Ausgabe 4 - 2013
Ein Evolutionär im Einsatz

Der Pharma- und Chemiekonzern Merck durchläuft gerade ein globales Effizienzsteigerungsprogramm. Was das für den Personalbereich bedeutet, erfahren wir von Piotr Bednarczuk, Leiter Corporate HR. Wir haben seine Arbeit am Darmstädter Hauptsitz einen Tag lang begleitet.
Ich soll mich verändern? Jetzt? Warum nicht ein bisschen später?“, fragt der Sauropode angesichts des gewaltigen Vulkanausbruchs gleich hinter ihm. Auf der Zeichnung, die im Büro von Dr. Piotr Bednarczuk hängt, wird er zuvor von einem Vogel aufgefordert, sich Flügel wachsen zu lassen. „Das Bild ist einige Jahre alt und stammt von einem Schnellzeichner, der so die Ergebnisse eines Strategie-Workshops festgehalten hat“, erläutert der Leiter Corporate HR, der ebenfalls für die Business-Partner-Organisation für die Zentralfunktionen der Merck-Gruppe zuständig ist.
Nun wird sich der Pharma- und Chemiekonzern mit seinen weltweit rund 39 000 Mitarbeitern ungern als Dinosaurier bezeichnen lassen, auch wenn er nicht ohne Stolz seine Wurzeln in das Jahr 1668 datiert. Aber auch er sieht sich einem Veränderungsdruck ausgesetzt, der im September vergangenen Jahres zur Ankündigung führte, bis Ende 2015 rund zehn Prozent der 10 900 Stellen in Deutschland über ein Freiwilligenprogramm oder Altersteilzeit abzubauen. „Wir wollen Merck in Deutschland so aufstellen, dass das Unternehmen für künftige Herausforderungen gewappnet ist“, sagte Kai Beckmann, Mitglied der Geschäftsleitung und unter anderem für Personal und IT zuständig, damals. Der dazugehörige Fahrplan heißt „Fit für 2018“ und zielt auf eine Erhöhung der Profitabilität und die Fokussierung auf Kernaktivitäten ab.
Globale Geschäfte brauchen globale Strukturen
Der Fahrplan bedeutet nicht nur Arbeit für die Personalabteilung, er betrifft sie auch. Bednarczuk, der im Oktober 2011 von Aon Hewitt nach Darmstadt wechselte, leitet gerade die globale Reorganisation des Personalbereichs. Der umfasst weltweit über 850 Köpfe, von denen circa 450 zum Bereich Bednarczuks gehören. Um zur Zielstruktur, einer konsequenten internationalen Umsetzung des Drei-Säulen-Modells (bestehend aus Corporate HR, den Business-Partner-Organisationen und HR Services), zu gelangen, wurde der Personalbereich bereits 2012 kräftig auf den Kopf gestellt – inklusive Assessments der HR-Mitarbeiter, um Positionen gemäß den Stärken neu zuzuteilen. „Mittlerweile sind rund 72 Prozent der Merck-Belegschaft außerhalb Deutschlands beschäftigt. Aus diesem Grund ist es nötig, den Personalbereich global aufzustellen, um den veränderten Bedürfnissen unserer globalen Geschäfte – sowohl in der Pharma als auch in der Chemie – gerecht zu werden“, sagt Bednarczuk. Wie es HR bei Merck gerade gelingt, gleichzeitig an sich selbst zu arbeiten und das globale Effizienzprogramm des Konzerns zu begleiten, wurde deutlich, als die Personalwirtschaft Bednarczuk Ende 2012 durch einen vom Thema „Change“ bestimmten Tag begleitete.
Neues Manager Dashboard
Der Tag begann um 9.00 Uhr mit dem Jour fixe mit Miriam Tolksdorf, die das Center of Expertise (kurz: CoE) „Strategy and Organizational Effectiveness“ leitet. Mit ihr bespricht Bednarczuk zunächst eine anstehende Präsentation vor der Geschäftsleitung. Er gibt Hinweise zu den Inhalten: „Bei den Fluktuationsquoten in den Emerging Markets sollten wir eine genaue Analyse machen und aufzeigen, wo jeweils der kritische Punkt liegt. Auch beim Thema Demografie helfen uns globale Durchschnittszahlen nicht weiter.“ Nächstes Thema ist das geplante Manager Dashboard, das ausgewählte HR KPIs auch dem Linienmanagement zugänglich machen soll. Tolksdorf regt die Freischaltung lediglich der für Linienmanager relevanten KPIs an. „Etwas nicht freischalten heißt nicht, auf Transparenz zu verzichten. Die KPIs sollen relevant für Linienmanager sein.“ Dem stimmt Bednarzcuk zu und kreuzt Themenbereiche an, die Linienvorgesetzte nicht unmittelbar interessieren.
