Ausgabe 3 - 2016
Auf Augenhöhe mit dem Nachwuchs

Nachwuchskräfte für das Unternehmen zu gewinnen, will gelernt sein. Sich locker geben, aber eine Unternehmenskultur leben, die den Bedürfnissen der jungen Bewerber nicht gerecht wird – der Schuss geht nach hinten los. Überdenken Sie Vorurteile, sehen Sie das Positive im Nachwuchs und heißen Sie diesen authentisch willkommen.
Aufrechter Gang, die Haltung zeigt Autorität. Jeder sieht es, auch der Bewerber, der etwas eingeschüchtert auf der Besuchercouch auf sein Gespräch wartet: Hier kommt der Personalchef. „Dann kommen Sie mal mit.“ Ein kurzer fester Händedruck ohne großartigen Blickkontakt, und der Chef marschiert vor dem Bewerber festen Schrittes zum Fahrstuhl. Der Bewerber geht etwas gebeugter hinterher. Eine Szene – täglich zu sehen in unseren Firmen. Firmen, die sich darüber im Klaren sind, dass qualifizierte Bewerber rar gesät sind. Firmen, die wissen, dass jetzt auch die Bewerber fragen: „Was können Sie mir bieten?“ Firmen, die schöne Broschüren mit dem Wortlaut „Unsere Mitarbeiter sind unser Erfolg“ drucken lassen. Was ist da los? Jede Aktion, die auf eine erfolgreiche Nachwuchs- und Personalgewinnung abzielt, ist nur so viel wert, wie sie auch konkret gelebt wird. Es ist also dringend an der Zeit, Werte und Haltungen gegenüber den Nachwuchskräften zu überdenken – und zwar professionell, von der Strategie bis zur operativen Umsetzung.
Neue Werte entwickeln und bestehende überdenken
Kennen Sie Ihre Haltung zu Nachwuchskräften einerseits und das Denken der Generation X, Y, Z andererseits? Wie stehen Sie dazu, wo gibt es Gräben? Wodurch drücken Sie aus, dass Sie die Generationen verstehen? Welche Haltungen, welche Form der Kommunikation wählen Sie? Ein einfaches lockeres „Du“ statt „Sie“ reicht nicht – es muss eine verbale und nonverbale Kommunikation entwickelt werden, die gegenüber Ihren Nachwuchskräften Respekt, ein Ernstnehmen und eine Zugewandtheit ausdrückt. In der Tabelle auf Seite 57 finden Sie einige Beispiele für verschiedene Vorurteile und deren positive Umwandlung.
Was macht Sie attraktiv?
Sie haben Ihre Vorurteile gebändigt? Ihre Vorbehalte in neues, positives Denken geändert? Gut. Jetzt können Sie Schritt zwei in der Strategie gehen: sich der eigenen Arbeitgeberattraktivität bewusst werden. Wissen Sie, was Ihren Betrieb besonders macht, was Sie Ihren Nachwuchskräften anbieten, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden? Und bringen Sie dieses Wissen und Ihre Corporate Identity in ein ganzheitliches Employer-Branding-Konzept ein? Weiß jeder Mitarbeiter in Ihrem Betrieb davon und identifiziert sich damit? Keine Angst, Employer Branding ist gar nicht so schwer: Wenn Sie ein hervorragendes Betriebsklima haben, müssen Sie es auch sagen. Jetzt ist Ihr Betrieb fit für die nächste Stufe: die Taktik. Hier kommt das Personalmanagement ins Spiel.
Tipps zur Ausrichtung des Personalmanagements
Auswahlverfahren: Wissen Sie, was Sie von Ihren Nachwuchskräften wollen? Haben Sie ein klares Anforderungsprofil und ein Auswahlverfahren, welches zuverlässig die gewünschten Kompetenzen misst, damit auch eine sichere Personalentscheidung für die Zukunft gefällt werden kann? Und spiegelt das Bewerbungsgespräch den respektvollen Umgang mit Mitarbeiter wider, den Sie in Ihrem Leitbild beschreiben?
Personalentwicklung und Qualifikation: Haben Sie einen konkreten Einarbeitungsplan? Können Sie Entwicklungschancen aufzeigen? Wie gehen Sie mit dem Thema Übernahme um? (Nach einer aktuellen Studie der IG Bau zur Ausbildungszufriedenheit wissen 32 Prozent der Auszubildenden bis kurz vor Beendigung ihres Ausbildungsverhältnisses nicht, ob sie übernommen werden.) Bieten Sie Ihren Nachwuchskräften auf sie zugeschnittene Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten an?
Personalkosten: Sind Sie sich darüber im Klaren, was es kostet, eine Nachwuchskraft zu finden und einzuarbeiten und auch darüber, wie viel die Arbeitsleistung die Nachwuchskraft Ihnen bringt? Wissen Sie, was Sie eine Fehlentscheidung kostet und welche Kosten die neuerliche Suche verursacht? Ein kleiner Hinweis: die Zahl „10“ ist ein ungefährer Anhaltspunkt. Beispiel: Bei Personalkosten von 2000 Euro im Monat entstehen 20 000 Euro Kosten bei einer Fehlentscheidung.
Personalmarketing: Kommunizieren Sie die Möglichkeiten, die Ihre Firma bietet, genügend nach außen? Erscheint Ihre Stelle in den Foren, in denen junge Leute chatten und sich austauschen? Und haben Sie dahinter ein ganzheitliches Konzept, welches Social Media, Presse, direkte Ansprache, Schulkooperationen oder Ähnliches aufeinander abstimmt und nachhaltig messbar gestaltet? Ermöglichen Sie es Ihren Nachwuchskräften, Ihren Betrieb einmal vor einer möglichen Bewerbung kennenzulernen?
