Das eigene Engagement belohnen lassen
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement stellt Arbeitgeber vor hohe rechtliche und organisatorische Anforderungen. Doch die Mühe eines guten Konzepts kann sich lohnen, denn es gibt Stellen, die die getroffenen Maßnahmen finanziell fördern.
Seit 2004 müssen Unternehmen ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchführen, wenn Arbeitnehmer innerhalb von zwölf Monaten mindestens sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt sind. Hierbei ist nicht von Bedeutung, ob der Arbeitnehmer sechs Wochen in Folge erkrankt ist oder ob die Krankheitszeiten auf ein Jahr verteilt sind und summiert sechs Wochen ergeben. Ebensowenig ist die Größe des Unternehmens oder der Grund für die Erkrankung von Belang. Diese Verpflichtung trifft jeden Arbeitgeber, vom Handwerksmeister mit einem Angestellten bis hin zum börsennotierten Unternehmen.
Spätestens mit dem Urteil vom 12. Juli 2007 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Bedeutung des BEM für die Personalpraxis potenziert. Führt ein Arbeitgeber keines durch, unterliegt er in einem Kündigungsschutzprozess so hohen Darlegungs- und Beweispflichten, dass der Prozess kaum noch gewonnen werden kann. Dies wurde noch durch das Urteil des BAG vom 10. Dezember 2009 verschärft, das dem Arbeitgeber auferlegt, alle – auch von externen Beteiligten – im BEM vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen, bevor eine Kündigung gerechtfertigt ist. Die Rechtsprechung stellt solch hohe Anforderungen an die ordnungsgemäße Durchführung, dass dies mittlerweile eine eigene Wissenschaft wurde. Das stellt Unternehmen vor große Probleme, ist doch die rechtssichere Umsetzung des BEM ein ernstzunehmender Kostenfaktor geworden.
Wichtiger Faktor für die Personalplanung
Bedeutung bekommt das Eingliederungsverfahren jedoch nicht nur als ein der Kündigung vorgeschaltetes Verfahren. Die Absicht des Gesetzgebers, einen Mitarbeiter wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren, ist lobenswert und viele Unternehmen behandeln dies – vor allem angesichts des Fachkräftemangels und der demografischen Entwicklung – als Gelegenheit, betrieblichen Krankheitsursachen aktiv gegenzusteuern. Durch das BEM können eingearbeitete und erfahrene Arbeitnehmer im Unternehmen gehalten, betrieblich beeinflussbare Fehlzeiten reduziert und die Attraktivität als Arbeitgeber gesteigert werden. All dies sind Faktoren, deren Bedeutung kontinuierlich zunimmt.
Trotz aller positiven Effekte ist der Zwang, ein BEM durchführen zu müssen, für viele Unternehmen eine große Belastung personeller und organisatorischer Natur. Vor allem Kleinunternehmen und Mittelständler sehen sich auch finanziellen Herausforderungen gegenüber. Um die Belastungen geringer zu halten und Anreize für die Durchführung zu schaffen, hat der Gesetzgeber in § 84 Abs. 3 SGB IX vorgesehen, dass Rehabilitationsträger und Integrationsämter (im Klartext: die öffentlichen Stellen, die im Falle der Arbeitslosigkeit des Betroffenen Sozialleistungen zahlen müssten) Arbeitgeber durch Prämien oder Boni fördern können. Prämien sind einmalige oder wiederholte Zahlungen an Arbeitgeber, die von den Integrationsämtern oder anderen Stellen geleistet werden. Boni sind Ermäßigungen bei Sozialversicherungsbeiträgen, die die SV-Träger gewähren können.
Die Gewährung beider Formen ist eine reine Ermessensentscheidung. Das Gesetz spricht von „können“, das heißt jedes Integrationsamt, jede Berufsgenossenschaft oder Krankenkasse hat es selbst in der Hand, Zahlungen oder Vergünstigungen zu gewähren. Dies wird nicht nur von Leistungsträger zu Leistungsträger abweichend gehandhabt, auch regional gibt es Unterschiede.
Hohe Hürden für Prämien
Prämien werden (nicht nur) durch die Integrationsämter vergeben und sind an mehrere Voraussetzungen geknüpft. Erstens verlangen die Ämter ein Konzept zum Umgang mit Häufig- oder Langzeit-Erkrankten, das zweitens beträchtlich über die gesetzlichen Vorgaben hinausgeht.
Ansonsten muss ein mit Prämien gefördertes Unternehmen die Beschäftigungsquote des § 71 SGB IX erfüllen, das heißt mindestens einer von zwanzig Arbeitnehmern muss schwerbehindert sein. Wird diese Quote nicht erreicht, muss das Unternehmen wenigstens nachweisen, dass es sich bemüht, die Quote zu erfüllen; dies kann beispielsweise durch Stellenausschreibungen geschehen, die sich gezielt (auch) an Schwerbehinderte richten.
