Ausgabe 5 - 2011
Den Lebensstau auflösen
Aufgrund des demografischen Wandels und geänderter Vorstellungen von Work Life Balance müssen Unternehmen immer öfter spezielle Lebenslagen von Mitarbeitern berücksichtigen. Wie diese Individualisierung der Personalarbeit funktionieren kann, erforschte kürzlich die FH Ludwigshafen in zwölf Modellbetrieben.
Mitarbeiter, die nach ihrer Elternzeit ins Unternehmen zurückkehren, kommen sich mitunter wie Einsteiger vor: Neue Kollegen, neue Strukturen, und auf dem neuesten Stand der laufenden Projekte ist man auch nicht mehr. Bis sie wieder voll in die Arbeitsabläufe integriert sind, kann einige Zeit vergehen. Für Unternehmen stellt sich die Frage: Wie können wir den Aus- und Wiedereinstieg von Eltern möglichst reibungslos gestalten?
Bei der BASF suchte die Personalabteilung in den vergangenen eineinhalb Jahren in einem Modellprojekt am Standort Ludwigshafen nach Antworten. Beispielsweise wurde ein Seminar mit dem Titel „Beruflichen Ausstieg planen – Rückkehr im Blick haben“ konzipiert, in dem sich die mehrheitlich weiblichen Teilnehmer vor der Elternphase über familienfreundliche Angebote von BASF informieren können und Raum zur Selbstreflexion geboten wird. Wie schnell sollte ich nach der Geburt wieder einsteigen? Welche Absprachen sollte ich mit meiner Führungskraft treffen? Über diese und andere Fragen konnten Mitarbeiter sich auch in einem Mentoring-Programm mit ehemaligen Rückkehrern auszutauschen. Das „Wiedereinsteigerseminar“ wiederum informierte nach der Elternzeit etwa über wichtige Änderungen im Unternehmen.
Das Projekt der BASF war eines von insgesamt zwölf, die im Rahmen des übergeordneten Projekts „Strategie für die Zukunft – Lebensphasenorientierte Personalpolitik“ durchgeführt wurden. Die Federführung hatte das Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) an der FH Ludwigshafen, finanzielle Unterstützung kam von der Europäischen Union und dem Land Rheinland-Pfalz. Das Ziel: Passend für Unternehmen aller Größen praktikable HR-Instrumente aufzeigen, mit denen Personalverantwortliche speziellen Lebenssituationen von Mitarbeitern gerecht werden können. Seit 2009 nahmen an dem Projekt ausgewählte rheinland-pfälzische Betriebe teil –darunter neben dem Großkonzern BASF auch mittlere und kleine Unternehmen wie die Bitburger Braugruppe mit 1700 Mitarbeitern, das Modehaus Marx aus Trier mit 67 Mitarbeitern und mit dem Mainzer Wirtschaftsministerium mit 420 Beschäftigten auch eine Behörde.
Lebensläufe mit Mosaikcharakter
Ausgangspunkt war die Beobachtung eines gesellschaftsweiten Trends zum „Mosaikcharakter von persönlichen und beruflichen Karrieren“, wie es Projektleiterin Professorin Dr. Rump vom IBE beschreibt. Will heißen: Die Lebensläufe von Menschen laufen nicht nach Schema F. Geheiratet wird heute öfter weit jenseits der 30, Gleiches gilt für das Kinderkriegen. Das hat nach Rumps Überzeugung Folgen für die Karriereplanung: „Bis wann machen die Menschen ihre wichtigsten beruflichen Schritte? Wie bisher im Alter von 30 bis 45? In Zukunft eher nicht mehr.“ Hinzu kommt laut IBE-Chefin ein weiteres Phänomen: „In der Regel kommt nicht jede Lebensphase und -situation alleine.“ So könne es vorkommen, dass Menschen vor der Herausforderung stehen, für ihre Kinder da zu sein und gleichzeitig Angehörige, meist die Eltern, zu pflegen – Letzteres eine Aufgabe, die zukünftig immer mehr Menschen aufgrund ihres Einzelkinddaseins alleine bewältigen müssen. Parallel dazu die eigene Karriere voranzutreiben, kann sich als schwierig erweisen. Doch sei nicht nur Familienfreundlichkeit gefordert –Mitarbeiter wünschten sich zunehmend auch vom Arbeitgeber, dass er auf ihr politisches oder soziales Engagement Rücksicht nimmt.
