Ausgabe 4 - 2014
Wo Spinnereien strikt erlaubt sind
Auf dem dritten HR Barcamp, das diesmal am 6. und 7. März im Hotel Ellington in Berlin stattfand, traf sich eine kleine Schar innovativer HR-Spezialisten, um über die Personalarbeit von morgen zu diskutieren. Die Personalwirtschaft war vor Ort.
Eine Veranstaltung wie das HR Barcamp lebt vor allem von ihrer Ungezwungenheit. Also gab es für die rund 160 Teilnehmer, etwa zur Hälfte aus Personalmanagern und Dienstleistern vorwiegend aus Personalmarketing, Recruiting und Talent Management bestehend, erst einmal eine Aufwärmübung: Aufstehen, die Arme ausschütteln und rufen: „Boah, bin ich locker!“ Danach läuteten Jannis Tsalikis und Christoph Athanas, Gründer des Veranstalters „Forum für innovative Personalarbeit“, den „Themen-Pitch“ ein. Denn, wie es sich für ein Barcamp gehört, gab es kein vorgefertigtes Programm – nur einen thematischen Rahmen, der durch die Schlagworte Enterprise 2.0, Personalbeschaffung 2.0 und Personalentwicklung 2.0 abgesteckt war.
Basisdemokratische Themenfindung
Es lag also an den Teilnehmern, sich ihr Programm selbst zu erstellen. Hieß: Jeder durfte nach vorne kommen und eines oder mehrere Themen zur Wahl stellen. Nachdem 32 Vorschläge auf Pinnwänden zusammengetragen waren, wurde mittels roter Klebepunkte abgestimmt. Dass für die Prozedur weit mehr als eine Stunde benötigt wurde, störte niemanden. Am Ende standen 28 Sessions á 1 Stunde 15 Minuten auf dem Programmzettel, wobei sich die Mehrheit um irgendeine Facette des Recruiting-Prozesses drehte (Etwa: Candidate Experience, Mobile Recruiting, Bewerbung via Social Media).
So gänzlich anders als auf klassischen Konferenz-Formaten oder HR-Messen lasen sich die Themen und Problemstellungen nicht. Kein Wunder: Auch hier kommen sie eben aus der Praxis. Der Unterschied liegt im Anspruch eines Barcamps, alternative Lösungen von der Basis her entstehen zu lassen. Frontbeschallung durch Experten ist verpönt, die Themengeber sind gehalten, sich bei ihren Impulsvorträgen kurz zu fassen und sich möglichst auf die Rolle des Moderators zu beschränken. Was nicht immer ganz gelingt – schwierig wird es mit der Selbstbeschränkung etwa, wenn im Plenum wenige Leute mit fundiertem Fachwissen sitzen, so wie bei einer Session zur Eignungsdiagnostik.
Barcamper zeigen sich selbstkritisch
„Mediaplanung 2.0“ – so lautete der Titel einer der ersten Einheiten, die Mitorganisator Jannis Tsalikis und Carsten Kretschmer leiteten. Im Zentrum stand die Frage: Wie erreichen Unternehmen die Zielgruppe der 18 bis 34-Jährigen? Diskutiert wurden die Wirksamkeit unterschiedlicher Recruiting-Kanäle, Sinn und Unsinn von HR-PR, der Zustand von Karriere-Websites und die Intensität der Social Media-Nutzung.
Die Anwesenden gingen ziemlich kritisch mit der eigenen Praxis um: Die allerwenigsten der Personaler unter ihnen – in der Mehrheit selbst Young Professionals – bezeichneten etwa die Karrierewebsite ihres Unternehmens als ausgereift. Auch in Sachen Search Engine Optimization (SEO) machten sie erheblichen Verbesserungsbedarf aus. Gezielter Pressearbeit zur Pflege des eigenen Arbeitgeberimages standen die meisten skeptisch gegenüber. Zu durchschaubar, so der Tenor.
Zum Schluss durfte ein bisschen gesponnen werden: Wie denn die ideale Arbeitgeberkampagne mit freiem Budget aussehen könnte? Eine Teilnehmerin schlug den Bau eines „Hauses der Begegnung“ mit Shop-Atmosphäre vor, in dem sich Bewerber umschauen können und dort nicht nur von Recruitern, sondern auch von Mitarbeiter der Fachabteilungen beraten werden. Eine Personalerin der Robinson-Clubs stellte sich eine Daily Soap über die Arbeit in einem der Urlaubsressorts vor: „So wie Berlin Tag & Nacht – nur halt nicht asi.“
Ohne Chef geht's auch
Alle Führungskräfte einfach abschaffen? Klingt krass, wurde aber praktiziert. In Deutschland. Von der Oose Innovative Informatik GmbH aus Hamburg, die mit rund 30 Mitarbeitern Software-Beratung betreibt. Der Gründer und langjährige Geschäftsführer Bernd Oestereich erläuterte in seiner Session „Führungsarbeit statt Führungskräfte“, wie es dazu kam und wie das neue Modell funktioniert. Auslöser eins war, dass Oestereich keine Lust mehr hatte, Chef zu sein. Auslöser zwei war, dass es mit externen Geschäftsführern nicht klappte. So folgte 2012 der Entschluss, die Position des Geschäftsführers nur noch aus juristischen Gründen beizubehalten und alle Führungspositionen abzuschaffen.
