Ausgabe 3 - 2017
Ultimative Lobhudelei
Der skurrile Fall des Monats
Der Mitarbeiter verfügte über eine „extrem gute Auffassungsgabe“, „sehr ausgeprägte wirtschaftliche Kenntnisse“, dazu war er „zu jeder Zeit äußerst kompetent“, und überhaupt war die Zusammenarbeit „stets hervorragend“. Der Arbeitgeber verstieg sich sogar zu der Äußerung: „Wenn es eine bessere Note als ‚sehr gut‘ geben würde [sic], würden wir ihn damit beurteilen.“ So zumindest stand es im Arbeitszeugnis des Verkehrsfachwirts. So jemanden lässt man nicht einfach ziehen.
Oder doch? Die Schlussformel machte stutzig: „Herr F. verlässt unser Unternehmen zum 31.07.2015 auf eigenen Wunsch, was wir zur Kenntnis nehmen.“ Besagter Beschäftigter sah sich im Übrigen selbst längst nicht so heldenhaft, wie er vom Arbeitgeber dargestellt wurde. Die „ultimative Lobhudelei“, wie es einmal in einer beliebten Fernsehserie hieß, zwang ihn schließlich zur Klageerhebung. Die geänderten Formulierungen machten das Zeugnis aus seiner Sicht wertlos, da sie nicht dem Grundsatz der Zeugniswahrheit dienten, sondern den Text vielmehr ins Lächerliche zogen.
„Jeder unbefangene Leser erkenne, dass die Formulierungen nicht ernst gemeint seien, urteilte das Gericht.“
Kein Bedauern beim Arbeitgeber
Der Arbeitnehmer hatte mit seinem Arbeitgeber vereinbart, dass dieser ihm ein „wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis“ erteilt. Zudem einigten sie sich darauf, dass der Kläger sein Zeugnis selbst formulieren durfte, was kein unüblicher Vorgang ist. Der Arbeitgeber durfte davon, so war es vereinbart, nur aus wichtigen Gründen abweichen. Unter dem Strich muss das Zeugnis aber der Wahrheit entsprechen. Ausgangspunkt dieser Regelung war allerdings ein gerichtlicher Vergleich, in dem es zuvor bereits unter anderem um Vergütungsansprüche gegangen war. Das Verhältnis zwischen beiden war also schon belastet.
Der Arbeitgeber konnte kein eigenes Fehlverhalten erkennen: Die Abweichungen beschränkten sich lediglich auf eine alternative Wortwahl ohne Auswirkung auf den Gesamteindruck und die Gesamtbewertung. Was die Schlussformel betrifft, hielt man sich sogar sehr genau an den Grundsatz der Zeugniswahrheit: Die vom Arbeitnehmer ursprünglich gewählte Formulierung, dass der Arbeitgeber sein Ausscheiden „sehr bedauere“, könne nicht getroffen werden – weil er sein Verlassen nicht bedauere.
„Grammatikalisch misslungen“
Das Arbeitsgericht (ArbG) Hamm setzte ein Zwangsgeld in Höhe von 1000 Euro fest sowie Zwangshaft bei „Uneinbringlichkeit“. Gegen den Beschluss legte das Unternehmen sofortige Beschwerde ein. Daraufhin landete das Verfahren beim Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm. Auch dort fiel das Zeugnis als mangelhaft durch. Sinn und Zweck eines Zeugnisses sei es, einem potenziellen Arbeitgeber ein möglichst wahres Urteil über die Leistung das Verhalten des Arbeitnehmers zu geben. Das strittige Dokument aber zeichne sich dadurch aus, dass der Arbeitgeber die Begriffe gesteigert hat: „Insofern leistet das erteilte Zeugnis nichts.“
Jeder unbefangene Leser erkenne, dass die nach oben übertriebenen Formulierungen nicht ernst gemeint seien – spätestens bei der Leistungsbeurteilung: „Wenn es bessere Note als sehr gut geben würde …“, deren grammatikalisches Misslingen von den Richtern in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben wird. Zudem konnte der Arbeitgeber keinen wichtigen Grund dafür nachweisen, wieso er von den ursprünglichen Formulierungen abgewichen ist.
Mit Zeugnissen ist nicht zu spaßen
Bei dem Urteil ist § 109 der Gewerbeordnung (GewO) maßgeblich: Danach darf das Zeugnis unter anderem keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. Es muss klar und verständlich formuliert sein. Eine Übertragung der Formulierungshoheit auf den Arbeitnehmer ist möglich und gängig. Der Arbeitgeber ist jedoch nicht gezwungen, den Vorschlag ungeprüft oder unverändert zu übernehmen, wenn er dadurch gegen den Grundsatz der Zeugniswahrheit verstoßen würde.
Im konkreten Fall war aber festzustellen, dass der Arbeitgeber seiner Verpflichtung aus dem Vergleich, ein qualifiziertes Zeugnis nach einem Entwurf des Mitarbeiters zu erteilen, letztlich nicht nachgekommen ist. Die Festsetzung eines Zwangsgeldes oder Zwangshaft, zu vollstrecken an dem Geschäftsführer, ist damit rechtens.
Beschluss des LAG Hamm vom 14. November 2016
(Az.: 12 Ta 475/16)
Vorinstanz: Beschluss des ArbG Hamm vom 4. August 2016
(Az.: 3 Ca 1338/15)
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