Ausgabe 4 - 2014
Die soziale Ader pulsiert
Elektronik- und Pharma-Konzerne, aber auch mittelständische Automobilzulieferer: Sie alle suchen nach Fachkräften, um die sich allerdings auch attraktive Konzerne streiten. Neuester Trend, um genauso interessant zu werden, heißt Social Recruiting und basiert auf dem Weiterempfehlen von Jobs innerhalb der persönlichen Netzwerke.
Bröckelndes Image, aufwendige Suche und mangelhafte Ansprache neuer Bewerber, sowie Probleme beim Erneuern der internen Strukturen für das Binden der Mitarbeiter: Beim Schärfen des Firmenprofils stellen sich die Herausforderungen für Personaler und Unternehmer vielfältig dar. Bei jeder Firma sehen Lösungen dafür anders aus, sagt Skillsoft-Europa-Chef Stefan Janssen: „Anwendungen à la Sharepoint Server sorgen etwa bei den Software-Entwicklern von Easysoft für mehr Transparenz. Ganz konsequent, egal ob es den Workflow, Umsätze oder Best Practice-Beispiele betrifft.“ Und ergonomisch sowie farblich ansprechend gestaltete Räume mit Steh- und Diskussionsarbeitsplätzen finden sich inklusive Sofaecke oder Tischkicker in Fraunhofer-Instituten oder beim Spielehersteller Game Duell.
„Diese Firmen haben lange ihre internen Strukturen erneuert, denn einfach nur oberflächlich umgestalten zieht keinen intelligenten Mitarbeiter an“, weiß Hans Sieder. Der Erfinder einer Social Scouting-Plattform namens Whistlernetwork ist selbst Chef von 20 ITlern. „Zuerst geht es um Methoden, damit der Startup-Gedanke auch in großen Konzernen erhalten bleibt und dadurch auch andere Intrapreneure anzieht als nur Menschen, die lediglich ein unbedeutendes Rädchen im Getriebe sein wollen“, erklärt der ehemalige IBMler. Als Plattformbetreiber für internes und externes Recruiting spricht er regelmäßig mit Personalern über ihre Herausforderungen und neue Lösungsansätze.
Zukunftsfähig: die Suche nach Innovation
Als der Medieninformatiker für seine Firma lange auf der Suche nach gutem Nachwuchs war, erkannte er mit der Zeit immer deutlicher, wie er sein Unternehmen erneuern kann und wie die Kanäle aussehen, um Top-Mitarbeiter zu erreichen. „Eine innovative, junge Firma bleiben wir nur, wenn wir neben Projekt-Teamarbeit vor allem eine lebendige Community haben“, sagt der 36-Jährige. Diese bauen Unternehmen seiner Meinung nach durch starke interne Kommunikation sowie Alleinstellungsmerkmale auf. Sieder etwa bietet unter anderem Yoga am Freitagnachmittag an. „Neben Wellness- und Sportangeboten sind auch Regelungen zur Familienfreundlichkeit gute Beispiele“, fügt er an. Doch der eigentliche Schlüssel sei eine Haltung, die von Emotionen geprägt ist. Dass familiäre Gefühle im Betrieb mit der sachlichen Ebene der Arbeit verschwimmen, könne bei Konflikten schwierig werden, doch die Gradwanderung zahle sich seiner Erfahrung nach aus.
Mehr Nähe: das Social Media-Prinzip
Der Frankfurter ist überzeugt, dass es die Kanäle und Prinzipien von Apps und Social Media-Plattformen sind, die hürdenlos am ehesten den Geschmack von vielen jungen Erwachsenen treffen. „So aktivieren wir etwa mit unserer 2012 gestarteten Plattform Whistlernetwork.com persönliche Netzwerke“, erklärt Sieder. Das nennt er Social- und Crowd-Scouting. „Denn seinen Freunden hilft jeder uneigennützig und trifft die passende Vorauswahl, was berufliche Anforderungen, aber auch Unternehmenskultur angeht“, erklärt er. Konkret funktioniert es so: Auf Whistler lassen sich Suchanzeigen für Jobs und Immobilien schalten. Hinter jedem Gesuch ist ein Finderlohn ab 300 Euro hinterlegt. Die Community von Whistler twittert, mailt oder postet über verschiedene Apps etwa das Jobangebot eines Software-Testingenieurs an die persönlichen Netzwerke und jeder, der mit seinem Klick zum erfolgreichen Bewerber führt, bekommt seinen Anteil am Finderlohn. Sobald der neue Mitarbeiter eingestellt ist, zahlt das Unternehmen, das beispielsweise 1200 Euro Finderlohn dafür ausgeschrieben hat, 30 Prozent als Plattformgebühr zusätzlich. Das heißt, der volle Finderlohn geht an die Finderlohnkette, die Plattformgebühr an Whistler.
Als diskutierfreudiger Kanal soll Whistler Mitarbeiter anziehen, die sich mit einer Firma identifizieren wollen. „Über Headhunter dagegen finden sich vor allem Leute, bei denen Karriere und Geld im Vordergrund stehen“, sagt er. Sieder selbst hatte bereits mehrfach die Erfahrung gemacht, dass über Headhunter gekommene Mitarbeiter kurz nach der Vermittlung wieder vom selben abgeworben wurden.
