Ausgabe 3 - 2013
„Teuer, aber hoch qualitativ“

Zum Thema Coaching brachte Michael Stephan sein Interesse an der Innovationsfähigkeit von Organisationen. Mit der „Coaching-Markt-Analyse“ legte er 2009 den ersten umfassenden Branchenüberblick vor, dieses Jahr geht die Studie bereits in die dritte Runde. Dennoch bleibt sein Zugang rein wissenschaftlich: „Eins vorweg: Ich bin kein Coach. Ich bin Ökonom.“
Personalwirtschaft: Herr Professor Stephan, seit 2005 beobachten Sie den Coaching-Markt – was hat sich seither verändert?
Michael Stephan: Zunächst einmal die Wertigkeit des Themas. 2005 hieß es noch „Du Armer, du hast ein Coaching nötig?“ Heute gilt ein Coach quasi als Statussymbol. Gleichzeitig dringt Coaching als Instrument der Personalentwicklung immer tiefer in die Belegschaften vor: Erst war es den Top Executives vorbehalten, nach und nach durfte die mittlere Führungsebene profitieren, heute sind es auch Nachwuchs- und Fachkräfte.
Stichwort Generation Y: Viele junge Mitarbeiter sind mit Geld und Dienstwagen nicht mehr zu ködern, wollen sich persönlich entfalten. Genau da könnte man mit Coachs doch ansetzen, um Talente individuell abzuholen und ganz anders zu motivieren.
Ja, viele Unternehmen haben erkannt, dass sie sich mit dem Thema insbesondere unter Nachwuchsführungskräften als attraktive Arbeitgeber positionieren können. Generell wird es immer wichtiger, Mitarbeiter persönlich mitzunehmen und in Innovationsprozesse zu integrieren. Das gilt für die junge Generation ebenso wie für ältere Arbeitnehmer. Das Lebensphasenmanagement wird zu einem systematischen Konzept erwachsen. In einer sehr dynamischen Arbeitswelt müssen Unternehmen eine Balance zwischen Kontinuität und Veränderung erreichen. In der Wissenschaft nennen wir das „organisationale Ambidextrie“. Bei diesen Prozessen werden vermeintlich „softe“ Personalentwicklungsmaßnahmen wie das Coaching eine entscheidende Rolle spielen.
Die Coach-Auswahl der großen Unternehmen gleicht sich zunehmend auf hohem Niveau an, während sich die Coachs immer stärker spezialisieren. Verwissenschaftlicht gefragt: Erleben wir eine Homogenisierung der Nachfrage bei gleichzeitiger Differenzierung des Angebots?
Das stimmt, wobei mir „Homogenisierung“ zu negativ klingt. Ich werte das im Sinne des Qualitätsmanagements zunächst einmal positiv, solange es keine inhaltliche Standardisierung zur Folge hat. Auf der Angebotsseite ist die Differenzierung durch Spezialisierung derzeit in der Tat der erfolgversprechendste Weg, sich als Coach zu positionieren – neben geschicktem Marketing.
Welche Marketing Tools sind besonders erfolgsrelevant?
Ein vermeintlich profanes Instrument wie eine gut gestaltete Website hat erstaunlichen Einfluss auf die Erfolgswahrscheinlichkeit der Arbeit eines Coachs. Persönlich wäre ich da erst einmal vorsichtig, denn auf einer Homepage kann man ja vieles schreiben. Darüber hinaus ziehen aktuell Fach- und Buchpublikationen, Vorträge, Lehraufträge sowie eingetragene Markennamen und Social Media Marketing bei der Positionierung gut.
Was halten Sie als Ökonom von der Betrachtung von Coaching als Business Case? Lassen sich bei einem so komplexen persönlichkeitsorientierten Prozess Kosten und Nutzen gegenrechnen?
Coaching ist eine sehr teure Maßnahme in der Personalentwicklung. Aber eben auch eine hoch qualitative. Eine direkte finanzielle Wirkungsanalyse ist schwierig, und die bisherigen Versuche, Erfolgsmessbarkeit zu konstruieren, finde ich amüsant bis hanebüchen. Trotzdem halte ich die Interpretation des Coachings als Business Case für relevant. Bei unserer diesjährigen Erhebung gehen wir deshalb auf genau diese oft gestellte Frage – „Bringt das denn wirklich was?“ – näher ein. Im Sommer, wenn die Ergebnisse vorliegen, wissen wir dazu mehr.
Täuscht der Eindruck oder ist das Thema Coaching in der Wissenschaft noch nicht recht angekommen?
Was die Wirtschaftswissenschaften anbetrifft, stehen wir in Deutschland tatsächlich ziemlich alleine da. Und auch darüber hinaus tut sich noch nicht viel. Das liegt sicherlich auch daran, dass sich Coaching nicht eindeutig einer akademischen Disziplin zuweisen lässt. Das Thema spielt sich ab an der Grenze unterschiedlicher Teildisziplinen der BWL, der Psychologie und der Soziologie.
Soviel zur Forschung – aber auch in der Lehre ist es doch erstaunlich, dass sich die staatlichen Hochschulen in einem boomenden Markt von 300 teils dubiosen Zertifikatgebern weitgehend die Butter vom Brot nehmen lassen.
Erste Angebote im Bereich der konsekutiven und weiterbildenden Studiengänge gibt es inzwischen. Und bestimmt werden künftig insbesondere bei den Fachhochschulen weitere Abschlüsse hinzukommen. Trotzdem: An eine Durchsetzung grundständiger Studiengänge im Stile eines „Bachelor of Coaching“ glaube ich nicht – und ich hielte sie auch nicht für sinnvoll.
Autor
Cliff Lehnen.
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