Ausgabe 4 - 2018
Der Fall Air Berlin aus Sicht von HR

Die zweitgrößte nationale Fluggesellschaft Air Berlin ist krachend gelandet. Das Unternehmen ist filetiert, viele Beschäftigte bangen um ihre Zukunft. Allein das Topmanagement fällt weich.
Von Winfried Gertz
Es ist der 15. August 2017, als Air-Berlin-CEO Thomas Winkelmann beim Amtsgericht Berlin Charlottenburg den Insolvenzantrag stellt. Wenige Tage zuvor hatte der Hauptaktionär Etihad Airways, die nationale Fluggesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, die finanzielle Nabelschnur gekappt. Der Schuldenberg von rund 1,5 Milliarden Euro wächst täglich um mehrere Millionen. Die größte Pleite in der Geschichte des deutschen Luftverkehrs ist nicht mehr abzuwenden. Etwa eine Million Gläubiger – Investoren, Zulieferer, Kunden und Mitarbeiter – melden Ansprüche gegenüber dem insolventen Unternehmen an.
Mitten in der Urlaubszeit warten Tausende Kunden auf Rückflüge. Um den Flugbetrieb aufrechtzuerhalten, springt die Bundesregierung über die staatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit einer Bürgschaft über 150 Millionen Euro ein. Zugleich melden etliche Unternehmen Interesse an einer Übernahme Air Berlins an. In einem Wirtschaftskrimi sondergleichen wird das Unternehmen filetiert. Nach wochenlangem Tauziehen erhalten Lufthansa und Easyjet den Zuschlag. Beide sichern sich Start- und Landerechte, sogenannte Slots – das Gold der Verkehrsluftfahrt. Zusätzlich übernehmen die Briten 25 A320-Jets, das Gros der etwa 130 Air-Berlin-Maschinen heimst aber der Kranichflieger ein. Davon profitiert die Billigflug-Tochter Eurowings. Doch der Lufthansa wird – ebenso wie der International Airlines Group (IAG), der Muttergesellschaft von British Airways und Iberia – von den europäischen Kartellwächtern untersagt, sich die schuldenfreie Air-Berlin-Tochter Niki aus der Insolvenzmasse einzuverleiben. Niki wird schließlich Ende Januar 2018 von ihrem Gründer Niki Lauda zurückgekauft.
Ungerechter Champion
So sehr sich die Lufthansa öffentlich als großer Gewinner des Übernahmepokers stilisiert, so ungerecht fühlen sich viele Beschäftigte von Air Berlin behandelt. Schließlich werden die kostbaren Slots ohne die Verpflichtung zur Übernahme der Mitarbeiter an die Lufthansa vergeben. Abgesehen vom Flugpersonal, das Easyjet nach Vereinbarung mit Betriebsräten und Gewerkschaften zu tariflichen Konditionen bei sich willkommen heißt, gilt es für die meisten der rund 9000 Mitarbeiter, sich mit dem Verlust ihrer Jobs abzufinden und sich neu zu bewerben – ohne Aussicht auf annähernd vergleichbare Gehälter, Kündigungsfristen und Anrechnung bereits erworbener betrieblicher Altersversorgung. Es entlädt sich ein Sturm der Entrüstung, der wochenlangen Widerhall in den Medien findet.
Zunächst gilt die Leitlinie, den Zuschlag einem Bieter zu erteilen, der neben Maschinen und Slots im Rahmen eines „Betriebsübergangs“ gemäß § 613a BGB auch die Beschäftigten nebst Arbeitsverträgen übernimmt. Doch bald wird diese Strategie in den Verkaufsverhandlungen mangels Interesse ad acta gelegt. Nachdem sich Bund und einzelne Länder weigern, eine große Transferlösung finanziell zu unterstützen, um Tausenden Air Berlinern die Suche nach einer neuen Beschäftigungsperspektive zu erleichtern, wird zumindest für das Bodenpersonal und Mitarbeiter der Technik ein Ausweg gefunden. Dafür stellt der Berliner Senat 11,5 Millionen Euro bereit. Weitere Mittel steuert der Europäische Sozialfonds ESF bei. Koordiniert von einer Projektmanagementgesellschaft schließen sich die drei Transferträger Mypegasus, Personaltransfer und BOB Transfer zusammen. Etwa 900 Mitarbeiter des Bodenpersonals sowie rund 600 der Technik unterschreiben den Vertrag, der sie vor unmittelbarer Arbeitslosigkeit schützt. Für sechs Monate erhalten sie von der Arbeitsagentur 75 Prozent ihres letzten Nettoeinkommens als sogenanntes Transfer-Kurzarbeitergeld. Nach Angaben des Konsortiums hatte Ende Januar bereits jeder dritte Teilnehmer eine neue Anstellung gefunden.
Schokoherzen versteigert
Seit Anfang Februar verhandelt der Insolvenzverwalter Lucas Flöther mit den Tarifpartnern über einen Sozialplan für etwa 3200 gekündigte Flugbegleiter. Um die Finanzierung aus der Insolvenzmasse zu ermöglichen, werden Devotionalien aus den Air-Berlin-Flugzeugen versteigert – von den inzwischen legendären Schokoherzen bis hin zu ganzen Sitzreihen.