Zahlen nur im Erfolgsfall
Bei einer Steuerberatungsgesellschaft in Bad Homburg hat das Instrument funktioniert: Fünf Wochen, nachdem Ute Keßler eine Stellenanzeige dort eingestellt hatte, meldete sich eine junge Frau. „Ihre Bewerbung entsprach unseren Vorstellungen und sie setzte sich sofort durch. Wir hatten diese Stelle auch auf anderen Portalen ausgeschrieben“, erzählt der Vorstand der Vedder Knoll AG. „Wir haben Whistler fest in unser Recruiting eingebaut, denn das Konzept, nur im Erfolgsfall zu zahlen, überzeugt uns“, sagt die 45-Jährige. Seitdem die Plattform im Mai 2013 online ging, wurde bereits ein Finderlohn-Volumen von 135 000 Euro angeboten. Pro Monat empfehlen Nutzer die Stellenanzeigen rund 670 Mal weiter. In 75 Prozent der Fälle kommt der Bewerbungsprozess in Gang.
Neben Whistlernetwork.com findet sich noch eine ähnliche, deutschsprachige Plattform im Netz, die allerdings ohne Finderlohnkette arbeitet. Hier kostet das Inserieren eines Jobs von Anfang an: Beim Münchner Unternehmen Crowdhunter.de zahlen Unternehmen für das Aufgeben einer Stellenanzeige zwischen 99 und 449 Euro. Hinzu kommt dann jeweils noch die ausgeschriebene Prämie, die nur derjenige erhält, der am Ende der Kette den Job vermittelt.
Auch als firmeninterne Anwendung
Zwei Unternehmen, darunter Bayer, verwenden die Social Recruiting-Plattform von Whistler rein intern auf ihrem Firmen-Browser. Auf diese Lösung hat sich auch die Münchner Firma Talentry fokussiert. „In den drei Unternehmen, die dieses Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Prinzip über eine Online-Finderlohn-Kette verwenden, haben bereits ein Viertel der Beschäftigten neue Stellen weiterempfohlen“, sagt Talentry-Geschäftsführer Carl Hoffmann.
Warum das Instrument in Betrieben so gut ankommt, begründet der Berater Jörg Knoblauch: „Bekannte und Freunde, die eine ausgeschriebene Stelle fachlich einschätzen können, transportieren auch die ganz konkreten Alleinstellungsmerkmale der Firma mit.“ Das reduziert die Schwelle, Jobs weiterzuempfehlen. Knoblauch selbst berät Firmen, die zunächst ihre Mitarbeiter über offene Stellen informieren, in der oft berechtigten Hoffnung, dass sie Bekannte mit passender fachlicher Qualifikation anwerben. „Das Netzwerk-Prinzip ist so alt wie die Menschheit, doch die technischen Möglichkeiten heben es auf eine neue Ebene“, sagt der Bestsellerautor.
So laufen im Hintergrund der Plattformen komplexe Algorithmen. Diese vergleichen etwa die Schlüsselworte der Stellenanzeige mit Inhalten aus dem Xing-Profil anderer Mitarbeiter und deren Kontakte. À la Amazon schlägt das Programm den Usern direkt passende Bewerber für Stellen vor. Doch der Algorithmus erkennt nicht, wie gut sich User und seine Xing-Kontakte kennen. Ein Gehirn ersetzt er also doch nicht.
Querdenken: der Rollentausch
Doch das beste Instrument nützt nichts, wenn das Firmenimage bröckelt. Für Hans Sieder ist der erste Schritt deshalb, den Bewerbern im Gespräch das Wertegerüst der Firma zu zeigen: „Diese Leute wollen in ihrer Persönlichkeit wachsen. Und ich bin überzeugt, dass sie sich nur begeistern lassen, wenn der Personaler oder Chef in seiner Persönlichkeit selbst bereits so interessant ist, dass man von ihm lernen will“, so der Netzwerker. Viele Personaler zeigten den jungen Leuten noch zu wenig, wie begeistert der Geschäftsführer oder Personaler von ihnen ist und dass auch sie von ihnen lernen wollen. Wechselseitiges Nehmen und Geben sollte ausgeglichen sein. Die Noventum GmbH etwa bewirbt sich mit einer klassischen Mappe bei ihrem Nachwuchs, den sie auch über Whistler sucht. Verkehrte Welt? Nein, die Zeichen der Zeit erkannt.
Autorin
Daniela Reichart, freie Journalistin, Salach
- Baubude oder Architekturbüro?
- Eine Idee, deren Zeit noch nicht gekommen ist
- Messe bekommt mehr hanseatisches Flair
- Wo Spinnereien strikt erlaubt sind
- Gewinne, Gewinne, Gewinne!
- Zwischen Utopia und Untergang
- „Der kritische Faktor wird sein, einen Sinn in der Arbeit zu finden und zu vermi...
- Business Partner – Mode oder Zukunftsmodell?
- Nichts dem Zufall überlassen
- Wieder auf Erfolgskurs
- Von Konsequenz profitieren alle
- Traumrolle Chef – mehr als tägliches Theater
- Altersvorsorge auch für Geringverdiener
- Zusatzversicherung erwünscht
- Chinesische Mitarbeiter ans Unternehmen binden?
- Fit für den internationalen Einsatz
- Nicht nur die Traumkandidaten suchen
- PR-Leute in der Pflicht
- Strahlkraft für den Mittelstand
- Die soziale Ader pulsiert
- Lernen auf Augenhöhe
- Mythos Six Sigma
- Mehr Sicherheit für Personaler