Mit der Stimme spielen
Vielen Personalmanagern ist die Situation nur zu gut bekannt: Sie sitzen in einem Meeting, lauschen einer Präsentation und sind nach einigen Minuten bereits ermüdet. Warum wirken diese Präsentationen so monoton? Ein Stimmtraining für den Vortragenden könnte hilfreich sein.
Rhetorik- und Präsentationsseminare, Konflikttraining, Telefontraining, Schlagfertigkeitstraining – für alles gibt es die passende Schulung. Trotzdem wird durch diese Seminare eine Präsentation nicht unbedingt überzeugender. Was häufig fehlt, ist das wichtigste Element, nämlich das der Persönlichkeit, im Augenblick der Kommunikation. Persönlichkeit drückt sich maßgeblich über die Stimme aus, aber nur zwei Prozent der Deutschen haben eine ausgebildete Stimme, denn eine gute Sprech-Stimme wird nur selten geschult. Menschen, die ihre Stimme als mechanischen Mitteilungsapparat benutzen, und Menschen, die ihre Stimme als einen bewussten Teil ihrer Identität einsetzen, kommunizieren unterschiedlich. Mit dieser Erkenntnis übte beispielsweise Steve Jobs 100 Stunden für einen fünfminütigen Auftritt.
Stimmtraining als Persönlichkeitsentwicklung
Das Wort Person leitet sich altphilologisch gesehen von „personare“, also von Durchklingen, ab. Die Stimme macht also den Kern der Persönlichkeit in jeder Kommunikationssituation aus. Wir konnotieren die Stimme, ihren Klang, ihre Lautstärke, ihre Intonation mit einem Gesicht, mit bestimmten Charakterzügen, mit dem Alter, mit dem Bildungsniveau, sogar mit einem Beruf.
Sie ist diejenige, die sich uns einprägt, uns Vertrauen gibt oder auf uns unangenehm wirkt. Mit ihr führt man. Mit ihr implantieren wir Gedanken, wenn wir Reden halten. Mit ihr motivieren wir und tadeln. Mit ihr stecken wir die Ziele im Mitarbeitergespräch ab. Mit ihr müssen wir schlechte Botschaften überbringen. Sie ist unsere beste Visitenkarte. Sie gehört nur uns, unserer Person. Stimmtraining ist eine intensive Persönlichkeitsentwicklung. Im manager magazin Karriere Extra 10/2011 wurde eine Statistik mit dem Titel „Wen die Unternehmen suchen …“ publiziert. Nicht von ungefähr haben elf von 20 großen Unternehmen Führungskräfte gesucht, bei denen die wichtigsten Kriteriem die Persönlichkeit und die Kommunikation waren.
Bereits seit über 2000 Jahren gibt es Stimmtraining. So übten sich schon Cicero, Seneca und Caesar darin, ihre Stimmen zu trainieren. Sie wussten, man überzeugt mündlich. Sie hatten keine Powerpoint-Folien, keine Flipcharts und keinen Beamer. Ihnen reichte die Stimme. So macht es auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die rund 400 Reden im Jahr hält. US-Präsident Barack Obama überzeugt ebenfalls mündlich. Mögen Sie auch Frau Slomka, weil ihre Stimme weich, tief und gut geführt ist? Würde Hannelore Kraft ohne ihre bodenständige, tiefe Kraftstimme zielsicher ihre Partei beschwören können? Etwa mit einer leisen, sensiblen und hellen Stimme?
Fallbeispiel 1
Was bewirkt die Globalisierung in der Stimme der Führungskräfte?
Ein Unternehmensberater suchte mich auf. „Ich war fünf Jahre beruflich in England“, sagte er. Jetzt arbeite ich in Deutschland, und wenn ich präsentiere, schmunzeln meine Kollegen. Warum? Herr Fichtenberg präsentierte sein Unternehmen vor der Kamera. Ein schönes Konzept.
Expertise
Herr Fichtenberg hatte in seine Stimmmelodie den englischen Singsang übernommen. In England ist diese Intonation Usus. In Deutschland wirkt dies exaltiert und unpassend für eine Führungskraft. In England wirkt dies very british. Wir Fachleute sagen, die Intonation stimmt da nicht. Man muss die Stimme neu stimmen.
