Lernen auf Augenhöhe
Bei der Methode des „Peer Mentoring“ tauschen sich Manager verschiedener Unternehmen über Herausforderungen und Probleme in ihrem Arbeitsalltag aus. Dieses Konzept der kollegialen Beratung hat das Ziel, individuelles Erfahrungswissen auch anderen zugänglich zu machen und so den eigenen Horizont zu erweitern.
Wir erfahren in der Regel über Schule, Studium und Weiterbildung, wie Lernen funktioniert. Zudem eignen wir uns individuelle Methoden an, wie die Aufnahme von Wissen möglichst effizient gelingt. Das gilt auch für Manager, die in besonderem Maße gefordert sind, sich auf immer wieder neue und spezielle Situationen einzustellen und Lösungen für Problemstellungen zu finden. Dies erfordert eine ständige Erweiterung ihres Wissens- und Erfahrungsschatzes. Das Instrument „Peer Mentoring“ tritt in diesem Kontext immer häufiger auf den Plan. Unternehmen sehen darin für ihre Manager verstärkt eine innovative Möglichkeit, den eigenen Horizont zu erweitern und durch die Erfahrungen von Dritten zu lernen.
Kochrezepte scheitern an Unternehmensrealitäten
Gerald Hüther, Neurobiologe und Hirnforscher, hat geschrieben: „Alle Entscheidungen sind emotional. Entscheidungen ohne emotionale Komponente sind für unser Gehirn bedeutungslos.“ Damit beschreibt er sehr rational, wie Lernen stattfindet. Wir benötigen das „Compelling Event“, müssen also begeistert sein von dem, was wir erfahren, um es nachhaltig abrufen zu können. Als favorisiertes Rezept für die Weitergabe von guten respektive erfolgreichen Methoden galt noch vor Kurzem das BIC-Konzept (= Best in Class), weil es in bestimmten Unternehmenssituationen in einem bestimmten Umfeld mit bestimmten Bedingungen erfolgreich funktioniert hat. Trotz seiner Beliebtheit konnte das Prinzip jedoch nicht sein Versprechen garantieren, dass es auch bei der zweiten, dritten oder vierten Kopie beziehungsweise Anwendung in einer vergleichbaren Situation in einem anderen Unternehmen zur Lösung eines Problems beiträgt. Gleichzeitig investieren größere Unternehmen nach wie vor in kundenspezifische Management-Trainings, um ihre High Potentials in Management Tools und Case Studies zu trainieren. Doch bei all der gut gemeinten Theorie bleibt die praktische Umsetzung innerhalb der Komplexitäten des Alltagsgeschäfts häufig auf der Strecke.
Die Antwort auf das Warum ist dabei relativ simpel. Jede Unternehmenssituation ist abhängig von den individuellen Zusammenhängen aus internen und externen Rahmenbedingungen. Deshalb scheitern häufig „Best in Class“-Case Studies, die als Kochrezept exemplarisch in einem anderen Unternehmen eingeführt werden. Es geht dabei weniger um die Addition und Aneignung von Skills und Methoden, sondern vielmehr um die Bewältigung von integrativ bestimmten Herausforderungen im Unternehmenskontext.
Emotionale Komponente
Welche weiteren Möglichkeiten gibt es also stattdessen, einen Transfer von Lernen in das Managen von Problemen zu gewährleisten? Entscheidend wäre nach Gerald Hüther, dass Emotionen im Spiel sind. Hinsichtlich der Umsetzbarkeit sollte darüber hinaus ein Bezug zur Praxis bestehen, es braucht also die Nähe zum eigenen Thema. Das sogenannte Peer Mentoring greift diesen Aspekt explizit auf. Dabei werden individuelle Herausforderungen eines Managers innerhalb einer Gruppe erörtert, die sich auf vergleichbare Fälle aus der Vergangenheit stützt, die jeder Teilnehmer der Gruppe bereits bewältigen musste. Der gemeinschaftliche Erfahrungsaustausch soll mögliche Lösungsansätze aufzeigen. Durch diese Herangehensweise, den Fall durch die Gruppenmitglieder in der Funktion als kollegiale Berater zu bearbeiten, erhält der Fallgeber und Ratsuchende Hypothesen, Bilder und Sichtweisen, die die Perspektive auf seine Herausforderung erweitern. Er selbst entscheidet schließlich aus der Reflexion der vermittelten Gedankenanstöße und Lösungsansätze der Gruppenmitglieder, welcher Ansatz für die Lösung seines Problems nützlich ist.