Als wichtigste Berufs- und Lebensphasen lassen sich laut IBE unterscheiden:
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Beruflicher Einstieg
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Berufliche Neuorientierung
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Berufliche Kompetenzentwicklung
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Berufliche Laufbahnentwicklung
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Beruf und Eltern-Verantwortung
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Beruf und Pflege-Verantwortung
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Beruf und ehrenamtliches Engagement
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Beruf und berufliche Nebentätigkeit
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Beruf und betriebliche Modifikationen
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Beruflicher Rückzug
Für Personalabteilungen bringt all dies Rump zufolge zwei zentrale Aufgaben mit sich: Die HR-Arbeit weiter zu individualisieren und „den Lebensstau in der Rush-Hour des Lebens aufzulösen“.
Herausforderungen, denen sich auch die G+H Isolierung GmbH aus Ludwigshafen in ihrem Modellprojekt stellte. Der Hersteller von Isoliersystemen mit seinen knapp 2500 Mitarbeitern legte einen Schwerpunkt darauf, Chancen für die Balance zwischen Beruf und Privatleben aufzuzeigen. Dies geschah auf anschauliche Weise mittels eines „Lebensbaumes“. Von der Wurzel über Stamm und Äste waren typische Lebensphasen und -situationen von Mitarbeitern abgebildet (Hochzeit, erstes Kind, Bau des Eigenheims,…). Darüber wurden die Phasen des Arbeitslebens und die Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des Betriebs gelegt. Recht schnell wurde ein Problem deutlich, wie die Personalmanager des Unternehmens erkannten: „Die Familiengründungsphase fällt mit der Phase zusammen, in der der Mitarbeiter vom Unternehmen besonders gefördert werden soll.“ Einen Beitrag zur Entzerrung dieser privaten und beruflichen Doppelung leisten bei der G+H Isolierung heute individualisierte Karriereplanungen.
Mitarbeiter wollen individuelle Personalarbeit
Eine stärkere Berücksichtigung ihrer privaten Interessen wünschen sich indes nicht nur Mitarbeiter, die bereits mitten im Berufleben stehen, sondern auch diejenigen, die sich am Anfang beziehungsweise am Ende des Arbeitslebens befinden. Im Rahmen der Ergebniskonferenz zum Projekt, die im Februar in Ludwigshafen stattfand, lenkte Edeltraud Glänzer, Vorstandsmitglied der IG BCE, den Blick auf den Trend, dass immer mehr jüngere Erwerbstätige den Einstieg ins Berufsleben nur über befristete Arbeitsverhältnisse finden: „Raum für eine echte Lebensplanung ist da wenig.“ Auch Jutta Rump attestierte unter anderem aufgrund kleiner werdenden Kernbelegschaften eine „teilweise große Unsicherheit und Selbstausbeutung von jungen Befristeten.“
Weitaus mehr Beachtung fand in den Modellprojekten die sich abzeichnende Veränderung des Alterstruktur vieler Unternehmen. Know-how-Transfer und Ruhestandsregelungen waren hier die bestimmenden Themen. Dass das gesetzliche Renteneintrittalter für Teile der Belegschaft eine kaum zu erreichende Zielmarke ist, zeigt sich beispielsweise bei der Bitburger Braugruppe: Körperlich anstrengende Tätigkeiten und der Schichtbetrieb im Braugewerbe können an die Substanz gehen. Für „besonders belastete Mitarbeiter“ wurde daher per Betriebsvereinbarung die Möglichkeit geschaffen, die „Bitburger Übergangsrente“ in Anspruch zu nehmen. Voraussetzung ist ein Mindestalter von 55 Jahren und eine Betriebszugehörigkeit von mehr als zehn Jahren sowie die Bereitschaft auf Entgeltverzicht.
