Ausgabe 4 - 2018
Besser mit ihm als gegen ihn

Derzeit finden bundesweit Betriebsratswahlen statt. Eine gute Gelegenheit, das gegenseitige Verhältnis zu prüfen und, wenn nötig, auf stabilere Füße zu stellen.
Von David Schahinian
Seit 1. März sind Arbeitnehmer wieder dazu aufgerufen, ihre Vertreter in den Unternehmen zu bestimmen. Wie ernst es ihnen damit ist, zeigt der bisher letzte Gang zur Wahlurne 2014, als die durchschnittliche betriebliche Wahlbeteiligung nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung bei 79 Prozent lag. Von solchen Quoten können die meisten Politiker derzeit nur träumen.
Kein Wunder, denn der Betriebsrat nimmt eine exponierte Stellung im deutschen Arbeitsrecht ein. „Der Betriebsrat hat sich weg vom betriebsverfassungsrechtlichen Überwacher hin zum Mitgestalter der Unternehmenspolitik entwickelt“, schreibt Dr. Horst-Udo Niedenhoff, Dozent für Betriebsverfassungsrecht und Mitbestimmung in Unternehmen und Verbänden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Rechte des Gremiums mit jeder größeren Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) erweitert worden sind, fährt er fort. Solche gab es 1972, 1988 und 2001. Seit einiger Zeit wird über eine erneute Anpassung diskutiert.
Über das mitunter fragile Verhältnis zueinander ist bereits viel geschrieben worden. In der Mehrzahl der Unternehmen dürfte die Kooperation aber reibungslos, wenn nicht sogar gut funktionieren. „Arbeitgeber und Betriebsräte, die den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit praktizieren, erkennt man oft nach wenigen Minuten schlicht an der Form der Kommunikation“, berichtet Bernd Spengler, Rechtsanwalt für Arbeitsrecht. Aus seiner Sicht kann ein höflicher, distanzierter Umgang auf Augenhöhe und eine wohlwollende Unterstützung des Bildungsbedarfs von Betriebsräten die Zusammenarbeit fördern: „Nur wer seine Rechte, aber auch seine Grenzen kennt, kann Streitigkeiten richtig einordnen. Damit können teure und eventuell unsinnige gerichtliche Verfahren vermieden werden.“ Hinderlich jedenfalls seien „Vernichtungsstrategien“, wie sie einige Anwaltskanzleien als Dienstleistung anbieten würden.
In der Praxis gibt es jedoch trotzdem noch Konfliktpotenziale. Andrea Veerkamp-Walz, Referentin für Personalpolitik beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), nennt ein Beispiel: „Da werden Betriebsvereinbarungen zu einem schon geklärten Thema vom Betriebsrat nicht unterzeichnet, weil er dieses als Druckmittel für ein anderes Thema benötigt.“ Mitunter sei auch die Einstellung der Geschäftsführung gegenüber der Mitbestimmung negativ gefärbt – bis hin zur Verweigerung einer eigentlich gebotenen Transparenz.
Noch kein optimales Verhältnis
Manch Personaler hat sein optimales Verhältnis zu Betriebsräten ebenfalls noch nicht gefunden. „Im Extremfall übergehen oder überrumpeln Personaler den Betriebsrat, und Betriebsräte mauern und stellen sich dumm.“ Letztlich hat sich bei vielen Arbeitgebern aber die Erkenntnis, wenn nicht sogar die Erfahrung durchgesetzt, dass das BetrVG dem Betriebsrat viele Möglichkeiten bietet, die Arbeit der Personal- und Geschäftsleitung zu erschweren.
Nicht nur Veerkamp-Walz hält es für vorteilhaft, wenn der Betriebsrat mit Personen besetzt ist, die mit ihrer Verantwortung umzugehen wissen. „Zwar ist der Grundsatz, dass Betriebsräte von den Arbeitnehmern gewählt werden, unantastbar. Dem Arbeitgeber ist es strikt untersagt, auf die Wahl der Mitglieder des Betriebsrats Einfluss zu nehmen“, hebt Wolfgang Bucksch, Fachanwalt für Arbeitsrecht, hervor. Macht er es doch, drohen ihm im schlimmsten Fall empfindliche strafrechtliche Sanktionen. Aber: „Die vorsichtige Motivation von aus Sicht des Arbeitgebers geeigneten Arbeitnehmern für ein Engagement im Betriebsrat kann ein Mittel sein, um nicht nur Gegner des Arbeitgeberlagers im Betriebsrat vorzufinden.“ Also solche, die zu einer sachlichen Auseinandersetzung in der Lage sind, eine eigene Meinung vertreten können und über ein gutes Standing verfügen.
