Es läuft noch nicht rund
Die Rekrutierung von Mitarbeitern über soziale Netzwerke nimmt unaufhaltsam zu. Doch wie kommen die persönlichen Daten ins Unternehmen?
Wer sich heute bewirbt – das tun die meisten online – nutzt dazu in der Regel die Stellenanzeigen auf den Unternehmenswebseiten, geht über eine Karrierewebseite, ein Job-Portal oder wird über einen Link, den man, beispielsweise in einem sozialen Netzwerk oder auf einer anderen Plattform anklickt, auf die Recruiting-Seite des Unternehmens geführt. Neben den HR-Webseiten der Firmen und den Online-Stellenbörsen nutzen die meisten Unternehmen für die Kandidatenansprache hierzulande das Xing-Firmenprofil (69 Prozent) oder eine Karriere-Präsenz auf Facebook (65 Prozent), wenn es um Recruiting geht. Das sagt zumindest die Social Media Recruiting-Studie, die von socialmedia-recruiting.com und online-recruiting.net im letzten Jahr durchgeführt wurde.
Alter Käse
Einmal am Haken öffnet sich auf den meisten Seiten ein Bewerberformular, in das man die abgefragten Daten einträgt und einen Lebenslauf – als Textdatei oder PDF – anhängt. Hier und da klickt man noch ein Kästchen an, und wenn alles fertig ist, erfolgt der Mausklick auf die „Senden-Taste“. Aber: Bewerber empfinden es oft als furchtbar lästig, immer wieder die gleichen oder ähnliche Bewerbungsformulare ausfüllen zu müssen – immer wieder dieselben Dateien anzuhängen. In der aktuellsten, von der Beratungsgesellschaft DJM durchgeführten Jobstairs-Untersuchung über mobiles Recruiting zeigt sich, dass das Standard-Bewerberformular auf der Unternehmenswebseite immer noch das von Unternehmen präferierte Werkzeug für externe Bewerber ist. Aber nur zwei Drittel der Bewerber sehen das ebenso. Jeder Fünfte will sich beispielsweise lieber über einen Link auf sein eigenes Profil in Business-Netzwerken bewerben – und etwa jeder Siebte über ein mobiles Endgerät.
Dass man vor allem bei der mobilen Bewerbung keine ellenlangen Formulare ausfüllen möchte, ist naheliegend. Für Wolfgang Jäger, Professor am Fachbereich Design, Informatik und Medien der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden und Gesellschafter von DJM Consulting, ist es sowieso unverständlich, wie man heute, mehr als fünfzehn Jahre nachdem die ersten Bewerbermanagement-Systeme gebaut wurden, nicht auf moderne Formen der Bewerberdatenerfassung setzt, sondern nach wie vor auf das klassische Online-Bewerberformular. „Wer beispielsweise über ein gut gepflegtes Profil in Xing verfügt, dem ist es doch viel zu lästig, immer wieder Formulare auszufüllen.“
Auch Nina Kalmeyer, Social Media-Expertin und Betreiberin des Blogs newcruiting, wundert sich darüber, dass die meisten Bewerbermanagement-Systeme immer noch formularbasiert arbeiten: „Ich bin der Meinung, dass der Zenit der meisten Bewerbermanagement-Systeme, so wie sie heute noch oft implementiert werden, überschritten ist. Qualifizierte Bewerber wollen keine Formulare ausfüllen, sondern ihre bereits auf anderen Plattformen gespeicherten Informationen einfach und sicher übertragen. Dies scheint jedoch bei vielen der System-Anbieter als auch bei deren Kunden noch nicht angekommen zu sein.“
Wunschdaten oft unstrukturiert
Wer will denn in Zeiten des akuten Fachkräftemangels nicht auf einen Markt mit hunderten von Millionen Menschen zugreifen? Genau die finden Unternehmen in den vielen sozialen Netzen, ganz gleich, ob es dabei um Business-Netzwerke wie Xing oder auch Linkedln geht, oder es sich um private soziale Netze wie Facebook oder Twitter handelt. Seit Jahren versuchen deshalb die unterschiedlichsten Softwareanbieter den automatisierten Zugriff auf die in den genannten Netzwerken hinterlegten personalisierten Daten zu bewerkstelligen.
Bei den sozialen Business-Netzwerken ist das etwas einfacher, weil dort die Daten relativ strukturiert abgelegt sind. Schwieriger wird es bei den etwas unstrukturierteren privaten sozialen Netzwerken. Der Abgleich dieser Daten mit den Strukturen in den Unternehmensdatenbanken ist ungleich aufwendiger und fehleranfällig. Der Transfer von Daten aus diesen Netzwerken in die entsprechenden Recruiting- oder Bewerbermanagement-Systeme ist deshalb auch immer noch wenig zufriedenstellend. Nach Angaben der allermeisten Experten liegt das nicht nur an der bisher schlechten Strukturierung der Daten in den sozialen Netzen, sondern auch daran, dass selbst bei Xing und LinkedIn die dort abgelegten Profile nur selten gut gepflegt werden. Ein Leichtes hingegen ist der Transfer von Job-Postings an soziale Netzwerke aller Art, den viele Recruiting-Systeme mittlerweile beherrschen.
