executive Development Programs der ESMT, entwickelte das Spiel zusammen mit anderen Experten. Laut Quaiser bietet es zusätzlich zum erwünschten Lerneffekt weitere Nutzungsmöglichkeiten: „Die Ergebnisse des Spiels, das auch offline zur Verfügung steht, können in den zentralen Server hochgeladen werden und stehen dann für eine Reihe von Auswertungen zur Verfügung. Beispielsweise lässt sich je nach Managertypus erkennen, wie unterschiedlich sich Führungskräfte im Spiel verhalten. Diese und andere Ergebnisse können dann in die Forschung für neue Weiterbildungsmöglichkeiten einfließen.“
Zwei weitere Beispiele: Nach Überzeugung von Antonia Jennewein lässt sich „Lego Serious Play“ bestens im Onboarding einsetzen. Die Beraterin und Wirtschaftsmediatorin ist unter anderem als „Zertifizierter Lego Serious Play Facilitator“ tätig. Sie lässt die Teilnehmer ihres Kurses aus den vom Spielsteinehersteller eigens kreierten Serious-Play-Bauklötzchen und -Figuren einen Turm bauen, der die Erwartungen des Firmenneulings an seinen neuen Arbeitgeber widerspiegeln soll. Danach wird in einem Workshop beleuchtet, wie der Lego-Turm im Rahmen der persönlichen Wahrnehmung des neuen Mitarbeiters die bisher gemachten Erfahrungen im Onboarding reflektiert. Und die Deutsche Bahn hat via Gamification, ebenfalls unter anderem mit dem Einsatz von Lego Serious Play (siehe Bild), ihren Preboarding-Prozess optimiert, also die Zeit von Vertragsunterzeichnung bis zum ersten Arbeitstag (ausführlich beschrieben in der Personalwirtschaft 9/2017 ab Seite 24).
Mehr Spaß, bitte
Wären mehr Gaming-Schmieden in der Lage, gamifizierte Anwendungen für Aktivitäten in verschiedensten Unternehmensbereichen mit Suchtcharakter zu entwickeln, würde das die Prozesse in diesen Bereichen erheblich verbessern. Allerdings: Einen Bewerbungsprozess oder einen Weiterbildungskurs immer wieder von Neuem zu beginnen, nur weil man so viel Spaß daran hat, wäre dann wohl eher kontraproduktiv.
Mehr zu den Trends im betrieblichen Lernen unter: www.mmb-institut.de/mmb-monitor/aktuell.html
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