Auch größere Firmen nutzen dieses Instrument bereits. Unternehmen wie Bosch, Siemens Hausgeräte, Munich RE und BMW haben sich zusammengeschlossen, um ihren Potenzialträgern in den Führungsetagen die Teilnahme an kollegialen Beratungen zu ermöglichen. Für sie zählt insbesondere der Mehrwert an Vernetzung. Denn Peer Mentoring meint, Erfahrungen im Management und im Lösen von Problemen durch unterschiedliche Brillen zu sehen, was im eigenen Business-Umfeld viel zu selten oder überhaupt nicht geschieht.
Peer Mentoring setzt sich aus den beiden Begriffen „Peer“ (=Kollege) und „Mentor“ (=Berater) zusammen und ist der griechischen Mythologie entlehnt: Odysseus bat seinen Freund Mentor, seinen Sohn während seiner vielen Reisen auf seinem Lebensweg zu begleiten, ihn zu unterstützen und praktisch als Vaterfigur mit Rat und Tat beiseite zu stehen. In den 80er-Jahren erreichte der Begriff „Mentoring“ Europa und steht fortan auch bei uns für die Beziehung zwischen einem Mentor und einem Mentee. Dabei unterstützt der Mentor seinen Mentee durch seine Erfahrungen und sein Wissen bei der Lösung von Herausforderungen und der Realisierung von Plänen.
Rat und Tat auf Augenhöhe
Entscheidend ist in diesem Kontext die Prämisse, dass der Mentor nie eine Musterlösung für seinen Schützling vorgibt. Von der Bedeutung her meint Mentoring nicht die Vorgabe von Musterlösungen, sondern vielmehr die Begleitung des Mentees und das Hinweisen auf unterschiedliche Betrachtungsweisen. Der Mentee wird zur Eigenständigkeit erzogen und soll seinen favorisierten und für ihn als ideal erscheinenden Weg herausfinden. Im Rahmen von Peer Mentoring – im Deutschen häufig übersetzt mit „Kollegiale Beratung“ – lernen die Peers, also eine homogene und sich auf gegenseitiger Augenhöhe befindende Gruppe von Managern, wie sich ähnelnde beziehungsweise vergleichbare Themen und Probleme durch verschiedene Hypothesen und Lösungsansätze different angegangen werden können. Ziel dieser Methodik im Anwendungsgebiet Wirtschaft ist es, das Erfahrungswissen aus verschiedenen Unternehmen, das zum Beispiel in Projekten gewonnen wurde, für die individuelle Entwicklung eines Managers nutzbar zu machen.
Top-down ist nicht mehr angesagt
Die Popularität des Instruments geht einher mit den Veränderungen in unserer Berufswelt. Die Anforderungen an die Kompetenz einer Führungskraft sind erheblich gestiegen. Zeitliche Veränderungen am Markt und im internen und externen Umfeld einer Organisation erfordern nicht nur Know-how, sondern vor allem rollen- und kontextspezifisches Können. Gleichzeitig erodiert die Glaubwürdigkeit und Effektivität eines Führungsstils, der auf Belehrungen eines Wissenden basiert, durch die zunehmende Komplexität von Einflussfaktoren in unserer Arbeitswelt. Es hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass Lernen durch die persönliche Einsicht entsteht, dass etwas sinnvoll erscheint. Ohne ein emotionales Event im Gehirn findet Lernen folglich nicht statt.