Bislang ist ungeklärt, ob es sich bei der Air-Berlin-Übernahme nicht doch um einen Betriebsübergang handelt. In diesem Fall müsste die Nummer eins der deutschen Luftfahrt zähneknirschend alle Air-Berlin-Beschäftigten eingliedern. Die Lufthansa, die sich bereits als „Champion der deutschen Luftfahrt“ feiert, ist noch nicht aus dem Schneider.
Worum geht es?
Mergers & Acquisitions ohne Berücksichtigung der Unternehmenskulturen
Studien zufolge scheitern zwei Drittel aller Firmenübernahmen, weil primär finanzielle und marktpolitische Ziele verfolgt werden – und die Kultur außen vor bleibt. Dabei kommt es gerade im Wandel verstärkt auf weiche Faktoren an. In der sogenannten Due Diligence, also der Sondierung, die den Deals vorangeht, werden kulturspezifische Potenziale und Hemmnisse als essenzielle HR-Aspekte oft ausgeblendet. In vielen Prozessen wird auch die interne Kommunikation vernachlässigt. Was auf dem Papier wirtschaftlicher zu sein scheint, kann in der Praxis teuer werden – wenn etwa die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen einander misstrauen oder die Belegschaften auf dem Shopfloor nicht vorurteilsfrei kooperieren. Gleichzeitig steigt das Risiko, dass Leistungsträger abspringen.
Woran hakt es?
Unternehmens- und HR-Strategie nicht Hand in Hand
Firmen wie Air Berlin – ein rasch gewachsenes Konsortium erworbener Unternehmen – erweisen sich trotz vermeintlicher Größenvorteile (Skalierungseffekte) teilweise erschreckend schwach in personalwirtschaftlicher Hinsicht. Expansion um jeden Preis, die typische Strategie klassischer Markteroberer wie Air-Berlin-Gründer Joachim Hunold, ist nicht hinreichend mit langfristigen und nachhaltigen HR-Strategien verzahnt. Primär auf die Rolle beschränkt, das Cost Cutting zu exekutieren, entziehen sich Personaler dem Kontakt zu den Beschäftigten und werden als willfährige Diener des Managements wahrgenommen. Die Entfremdung wird immer greifbarer und ist somit auch Nährboden wilder Spekulationen.
Wie sich das im Fall Air Berlin niederschlug, erklärt Daniel Flohr, Leiter Tarifpolitik der Industriegewerkschaft Luftverkehr: „Als Konzern aus zusammengekauften Unternehmen blieb Air Berlin ohne klares Profil. Ob Urlaubsflieger, Business Airline oder Low-Cost-Carrier: Darauf gab die Firmenpolitik keine überzeugende Antwort. Sträflich versäumte das Management zudem, eine gemeinsame Kultur zu entwickeln. Sehr unterschiedliche Arbeitsbedingungen und weitere Ungleichheiten wurden beibehalten. Strukturell blieb Air Berlin weit unter seinen Möglichkeiten; viele Mitarbeiter leisteten das Gleiche in unterschiedlichen Abteilungen. Unter diesen Bedingungen kann sich keine gemeinsame Identität entwickeln.“
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Worauf kommt es an?
Sozialverträglich managen, verantwortlich handeln, authentisch kommunizieren
Geraten Unternehmen in wirtschaftliche Schieflage, schlägt die Stunde von professionellen Change Managern und Krisenkommunikatoren. Fakten auf den Tisch, klare Ansage, bloß nicht lamentieren, lautet die Maxime. So kann die Verunsicherung der Belegschaft, ein Bündel aus Ängsten, Widerständen und Orientierungslosigkeit, auf ein Mindestmaß begrenzt werden, wie eine aktuelle Studie von der Change-Beratung Mutaree unterstreicht.
Wie weit Air Berlin davon entfernt war, dazu noch einmal Daniel Flohr: „Zur unprofessionellen Krisenkommunikation trug auch eine mangelnde Abstimmung zwischen Management, HR und Sozialpartnern bei. Statt gemeinsam rasch, offen und ehrlich über anstehende Veränderungen zu informieren, ließ man die Beschäftigten mit ihren Sorgen allein und befeuerte so die Gerüchteküche.“ Die Lufthansa müsse sich ankreiden lassen, in wirtschaftlich sehr guten Zeiten kaum soziale Verantwortung zu übernehmen.
Personalpolitisch sieht sich das Air-Berlin-Management harscher Kritik ausgesetzt: Der ehemalige Lufthansa-Manager Thomas Winkelmann hatte den Vorstandsvorsitz bei Air Berlin erst Februar 2017 übernommen und verlässt den Konzern mit einer insolvenzsicheren Abfindung in Höhe von 4,5 Millionen Euro. Und auch die Personalchefin, Dr. Martina Niemann, ist weich gelandet: Seit 2012 war sie CHRO von Air Berlin, seit Februar ist sie Head of Human Resources bei der Lufthansa. „Das kann kein Beschäftigter nachvollziehen“, ätzt Daniel Flohr. Weil das auch wir Wirtschaftsjournalisten nicht nachvollziehen können, haben wir bei HR-Chefin Niemann mehrfach und von verschiedenen Seiten nachgefragt. Pikant dabei: Alle Anfragen zum Personalmanagement in der Insolvenz wurden zunächst pauschal abgelehnt. Als es um ihren Wechsel zur Lufthansa gehen sollte, kam plötzlich eine Interviewzusage. Doch als wir betonten, dass es auch dort kritische Fragen geben würde, war der Termin wieder dahin.
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