Ein interdisziplinäres Spielfeld
Gibt es ein spezielles Arbeitsrecht im Sanierungsfall? Ja und Nein. Einerseits behalten die allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen Gültigkeit, andererseits kommen eine ganze Reihe weiterer Erwägungen und Regelungsbereiche hinzu. Wer diese nicht beachtet, steht möglicherweise vor Problemen.
Unter dem Stichwort Sanierungsarbeitsrecht werden drei Teilbereiche verstanden, die interdisziplinär zusammenwirken müssen: Grundlage ist das Arbeitsrecht, das per se schon eine komplexe Materie darstellt, im Insolvenzbereich aber noch durch Spezialregelungen ergänzt wird. Dazu kommt die Unternehmensberatung, die die vorgefundene Situation analysiert und Handlungsthesen aufstellt. Schließlich tritt die Betriebswirtschaft hinzu, die eben diese Handlungsthesen auf Durchführbarkeit und Erfolgsaussichten überprüft.
Die unternehmerische Entscheidung
Am Anfang einer Sanierung stehen immer die Erkenntnis des Handlungsdrucks und die sich daraus ableitende unternehmerische Entscheidung. Unternehmer oder Management und Berater analysieren die Ist-Situation und führen eine Due Diligence durch. Sie legt die Schwachstellen des Unternehmens offen: Wer erhält welche Sonderleistungen, welche freiwilligen Leistungen und vor allem welche belastenden kollektivrechtlichen Regelungen bestehen? Die Analyse klärt ebenfalls, welche Arbeitnehmer in welcher Struktur die Leistungsträger des Betriebes sind. Der zweite Schritt ist ein Wettbewerbsvergleich: Ist das Unternehmen gemessen an Benchmarks noch konkurrenzfähig? Daran schließt sich die Frage an, welches Verbesserungs- und Flexibilisierungspotenzial im Bereich der Arbeitszeitmodelle, der Personalkosten und Strukturen sowie bei Kapazitätsschwankungen im Personalbereich besteht.
Wenn der Sanierungsberater diese Fragen beantwortet und seine Arbeitshypothesen aufgestellt hat, entwickelt er das Zukunftskonzept und definiert die Soll-Situation. Ursachenforschung und strategische Ausrichtung sind hier das A und O. Daran schließt sich die unternehmerische Entscheidung an, die im Wesentlichen den Weg von der Ist-Welt in die Soll-Welt ausformuliert. Das Sanierungsarbeitsrecht leitet daraus Handlungsthesen ab, die anschließend rechtlich und tatsächlich auf ihre Durchführbarkeit geprüft werden. Nach Bewertung von Chance und Risiko wird auf dieser Grundlage die unternehmerische Entscheidung und das Sanierungskonzept für den Personalbereich erstellt und auf arbeitsrechtliche Umsetzbarkeit, betriebswirtschaftliche Sinnhaftigkeit und Praktikabilität geprüft. Management und Berater müssen Lösungen für die vier Dreh- und Angelpunkte des Sanierungsarbeitsrechts finden: die betriebliche Altersvorsorge, Arbeitszeitregelungen, Entgeltregelungen und Lösungen für den Personalabbau.
Betriebliche Altersvorsorge
Der Kostenblock der betrieblichen Altersvorsorge kann ein Unternehmen gerade in Krisenzeiten mit seinen bilanziellen und liquiditätswirksamen Folgen in seiner Existenz gefährden. Das Problem: Die Verpflichtungen bauen sich langsam über lange Zeit auf und können kaum an einen Strukturwandel angepasst werden. Ein gutes Beispiel sind Technologie-Unternehmen, die sich an veränderte Märkte anpassen müssen und nach der Neuaufstellung mehr Betriebsrentner als Mitarbeiter haben. Mögliche Stellschrauben sind die Durchführungswege (Direktversicherung, Pensionskasse et cetera), der Finanzierungsmodus (arbeitgeber- oder arbeitnehmerfinanziert), der Kreis der Begünstigten und der Status: Versorgungsanwärter mit unverfallbarer oder verfallbarer Anwartschaft, im noch bestehenden oder im beendeten Arbeitsverhältnis, und bereits vorhandene Betriebsrentner.
Ausgangspunkt der Überlegungen: Wie ist das aktuelle System der Altersvorsorge im Unternehmen entstanden? Welche anderen Betriebe wurden mit welchen Sonderregeln integriert? Welche Ansprüche bestehen? Erst wenn diese Fragen geklärt sind, können die rechtlichen Instrumente definiert werden, die für die Änderung zur Verfügung stehen. In Frage kommt zum einen die bestehenden Versorgungszusagen, unabhängig, ob individual-/oder kollektivrechtlich begründet, abzulösen, umzustrukturieren oder abzuändern. Zum anderen kann das Management Versorgungsverbindlichkeiten in eine „Rentnergesellschaft“ ausgliedern, die Renten anpassen oder das Versorgungswerk für Neueintritte einschließen.
Häufig wird auch versucht, die wirtschaftlichen Verpflichtungen, die sich aus der betrieblichen Altersversorgung ergeben, auf den Pensionssicherungs-Verein AG (PSVaG) zu übertragen. Der PSVaG übernimmt die Ansprüche der Betriebsrentner sowie der unverfallbaren Versorgungsanwartschaften, falls der Arbeitgeber insolvent wird. Der Gesetzgeber begrenzt diese Eintrittspflicht des PSVaG allerdings ausdrücklich auf den Insolvenzfall (Sicherungsfälle des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 Nr. 1 – 3 BetrAVG). Theoretisch ist daneben noch ein Vergleichsweg mit dem PSVaG denkbar, doch ist dieser nach der Novellierung des BetrAVG grundsätzlich nur noch möglich, wenn alle Gläubiger einen Sanierungsbeitrag leisten. In der Praxis ist dieser Weg deshalb leider von untergeordneter Bedeutung.
