Ausgabe 4 - 2012
Ein Mann, ein Wort

Präsident des Bundesverbandes der Personalmanager (BPM) und Arbeitsdirektor bei Airbus – Joachim Sauer ist ein vielbeschäftigter Mann. Gerade hat er nach zähem Ringen mit den Gewerkschaften einen neuen „Zukunftstarifvertrag“ ausgehandelt. Doch auch abseits solcher Runden ist sein HR-Alltag alles andere als langweilig.
Leise, ganz leise glaubt man das Knirschen der langsam auf der Alster vorbeiziehenden Eisschollen im Büro von Airbus-Arbeitsdirektor Joachim Sauer zu vernehmen. Aber das ist natürlich Einbildung. Knirschen tut es an diesem eisigen Tag Ende Februar gerade trotzdem: Sauer hat einen Berater zu Gast, der dem obersten Airbus-Personaler auf dem BPM-Kongress in Berlin anscheinend mehr versprochen hat, als er letztlich zu halten in der Lage ist. Knappe 20 Minuten dauert das Gespräch, und mit jeder Minute wirkt Sauers zu Anfang noch so selbstbewusst auftretendes Gegenüber unsicherer. „In welchen Bereichen sehen Sie für HR noch Verbesserungsbedarf?“, fragt der offenbar schlecht auf den Termin vorbereitete Berater. „Prinzipiell sind wir überall gut aufgestellt“, gibt Sauer kurz angebunden zurück, und man merkt ihm an, dass er sich diesen Termin deutlich gehaltvoller vorgestellt hat. Wenige Minuten später ist das Gespräch zu Ende. „Immerhin sieht man an solchen Gesprächen mal wieder, wie man es nicht machen sollte,“ meint Sauer anschließend trocken.
Das verunglückte Treffen ist glücklicherweise nicht der einzige Termin für Joachim Sauer an diesem Tag. Morgens hat der oberste Airbus-Personaler bereits die Ausbildungs-Werkstätten des Unternehmens besichtigt, deutlich erfreulicher und positiver als das Berater-Gespräch. „Diese Runde mache ich einmal im Jahr“, sagt er. Dabei unternimmt er den Rundgang durch die Werkstätten leicht gehandicapt: Weil der Personaler beim Joggen umgeknickt ist und sich einen Außenbandriss zugezogen hat, trägt Sauer zum Anzug heute jeweils einen Straßenschuh und einen Pantoffel. Angesichts des weitläufigen Airbus-Geländes, auf dem sich die Mitarbeiter per Shuttle oder auch Fahrrad bewegen (die HR-Abteilung verfügt seit kurzem sogar über zwei eigene „Dienstfahrräder“), ein echtes Handicap. Ein echtes Highlight der Besuchsrunde ist die Vorstellung eines Brennstoffzellen-Projektes, das die Auszubildenden in den kommenden Wochen fertigstellen wollen. „Ein spannendes Projekt, bei dem man viele Erfahrungen sammeln kann“, findet auch Sauer. Auffällig ist in den Werkstätten die penible Ordnung – SQCDP-Tafeln und -Hinweisen (Safety, Quality, Cost, Delivery, People) sei dank. Man könnte in den Hallen buchstäblich vom Fußboden essen, jedes Werkzeug hat seinen festen Platz – und wenn es einmal nicht dort zu finden sein sollte, muss der Verantwortliche mit einer deutlichen Ermahnung rechnen. Die Ordnung zeigt sich auch bei den Themen Pünktlichkeit und Regelverstöße, auf die bei den Azu-bis naturgemäß besonders geachtet wird. So soll der Nachwuchs gleich auf die hohen Sicherheits- und Qualitätsstandards der Luftfahrt sensibilisiert werden. Die Stimmung ist trotz der strengen Regeln gut: „Keiner hält hinter dem Berg, es gibt einen offenen Dialog“, meint ein Ausbildungsleiter.

Die Kinder stehen im Mittelpunkt: Joachim Sauer und Patrick Frede (l.) von der berufundfamilie Service GmbH besuchen gemeinsam die Airbus-Kita „Beluga“.

In den Ausbildungswerkstätten von Airbus auf dem weitläufigen Werksgelände lässt sich Sauer von den Azubis verschiedene Projekte vorführen.