Konstruktive Konflikte sind nicht per se zu beklagen, sondern vom Gesetzgeber erwünscht.
Ein mächtiges Instrument
Wie wichtig das ist, zeigt ein Blick in das BetrVG: Der Betriebsrat hat weitreichende Rechte in puncto Information, Mitwirkung, Beratung und Mitbestimmung. Zu den Informationsrechten zählen etwa die allgemeine und projektbezogene Personalplanung sowie die Ausschreibung von Arbeitsplätzen. Manche davon gehen in die nächste Stufe, die Mitwirkungs- und Beratungsrechte, über. So hat ein Arbeitgeber bei der Personalplanung mit dem Betriebsrat über Art und Umfang der erforderlichen Maßnahmen und über die Vermeidung von Härten zu beraten.
Mitentscheiden darf er jedoch nicht – im Gegensatz zu den Aspekten, bei denen er Mitbestimmungsrechte hat. Diesen Maßnahmen kann er zustimmen oder sich ihnen verweigern. Diese Rechte sind sein schärfstes Schwert bei der Durchsetzung der Interessen von Arbeitnehmern. Dazu zählen unter anderem soziale Angelegenheiten, Änderungen der Arbeitsabläufe oder die Erstellung von personellen Auswahlrichtlinien.
Der Einfluss des BetrVG auf den Arbeitsalltag in Unternehmen ist nicht nur durch seine Novellierungen gewachsen. Nahezu alle Mitbestimmungsrechte treffen den Kern dessen, was unter Arbeit 4.0 verstanden wird, wie etwa Arbeitszeitmodelle oder Ordnungsregeln im Betrieb. Hier müssen Betriebsräte auch in der Lage sein, Fingerspitzengefühl zu zeigen. Manch ein Arbeitnehmer könnte beispielsweise einen großen Vorteil darin sehen, berufliche Mails auch am Abend von zu Hause aus bearbeiten zu können, weil er so Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren kann. Ein anderer dagegen könnte mit gleichem Recht befürchten, dass sich daraus eine generelle Erwartungshaltung bei den Vorgesetzten entwickelt – und im doppelten Wortsinn darüber klagen, nicht mehr abschalten zu können.
Konflikte willkommen – aber richtig
Konstruktive Konflikte zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten sind indes nicht per se zu beklagen, sondern von Gesetzes wegen geradezu erwünscht, betont Spengler: „Das BetrVG will den Konflikt im positiven Sinne. Neue Ideen und kritische Kontrolle – das Ringen um den besten Weg zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen sind ein deutsches Erfolgsmodell, das sich in der Wirtschaftskrise bewährt hat.“ Wenn Arbeitgeber und Betriebsräte in der Lage seien, unterschiedliche Meinungen als Chance für „Win-win-Situationen“ zu verstehen, dann lösten sich Konflikte im Sinne eines Co-Managements.
Apropos Wirtschaftskrise – Dr. Martin Behrens, Forscher am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, sieht in ihrer Bewältigung eine „Sternstunde der deutschen betrieblichen Mitbestimmung“, mit der die Betriebsräte ihre Feuertaufe bestanden hätten. Viele Arbeitgeber einigten sich gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern auf die Einrichtung von Arbeitszeitkonten oder anderer flexibler Lösungen, um Kündigungen umgehen zu können. Als die Konjunktur wieder anzog, konnten sie somit schnell wieder durchstarten. So hätten sie „das deutsche Beschäftigungswunder“ erst möglich gemacht. Die positive Erfahrung, sich gemeinsam auf angemessene Krisenmaßnahmen einigen zu können, „wirkt bis heute im Arbeitgeberlager nach“, ist sich Behrens sicher.
