Ausgabe 4 - 2012
„Wer für Geld kommt, geht auch für Geld“

Reinhard Sprenger hat bereits vor 20 Jahren in seinem Bestseller „Mythos Motivation“ vor den Folgen von Belohnungssystemen gewarnt. Mit seinen Thesen zur Mitarbeiterführung findet er nach wie vor viel Zustimmung. Wir trafen ihn am Rande eines Managementseminars für Familienunternehmen in Königstein.
Personalwirtschaft: An dem Prinzip der leistungsorientierten Vergütung wird in den meisten Unternehmen nicht gerüttelt, trotz Ihres Bestsellers und trotz der Finanzkrise. Können Sie sich das erklären?
Reinhard Sprenger: Es ist unmöglich, jemandem etwas verständlich zu machen, wenn ihn sein Gehalt davon abhält, es zu verstehen. Einfacher gesagt: Gänse votieren nicht für Weihnachtsfeste. Es ist eine intellektuelle Selbstentmündigung, die dort stattfindet. Aber die Menschen wollen das so.
Weil das Belohnungssystem Geld offensichtlich funktioniert. Ich traf kürzlich einen Bekannten, der im Vertrieb arbeitet und mir freudig berichtete, dass er seine Jahresziele erreicht und damit seinen Jahresbonus gesichert habe, weil er die letzten zwei Monate noch mal richtig Gas gegeben hatte.
Dass es funktioniert, ist eine Folge dauernder Fehlmotivierung. Solche Systeme prägen die Menschen. Sie behaupten zwar, sie würden auf das Verhalten der Menschen reagieren, doch sie machen die Menschen zu Reiz-Reaktions-Maschinen. Es wird nur eine Scheinleistung erzeugt. Alle diese Systeme scheitern an der Manipulation der Leistungsbemessungsgrenze. Was ist 100 Prozent, was ist Zielerreichung?
Sie sprechen einen wunden Punkt an. Es gibt nicht wenige Manager, die enttäuscht darüber sind, dass sie nur die 100 Prozent Zielerreichung attestiert bekommen, obwohl sie deutlich mehr gearbeitet haben als in den Vorjahren. Völlig klar. Damit sind wir bei einem ganz wichtigen Aspekt. Alle diese Systeme dementieren den Kooperationsvorrang im Unternehmen. Also den Vorrang der Kooperation vor der Addition von Einzelleistungen. Das heißt, ein Unternehmen ist um die zentrale Idee der Zusammenarbeit herumgebaut. Noch schärfer formuliert. Die individuelle Zurechenbarkeit von Leistung ist weder möglich noch wünschenswert.
VW zahlt in diesem Jahr an alle Mitarbeiter eine Gewinnprämie von 7500 Euro. Das ist doch löblich, oder? Gegen eine allgemeine Beteiligung am Unternehmensergebnis ist nichts zu sagen. Das hat einen beteiligenden, keinen steuernden Aspekt. Man muss allerdings aufpassen, dass es dort nicht zu einer ordnungspolitisch fragwürdigen Verlagerung des Unternehmerrisikos auf Angestellte kommt.
In der Neuauflage von „Mythos Motivation“ plädieren Sie für ein „verführungsfreies Entgeltsystem“. Wie sieht das aus?
Der zentrale, lebensphilosophische Punkt ist der, dass jede Form von Anreiz die Rationalität des Individuums unterläuft und sie durch eine Fremdsteuerung ersetzt. Es geht darum, das Wollen durch ein Sollen zu ersetzen. Wenn jemand etwas für sinnvoll hält, wird er es tun. Wenn er es nicht für sinnvoll hält, muss ein solches Belohnungssystem den Sinn ersetzen. Damit wird man zur Marionette dieses Systems. Ein Entgeltsystem, das nicht verführen will, anerkennt die Motive des Einzelnen, so wie er ist und konzentriert sich auf das, was ursprünglich mal war: Geben und Nehmen ins Gleichgewicht zu bringen. Das heißt, ich bekomme mein Geld als Basisentgelt für meine Arbeit. Damit ist die fundamentale Tauschidee jenseits des individuellen Mehr oder Weniger etabliert. Das System will nicht steuern, will nicht Einfluss nehmen.
Gibt es Unternehmen, die diese Philosophie auch leben?
Ein dafür bekanntes Unternehmen ist der DM-Drogeriemarkt. Auch Egon Zehnder verzichtet auf die sonst in der Headhunter-Branche üblichen Povisionsmodelle.
Zudem arbeiten viele mittelständische Unternehmen ohne variable Vergütungsmodelle, beispielsweise Hilti oder Mettler Toledo. Selbst bei den Banken gibt es Beispiele, wie die Svenska Handelsbanken oder die Berner Kantonalbank. Alles erfolgreiche Unternehmen.