Ein Problem berichtet ein weiterer Ausbilder dem obersten Airbus-Personaler trotzdem: Der Krankenstand ist derzeit ungewöhnlich hoch, genau gesagt ist er um ein Drittel angestiegen. „Da müssen wir ran“, meint auch Sauer, der seit 2008 für das Personalressort des Flugzeugbauers verantwortlich zeichnet. Eines fällt schon nach kurzer Zeit auf: Der Arbeitsdirektor ist kein Mann der langen Reden und überflüssigen Worte. Klar und präzise (aber nicht unfreundlich) kommen seine Anregungen und Anweisungen. Positiver Effekt: Er redet seinen Mitarbeitern nicht rein und lässt Freiräume – ein Eindruck, der sich im Verlauf des Tages noch verstärken wird.
A 350 im Modell-Format
Dass sich für die Auszubildenden alles um das Thema Fliegen dreht, versteht sich bei einem Arbeitgeber wie Airbus eigentlich von selbst, und so überrascht es wenig, dass in den Werkstätten Modelle und Skizzen der Airbus-Maschinen allgegenwärtig sind. Ein Projekt findet das besondere Interesse von Sauer: Ein Auszubildender arbeitet derzeit an einem Modell des A 350, Maßstab 1:35. Die Entwürfe sind fertig, derzeit arbeitet der junge Mann an der Umsetzung. Erste Bauteile sind bereits fertig, man kann schon erahnen, wie das Flugzeug am Ende aussehen wird. „Sagen Sie bitte Bescheid, wenn es fertig ist, dann schaue ich es mir noch einmal an“, verspricht Sauer.
Per Virtual Reality durchs Flugzeug
Anschließend trifft sich Sauer mit einigen Vertretern der Hochschule Fresenius sowie der Bachelor-Absolventin Viktoria Besoke zu einer Konferenz. Auf der Tagesordnung steht neben einem neuen Image-Film, den die Hochschule für Airbus unlängst fertiggestellt hat, vor allem eine Computersimulation, die den Betrachter zu einem virtuellen Flug durch das Innerste eines Flugzeuges mitnimmt, und die unter anderem von Viktoria Besoke betreut wurde. Die Zuschauer, allen voran Arbeitsdirektor Sauer, sind mehr als angetan von der Simulation, die einzigartige Einblicke verschafft. Eingesetzt werden soll der Film in der Erstausbildung, allerdings ist das virtuelle Ergebnis so überzeugend ausgefallen, dass auch eine Nutzung in anderen Bereichen denkbar wäre. „Wir brauchten ein richtiges Drehbuch“, berichtet Viktoria Besoke Details über die Entstehung des Films.
„Haben Sie schon einen Job?“, fragt ein sichtlich beeindruckter Joachim Sauer die Absolventin, und es ist ihm offensichtlich ernst mit der Frage – Viktoria Besoke wird nach Studienende bei Airbus anfangen können, wenn sie denn möchte. „Ich möchte erst einmal meinen Master machen“, meint die junge Frau, die sich sichtlich geschmeichelt fühlt – aber offenbar auch genau weiß, was sie will. Beim anschließenden Gespräch über den neuen Imagefilm stehen wiederum die Auszubildenden auf der Agenda. Die Hochschule hat den 20-Minüter für das Luftfahrt-Unternehmen nicht zuletzt deshalb gedreht, damit sich Airbus als attraktiver Ausbildungsbetrieb vorstellen kann. Der Clou: Die derzeitigen Airbus-Azubis und -Studenten sind die Hauptdarsteller des Films, der an diesem Tag Premiere feiert. „Wir wollten keinen langweiligen Lehrfilm machen“, sagt Dieter Dreher von der Hochschule. Deutlich wird auch, dass es dem Unternehmen mit der Anhebung der Frauenquote bei den Azubis – derzeit noch 13 Prozent, auf absehbare Zeit sollen es 20 Prozent werden – durchaus ernst ist. Außerdem wird das Ausbildungs-Konzept grundsätzlich nach Diversity-Gesichtspunkten überprüft. Ausbildung, da sind sich die Anwesenden zudem einig, solle sich künftig noch stärker am Arbeitsablauf orientieren.
„Der Film soll beispielsweise bei Assessment Centern gezeigt werden“, erklärt Jan Balcke, Ausbildungsleiter am Standort Hamburg. Auch Besuchergruppen sollen das Werk zu Gesicht bekommen, ob der Film ins Internet gestellt wird, wollen die Verantwortlichen noch diskutieren. Sauer ist mit Blick auf den gelungenen Film zufrieden. „Wir sollten überprüfen, wie wir die Zusammenarbeit mit der Hochschule weiter intensivieren können“, meint er angesichts der vorliegenden Ergebnisse.