Außerdem muss das Unternehmen mit dem Betriebsrat und der Schwerbehindertenvertretung eine Integrationsvereinbarung abgeschlossen haben, die detaillierte und konkrete Regelungen zum BEM vorsieht. Einige Integrationsämter haben dafür die Formel „SMART“ entwickelt: Jedes förderungswürdige Konzept soll spezifisch, messbar, akzeptabel, realistisch und terminiert sein. Mit diesen Leerformeln ist aber kaum ein Erkenntnisgewinn verbunden, bedeuten sie doch effektiv nichts anderes, als dass in einem standardisierten Konzept konkrete Maßnahmen vorgesehen sein müssen, um förderungswürdig zu sein.
Frühwarnsystem installieren
Anders gewendet heißt dies, dass ein System zur Problemerkennung, also ein Frühwarnsystem, im Betrieb bestehen muss. Routinemäßig (Fehlzeiten, Ergebnisse betriebsmedizinischer Untersuchungen oder aus Mitarbeiterbefragungen) oder auch zufällig (zum Beispiel in Gesprächen) ermittelte Daten müssen – unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen – gesichtet und bewertet werden. Anhand der Bewertung dieser Daten kann das Unternehmen eventuellen Klärungs- oder Handlungsbedarf feststellen. Häufig müssen verschiedene Daten verknüpft oder nacherhoben werden, um einen Handlungsbedarf zu identifizieren. Hierfür ist eine zentrale Schaltstelle im Unternehmen unverzichtbar, die die benötigten Informationen gezielt erhebt, verarbeitet, Handlungsbedarf feststellt und die erforderlichen Maßnahmen umsetzt. Die Zusammenarbeit der verschiedenen betrieblichen Akteure in einem gemeinsamen Integrationsteam als Schaltstelle muss geregelt sein.
Im Produktionswerk eines großen deutschen Automobilherstellers sieht die Vereinbarung beispielsweise vor, dass das Team aus Vertretern aller Werksbereiche, dem Betriebsarzt, einer Fachkraft für Arbeitssicherheit, dem Betriebsrat, der Schwerbehindertenvertretung, dem Controlling, einem Vertreter der Personalabteilung und externen Mitgliedern (Integrationsamt, Arbeitsagentur, Krankenkasse) besteht.
Bei Bedarf können weitere externe oder interne Partner hinzugezogen werden. Ein solches Integrationsteam darf jedoch als Ausnahme gelten und ist der Größe des Betriebs geschuldet. Auch mittelständische Betriebe können eine solche Schaltstelle bilden, die dann eben nur aus drei Personen besteht: einem Beauftragten des Unternehmens (etwa aus der Personalabteilung), einem Beauftragten des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung.
Maßnahmen festlegen
Das Integrationsteam trifft die Entscheidungen für allgemeine oder individuelle Maßnahmen und behält die Verantwortung für deren Umsetzung und Qualitätssicherung bis zur Nachsorge. Schließlich arbeitet das Team auch mit den externen Partnern (beispielsweise den Integrationsämtern) zusammen und sorgt hier für eine hinreichende Vernetzung. Für die Qualitätssicherung sind sowohl Dokumentation als auch Evaluation der Maßnahmen und ihrer Ergebnisse wichtig.
Ein solches Konzept zu schaffen geht deutlich über die gesetzlichen Vorgaben hinaus. Darüber hinaus wäre anzudenken, das BEM bereits nach vier Wochen beginnen zu lassen oder auch verschiedene Gespräche mit dem betroffenen Arbeitnehmer und von ihm zugezogenen Vertrauten anzubieten. Dies wird von einigen Unternehmen praktiziert und von vielen Integrationsämtern als förderungswürdig anerkannt.
Auch die Maßnahmen, die im Einzelfall beschlossen werden können, sind im Gesetz nicht geregelt. Dem Integrationsteam steht frei, mit dem betroffenen Arbeitnehmer Arbeitsablaufanalysen durchzuführen, Fortbildungen und Qualifikationen zu vereinbaren oder auch einfach Sonderurlaub zu geben. Im Rahmen der Qualitätskontrolle hat sich nach Abschluss aller Maßnahmen ein reflektierendes Abschlussgespräch mit allen Beteiligten als sinnvoll erwiesen. Um den nachhaltigen Erfolg zu prüfen, kann auch vereinbart werden, sich nach Ablauf von sechs Monaten noch einmal zusammenzusetzen. Vor allem die Nachhaltigkeitsgesichtspunkte – zum einen den standardisierten Prozessablauf nachhaltig zu verbessern, zum anderen den konkreten Einzelfall auch nach Abschluss der Einzelmaßnahme zu verfolgen – werden als förderungswürdig angesehen.