Das Verstehen und die Überzeugung hinsichtlich möglicher Herangehensweisen sind vor allem durch glaubwürdige Beiträge von Managern auf Augenhöhe möglich. Keiner von ihnen hat ein Patentrezept für eine diskutierte Fallsituation, sondern bringt seine persönlichen Erfahrungen ein, die gemeinsam betrachtet und hinterfragt werden. Dieser Austausch begünstigt normalerweise eine vertrauensvolle Lernkultur, die die Teilnehmer zusätzlich motiviert, ihr Wissen gegenseitig zur Verfügung zu stellen und für das eigene Lernen zu nutzen.
Potenziale und Grenzen von Peer Mentoring
Peer Mentoring wird verstärkt für fachübergreifende Themen eingesetzt. Im Fokus stehen dabei Herausforderungen in Managementsituationen, die jeder Teilnehmer unabhängig von seiner Spezialisierung im Kontext seiner Managementfunktion als Führungskraft nachvollziehen kann beziehungsweise selbst bereits in verschiedenen Situationen erlebt hat. Es handelt sich dabei um eine strukturierte Form von lösungs- und ressourcenorientiertem Lernen, bei der die Teilnehmer in dreifacher Hinsicht profitieren:
- a)
Peer Mentoring bietet für die Teilnehmer einen unmittelbaren Nutzen durch konkrete, situative Strategien durch Praxislösungen während der Beratung.
- b)
Es entsteht eine Arbeits- und Lernkultur für alle. Durch die Aufbereitung von Inhalten in der Gemeinschaft wird eine Kultur des Miteinander- beziehungsweise Voneinanderlernens geschaffen.
- c)
Peer Mentoring fördert die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Managern in schwierigen persönlichen Entscheidungskonflikten. Dadurch erhöht sich die Anschlussfähigkeit im Verbund von Kollegen und Mitarbeitern.
Das Werkzeug erhebt jedoch nicht den Anspruch, dass für jede Herausforderung, die ein Manager als Fall in die Gruppe einbringt, eine Patentlösung gefunden wird. Jeder Teilnehmer nimmt aus dieser Veranstaltung das mit, was für seine Situation aus seiner Sicht sinnvoll ist. Die Peers bewerten die Beiträge nicht als gut oder schlecht, sondern fokussieren die Betrachtungsweisen unterschiedlicher Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Erfahrungen. Das Instrument richtet sich folglich primär an Teilnehmer, die im Sinne ihrer Selbstverantwortung neben ihrem theoretischen Know-how in Bezug auf Leadership auch ihre Persönlichkeit weiterentwickeln möchten.
Derartige Situationen stellen einen äußerst komplexen Prozess dar, der einer professionellen Moderation und genügend Raum und Zeit für alle Teilnehmer bedarf, um sich vertrauensvoll aufeinander einzuspielen. Nur dann kann Peer Mentoring einen nachhaltigen Mehrwert für Verbesserungen im Management-Alltag leisten.
Autor
Harald Smolak, Partner und Director HR bei dem Interim Management-Anbieter Atreus, München,
smolak@atreus.de
- Baubude oder Architekturbüro?
- Eine Idee, deren Zeit noch nicht gekommen ist
- Messe bekommt mehr hanseatisches Flair
- Wo Spinnereien strikt erlaubt sind
- Gewinne, Gewinne, Gewinne!
- Zwischen Utopia und Untergang
- „Der kritische Faktor wird sein, einen Sinn in der Arbeit zu finden und zu vermi...
- Business Partner – Mode oder Zukunftsmodell?
- Nichts dem Zufall überlassen
- Wieder auf Erfolgskurs
- Von Konsequenz profitieren alle
- Traumrolle Chef – mehr als tägliches Theater
- Altersvorsorge auch für Geringverdiener
- Zusatzversicherung erwünscht
- Chinesische Mitarbeiter ans Unternehmen binden?
- Fit für den internationalen Einsatz
- Nicht nur die Traumkandidaten suchen
- PR-Leute in der Pflicht
- Strahlkraft für den Mittelstand
- Die soziale Ader pulsiert
- Lernen auf Augenhöhe
- Mythos Six Sigma
- Mehr Sicherheit für Personaler