Ausgabe 3 - 2013
Wie Führungskräfte ihre Arbeitszeiten gestalten
Was erleben Mitarbeiter als Arbeitszeit? Zählt dazu der gemütliche Austausch beim Kaffee mit Kollegen im Büro, wobei über berufliche Themen gesprochen wird? Oder das Lesen von E-Mails am Sonntagabend, um sich auf den nächsten Tag vorzubereiten? Eine Studie zur mentalen Arbeitszeit gibt Antworten.
Die zunehmende Auflösung traditioneller Organisations- und Beschäftigungsformen bringt Änderungen der Arbeitszeitgestaltung mit sich. Flexible Arbeitszeitmodelle ersetzen zunehmend die Normalarbeitszeit (Büssing & Glaser, 1998). Flexible Formen der Arbeitszeitgestaltung sollen vieles leisten: Arbeitgeber haben den flexibleren Personaleinsatz im Blick, Arbeitnehmer erhoffen sich größere Gestaltungsmöglichkeiten ihrer persönlichen Interessen (Munz, 2006). Die Kehrseite ist die Entgrenzung von Arbeit und eine stärkere Vermischung von Berufs- und Privatleben. Zeitgleich verzeichnen berufsausgelöste Belastungssymptome seit Jahren Zuwachs. Aus diesem Grund stellt sich folgende, zentrale Frage: Welche Faktoren führen dazu, ob ein Angestellter flexible Arbeitszeiten als Bereicherung oder Belastung erlebt? Dazu muss zunächst geklärt werden, was Menschen überhaupt als Arbeitszeit definieren. Gehört der Austausch mit Kollegen beim Kaffee dazu, wenn er am Arbeitsplatz stattfindet? Oder das Lesen von E-Mails am Sonntagabend zuhause?
Einflussfaktoren auf die Arbeitszeit
Aus den letzten Jahren liegen viele Untersuchungen zum Umgang mit (flexibler) Arbeitszeit vor. Besonders hervorzuheben ist dabei das Modell von Hartmut Seifert, der mit empirischen Untersuchungen sechs Kriterien für eine sozialverträgliche Arbeitszeitgestaltung identifiziert hat (Abbildung 1).
Abbildung 1
Sozialverträgliche Arbeitszeitgestaltung

Der Sozialwissenschaftler Hartmut Seifert hat sechs Kriterien für eine sozialverträgliche Arbeitszeitgestaltung identifiziert.
Dieser Kriterienkatalog entstand, als Seifert untersuchte, welche Schutzfunktionen die Normalarbeitszeit den Angestellten im Vergleich zu flexiblen Arbeitszeitmodellen bietet (Seifert, 1995). Seiferts Ansatz war für diese Fragestellung wegweisend. Auch für die Beantwortung der Frage, was Menschen als Arbeitszeit wahrnehmen und welche Strategien sie anwenden, um Belastungssituationen vorzubeugen, liefert der Ansatz eine solide Basis.
Umfangreiche Führungskräftebefragung
Um die Frage zu klären, was Menschen mental als Arbeitszeit verbuchen, wurden angehende Führungskräfte eines großen deutschen Unternehmens befragt. Die Befragten gehören dem außertariflichen Bereich an und befanden sich zum Zeitpunkt der Befragung in einem Arbeitsverhältnis mit flexibler Arbeitszeit. Diese Personengruppe war für das Thema besonders interessant, da sie im untersuchten Unternehmen von der herkömmlichen Zeiterfassung (Erfassung der Arbeitszeit mittels Stempeluhr) in ein flexibles Arbeitszeitmodell überführt worden war, in dem die Arbeitszeit nicht mehr offiziell erfasst wurde. Deswegen waren dieser Personengruppe die Unterschiede der Handhabung mit der Arbeitszeit besonders präsent. Im Rahmen einer Online-Umfrage hatten 1601 Personen die Möglichkeit, ihren Umgang mit Arbeitszeit zu bewerten. Davon konnten bei einer Rücklaufquote von 75 Prozent letztendlich 1147 Bögen ausgewertet werden. Anschließend wurden 31 Interviews zur Vertiefung einzelner Themenschwerpunkte durchgeführt, davon 20 mit angehenden und elf mit vorgesetzten Führungskräften.
Arbeit als Lebensinhalt
Die Grenzen zwischen Arbeitszeit und erwerbsfreier Zeit verschwimmen zusehends. Arbeit wird oftmals nicht nur als Erwerbstätigkeit angesehen, sondern als Lebensinhalt. Dies wird durch intrinsische Motivation sowie Spaß an der Arbeit begünstigt. Hierbei konnten zwei verschiedene Arten von Arbeit herausgearbeitet werden. Zum einen arbeiten die Befragten bewusst abends oder am Wochenende während ihrer erwerbsfreien Zeit. Dies geschieht teilweise in Verbindung mit Telearbeit oder Heimarbeit. Die Angestellten erledigen hierbei einen Teil ihrer Arbeit zu Hause. Dies wird aus verschiedenen Gründen getan: eine erhöhte Projektlast, Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder das ruhigere Arbeitsklima in den eigenen vier Wänden. Diese Art der Arbeitstätigkeit wird als reine Arbeitszeit empfunden.
