Ein Call Center geht neue Wege

„Gute Führung“ ist laut einer Studie von Betriebwirtschaftsprofessorin Heike Bruch von der Hochschule St. Gallen das Hauptkriterium, das Unternehmen erfolgreich macht. Nicht jedes Unternehmen arbeitet nach diesem Grundsatz. Doch es gibt Organisationen, die durch gute Führung, durch Wertschätzung ihrer Mitarbeiter und Anerkennung von Unterschieden erfolgreich sein wollen – auch im Niedriglohnsektor. Die D+S ccm GmbH macht es vor.
Die D+S-Gruppe ist mit über 3000 Mitarbeitern an zehn Standorten in Deutschland und einer 30-jährigen Geschichte einer der führenden Arbeitgeber im Outsourcing von Kundenservice-Dienstleistungen. Das kanalübergreifende Angebot umfasst Call-Center-Dienstleistungen und Web Services sowohl in kaufmännischen als auch technischen Themen. Hohe Krankenstände und eine hohe Fluktuationsrate, nicht selten anzutreffende Merkmale bei Unternehmen vor allem im Niedriglohnsektor, begleiten auch die D+S. Die Kundenberater arbeiten in der Regel im Schichtdienst und müssen inhaltlich, technisch und emotional anspruchsvolle Aufgaben erfüllen.
Unzufriedene Kunden am Telefon, hohe Anforderungen seitens der Auftraggeber und eine geringe gesellschaftliche Anerkennung für die Arbeit im Call Center erhöhen die psychische Belastung. In einem solchen Umfeld ist es umso wichtiger, Führungskräfte zu haben, die den Belangen ihrer Mitarbeiter mit Verständnis begegnen und professionelle Unterstützung beim Umsetzen der Aufgaben leisten können sowie ein ehrliches Interesse für Mensch und Aufgabe zeigen – denn aus Sicht der D+S ccm GmbH kann nur so die Qualität und die Produktivität der Dienstleistung erhalten und gesteigert werden.
Führungskultur mit Erfolgsfaktor
Die obere Führungsebene der D+S ccm GmbH hat es sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam mit den Mitarbeitern über alle Ebenen hinweg erfolgreich zu sein. Dazu hat die D+S ccm GmbH einen sehr innovativen Weg gewählt – und alles mündet im Thema Führung. Gute Führung bedeutet hier die Summe aus Wertschätzung, ehrlichem Feedback über Hierarchieebenen hinweg, Augenhöhe, Selbstreflexion, Abgleich von Wahrnehmungen und situativem Entscheiden. Eine Voraussetzung dafür ist, dass sich die Führungskraft in andere Perspektiven – vom Kundenberater bis zum Auftraggeber und Endkunden – hineindenken kann. Das Resultat ist eine Unternehmenskultur mit einer von Respekt geprägten Konflikt- und Fehlerkultur. Um diese Ziele zu erreichen, hat die D+S ccm GmbH gemeinsam mit kauke up., einer Hamburger Unternehmensberatung für Organisations- und Führungskräfteentwicklung, ein umfassendes Führungskräfte-Kompetenz-Coaching entwickelt, das sich im Ansatz und in der Umsetzung deutlich von allem unterscheidet, was bislang im Unternehmen an Führungskräfte- Programmen angeboten worden war. Im ersten Schritt wurde der Entwicklungsbedarf im Hinblick auf die Führungskultur ermittelt. Die damit verbundenen Ziele:
1. Senkung der Fluktuations- und Krankenquote
2. Schaffen eines unternehmensweiten „Wir-Gefühls“
3. Stärkung der Führungskompetenz um Verantwortung für sich selbst und für die Führungsrolle übernehmen zu können.
Was macht das Konzept so außergewöhnlich? Alle 210 Führungskräfte – von den Geschäftsführern, Standortleitern, Projektmanagern bis hin zu den Teammanagern – durchlaufen denselben Prozess zur Stärkung ihrer Führungskompetenz. Das Programm umfasst als Basis und Startpunkt des Führungskompetenz-Coachings insgesamt 14 Seminartage, aufgeteilt auf fünf Module, die innerhalb von drei bis vier Monaten absolviert werden. Die Seminare finden außerhalb der D+S in den Seminarräumen von kauke up. statt. In den fünf Modulen stehen das persönliche Erleben von Gruppenprozessen, Führungs- und Konfliktsituationen und das Vermitteln von theoretischen Grundlagen im Vordergrund. Die Führungskräfte lernen, wie Gruppenprozesse funktionieren, wie Zugehörigkeit und Identität entstehen und wie Teamzusammenhalt gebildet werden kann.
Sie lernen, welche Konflikttypen es in Gruppen gibt und wie sie innere Konflikte (intrapersonell), Konflikte zwischen Individuen (interpersonell) und innerhalb von Gruppen deeskalieren und im Rahmen von Konfliktgesprächen klären können. In mehreren integrierten Coaching-Einheiten werden Wahrnehmung und Wirkung des eigenen Handelns im Teamkontext gefördert und die bisherigen Verhaltensmuster überprüft. Darüber hinaus wird die Reflexionsfähigkeit der Teilnehmer zur Stärkung der eigenen Wirksamkeit in der Führungsrolle entwickelt. Sie lernen Methoden und Interventionen, die sie in ihrem Führungsalltag unterstützen sollen.
Transparenz und Transfer
Das Führungs-Kompetenz-Coaching (FKC) zeichnet sich aus durch ein hohes Maß an Transparenz: Feedback wird ausdrücklich hierarchieübergreifend gewünscht: vom Geschäftsführer bis zum Kundenberater – und umgekehrt. Führungskräfte und drei Mitarbeiter sollen nicht übereinander, sondern miteinander sprechen. Wenn Unternehmensentscheidungen, die weiter kommuniziert und implementiert werden müssen, nicht verstanden werden, sollen die fehlenden Informationen aktiv eingeholt werden. Es soll ein Umfeld geschaffen werden, in dem jeder Mitarbeiter sich sicher fühlt und weiß, sein Feedback ist willkommen und ausdrücklich erwünscht, um die Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern und die Dienstleistung zu verbessern. Die Seminare sind bedarfsorientiert und praxisnah aufgebaut. Die Bearbeitung konkreter Fälle aus dem Berufsalltag der Führungskräfte sichert den Transfer. Jeder Teilnehmer beziehungsweise jede Gruppe nimmt eine Transferaufgabe mit. Sie alle zahlen auf die zu erreichenden Ziele des FKC ein. Themen von Transferaufgaben können sein:
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Prozesse und Kommunikation zwischen Abteilungen und Standorten verbessern,
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schwelende Konflikte ansprechen und zu einer Lösung führen,
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kollegiale Beratung am Standort einführen,
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die Krankenquote im Team/am Standort/unternehmensweit senken,
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Optimierungen im Recruiting- und Onboarding-Prozess,
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Entwicklung von neuen Qualitätsmaßnahmen.
So werden die Betroffenen zu Beteiligten. Jede Führungskraft trägt dazu bei, das eigene Unternehmen besser zu machen und die Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern. Es entsteht ein Bewusstsein für die Verantwortung, die jede Führungskraft trägt. Die Führungskräfte vernetzen sich hierarchie- und standortübergreifend, tauschen sich aus und beraten sich gegenseitig, um die täglichen Herausforderungen gemeinsam zu meistern. Die Umsetzung der Transferaufgaben wird während der Fortbildungsmodule gemeinsam durch ein Team von kauke up. und D+S supervidiert. Zur Abschlusssupervision jeder Ausbildungsgruppe kommt ein Mitglied der Geschäftsführung, um sich die Transferaufgaben, deren Verlauf und die weiteren Vorhaben präsentieren zu lassen. Hier schließt sich der Kreis von Transparenz und Transfer. Denn das Gelernte soll nach den Präsenzmodulen in der Praxis umgesetzt werden. Veränderungen brauchen Zeit, doch der eingeschlagene Weg soll konsequent weitergehen. Dafür wurden bei der D+S Feedback-Schleifen (auch durch standardisierte Führungskräfte-Entwicklungsgespräche mit Schwerpunkt auf Führung) sowie internes Coaching und Begleitung im D+S-Alltag eingeführt.