Training
Ich machte mit ihm Intonationsübungen. Zuerst sollte er nur immer wieder ein tiefes C mit der Stimme tönen. Dann sollte er alle Vokale auf tiefes C ausgleichend tönen (Vokalausgleich). Endlich sollte er eine neue Satz- und Fragemelodie lernen und am Ende des Fragesatzes die Stimme senken und nicht heben. Hier waren Disziplin und Beherrschung gefragt.
Herr Fichtenberg sollte krasse Tonhöhenvariationen vermeiden. Schluss mit Singsang. Plötzliches Wechseln der Tonlage von tief nach hoch wirkt einfach nur amüsant. Ein Esel macht dies auch.
Übungen für die explizite Sprechstimme
Was zeichnet ein Stimmtraining für Führungskräfte aus? Das Training geschieht mit speziellen Übungen für die explizite Sprechstimme und nicht für die Gesangsstimme. Dies geschieht nicht beim Logopäden, der kranke Stimm-Sprechorgane behandelt. Dies geschieht nicht im Gesangsunterricht, in dem man singen lernt. Dies geschieht in einem leistungsorientierten Stimm-Sprechtraining bei einem Fachmann, der Führungsetagen und den Soziolekt der Führungskräfte kennt.
Stimmübungen mit chromatischen Reihenfolgen, also mit Halbtönen (schwarze Tasten am Klavier), sorgen für das Herausholen des einmaligen Timbres der Stimme. Trainierte Obertöne nehmen der Stimme Mattheit und Monotonie. Begradigung (und nicht Ausbau zum Singsang) der Intonation macht den Sprecher seriös. Nach drei Monaten ist ein gutes nachhaltiges Ergebnis da. Nach sechs Monaten die Exzellenz. Da die Stimme die Summe der Muskeltätigkeit ist, braucht das Organ Zeit, um zu wachsen. Angebote, die versprechen, in ein paar Stunden die Stimme zu entwickeln, sind als nicht seriös zu betrachten. Haben Sie eine tolle Figur nach einem Wochenende im Fitnessstudio?
Fallbeispiel 2
Warum sprechen manche weiblichen Führungskräfte wie die Micky Maus?
Ich sagte zu meiner Familie eines Abends: Ich fahre morgen früh in das Atelier, aber ich denke, es kommt niemand. Denn die Person, die flehend um stimmliche Hilfe bat, sprach wie Micky Maus. Ich vermutete einen Scherz seitens meiner Freunde. Ich stand trotzdem pünktlich um zehn am Eingang des Gebäudes und wartete. Aus dem Auto stieg eine sehr gepflegte und souveräne Frau, die mich freundlich begrüßte. Wir gingen in das Atelier.
Expertise
Ich habe die Stimme am Computer bemessen und Frau von Flemming den Umfang ihrer Stimme gezeigt. Es waren gerade sieben Töne, mit denen sie sprach. Sie hatte keine Bässe, keine Mitteltöne, lediglich ein paar Tönchen aus dem hohen Bereich.
Dann zeigte ich ihr eine ähnliche Stimme einer anderen weiblichen Führungskraft vor dem Training und nach dem Training. Die trainierte Stimme besaß über 300 Töne. Sie wollte nicht glauben, dass man die Stimme so stark entwickeln kann. Sie wäre naturgegeben – dachte sie. Dann fragte ich sie, ob sie daran glaube, dass Pavarotti ohne das Üben und klare Ziele in der Stimme zu dem Star geworden ist, welcher er war. Sie dachte nach.
Training
Diese Managerin entwickelte sich innerhalb eines halben Jahres durch gekonntes Üben der von mir entwickelten Techniken imposant. Sie machte Übungen zum Stimmspektrum: Sekunden, Terzen, Quarten, Quinten. Sie übte Glissandis, also so zu tönen, wie damals die englische Premierministerin Thatcher. Von tief nach hoch, von hoch nach tief. Eine Sirene klingt wie ein Glissando. Dann erfolgten die hässlichen Töne, also die Halbtöne, die der Sprechstimme richtigen Charakter verleihen. Sie deklamierte vor der Videokamera Reden von Obama, Gauck und Luther, um ihre Stimmstärke und die Tragfähigkeit der Stimme zu beherrschen.