Wenig später sitzt der Leiter Corporate HR mit Yvonne Albert zusammen, Leiterin des CoE „Strategic Talent & Performance“. Die Prozesse Talent und Performance waren bis vor Kurzem getrennt – heute sind sie auf einer neuen IT-Basis zusammengeführt. Um den neu gestalteten Prozess global auszurollen, bilden Albert und ihre Kollegen momentan in Darmstadt sogenannte „Process Champions“ aus. „Die Process Champions trainieren im Anschluss die Business-Partner vor Ort und die wiederum ihre Linienmanager“, erklärt Albert. Merck unternimmt in diesem Zusammenhang erste Schritte bei der Verknüpfung von Performance und Compensation. Albert: „Der Prozess und das Tool sind gut, aber wir sollten den Kollegen noch einmal den strategischen Hintergrund erläutern.“ Was Bednarczuk für das kommende Meeting zusagt.

Piotr Bednarczuk tauscht sich mit Yvonne Albert über die Verknüpfung der Prozesse Talent und Performance aus.
Die Familie im Blick
Wie sehr zum Zeitpunkt des Ortstermins die Personalabteilung von Merck einer Baustelle glich, wird beim Treffen mit Thomas Klement deutlich. Dessen CoE „Labor & Employability“ war gerade erst vor zwei Monaten aus der Taufe gehoben worden. „Wir sind noch in der Findungsphase“, sagt Klement, dessen erstes Handlungsfeld das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ ist. „Merck verfügt bereits über fragmentierte Angebote. Unser Ziel ist es, das Portfolio zu optimieren und einen adäquaten Rahmen zu schaffen.“ Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, Haus und Garten sind für ihn Felder, auf denen Mitarbeitern Unterstützung geboten werden sollte. Dabei sollen externe Anbieter Unterstützung leisten. Bednarczuk: „Für die Auswahl müssen wir kein Sounding Board einberufen. Es sollte aber jemand aus der Linie mitreden, der idealerweise selbst Familie und Beruf vereinbaren muss.“
Das Gespräch kommt auch auf die wachsende Internationalität des Konzerns. „Diversity- und Mobilitätsaspekte gewinnen an Bedeutung. Wir haben zunehmend gemischte Teams und häufigere Auslandsentsendungen“, erläutert Klement. Was das in der Praxis bedeutet, skizziert Bednarczuk: „Wir müssen beispielsweise unsere Relocation-Prozesse unter die Lupe nehmen. Wir sollten über eine engere Einbindung der HR Business Partner in die Betreuung der Transferees nachdenken.“
Doppelte Aufgabe für die Business-Partner
Bis jetzt fanden alle Termine in Piotr Bednarczuks Büro statt. Das bleibt auch für das Mittagessen so, das am Besprechungstisch gereicht wird, an dem jetzt Barbara Weiland sitzt. Als HR Business Partner, zuständig für die Zentralfunktionen von Merck, hatte sie eine zentrale Rolle bei der Neuausrichtung des Personalbereichs. „Alle müssen sich momentan neu aufstellen. Wir als Business Partner mussten dabei gleichzeitig unsere Kunden unterstützen und unsere eigenen Teams neu aufstellen“, verdeutlicht Weiland die Herausforderung. „Der Vorteil bei Merck ist, dass das Business Partner-Modell bereits etabliert und von der Linie nachgefragt ist. Jetzt müssen wir die Leistungen konsequent auf die Anforderungen im internationalen Umfeld ausrichten“, ergänzt Bednarczuk. Für ihn birgt die Entwicklung Chancen und Pflichten: „HR wird gerade jetzt zum strategischen Partner. Das gilt für alle drei Säulen - auch für HR Services, da es sehr wichtig ist, dass unsere Dienstleistungen skalierbar sind.“ Die wachsenden Anforderungen erforderten es auch, für Kooperation und Dialog über die Säulen hinweg zu sorgen, im Sinne eines einheitlichen Auftritts und eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Auch wenn bewusst noch nicht für alle Positionen Stellenbeschreibungen ausformuliert sind – davon, was einen guten Business-Partner ausmacht, hat Barbara Weiland eine grundsätzliche Vorstellung: „Der Business Partner ist so etwas wie der Außendienst des Personalbereichs. Er muss den Mut haben, sich zu stellen und zu diskutieren. Nicht unter Berufung auf Corporate Governance, sondern auf Expertise und Lösungsorientierung.“
Einheitliche Prozesse
Nach dem Mittagessen kommt noch einmal CoE-Leiterin Miriam Tolksdorf zum Gespräch. Diesmal mit Elisa Diess, die am zweijährigen Graduate Program von Merck teilnimmt und gerade in Tolksdorfs Bereich arbeitet. Zuerst sprechen die drei über die neue, einheitliche Prozesslandschaft, die demnächst für alle CoEs etabliert werden soll. Zur weiteren Vereinheitlichung der HR-Unterstützung soll die Entwicklung einer „Transformation Toolbox“ beitragen. „Ziel ist es, den Business-Partnern einen Instrumentenkasten an die Hand zu geben, mit dem sie auf verschiedene Arten von Veränderungen reagieren können – von M&A über Spin-offs bis hin zu Umstrukturierungen“, erklärt Tolksdorf. Diess hat bereits einen Entwurf für „M&A Basic Tools“ erstellt, der auf Zustimmung stößt.