„Habe ich da Zeit?“
Anschließend trifft sich der Airbus-Personaler zur Bürobesprechung mit seinen Mitarbeiterinnen. Eine wahre E-Mail- und Nachrichten-Flut prasselt auf Sauer ein, abwechselnd decken die beiden Frauen den Personaler mit Informationen ein, von Einladungen zu Podiumsdiskussionen über solche zu internen Besprechungen bis hin zu einer Fußball-Expertenrunde des HSV („Absagen.“). Absagen muss er auch eine Anfrage, ob er bei einer – durchaus interessanten – Veranstaltung als Keynote Speaker auftreten kann – „an dem gleichen Tag ist Betriebsversammlung, das ist natürlich nicht möglich.“ Für einen langjährigen Mitarbeiter, der seit 40 Jahren im Unternehmen ist, unterschreibt der Personaler eine Urkunde. Das ist natürlich nicht alles: „Außerdem veranstalten wir eine Party für den Kollegen“, sagt Sauer.

Interessiert verfolgt der Airbus-Arbeitsdirektor die Vorführung eines virtuellen „Rundfluges“ durch ein Flugzeug. Die Simulation soll in der Ausbildung eingesetzt werden.

Gruppenbild mit Flugzeug: In den Ausbildungswerkstätten stellt sich Sauer nebst einigen anderen Airbus-Kollegen sowie Vertretern der Hochschule Fresenius dem Fotografen.
„Habe ich da Zeit?“ fragt der Airbus-Arbeitsdirektor seine Mitarbeiterinnen immer wieder, wenn es um die Anfrage für bestimmte Termine geht – bei den vielen Themen, die Sauer auf der Agenda hat, halten ihm die beiden Frauen den Rücken frei.
Zähes Ringen führt zum Erfolg
In seinem Büro erzählt Sauer anschließend von der unlängst gelungenen Einigung beim Thema „Zukunftstarifvertrag“. Bis 2020 will Airbus auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten. Außerdem bleiben die vier Standorte Bremen, Buxtehude, Hamburg und Stade in vollem Umfang erhalten.
Umsonst gab es diese Zugeständnisse allerdings nicht: Im Gegenzug soll die Produktivität deutlich erhöht werden. Der nach zähem Ringen ausgehandelte Vertrag sieht zudem vor, die Zeitarbeitsquote bei Airbus schrittweise von 22 auf 15 Prozent zu reduzieren. Airbus kann den neuen Tarifvertrag frühestens 2016 kündigen. „Das war eine schwere Geburt“, sagt der Personaler. Ende September waren zunächst die monatelangen Gespräche unterbrochen worden. Anfang Oktober traten gut 11 000 der 16 000 deutschen Airbus-Beschäftigten in einen Warnstreik. „Der Arbeitnehmerseite war zunächst nicht klar, was sie eigentlich wollte“, meint Sauer mit Blick auf die Gewerkschaften. Die sogenannte „Katastrophenklausel“, die den Ausstieg aus der Vereinbarung bedeuten würde, will man jedenfalls nur dann geltend machen, „wenn es zu einem totalen Zusammenbruch des Marktes kommt“.
Gefragt nach seiner Vorstellung zur grundsätzlichen Ausrichtung von HR offenbart Sauer klare Vorstellungen. „HR muss mit der Unternehmensstrategie verbunden werden. Es muss eine Metamorphose hin zur businesstreibenden Funktion geben“, fordert er. Er wird noch deutlicher: „Es wird einfach immer noch zu viel gequasselt und zu wenig gemacht.“ Für die optimale Organisation des HR-Bereichs ist nach Einschätzung von Sauer eine ausgeglichene Verteilung der Geschlechter ein Schlüsselfaktor. „Gemischte Teams sind besonders leistungsstark, das gilt in allen Unternehmensbereichen“, sagt der Arbeitsdirektor. Generell sollen Frauen nach dem Willen von Joachim Sauer trotzdem eine größere Rolle bei Airbus spielen. „Wir haben eine Frauenquote für die Einstellung der Auszubildenden eingeführt. Das halte ich für sehr sinnvoll. In Hamburg haben wir einen Anteil von derzeit 13 Prozent und wollen im nächsten Jahr 20 Prozent erreichen.“
Dass er ein Mann der klaren Worte ist, zeigt sich auch in seiner Einstellung zum Thema „Burnout“. „Der Begriff ist viel zu unpräzise. Oft liegt vielmehr ein Boreout vor, weil die Aufgabenstellung der Mitarbeiter viel zu ungenau ist.“
Business-Lunch im Erzieherinnen-Zimmer
Es ist Mittagszeit, doch anstatt Kantine oder gar Führungskräfte-Kasino (das es in dieser Form bei Airbus gar nicht gibt) steht für Joachim Sauer ein Essen in der Airbus-Kindertagesstätte „Beluga“ auf dem Programm – Geflügel, Gemüse und Reis, kindgerecht zubereitet und genau das gleiche Essen, das auch die Airbus-Knirpse serviert bekommen.