Zum anderen gibt es Situationen, in denen Personen zwar in ihrer erwerbsfreien Zeit arbeiten, dies aber nicht als Arbeit empfinden. Dazu gehören beispielsweise Gedanken zu Arbeitsinhalten während der Freizeit. Oft werden solche Gedanken schriftlich festgehalten, um zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich innerhalb der offiziellen Arbeitszeit, konkreter ausgearbeitet zu werden. Die Angestellten geben hier an, dass sie nicht von ihrer Arbeit abschalten und somit keine saubere Trennung von Berufs- und Privatleben erreichen können. Die befragten Personen empfinden dies allerdings nicht als Belastung, sondern werten es als ein Zeichen, dass sie Spaß und Freude an ihrer Arbeit haben.
Eine weitere Arbeitstätigkeit während offizieller Freizeit betrifft das Lesen von E-Mails am Sonntagabend. Einige Befragte geben an, dass sie ihre Nachrichten lieber am Sonntag lesen und dann mit ruhigem Gewissen in eine arbeitsreiche Woche starten, als am Montagmorgen von einer E-Mailflut überrascht zu werden. Sie bewerten diese Strategie positiv, da sie das Gefühl haben, ruhiger und entspannter in die neue Arbeitswoche starten zu können, wenn sie wissen, welche Themen zu Wochenbeginn auf sie zukommen.
Abbildung 2
Einflussfaktoren auf die mentale Arbeitszeit

In der Praxis lassen sich im Umgang mit flexiblen Arbeitszeitmodellen zwei Bewältigungsstrategien identifizieren.
Ebenfalls werden Laptop und Firmenhandy teilweise mit in den Urlaub genommen. Die Führungskräfte erledigen dann Aufgaben, die sie während ihrer Arbeitszeit nicht geschafft haben, wie beispielsweise das Aufräumen des E-Mail-Accounts oder das Ordnen von Dokumenten auf dem Server. Die aufgeführten Tätigkeiten verbuchen die befragten Personen nicht als Arbeitszeit. Sie empfinden dies auch nicht als Belastung, da sie die Entscheidung selbst treffen können, außerhalb der offiziellen Arbeitszeit Mails zu lesen oder per Handy erreichbar zu sein. Die Angestellten schätzen diese Eigenverantwortlichkeit im Umgang mit den Telekommunikationsmitteln und empfinden dies positiv.
Bewusste Entgrenzung
Als Grund für die Vermischung von Berufs- und Privatleben geben einige Führungskräfte an, dass sie darin den Beweis sehen, dass ihnen ihre Arbeit Spaß und Freude bereitet. Sie empfinden es weder als störend noch als belastend, wenn sie sich auch in ihrer Freizeit mit arbeitsrelevanten Inhalten beschäftigen. Ein Teil der Angestellten gibt jedoch zu, dass diese intrinsische Motivation bei der Arbeit teilweise zulasten der Familie und der Gesundheit geht. So bemerken sie selbst, dass sie weniger Zeit für ihre Familie oder zur Ausübung von Hobbies haben, wenn die Arbeit auch außerhalb der Arbeitszeit zu viel Raum einnimmt. Angestellte mit Familie betonen, dass ihre Familie voll und ganz hinter ihnen stehe und viel Verständnis für ihre Arbeit aufbringe. Einige geben an, dass es familiäre Streitereien gibt, wenn zu viel Zeit in die Arbeit und zu wenig Zeit in ein gemeinsames Familienleben investiert wird. Auch gesundheitliche Belastungen wie Rückenschmerzen oder Stress-Syndrome machen sich teilweise bemerkbar. Dies können erste Hinweise darauf sein, dass ein Ungleichgewicht in der Work Life Balance vorherrscht.
Belastungsrisiko wird unterschätzt
Auffallend ist, dass die Mitarbeiter einen Unterschied zwischen der Arbeit von zu Hause während der Woche und am Wochenende machen. Während das „Homeoffice“ als offizielle Arbeitszeit wahrgenommen wird, wird die Arbeit am Wochenende eher als freiwillig und somit nicht als reine Arbeitszeit angesehen. Um die Familie mit der Wochenendarbeit nicht zu sehr zu belasten, wird teilweise in der Nacht gearbeitet oder bei Abwesenheit der Familie. Dies führt dazu, dass Angestellte dann arbeiten, wenn sie sich eigentlich Zeit für sich selbst nehmen könnten. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Führungskräfte intrinsisch motiviert bei ihrer Arbeit sind, was aber auch zu einem Ungleichgewicht zwischen beruflicher Tätigkeit und Freizeitverhalten führen kann. Bei dauerhafter Anwendung kann diese Arbeitsstrategie gesundheitliche Belastungserscheinungen verursachen.