Miriam Tolksdorf (r.) und Elisa Diess stellen Bednarczuk erste Vorschläge für eine „Transformation Toolbox“ vor.
Zum Schluss geht es um die weitere Entwicklungsstation von Elisa Diess. Bednarczuk möchte sie in einer Business Partner-Rolle ausprobieren und verspricht zudem, für die Nachwuchskraft eine fordernde Auslandsstation zu suchen.
Bednarczuks Werdegang
Zumindest die ausländischen Hauptstandorte besuchte auch Bednarczuk bis vor Kurzem monatlich. „Ich finde es wichtig, im Zuge des Umbaus auch den lokalen Blickwinkel zu kennen und nicht nur aus der Ferne nach Zahlen, Daten, Fakten zu entscheiden“, so seine Begründung. Den nordamerikanischen und asiatischen Blickwinkel kannte er aber auch schon aus seiner Zeit bei Aon Hewitt. Für die HR-Beratung arbeitete der 50-Jährige 2010 und 2011 in Shanghai als Senior Vice President Organization Practice. Zuvor war er für drei Jahre als Global Leader for Corporate Transaction and Transformation für (damals noch) Hewitt Associates in Chicago – seiner Geburtsstadt. Zu dieser Zeit entstanden auch die ersten Kontakte zum Unternehmen Merck, für das er beratend tätig war. Nach seinem BWL-Studium und der Promotion im Bereich Marketing in Köln hatte Bednarczuk seine berufliche Laufbahn bei der Lufthansa Consulting begonnen. „Mir kommt heute noch zugute, dass ich auf allen Stationen nie reine Beratung gemacht habe, sondern immer auch die Implementierung von Lösungen und die daraus folgenden Change-Prozesse begleitet habe“, sagt er.
Große HR-Runde
International und in großer Runde geht es weiter. Bednarczuk lädt zum HR Meeting im Konferenzraum. Mit am Tisch sitzen HR-Manager aus aller Welt: Juliana Bailone (HR BP Brasilien), Miriam Tolksdorf, Nuria Serra (HR-Manager Mexiko), Matthias Bürk (Leiter CoE Total Rewards), Jennifer O'Lear (Leiterin CoE Development & Engagement), Tom Klement, Barbara Weiland, Carolle Müller (Global HR Office) und Frank Joseph (Leiter HR Dtl. Employment Policies). Via Video-Konferenz ist Megan Wherry, Global HR-Business-Partner Chemie, aus Boston (USA) zugeschaltet.
Ganz oben auf der Agenda heute: der neue Performance Management-Ansatz, den Matthias Bürk präsentiert. „Ziel ist unter anderem, die Höhe der Vergütung künftig noch stärker an die individuelle Leistung zu koppeln“, erklärt Bürk. Am Ende des Tages erhofft sich Merck durch die strikteren Vergütungsregelungen einen weiteren Beitrag zum globalen Effizienzsteigerungsprogramm.

Große HR-Runde zum neuen Performance Management-Ansatz: Personalchef Piotr Bednarczuk sitzt mit HR-Managern aus aller Welt zusammen und diskutiert die Ideen.
Gleichzeitig entwickelt der Konzern sein Global Grading-System weiter, unter anderem, um Vergütung und Recruiting positionsorientierter gestalten zu können. Weitere Themen der HR-Runde sind standardisierte Jobprofile, Anpassungen im Tarifbereich, die Abwesenheitsverwaltung und die Einführung einer cloudbasierten Talent Management-Lösung, die das bislang zur Anwendung und mittlerweile in die Jahre gekommene System ablösen soll. Berührungsängste gegenüber der Technologie, die beispielsweise in den USA weit verbreitet ist, gibt es nicht. „Außer dem Bereich Learning haben wir alle wiederkehrenden HR-Prozesse wie Talent, Performance, Compensation et cetera in die Cloud verlagert“, sagt Bednarczuk. Damit unterscheidet sich Merck von weiten Teilen der deutschen Wirtschaft, die aufgrund ihrer bisherigen Skepsis zumindest aus Sicht vieler Cloud-Anbieter so etwas wie ein Dinosaurier sein dürfte.
Autor
Alexander Kolberg
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