In der Kita hat der HRler einen Termin mit Patrick Frede von der berufundfamilie Service GmbH. Es geht um eine Zertifizierung „audit berufundfamilie“ der Einrichtung. Schirmherren des berufundfamilie-Auditierungsprojektes sind Familienministerin Kristina Schröder und Wirtschaftsminister Philipp Rösler. Frede scheint angesichts des Gesehenen zufrieden, und auch Sauer findet im Gespräch mit Kita-Leiterin Martina Hirth viel Lob.
Wie viele andere Arbeitgeber hat auch Airbus die Zeichen der Zeit erkannt und entwickelt Angebote, die unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange die Beschäftigten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützen. Berufundfamilie begleitet Airbus bei diesem Prozess und unterstützt das Unternehmen „mittel- und langfristig auf seinem Weg zu einer familienbewussten Personalpolitik“. Da wundert es wenig, dass sich Airbus auch das Thema „Führen in Teilzeit“ auf die Fahnen geschrieben hat, wie Joachim Sauer erklärt. „Wenn ich weiß, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter trotzdem gute Arbeit leistet, warum soll ich ihm oder ihr eine solche Arbeitsmöglichkeit nicht bieten?“, fragt er.
Die Airbus Deutschland GmbH hat bereits 2003 für ihre Beschäftigten am Standort Hamburg die Betriebskita „Beluga“ eingerichtet. Natürlich hat in der Tagesstätte eines international tätigen High Tech-Unternehmens die spielerische Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlich-technischen Themen einen hohen Stellenwert, und es überrascht auch nicht, dass überall gemalte, gebaute oder gebastelte Flugzeuge zu sehen sind. „Manche Kinder erkennen die Flugzeuge sogar beim Starten oder Landen“, erzählt Martina Hirth.
Zufriedene HRler – zufriedene Kunden?
In großer Personaler-Runde diskutiert Sauer am frühen Nachmittag das Thema „HR-Kundenfeedback“ im Boardroom des Unternehmens. Die jungen HRler – überwiegend Frauen – wollen dem Arbeitsdirektor ein Projekt zu diesem Thema vorstellen. Insgesamt zehn Ideen wurden in den vergangenen Monaten diskutiert und abgewogen. Die drei Top-Vorschläge werden an diesem Tag vorgestellt. Los geht es mit der „HR-Frage des Monats“, die allen Mitarbeitern gestellt werden soll. Ebenfalls auf der Diskussions-Agenda: ein noch zu definierender Feedback-Prozess sowie ein Feedback-Symposium. Der Arbeitsdirektor ist interessiert, scheint aber noch nicht überzeugt von den vorgestellten Konzepten.
„Können Sie das vielleicht in ein, zwei Sätzen präzisieren?“, fragt Sauer. Er empfiehlt: „Entwerfen Sie eine Job description, diskutieren Sie Meilensteine und überlegen Sie, welche Projekte Sie konkret bearbeiten wollen. „Wenn Sie nicht präzise sind, besteht die Gefahr, dass es hinterher wieder heißt: typisch HR“, mahnt er. Immerhin, einen kleinen Erfolg hat die Gruppe auch bei Sauer erreicht, der verspricht: „Wenn Sie mir ein überzeugendes Konzept präsentieren, bin ich gerne Ihr Sponsor.“ Ein Satz, der auch als Motto über dem Führungsstil von Joachim Sauer stehen könnte: Wenn Argumente und Qualität stimmen, hat man den Airbus-Personaler auf seiner Seite.
Autor
Sven Frost
- Inhalt Personalwirtschaft 04/2012
- Vernunft und Verstand
- Ein Mann, ein Wort
- Motivation oder Manipulation?
- Hey Pille, wieviel verdient eigentlich Captain Kirk?
- Ziele setzen ist nicht schwer, Anreize dagegen sehr
- „Wer für Geld kommt, geht auch für Geld“
- Sprung ins kalte Wasser
- Herausfordernder Balanceakt
- Verantwortung endet nicht bei der Kündigung
- (Neu-)Positionierung von Executives
- Personalabbau ohne Kündigungen
- Einfach wie eine Buchbestellung
- Fan sein – Fan werden
- Auf dem Weg zu einer Compliance-Kultur
- Gut geschult ist halb gewonnen
- E-Mail? Nein, danke!
- Eine Hand wäscht die andere
- „Wir sind eng am Markt“