HR-XML
Eine gute Lösung wäre der Einsatz des internationalen HR-XML-Standards, mit dem sich, wenn sich alle am Rekrutierungsprozess Beteiligten daran halten würden, problemlos personalspezifische Daten austauschen lassen. Laut Ingolf Teetz, Vorstand des Geschäftsbereichs eRecruiting Solutions bei Milch & Zucker, akzeptieren bereits alle Job-Plattformen diesen Standard, auch wenn sie zusätzlich eigene Formate anbieten. Auch die großen Software-Anbieter wie Oracle und SAP als Mitglieder im HR-XML-Konsortium können diese Schnittstelle zur Verfügung stellen. Doch es scheint noch etwas zu dauern, bis sich HR-XML wirklich durchsetzt. Dabei würde es insbesondere im Rahmen von Recruiting-Aktivitäten die Übernahmeprozesse vor allem von personalisierten Daten erheblich vereinfachen und verkürzen.
Es geht auch anders
Aus diesem Grund haben einige Softwareanbieter Lösungen entwickelt, die der ständig steigenden Nachfrage nach Zugriffen auf private und geschäftliche soziale Netzwerke entgegenkommen. Kürzlich erst stellte Promerit HR & IT Solutions seinen Xing Connector vor, der den Transfer von Xing-Profildaten beispielsweise ins SAP E-Recruiting, aber auch in andere Systeme, die die entsprechende Schnittstelle zur Verfügung stellen, erlaubt. Die im Xing-Profil hinterlegten Daten zu Person, Ausbildung und Berufserfahrung können mithilfe des Connectors für die Bewerbung genutzt werden.
Stimmt der Kandidat der Datenübertragung zu, werden die relevanten Felder im Bewerbungsformular des Unternehmens mit den Informationen aus dem persönlichen Xing-Profil automatisch ausgefüllt. Der Zugang des Unternehmens erfolgt über den Log-in des Xing-Mitglieds und eine PIN, wobei der Kandidat zuvor um Erlaubnis für den Zugriff gebeten wird. Zielgruppenspezifische Bewerberformulare sind im Connector hinterlegt und werden je nach Stellenausschreibung bereitgestellt.
Nach Ansicht von Promerit könnten derartige Schnittstellen das E-Recruiting in den Unternehmen weitaus tiefgreifender verändern als bislang denkbar. Zum einen, weil sie die Rolle von Online-Netzwerken für das Bewerbungsgeschehen extrem aufwerten, zum anderen, weil sich die Bewerbungslogik in den Unternehmenssystemen voraussichtlich weitaus stärker als bisher an der Praxis der Online-Netzwerke orientierten werde. Kerstin Rouhi, als Projektleiterin bei Promerit HR + IT Consulting für den Xing Connector verantwortlich, ist sich sicher, dass der Xing Connector die zeitgemäße Antwort auf das gestiegene Bedürfnis der Bewerber sei, sich unkompliziert online zu bewerben, denn dieser stelle als Schnittstelle einen großen Schritt fürs Recruiting der Unternehmen dar. „Langfristig“, so die Personalexpertin, „können wir uns eine Ausweitung in Richtung eines ‚Social Connectors‘ vorstellen, der die Integration weiterer sozialer Netzwerke ermöglichen wird.“
Auch Milch & Zucker hat mit seiner aktuellsten Version der BeeSite Recruiting Edition eine Lösung entwickelt, bei der sich Stellen auf sozialen Netzwerken (Facebook, Xing, LinkedIn) veröffentlichen lassen und sich Bewerber aus Xing und LinkedIn mit der Freischaltung ihrer Profildaten, die in das Bewerberprofil eingespielt werden, bewerben können. Um dem Bewerber die Registrierung für den persönlichen Karrierebereich zu erleichtern, ist es mit der BeeSite Recruiting Edition möglich, einen Single-Sign-on mittels OAuth-Verfahren (hierbei werden nicht alle Zugangsdaten preisgegeben), anzubieten. Heißt: Bewerber können sich mit den Zugangsdaten ihres Lieblingsnetzwerks bei ihrem Wunschunternehmen einloggen, brauchen sich also nicht mehr extra zu registrieren; sie nutzen einfach ihren Social Network Account von LinkedIn, Facebook oder Twitter.