Der Forscher hebt noch einen weiteren Aspekt hervor, den Arbeitgeber wohlwollend berücksichtigen sollten: Die Stabilität aufseiten des Betriebsrats ist in der Regel größer als auf der Seite der Unternehmensleitung. Die vom WSI für eine Studie befragten Betriebsratsvorsitzenden gehörten diesem Gremium im Durchschnitt bereits neun Jahre an. So viel Zeit haben die meisten Manager nicht. Der Betriebsrat hat das Erfahrungswissen, er kennt die Probleme, sagt Behrens: „Wenn das Management klug ist, nutzt es diese Erfahrung.“ Freilich setze das voraus, dass es sich darauf einlassen kann, Macht zu teilen.
Behrens glaubt ebenfalls, dass das BetrVG kein „Instrument für eitel Sonnenschein“ ist. Es biete Regeln und definiere Bahnen, mit und in denen verlässlich Konflikte gelöst werden können. Diese sind hilfreich, zumal es wie bei Konflikten in anderen Bereichen auch selten nur um den definiere um eine Forderung oder Maßnahme geht Hier spielt das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen den beteiligten Akteuren eine wichtige Rolle.
Das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen den Akteuren spielt eine wichtige Rolle.
Reform (noch) nicht nötig
Die letzte umfassende Überarbeitung des BetrVG liegt nun schon 17 Jahre zurück. Ideen für eine Reform gibt es viele. Nicht zuletzt, weil der gesamte Themenkomplex Digitalisierung in dem Werk von 2001 noch nicht angemessen berücksichtigt wurde (vergleiche hierzu „Mit harten Bandagen“, Personalwirtschaft 08/2017). Nachholbedarf in der Rechtsgestaltung sieht Behrens zwar unter anderem bei einer nötigen Ausweitung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats beim Thema Weiterbildung. Einen besseren Schutz von Initiatoren einer Betriebsratswahl vor Repressionen hält er ebenfalls für nötig. In seinen Augen besteht aber weniger eine Krise der Rechtsgestaltung, sondern des Rechtsvollzugs.
Als Beispiel nennt er § 119 des BetrVG. Danach sind Geld- oder Freiheitsstrafen gegen Personen möglich, die eine Betriebsratswahl oder die Tätigkeit des Gremiums behindern oder stören. „Lediglich in sieben Prozent der Fälle werden Strafanträge gestellt, und wenn, werden die Verfahren meist eingestellt“, berichtet der WSI-Forscher. Auf Basis der Ergebnisse unter anderem seiner Studien fordert der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften: „Die schwarzen Schafe unter den Arbeitgebern haben es viel zu leicht, eine Betriebsratswahl zu behindern – ohne jedes Risiko.“ Dabei handele es sich um eine Straftat, nicht um ein Kavaliersdelikt.
Besser nicht vor Gericht
Auch das BetrVG kann keinen hundertprozentigen Schutz vor Eskalationen bieten. Der Gang vor Gericht sollte aber für beide Seiten die Ultima Ratio sein, meint Fachanwalt Bernd Spengler: „Dort wird nach formalen und prozessualen Aspekten entschieden. Eine wirkliche Lösung für ein betriebliches Problem findet sich aber in der Regel nicht in einer halbstündigen Gerichtsverhandlung, sondern am Verhandlungstisch.“ Hilft das nicht, sieht das Gesetz eine innerbetriebliche Schlichtung, die Einigungsstelle, vor. Ein neutraler Vorsitzender fällt zwar letztlich gegebenenfalls einen Spruch in Streitfragen. „Aber dafür hat er sich oft tagelang mit den Betriebsparteien und den unternehmerischen Rahmenbedingungen beschäftigt – und nicht nur mit rein juristischen Überlegungen.“