Seit diesem Zeitpunkt werden bei Oose weitreichende Entscheidungen in unterschiedlich besetzten Themenkreisen getroffen, im Alltag gilt das Prinzip konsultativer Entscheidungen: Jeder Kollege darf entscheiden, muss aber Meinungen von Kollegen einholen. Verschwendungssucht habe nicht Einzug gehalten, sagte Oestereich: „Die Mitarbeiter müssen ja am nächsten Tag ihren Kollegen ins Gesicht schauen.“ Auch Umsatzeinbußen habe es nicht gegeben. Allerdings hätten fünf bis sechs ehemalige Führungskräfte zeitnah die Flucht ergriffen.
Oestereich konnte sich vor Nachfragen kaum retten. Was darüber ein bisschen zu kurz kam: Die Debatte darüber, wie viel andere, auch größere Unternehmen von dem Ansatz übernehmen könnten. Eine Idee lieferte der Session-Geber selbst: „Man könnte die Rollen der Führungskräfte personell trennen: Die Führungskraft behält die Hoheit über die Zahlen, gibt aber inhaltliche Belange und solche der Personalentwicklung an andere Teammitglieder ab.“
Recruiting-Kampagne per Kopftaxi
Etwas abgedreht ging es später in der Session „Total verrücktes HR Taxi“ zu. Der Clou: Die Session-Geber Jörg Buckmann (Verkehrsbetriebe Zürich), Henner Knabenreich (Knabenreich Consult), Florian Schrodt (DFS) und Jürgen Sorg (TK) fuhren zuvor mit dem Taxi durch Berlin und nutzten ihre Fahrer als Inspirationsquelle für die Aufgaben, die sie den Teilnehmern später stellten.
Skurriles Ergebnis: Eine Gruppe musste – vor dem Hintergrund der Verschärfung des Schweizer Einwanderungsgesetzes – eine Recruiting-Kampagne für Schweizer Krankenhäuser entwerfen. Lösungsvorschläge unter anderem in Stichworten: Ausbildung 50 plus forcieren, mehr Werbung in Schulen, Arbeitslose qualifizieren, einen Patienten-Flashmob organisieren. Noch skurriler: Eine andere Gruppe sollte dasselbe für ein Nagelstudio tun, das gegenüber des Veranstaltungsortes seine Beauty-Dienstleistungen anbot (Slogan unter anderem: „Feilen Sie an Ihrer Zukunft“). Der Leser merkt: Der Spaß kam auf dem HR Barcamp nicht zu kurz.
Active Sourcing – was ist dran?
Mit einer Form der Rekrutierung, die neuerdings in aller Munde ist, beschäftigte sich am zweiten Tag eine Session, die von Wolfgang Brickwedde (ICR) und Barbara Brehmer (Intercessio) geleitet wurde: Active Sourcing, die gezielte Ansprache von potenziellen Mitarbeitern über soziale Netzwerke und/oder Fachforen durch das einstellende Unternehmen. Sowohl Brickwedde als auch Brehmer bieten Beratung dazu an, zeigten sich entsprechend überzeugt von der Methode.
Im Plenum saßen aber auch einige Personaler, die aus eigener Erfahrung Vorteile des Active Sourcing auflisteten: Vor allem würden schnellere und bessere Ergebnisse erzielt. Er müsse viel weniger Auswahlgespräche für eine Stellenbesetzung führen, berichtete ein Recruiter. Andere zeigten sich skeptisch ob des hohen Aufwands. Auf juristische Fallstricke beim Active Sourcing hatte zuvor in einer anderen Session Rechtsanwältin Nina Diercks hingewiesen. Mit dem Für und Wider des Active Sourcing wird sich die Personalwirtschaft übrigens in Ausgabe 5/2014 beschäftigen.
Weitere Ergebnisse, die sich aus anderen Sessions herauskristallisierten, waren unter anderem:
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Mobile Recruiting funktioniert noch nicht: Verantwortlich sind nicht nur die Personaler, auch die Bewerber sind oft noch nicht so weit.
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Mehr Kooperation täte gut: HR und Marketing konkurrieren zu häufig um Budgets und Zuständigkeiten im Arbeitgebermarketing.
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Die One-Click-Bewerbung ist nicht das Nonplusultra der Bewerberorientierung: Freundlichkeit und Geschwindigkeit im Antwortverhalten sollten Vorrang haben.
Die vom Autor befragten Teilnehmer zogen ein positives Fazit: Sie nutzen die Veranstaltung für eine Standortbestimmung, für punktuelles Lernen und dafür, Leute kennenzulernen, mit denen man innovative Ideen weiterspinnen kann. Wie das geht, zeigte Jörg Buckmann: Auf dem letztjährigen HR Barcamp entwickelte er die Idee für einen pünktlich zum nächsten Barcamp veröffentlichten Herausgeber-Band, mit dem er „frische Ideen für Personalmarketing und Employer Branding“ liefern will. Vielleicht trägt das diesjährige HR Barcamp ja ähnliche Früchte.
Mehr Eindrücke vom HR BarCamp gibt es auf den vielen Blogs, deren Betreiber sich auf der Veranstaltung tummelten und im Anschluss fleißig posteten. Etwa: personalmarketing2null.de, www.talent-o-mat.de, www.wuv.de/blogs/hrmarketingblog, www.socialmediarecht.de.
Autor
Alexander Kolberg
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