Vereinzelt bieten Berufsgenossenschaften oder andere Rehabilitationsträger Prämien an, die auch kleinen und mittelständischen Unternehmen zugute kommen, ohne dass diese ein Unternehmenskonzept erstellen müssen. Die Steinbruchs-Berufsgenossenschaft hat beispielsweise die Prämienvergabe an die Teilnahme an eine BEM-Schulung geknüpft.
Wenig definiert, aber leichter zu bekommen
Noch unklarer als bei der Prämienvergabe ist die Lage bei der Gewährung von Boni auf SV-Beiträge. Hierfür sind in erster Linie die Sozialversicherungsträger, also die Krankenkasse für die Krankenversicherung, die Bundesagentur für Arbeit für die Arbeitslosenversicherung, die Deutsche Rentenversicherung (oder ihre Regionalträger) für die Rentenversicherung sowie die Berufsgenossenschaften für die Unfallversicherung zuständig. Wenigstens die Ansprache der Rehabilitationsträger wird Unternehmen mittlerweile leicht gemacht. Im ganzen Bundesgebiet sind gemeinsame Servicestellen für Rehabilitation eingerichtet. Die Anforderungen an die Bonusvergabe sind weniger deutlich gefasst als bei der Prämienvergabe der Integrationsämter.
Sind bei diesen standardisierte Konzepte Grundvoraussetzung für die Förderung, kann bei den Rehabilitationsträgern die Durchführung des BEM von Fall zu Fall schon ausreichend sein, also auch wenn kein Betriebsrat und keine Betriebsvereinbarung zur Implementierung eines BEM-Konzepts existiert. Hier geht es vor allem darum, den Stellen aufzuzeigen, dass der betroffene Arbeitnehmer nur durch besondere Anstrengungen des Unternehmens noch in Beschäftigung ist und daher die Sozialleistungsträger nicht einstehen müssen und dies auch in Zukunft nicht absehbar ist. Daher sollte die einzelne Maßnahme auf Nachhaltigkeit setzen, den betroffenen Mitarbeiter also weiter begleiten und die Wirksamkeit der Maßnahmen nach Ablauf eines halben Jahres noch einmal überprüfen.
Die Gewährung von Nachlässen wird jedoch kaum publiziert. An welche Voraussetzungen die einzelnen Träger die Gewährung von Boni knüpfen, ist also nur bei ihnen selbst zu erfahren. Unternehmen sind daher aufgefordert, von sich aus an die gemeinsamen Servicestellen der Rehabilitationsträger heranzutreten (hilfreiche Links für weitere Informationen finden Sie im separaten Kasten).
Gesprächsbereitschaft nutzen
Leider ist es aufgrund der Anforderungen der Integrationsämter an Prämienzahlungen nur großen mittelständischen Unternehmen und Konzernen möglich, ein BEM unternehmensweit zu implementieren und damit förderungswürdig zu sein. Die weit größeren finanziellen Belastungen durch ein Eingliederungsmanagement tragen jedoch kleine und mittelständische Unternehmen. Diese kommen kaum in den Genuss öffentlicher Förderung, sei es weil sie keinen Betriebsrat haben oder nicht über die personellen und organisatorischen Ressourcen verfügen, ein Integrationsteam zu stellen.
Erfahrungsgemäß ist selbst bei Integrationsämtern und Rehabilitationsträgern die Möglichkeit der Förderung kaum bekannt, immer jedoch besteht Gesprächsbereitschaft. Neben den hier behandelten Prämien und Boni exisiert eine Reihe weiterer Förderungsmöglichkeiten, von der Sachförderung über Informations- und Beratungsangebote bis hin zur finanziellen Unterstützung bei außergewöhnlichen Belastungen. Unternehmen jeder Größe ist daher anzuraten, das Gespräch mit den verschiedenen Stellen zu suchen.
Linktipps
Auf den folgenden Internetseiten finden Sie weitere Informationen über die Förderungsmöglichkeiten für das BEM. www.reha-servicestellen.de: Eine Auflistung der gemeinsamen Servicestellen der Rehabilitationsträger; www.integrationsaemter.de: Eine Auflistung der Integrationsämter; www.zbfs.bayern.de/integrationsamt/eingliederungsmanagement: Eine hilfreiche Seite mit vielen Best-Practice-Beispielen, nicht auf Bayern beschränkt.
Autor
Dr. Stefan Kursawe, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner, Kanzlei Heisse Kursawe Eversheds, München,
s.kursawe@heisse-kursawe.com
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