Die Digitalisierung stellt das Verhältnis vor neue Herausforderungen, glaubt er: Sie „erfordert ein ‚Mehr‘ an gemeinsamen Überlegungen von Betriebsrat und Geschäftsführung, um neue Wege gehen und Chancen nutzen zu können, ohne dass Beschäftigte Angst um ihren Job haben müssen“. Wie das aussehen kann, könnte ganz aktuell beispielsweise die EU-Datenschutzgrundverordnung zeigen. „In der Praxis sehe ich zum Teil Betriebsräte, die der Arbeitgeberseite aktiv helfen, nicht erkannte Gefahren zu vermeiden.“
Wer Kompetenz beim Betriebsrat einfordert, sollte sie aber auch selbst vorweisen können. HR Interim Manager Joachim Büchsenschütz verweist aus seinen Erfahrungen darauf, dass sich die meisten Betriebsräte mit dem BetrVG bestens auskennen: „Sie spüren deshalb schnell, ob ihr Gegenüber auf Arbeitgeberseite ein Profi ist.“ Sei das Knowhow nicht vorhanden, gelte es, dieses auszubilden oder extern einzukaufen – vor allem in Unternehmen, in denen erstmalig ein Betriebsrat gegründet wird. „Hier ist es für einen deeskalierenden Umgang mit dem Betriebsrat unumgänglich, schnell Fachkompetenz aufzubauen und das gesetzlich geforderte Konsensprinzip zu erlernen.“
Ob mit allen Betriebsratsmitgliedern ein Konsens möglich ist? Das ist fraglich, zumindest, wenn sie von Rechtsaußen kommen. Durch sie droht die Gefahr, dass das gesamte Unternehmen beschädigt und der Betriebsrat entzweit wird. Der Betriebsrat des Mercedes-Werks in Untertürkheim wurde bereits für die kommenden vier Jahre gewählt. Die Liste „Zentrum Automobil“, der Kontakte in die rechtsextreme Szene nachgesagt werden, stellt künftig sechs Vertreter, und damit zwei mehr als bei der letzten Wahl. „Wir verfolgen diese Entwicklung mit Sorge“, hatte Vorstandschef Dieter Zetsche bereits Wochen vorher gesagt. Später übten 41 der 45 Arbeitnehmervertreter den Schulterschluss in einer Erklärung. In der schrieben sie unter anderem, dass die (vormals) vier Betriebsräte der Liste dem Ruf der Belegschaft schaden würden: „Das Werk Untertürkheim erscheint in den Medien mittlerweile als ein Sammelbecken für Neonazis und ein Zentrum rechtsextremer Umtriebe.“ Daimler ist kein Einzelfall, und das Vorgehen ist auch nicht auf die Automobilbranche beschränkt. Jüngster Fall ist der Motorsägen-Hersteller Stihl: Nach Angaben der Westdeutschen Allgemeinen habe von der Liste „Mut zur Veränderung“ lange niemand Notiz genommen, bis bekannt wurde, dass sie der jüngste Ableger von „Zentrum Automobil“ ist. Das Problem beschreibt Michael Prochaska, Stihl-Vorstand für Personal und Recht, gegenüber der Zeitung so: „Als Unternehmen haben wir gemäß Betriebsverfassungsgesetz keinerlei Einfluss auf die Betriebsratswahlen und die Kandidaten, die sich dafür zur Wahl stellen.“ Es wäre aber nicht das erste Mal, dass zwei Parteien, die früher einmal als natürliche Feinde galten, im Angesicht eines gemeinsamen Gegners enger zusammenrücken.
- Etwas mehr Begeisterung, bitte
- Die Reifeprüfung
- Der Fall Air Berlin aus Sicht von HR
- Keine Mitarbeitersuche ohne digitales Recruiting
- Engagement mit Vorbildcharakter
- „Beruf und Familie harmonisch und erfolgreich miteinander verbinden“
- Bock auf Arbeit!
- „Den Mitarbeitern etwas zumuten – und zutrauen“
- „Das Menschliche siegt immer“
- „Mitarbeiter sind keine Kostenfaktoren“
- Wie Engagement Veränderungskompetenz beeinflusst
- Zwischen Einfachheit und Sicherheit
- Megatrends bestimmen den Markt
- Stempeln und schließen per Smartphone
- Besser mit ihm als gegen ihn
- Per Webcam zum neuen Mitarbeiter
- Reiseziel: effizientes Recruiting
- Regeln statt Proklamieren
- In der Sandwichposition: Druck von allen Seiten