Führung: Wie ist unsere Führung aufgestellt? Welches Führungsverhalten, welche Führungsstile werden gelebt? Haben unsere Führungskräfte die Instrumente, die sie für eine professionelle Führung brauchen (klare Auswahl- und Beurteilungsverfahren, Kommunikationstrainings) oder führen sie eher aus dem Bauch heraus? Werden unsere Führungskräfte auch am Erfolg der Nachwuchsgewinnung gemessen?
Betriebsklima: Tatsächlich, ein gutes Betriebsklima ist bekanntlich wichtiger als ein hohes Gehalt. Also: Bieten Sie Teamarbeit, Austausch und interessante Projektarbeit an? Beziehen Sie Ihre Nachwuchskräfte in Entscheidungen mit ein? Führen Sie regelmäßige Mitarbeiterbefragungen durch und arbeiten konkret an den Verbesserungsvorschlägen? Führen Sie Austrittsgespräche, um den Grund zu erfahren, warum eine Nachwuchskraft sie gegebenenfalls wieder verlässt und ändern etwas durch das gewonnene Wissen? (Mecklenburg-Vorpommern hat mit Abstand die höchste Vertragsauflösungsquote in der Ausbildung: 31,2 Prozent.)
Arbeitszeit: Haben Sie die Flexibilität Ihrer Arbeitszeiten einmal überprüft? Gibt es da noch mehr Möglichkeiten für eine individuelle Work-Life-Balance? Achten Sie darauf, dass zum Beispiel Auszubildende nicht gleich wie Vollzeitkräfte plus Überstunden eingesetzt werden?
Ausbildung der Ausbilder: Achten Sie darauf, dass Ihre Ausbilder neben dem Eignungsschein auch über eine hohe soziale Kompetenz verfügen?
Operative Umsetzung
Einfach nur Recruiter einstellen reicht nicht, denn die Anzahl eingestellter Recruiter erhöht nicht automatisch das Volumen der interessanten Bewerber. Erst wenn die internen Werte und personalpolitischen Instrumente und Prozesse geklärt sind, sollten Sie mit der Gewinnung von Nachwuchskräften im operativen Bereich beginnen. Formulieren Sie Stellen- und PR-Anzeigen in der Sprache der Nachwuchskräfte, überprüfen Sie Ihr Karriere- und Stellenportal und auch, auf welchen weiteren Portalen Sie erscheinen wollen.
Prüfen Sie, ob die Ausstrahlung Ihres Stellenportals mit den Aussagen Ihres Employer Brandings übereinstimmt. Wenn Sie sich als offenes, kreatives Unternehmen darstellen, sollte das Hochladen von Bewerbungen nicht in ein administrativregulatives stundenlanges auf zwei MB begrenztes aufwendiges Verfahren münden. Tipp: Probieren Sie es mal aus und bewerben Sie sich einmal bei Ihrer eigenen Firma. Sie werden staunen. Seien Sie kreativ und schalten Sie doch einmal Anzeigen für Ausbildungsplätze in Schülerzeitungen – die Redaktionsmitglieder freuen sich und es kostet auch nicht so viel. Beziehen Sie tolle Angebote wie ehrenamtliche Unterstützung von Auszubildenden mit ein, (z.B. durch das Projekt VERA) gehen Sie auf Initiativen zu, die sich um junge Arbeitslose kümmern und deren Potenziale fördern (z.B. Joblinge, Internationaler Bund)? Sie glauben gar nicht, wie schnell es sich herumspricht, wenn Sie nicht einhalten, was Sie versprechen (den sozialen Netzwerken sei Dank). Daher ist es wichtig, ein rundes, abgestimmtes Konzept auch langfristig umzusetzen und nicht irgendwie und irgendwas zu machen, nur um es zu machen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Ihre Taten im Nichts verschwinden und der mühsam aufgebaute Ruf schnell wieder dahin ist.
Autorin
Silke Wöhrmann, geschäftsführende Gesellschafterin der APT | Personalmarketing GBR, Hamburg,
s.woehrmann@apt-marketing.de
Vorurteile positiv gedacht
Die Jugend von heute taugt nichts. | Die Jugend denkt anders als wir – und das ist gut so, denn Sie hilft unserem Betrieb dabei, zukunftsfähig zu bleiben. |
Die Jugend von heute will nur Spaß. | Die Jugend von heute möchte eine bessere Balance zwischen Freizeit und Familie (und ganz ehrlich: das hätten wir uns früher auch mehr gewünscht). |
Die Nachwuchskräfte kommen aus der Schule und wir müssen ihnen erst einmal die Rechtschreibung beibringen. | Gut, dann bringen wir es Ihnen bei – und nutzen die Chance, Ihnen a) bei Ihrer Entwicklung zu helfen und b) gleichzeitig unsere Vorstellung von Arbeit zu vermitteln. |
Die jungen Leute sind so verwöhnt, diese Anspruchshaltung hätte ich mir mal erlauben sollen. | Junge Menschen stehen heute unter einem enormen Leistungsdruck, der nicht unterschätzt werden darf. Einerseits wird Ihnen viel ermöglicht, andererseits müssen sie beweisen, dass sie es wert sind. Sie sind der Erwartungshaltung ausgesetzt, die materiellen Werte und auch den Lebensstandard zu halten, die ihre Eltern und Großeltern aufgebaut haben. Und das ist neu: nie zuvor gab es so viel zu halten, was geschafft wurde. |
Die Herausforderung ist klar: Zuerst muss sich etwas in den Köpfen bewegen, Vorurteile abgebaut und positiv über die junge Generation gedacht werden.
Quelle: Wöhrmann, 2016
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