Was empfehlen Sie den Personalern?
Ich würde sehr grundsätzlich fragen, welche systemischen Konsequenzen die Ausdifferenzierung der Personalarbeit überhaupt hatte. Welche sind wünschenswert, welche problematisch. Das wäre eine fundamentale Frage, die sich aber niemand mehr stellt. Die HR-Arbeit muss vor dem Hintergrund des Transaktionskostenansatzes durchleuchtet werden. Welche HR-Aktivitäten sind zu verteidigen, welche nicht. Und die Personaler sollten sich vor allem die Frage stellen, von welchem Menschenbild sie ausgehen: Immer noch von 80 Millionen Trantüten, die aktiviert und gesteuert werden müssen? Ich bin jetzt mal böse.
Ja, bitte.
Die Personaler denken nicht, die machen nur noch. Keiner hat den Mut, einmal fundamental über die Nichtexistenz von HR nachzudenken. Personaler sind sehr sympathische Menschen, aber sie sind zu sehr mit ihren operativen Systemen beschäftigt. Sie werden dann häufig von den Spät- und Nebenwirkungen ihres Handelns erschlagen.
Es gibt durchaus HR-Kreise, die solche Fragen diskutieren. Aber spätestens, wenn sie wieder im HR-Alltag landen und in Interviews Top-Leute für ihr Unternehmen gewinnen wollen, stellen sie fest, dass sie ohne Boni-Modelle nicht konkurrenzfähig sind.
Vergleichen wir mal die UBS und die Berner Kantonalbank. Die UBS wirkt mit ihrem Bonussystem auf Leute attraktiv, die für Geld kommen, also für die Einkommensmaximierer. Aber: Wer für Geld kommt, geht auch für Geld.
Personaler möchten Menschen entwickeln. Deshalb verteidigen viele das Instrument der Zielvereinbarungen, mit dem Mitarbeiter und Vorgesetzte auch unabhängig von Bonusregelungen ins Gespräch kommen.
Dass Chef und Mitarbeiter miteinander sprechen müssen, ist selbstverständlich. Aber man sollte die Leute nicht über ein System dazu zwingen. Zu hinterfragen ist aber auch die Entwicklungsidee per se. Kann ich überhaupt einen Menschen entwickeln? Ist das nicht eine verdeckte Infantilisierung von Erwachsenen? Nur wenn Personalentwicklung strukturelle Hilfe zur Selbstentwicklung ist, erfüllt sie ihren Auftrag.
Sie setzen stark auf eine Vertrauenskultur. Wie kann das gelingen?
In den Unternehmen kommen immer wieder neue Regelungssysteme hinzu. Wir sind gut beraten, uns auf die Idee des Destrukturierens, des Wegnehmens, des wieder Raumschaffens zu fokussieren. Hier besitzt übrigens der Mittelstand gegenüber den Konzernen einen Vorteil, den er sich bewahren sollte.
Wo können Personaler die richtigen Impulse setzen?
In allen Bereichen, in denen sie jetzt auch tätig sind. Nur, sie dürfen sich nicht aufdrängen, sondern sie müssen ihre Expertise zur Wahl stellen. Sie sollten den Linienmanagern sagen: Schau, das ist mein HR-Werkzeugkasten, den ich dir zur Verfügung stelle: 360 Grad Feedback, Zielvereinbarungssysteme und vieles mehr. Ich nenne dir die Vor- und Nachteile und du entscheidest selbst, was du für richtig hälst.
Das klingt nicht nach Revolution.
Niemand fängt von vorne an. Wenn ein extrem incentiviertes Unternehmen sagt, wir zahlen jetzt nur noch Fixgehälter, schießen die Leute durch die Decke. Beherzte Schritte ja, aber Zukunft braucht Herkunft. Sie können nicht die Wurzeln ausreißen.
Autor
Das Gespräch führte Erwin Stickling.
- Inhalt Personalwirtschaft 04/2012
- Vernunft und Verstand
- Ein Mann, ein Wort
- Motivation oder Manipulation?
- Hey Pille, wieviel verdient eigentlich Captain Kirk?
- Ziele setzen ist nicht schwer, Anreize dagegen sehr
- „Wer für Geld kommt, geht auch für Geld“
- Sprung ins kalte Wasser
- Herausfordernder Balanceakt
- Verantwortung endet nicht bei der Kündigung
- (Neu-)Positionierung von Executives
- Personalabbau ohne Kündigungen
- Einfach wie eine Buchbestellung
- Fan sein – Fan werden
- Auf dem Weg zu einer Compliance-Kultur
- Gut geschult ist halb gewonnen
- E-Mail? Nein, danke!
- Eine Hand wäscht die andere
- „Wir sind eng am Markt“