Ausgabe 4 - 2014
„Der kritische Faktor wird sein, einen Sinn in der Arbeit zu finden und zu vermitteln“

Dave Ulrich gilt nach wie vor als einer der wichtigsten Vordenker der Personalerszene. Im Interview mit der Personalwirtschaft skizziert er ein optimistisches Bild von HR im Jahr 2030 und erklärt, warum Geld künftig bei der Arbeitgeberattraktivität eine immer geringere Rolle spielen wird.
Personalwirtschaft: 2030 dürfte die Globalisierung weit vorangeschritten sein, Menschen werden real und virtuell ohne Grenzen zusammenarbeiten. Wird das Recruiting zu einer Art „Talent Sourcing“ werden – mit weltweit tätigen Maklern und Einkaufshelfern?
Dave Ulrich: Qualifizierte und engagierte Mitarbeiter bestimmen von jeher den Erfolg einer Organisation. Talent besteht oft aus den drei Dimensionen Kompetenz, also den richtigen Skills für die Aufgaben von heute und morgen, Commitment, der Bereitschaft zu harter Arbeit, und Contribution, dem Leistungsbeitrag von Mitarbeitern, die in ihrer Arbeit einen echten Sinn sehen.
2030 wird man sich die Identifikation von Kompetenzen wahrscheinlich globale Sourcingstrategien zunutze machen. Denn qualifizierte Mitarbeiter sind auf der ganzen Welt zu finden und können dank des technischen Fortschritts auch überall arbeiten.
Wichtig dabei wird es, das Commitment der Mitarbeiter zu gewinnen, denn die kompetentesten von ihnen können in vielen Unternehmen arbeiten. Der kritische Faktor wird es sein, einen Sinn in der Arbeit zu finden und zu vermitteln. Mitarbeiter mit Kompetenz (Kopf und Verstand), Commitment (Hände und Füße) und Leistungsbereitschaft (Herz und Seele) werden zunehmend knapp und, wenn man sie denn gefunden hat, schwer zu halten sein.
Neigt sich die Zeit der klassischen Arbeitsverhältnisse dem Ende zu, und was bedeutet das für HR? Wird eine fünfte Rolle in Ihrem Modell hinzukommen: Der Beschaffungsagent?
Mitarbeiter mit Kompetenz, Leistungswillen und Leistungsbeitrag werden tatsächlich knapp. Grundsätzlich werden sie ihre Dienste einer Organisation aus freiem Willen zur Verfügung stellen, weil sie die Wahl haben, wo sie arbeiten wollen (Freiwilligkeit heißt nicht, ohne Bezahlung zu arbeiten). Wahrscheinlich wird die Arbeitgeberauswahl auf anderen Kriterien als dem Einkommen beruhen, eben weil sie die freie Auswahl haben. Als Teil ihrer Wertgleichung werden sich diese Mitarbeiter mit der Marke oder dem Ruf des Unternehmens verbunden fühlen wollen. HR wird nicht zum „Beschaffungsagenten“, sondern aus Mitarbeiter- und Brandmanagern bestehen, die am Renommee des Unternehmens für Mitarbeiter mit Spitzenpotential arbeiten.
Sollten die Linienverantwortlichen mehr Verantwortung für bisherige HR-Prozesse wie Performance Management, Personalentwicklung und Vergütung bekommen? Falls ja: Was bleibt für HR?
HR schafft die Infrastruktur und Kommunikation innerhalb der Organisation. Welche Mitarbeiter eingestellt werden und wie ausgebildet wird, wie die Bezahlung aussieht und wie die Arbeit organisiert wird, sind Schlüsselbotschaften für den Erfolg der Organisation.
Wir schlagen seit vielen Jahren vor, dass Linienmanager als „Eigentümer“ dieser Schlüsselprozesse und HR Professionals als deren Architekten agieren. Als solche gestalten sie den Rahmen und schlagen Prozesse vor, um die HR-Ziele mit den Unternehmenszielen in Übereinstimmung zu bringen. Um aber gute Architekten zu sein, müssen HR Professionals gleichermaßen Sozialanthropologen sein, die genau beobachten, was außerhalb der Organisation vor sich geht, wie Ökonomen, um ihre Beobachtungen in analytische Daten umzuwandeln. Die Linienverantwortlichen indes bleiben die Prozesseigentümer. Als solche treffen sie die endgültigen Entscheidungen.
Mit Blick auf den anhaltenden Trend zum Outsourcing in HR: Dank welcher Kompetenzen kann HR als eigenständige betriebliche Funktion überleben?
Seit 25 Jahren beschäftigen wir uns mit den Kompetenzen von HR und haben gesehen, wie sich der Berufsstand weiterentwickelt hat. In unserer jüngsten Untersuchung aus 2012, die auf den Angaben von mehr als 20 000 HR Professionals und Linienmanagern beruht, haben wir sechs Kompetenzfelder identifiziert: Als strategischer Gestaltgeber ist HR in der Lage, unter Berücksichtigung der wichtigsten internen und externen Stakeholder die Organisation in das Geschäftsumfeld einzupassen. Als glaubwürdiger Aktivist kann HR vertrauensvolle Beziehungen zu Linienmanagern und Mitarbeitern aufbauen und proaktiv einen eigenen Standpunkt beziehen. Drittens verfügt HR als Bauherr von Fähigkeiten über die Kompetenz, Mitarbeiter-Fähigkeiten zu diagnostizieren und zu schärfen und eine Kultur zu entwickeln, die den Erwartungen der Kunden und der Geschäftsstrategie gerecht wird.
Als Change Champion kann HR Veränderungen in Gang setzen und aufrechthalten. Als Innovator und Integrator ist HR in der Lage, integrierte HR-Lösungen für die Problemstellungen des Business anzubieten. Und zuletzt nutzt HR als Technologie-Befürworter alle Informationen, um Entscheidungen auf sicherer Basis zu treffen.
Abschließend würden wir Ihnen gern eine Frage zu Ihrem HR-Rollenmodell stellen: Wie wurde Ihr Vorschlag eigentlich außerhalb der USA aufgenommen und umgesetzt? In Deutschland haben sich die deutschen Unternehmen beeilt, HR entsprechend Ihren Vorstellungen umzubauen – um jetzt erschreckt festzustellen, dass die Fachbereiche die Aufsplittung der HR-Funktionen nicht akzeptieren: Sie wollen ihren Personalchef zurück. Wo steckt der Fehler?
Ich sehe nicht, was Sie sehen. Ich sehe, dass das Topmanagement um des Erfolges willen nach einer stärkeren Organisation mit Führungs-, Talent- und Kulturentwicklung ruft. Dazu tragen HR-Professionals mit ihrem einzigartigen Wissen bei (als Architekten). Mit der Rückkehr zur traditionellen Personalfunktion werden Linienmanager schwerlich die richtige Organisation, Führung und Personalausstattung herbeiführen können, die auf langte Sicht den Geschäfterfolg bewahrt. Unsere Arbeit zeigt, wie wichtig es ist, dass HR nach wie vor die klassischen Verwaltungsaufgaben erledigt. Um aber Ergebnisse zu erzielen, die sich stärker am Geschäftserfolg orientieren, muss HR darüber hinaus gehen. Die HR-Organisationsstruktur ist nicht die HR-Strategie. Die Strategie richtet sich auf Talent, Leadership und Kultur. Dann wird die Struktur folgen.
Autorin
Das Gespräch führte Christine Demmer.
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