Ich habe mit ihr auch eine Transaktionsanalyse gemacht, um über ihre stimmliche Wirkung in die Persönlichkeit reinzugehen. Sie begriff, dass sie das angepasste Kinder-Ich in der Stimme verfestigt hatte. Über dieses kommunikationspsychologische Modell konnte sie weitere stimmliche Aspekte wie das Erwachsenen-Ich entfalten. Es war für sie ein Selbstoffenbarungseffekt. Sie verstand, dass die Arbeit an der Stimme auch die Arbeit an der Persönlichkeit ist. Die Psyche ist entscheidend für die Veränderungen der Stimmentfaltung.
Langsam formte sich eine ordentliche Sprechstimme und Frau von Flemming hat sich zu einer seriös sprechenden Persönlichkeit entwickelt. Ihre Stimme stimmte jetzt. Jede Stunde habe ich sie mit Mikrofon aufgenommen, damit sie die stimmlichen Veränderungen Schritt für Schritt in ihre Psychologie integriert.
Erschrecken Sie also nicht, wenn Sie eine Micky Maus anruft. Es könnte ein ernst gemeinter Anrufer sein, der seine stimmliche Identität noch nicht gefunden hat.
Geschulte Führungskräfte sprechen anders
Folgende zehn Qualitäten zeichnen eine Führungskräfte stimme aus:
1. Stimmstanding: Der persönliche Stimmklang tritt stark in den Vordergrund, damit man die Person schnell identifizieren kann. Vom Stimmklang her wird der Persönlichkeit Führungsqualität zugeordnet.
2. Stimmliche Zähigkeit: Bässe, die sogenannten Alphatöne, garantieren Zähigkeit. Die tiefe Stimme ist die Stimme der Überzeugung. Bässe sind Signale der Sicherheit. Sie machen eine Führungskraft konkurrenzfähig.
3. Glaubhaftigkeit: Sie brauchen keine schöne Stimme, sondern eine glaubhafte. Auch unharmonische, raue, knarzige Stimmen, die vom Stimmtrainer poliert werden, können charismatisch wirken. Weg vom Klangideal, weg von der Uniformierung.
4. Warme Temperatur der Stimmentfaltung: Durch den Anbau der Obertöne senden Sie Signale der Freundlichkeit und erzeugen Vertrauen.
5. Intonation als Königsdisziplin der Stimmführung: Eine monotone Stimme hat keine Überzeugungskraft.
6. Variable Lautstärke: Die Stimme bei Bedarf einen Gang höher schalten. Auch eine Lady oder ein Gentleman müssen in einer Führungsposition laut reden können.
7. Ausgewogenes Sprechtempo: Eine gute Zwerchfellatemtechnik garantiert einen Sprachfluss ohne „Ohms“ und „Ähms“.
8. Deutlichkeit der Sprache: Viele Führungskräfte nuscheln am Anfang. Bei Schwierigkeiten im Verständnis (auch durch starke Dialektfehler) ermüdet der Zuhörer bereits nach zwei Minuten.
9. Autoritätssignale durch die Körperpräsenz: Vor allem Hände und das Gesicht stützen das Gesagte. Meine Untersuchungen haben gezeigt, dass die Bewegung der Hände beim Sprechen einen besonderen Einfluss auf die Qualität der Stimme hat.
10. Größtmögliche Flexibilität in der Eloquenz und lösungsorientierten Kommunikation: Nicht nur Plan A und Plan B sondern auch Plan Z haben.
Geschulte Führungskräfte benutzen das Stimmorgan nicht als ein mechanisches Mitteilungsorgan, das Fakten und Informationen sendet. Sie sehen ihre Stimme als ein Teil ihrer Persönlichkeit. Durch die Bewusstwerdung des Stimmgebrauchs wirken sie anders auf ihre Zuhörer: Sie überzeugen zielsicher. Ein Stimmtraining kann die Überzeugungskraft, die Verhandlungsstärke und den Auftritt von Einzelpersonen systematisch erhöhen (siehe Fallbeispiele).
Autorin
Ewa Jasnota von Latoszek, Atelier für berufliche Stimm- und Sprechkultur, Köln,
latoszek@gmx.net
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