Dass andererseits für viele Menschen die Rente mit 67 zu früh kommt, schrieb der Gerontologe Professor Dr. Andreas Kruse von der Universität Heidelberg den Projektteilnehmern und interessierten Personalverantwortlichen zum Schluss der Konferenz ins Stammbuch. „Starre Altersgrenzen sind aus biologischer und physiologischer Sicht ein Anachronismus.“ Kruse erkennt bei älteren Mitarbeitern eine erstaunliche Veränderungs- und Lernfähigkeit – einen Zeitpunkt innerhalb des Erwerbslebens, ab dem nur noch Defizite hinzukämen, gebe es aus wissenschaftlicher Sicht nicht. „Der Eindruck, dass ältere Mitarbeiter keine Leistungsreserven mehr haben, hat eher einen motivatorischen Hintergrund. Personalverantworliche können hier also etwas tun.“
Ein Tool für jede Lebenslage
Als sie ihre Projekte der Öffentlichkeit vorstellten, gaben einige teilnehmende Unternehmen zu, dass es schwierig sei, den finanziellen Nutzen der lebensphasenorientierten Personalpolitik heute schon in Zahlen abzubilden. Für Jutta Rump kein Grund, die Neuausrichtung der Personalarbeit auf die lange Bank zu schieben: „Man muss sich bewusst sein: Lebensphasenorientierte Personalpolitik kann auch Geld kosten. Unternehmen sollten sich jedoch die Frage stellen: Was passiert, wenn wir nicht aktiv werden?“ Zumal es ja nicht gelte, völlig neue Konzepte aus dem Boden zu stampfen. „Lebensphasenorientierte Personalpolitik erfindet nichts Neues.“ Nur gelte es, Ordnung und Systematik in bereits bestehende Ansätze zu bringen.
Bis zum Sommer wollen Rump und ihre Kollegen vom IBE dies geschafft haben: Personalmanagern wollen sie dann ein Tool in Form einer CD-ROM präsentieren, das dabei hilft, je nach Bedarfslage die geeigneten lebensphasenorientierten Instrumente abzuleiten.
Strategie für die Zukunft – Eckpunkte des Projekts
Für das Projekt „Strategie für die Zukunft – Lebensphasenorientierte Personalpolitik“ waren zwölf Betriebe ausgewählt worden. Unter der wissenschaflichen Leitung des Institus für Beschäftigung und Employability (IBE) der FH Ludwigshafen erprobten sie von Herbst 2009 bis November 2010 HR-Instrumente, die alle Lebensphasen und -situationen von Mitarbeitern in den Blick nehmen.
Teilnehmende Unternehmen: | |
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Nähere Informationen gibt es unter www.lebensphasenorientierte-personalpolitik.de
Autor
Alexander Kolberg
- Reisende muss man aufhalten
- Eine Kultur zum Bleiben
- „Die Mitarbeiter vermissen die einfachen Dinge“
- Was die Welt im Innersten zusammenhält
- Eine Investitition in die Zukunft
- Geld regiert die Welt
- Den Lebensstau auflösen
- Auf dem Weg zum Ressourcenmanager
- Mit vereinten Kräften
- Nicht bloß gespielt
- Hohe Erwartungen, wenig Messbares
- Schau mal, ich stehe ganz oben
- Nicht hip, aber trotzdem top
- Patzer beim Stabwechsel vermeiden
- Lernen ohne Grenzen
- Der heiße Draht zum Nachwuchs
- Ein interdisziplinäres Spielfeld