Die Erfolge
Durch unternehmensweite strukturelle Veränderungen sollen alle Führungskräfte zeitlich entlastet werden, sodass mehr Raum für das Führen ihrer Mitarbeiter bleibt. Die Führungskräfte haben gelernt, sich selbst, ihre Mitarbeiter und ihre Organisation zu führen. Es hat eine nachhaltige Veränderung in Haltung und Verhalten der Führungskräfte gegeben – ihren Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten gegenüber. Die standort- und hierarchieübergreifende Vernetzung zwischen den Führungskräften hat ein neues „Wir-Gefühl“ entstehen lassen. In unzähligen Einzelprojekten wurden Strukturen verbessert, neue Prozesse etabliert, die Kommunikation optimiert und gleichzeitig Effizienz und Zufriedenheit gesteigert. Wertschätzung, Kommunikation auf Augenhöhe und Transparenz werden gelebt – und bei Nichteinhaltung hierarchieübergreifend deutlich eingefordert. Haltung, Wertschätzung und Rollenklarheit als Führungskraft sind Teil der turnusmäßigen Führungskräfte-Entwicklungsgespräche geworden – Fluktuation und Krankenquote sind unternehmensweit Erfolge zu verzeichnen. Neue Mitarbeiter steigen mit unbefristeten Verträgen ein – nicht nur in der Call-Center-Branche ein echter Mehrwert für die Mitarbeiter. Grundsätzlich: Die Qualität der Arbeit und die Produktivität der Mitarbeiter über alle Hierarchieebenen hinweg hat sich gesteigert.
Die Architektur des FKC
Das FKC ist eine gemeinsame Entwicklung der D+S ccm GmbH und kauke up. Während eines Zeitraums von zwei Jahren haben alle 210 Führungskräfte die unterschiedlichen Module besucht. Die Gruppen setzen sich aus Führungskräften unterschiedlicher Hierarchieebenen und von unterschiedlichen Standorten zusammen, um das vernetzte Lernen zu fördern. An den Standorten geht das selbstorganisierte Lernen weiter. Dort haben sich Gruppen zur kollegialen Beratung etabliert, können interne Einzelcoachings zur Unterstützung „gebucht“ werden, es wird team- und hierarchieübergreifend gearbeitet, die Transferaufgaben werden weiterentwickelt, um das Unternehmen erfolgreicher zu machen. Das FKC verknüpft unterschiedliche Lernebenen und baut auf dem Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ auf. Die Top Führungskräfte sind in ihrer Vorbildfunktion Impulsgeber und Rollenmodell für die Weiterentwicklung der Führungskräfte auf den unteren Ebenen. „Lernen ist ein intellektueller und emotionaler Bewusstseinsprozess mit konkreter Umsetzungsorientierung“, so Professor Karlheinz Schwuchow von der Hochschule Bremen. Den Voraussetzungen hierfür, die Professor Schwuchow definiert hat, trägt die Lernarchitektur des FKC Rechnung:
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Gestaltung der Lernprozesse auf emotionaler und intellektueller Ebene
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Aktive Einbindung des Einzelnen in einen erfahrungszentrierten Lernprozess
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Erzeugung von Relevanz durch konkrete Fallbeispiele aus dem Unternehmensalltag
Autoren
Rolf Kauke, Geschäftsführender Gesellschafter, kauke up. GmbH & Co. KG, Hamburg,
rolf.kauke@kauke-up.de
Andrea Düvelsdorf, Leiterin des Bereichs Führungskräfte-Coaching und Organisationsentwicklung, D+S Gruppe,
a.duevelsdorf@ds-cc.de
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