Auch am Arbeitsplatz findet sich freiwillige Mehrarbeit, beispielsweise in den Pausen, abends oder am Wochenende. Das Essen am Schreibtisch bei gleichzeitiger Bearbeitung von Aufgaben am Firmenlaptop sowie Meetings in der Cafeteria, bei denen arbeitsrelevante Aspekte besprochen werden, sind nicht selten. Es finden sich in den Ergebnissen vermehrt Hinweise auf belastende Geräuschkulissen in Großraumbüros und auf öffentlichen Meeting-Flächen.
Der Ruf nach Rückzugsmöglichkeiten bei der Arbeit in Form von Ruheräumen wird durch diese Ergebnisse gestärkt.
Andere Angestellte nehmen während ihrer Arbeitszeit verlängerte Pausen in Anspruch, um mit Kollegen über arbeitsrelevante Probleme zu sprechen oder auch, um Abstand von der jeweiligen Projektarbeit zu bekommen und neue Denkanstöße anzuregen. Ein Teil der Befragten gibt an, dass diese Zeit nicht als Arbeitszeit erlebt wird.
Aufgrund der freien Zeiteinteilung können die Angestellten ihre Arbeitszeit auch bewusst unterbrechen, um private Angelegenheiten zu erledigen, Sport zu treiben oder andere Möglichkeiten zu nutzen, um Abstand von der Arbeit zu gewinnen. Nach eigenen Angaben wird diese Möglichkeit in der befragten Zielgruppe allerdings selten bis nie genutzt.
Strategien zur Trennung von Berufs- und Privatleben
Einige Führungskräfte geben an, dass sie bewusst länger im Büro bleiben, um keine Arbeit mit nach Hause nehmen zu müssen. Weder unter der Woche abends noch am Wochenende wird hier die Möglichkeit des Homeoffices genutzt. Die Wochenenden werden für Familie oder Hobbies verwendet. Um diese strikte Trennung durchzuführen, verzichten die Angestellten bewusst auf den Gebrauch von Telekommunikationsmitteln außerhalb der Arbeit. Das Firmenhandy wird nicht mit nach Hause genommen oder es werden feste Zeiten für die Erreichbarkeit vereinbart.
Einige Personen berichten auch von Strategien, um den Anfahrtsweg zur Arbeit zu nutzen. Entweder, um Abstand von der Arbeit zu gewinnen, oder um diese Zeit für berufliche Telefonate zu nutzen, welche sie nicht zu Hause tätigen wollen.
Zwei Coping-Strategien
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es zwei Gruppen von Strategien zum Umgang mit den Möglichkeiten der flexiblen Einteilung von Arbeit und Zeit gibt. Auf der einen Seite gibt es die Strategie der strikten Trennung von Berufs- und Privatleben. Auf der anderen Seite gibt es die Strategie der aktiven Vermischung von Berufs- und Privatleben. Beide Vorgehensweisen können als Coping-Strategien gesehen werden, den Anforderungen der Arbeit zeitliche Ressourcen gegenüberzustellen und Stress zu vermeiden. Ob eine Trennung oder eine Vermischung von Berufs- und Privatleben zugelassen wird, wird individuell entschieden. Das Modell legt folgende Handlungsempfehlungen zum Umgang der Möglichkeiten zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung auf Unternehmensebene nahe:
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Firmen sollten Möglichkeiten zur flexiblen Gestaltung von Arbeitszeit ermöglichen, ohne eine Kultur der ständigen Erreichbarkeit aufkommen zu lassen.
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Eine Kultur der „Arbeitszeit-Diversity“ sollte gestärkt werden, um ein Nebeneinander unterschiedlicher Arbeitszeit-Strategien zu ermöglichen.
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Führungskräfte senden deutliche Signale, indem sie sich selbst Grenzen der Erreichbarkeit setzen und ihren Mitarbeitern als positives Rollenmodell im Umgang mit Telearbeit dienen.
Interessant wäre herauszufinden, welche der beiden Strategien zu einer besseren Work Life Balance führt. Auch ist unklar, ob es einen Zusammenhang zwischen Arbeitszeitgestaltung und Karriereentwicklung gibt. Spannend wäre, wenn sich keinerlei Unterschiede in diesen Ergebnisvariablen zeigen würden. Dann wären es einfach individuell unterschiedliche Arbeitsweisen.
Büssing, A. & Glaser, J.: Arbeitszeit und neue Organisations- und Beschäftigungsformen: Zum Spannungsverhältnis von Flexibilität und Autonomie. In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 3/1998, S. 585–598.
Munz, E.: Mehr Balance durch selbst gesteuerte Arbeitszeiten? In: WSI-Mitteilungen, 9/2006, S. 478–484.
Seifert, H.: Kriterien für eine sozialverträgliche Arbeitszeitgestaltung. In: Büssing A. & Seifert H. (Hrsg.): Sozialverträgliche Arbeitszeitgestaltung, München 1995, S. 15–30.
Autoren
Dr. Ulrich Stephany, Change Management-Berater, BMW Group, München,
ulrich.stephany@bmw.de
Sandra Thiersch, wissenschaftliche Mitarbeiterin, TUM School of Education, München,
sandra.thiersch@tum.de
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