Ähnliches bietet beispielsweise auch der Talent Management-Softwareanbieter Cornerstone OnDemand in seiner Recruiting Cloud an: Die Mitarbeiter des Unternehmens können ihrem Arbeitgeber den Zugriff auf ihr Linkedln-Profil erlauben und damit kann der Arbeitgeber feststellen, mit wem sich der Mitarbeiter in LinkedIn vernetzt hat. Bei Interesse kann er mit diesen Personen Kontakt aufnehmen und ihnen mitteilen, dass das Unternehmen auf sie aufmerksam wurde und ihnen anbieten, sich zu bewerben. Beißt der Bewerber an, kann er im Bewerberformular dem potenziellen neuen Arbeitgeber den Zugriff auf seinen dort hinterlegten Lebenslauf gewähren. Der wird über Parsing ins Bewerberformular übernommen, kann nachträglich korrigiert werden und zusätzlich kann der Bewerber weitere Dateien als PDF anhängen.
Einen etwas anderen Weg im Social Media Recruiting geht Monster mit BeKnown. BeKnown erlaubt Facebook-Nutzern, sich ein professionelles Netzwerk aufzubauen und gleichzeitig berufliche und private Kontakte vollständig zu trennen. Sie können sich mit Freunden und beruflichen Kontakten aus verschiedenen Quellen vernetzen. In diesem Netzwerk können sie ihr berufliches Online-Profil ausbauen, das berufliche Netzwerken mit der Jobsuche auf monster.de verbinden und ihr Monster-Profil mit Hilfe der in Facebook herunterladbaren App in BeKnown importieren. In der von Facebook vor einiger Zeit eingeführten Chronik können BeKnown-Nutzer ausgewählte Informationen zu ihrer Berufserfahrung teilen. Der US-Anbieter Avature stellt mit CRM Web 2.0 ein „Social CRM“-System bereit, das auch bereits von einigen deutschen Unternehmen für Active Sourcing eingesetzt wird. Mit Hilfe ausgeklügelter Algorithmen durchsucht das Programm das komplette Internet, auch soziale Netzwerke, nach definierten Begriffen, Lebensläufen, Profilen und anderen Inhalten. Per Mausklick fließen die Suchergebnisse strukturiert in das CRM-System ein, können dort wie bei einem konventionellen Kundenbeziehungsmanagement-System gemanagt werden, und dann können potenzielle Kandidaten angesprochen werden. Bevor die Daten ins ERP- oder HR-System einfließen, wird die entsprechende Person dazu um Erlaubnis gefragt. Ähnlich funktioniert Talent Bin, der letztjährige Sieger des iHR Award auf der HR Tech in Amsterdam. Hier konzentrieren sich die aktive Suche und der Import der Daten ausschließlich auf die unterschiedlichsten sozialen Netzwerke.
Lösungsdruck steigt
Es dauert wohl noch ein wenig, bis die unterschiedlichen Systeme quasi barrierefrei miteinander kommunizieren und die benötigten personalisierten Daten für das Recruiting fehlerfrei in die Unternehmenslösungen übernommen werden können. Aber der Druck wächst enorm – und das ist eine starke Triebfeder.
Vorsicht bei Direct Search und Active Sourcing!
Grundsätzlich gehen die meisten Unternehmen neben den konventionellen Methoden des Rekrutierens, bei denen der Bewerber nach einer offenen Stelle sucht, den Weg der aktiven Mitarbeiterbeschaffung (Active Sourcing) und der Direktsuche (Direct Search). Dabei werden unterschiedlichste Web-Plattformen und das Internet nach den entsprechenden Kandidaten durchforstet. Die Übernahme der gefundenen Daten aus diesen Quellen erfolgt indessen nach den gleichen Kriterien und mit den gleichen und ähnlichen Verfahrensweisen und Technologien wie bei der konventionellen Bewerbersuche. Allerdings muss aufgepasst werden, welche Netze nach persönlichen Daten durchsucht werden, denn bisher ist es in Deutschland verboten, sich personenbezogene Daten zur Bewertung eines potenziellen Kandidaten beispielsweise aus privaten sozialen Netzwerken und anderen öffentlich zugänglichen Quellen im Internet zu besorgen. Hingegen ist die Suche in Netzwerken zur Darstellung der beruflichen Qualifikation nach Zustimmung des Betroffenen erlaubt (§ 32 Abs. 6 BDSG-E).
Zwar soll dieser Passus in einer neuen Gesetzesvorlage geändert werden, aber laut Anwältin Nina Diercks, Betreiberin des „Social Media Recht Blog“ im Internet, ist immer noch nicht klar, inwiefern beispielsweise die Weitergabe von Facebook-Daten erlaubt sein wird, um damit die Profile von Personen aus dem Freundeskreis zu durchstöbern.
Autor
Ulli Pesch, freier Journalist, München
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