Methoden zur Arbeitszeitflexibilisierung
In der Krise der vergangenen Jahre war insbesondere die Kurzarbeit das Mittel der Wahl. Doch daneben gibt es diverse andere Methoden zur Arbeitszeitflexibilisierung. Zwei der gängigen Elemente sind die kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit, oder „Kapovaz“, und die Abrufarbeit. Bei der Kapovaz-Regelung wird arbeitsvertraglich vereinbart, dass die Arbeitszeit rund um eine festgelegte Sockelarbeitszeit um maximal 25 Prozent schwanken darf. Dieses kann nach oben und nach unten oder im Mittel erfolgen (BAG-Entscheidung 07.12.2005, 5 AZR 535/04). Der Arbeitgeber schuldet nur das Entgelt für die tatsächlich in Anspruch genommene Arbeitszeit und verschafft sich damit direkt Liquidität. Bei einer Überschreitung im festgelegten Rahmen handelt es sich nicht um zuschlagspflichtige Mehrarbeit.
Die sogenannte Arbeit auf Abruf (§ 12 TzBfG) ist besonders in der Gastronomie ein gern genutztes Instrument: Die wöchentliche Arbeitszeit wird nicht festgelegt und kann bis auf ein Minimum von zehn Stunden reduziert werden. Damit trägt in großem Umfang der Arbeitnehmer das Betriebsrisiko, das unter normalen Umständen der Arbeitgeber zu tragen hat. Falls noch weniger oder gar keine Arbeitsleistung anfällt, schuldet der Arbeitgeber trotzdem die Vergütung für den Sockelzeitraum von zehn Stunden. Nimmt der Arbeitgeber die Arbeitsleistung in Anspruch, muss der einzelne Einsatz mindestens drei aufeinander folgende Stunden dauern. Die Lage der Arbeitszeit ist mindestens vier Tage im Voraus mitzuteilen.
Schließlich kann der Arbeitgeber die Arbeitszeit mit Hilfe von Arbeitszeitkonten flexibel gestalten. Diese Möglichkeit wird vielfach genutzt: Im Krisenjahr 2009 hat jeder dritte Betrieb den Gutstunden-Abbau oder den Minusstunden-Aufbau auf Arbeitszeitkonten zur Beschäftigungssicherung genutzt, wobei lediglich in fünf Prozent der betroffenen Unternehmen Zeitschulden angehäuft wurden.
Arbeitszeitkonten müssen im Sinne von § 7d SGB IV gegen das Insolvenzrisiko abgesichert werden – das macht sie weitgehend risikofrei für den Arbeitnehmer. Für den Arbeitgeber hingegen bergen sie durchaus ein Risiko, denn die Erfahrung zeigt, dass Arbeitszeitkonten fast immer an der oberen Grenze geführt werden. Selbst wenn der Betrieb über längere Zeit nicht ausgelastet ist, werden die Guthaben in der Regel nicht abgebaut. Dies ist jedoch keine Schwäche des Arbeitszeitkontenmodells, sondern eine Führungsschwäche der zuständigen Vorgesetzten.
Auch Vergütungsstrukturen stehen auf dem Prüfstand
In der Krise muss ein Unternehmen scharf kalkulieren. Naturgemäß stehen dann auch die Vergütungsstrukturen, Eingruppierungen, Leistungsbewertungssysteme und freiwilligen Entgeltbestandteile auf dem Prüfstand. Sind Tarifverträge anwendbar – egal ob durch Tarifbindung oder weil Individualarbeitsverträge auf sie Bezug nehmen –, stellt sich die Frage, inwieweit in tarifvertragliche Regeln eingegriffen werden kann und ob spezialtarifvertragliche Regelungen ihnen vorgehen können. Betriebliche Bündnisse für Arbeit sind hier das Schlagwort, ebenso wie Sanierungstarifverträge. Diesen Möglichkeiten setzen freilich die Regelungen des § 77 Abs. 3 BetrVG und des § 4 Abs. 3 TVG enge Grenzen, die im Einzelfall ausgelotet werden müssen.
Schließlich stellt sich in der Sanierung immer die Frage nach der Anpassung von Mitarbeiterkapazitäten. Allerdings stellt das Kündigungsschutzgesetz an betriebsbedingte Kündigungen hohe Anforderungen, so dass es schwierig werden kann, die richtigen Arbeitnehmer zu behalten.
Das Management ist deshalb gut beraten, wenn es vorausschauend plant, seine wesentlichen Mitarbeiter schützt, sie strukturell und inhaltlich aus Vergleichbarkeiten definiert und die betriebsbedingte Kündigung nicht als Allheilmittel versteht. Trotzdem gibt es in vielen Fällen keine Alternative. Besteht ein Betriebsrat, muss in den Fällen der §§ 111, 112 BetrAVG das Interessenausgleichsverfahren – mit oder ohne Namensliste – abgeschlossen werden, das in der Regel ohne Sozialplan nicht zustande kommt. Doch schon im Vorfeld kann über Instrumente wie Altersteilzeit, Outsourcing, Outplacement und Befristungen nach dem TzBfG vieles vorbereitet werden.
Häufig lassen sich betriebsbedingte Kündigungen trotz allem nicht vermeiden. In diesen Fällen kann eine Transfergesellschaft dabei helfen, die Arbeitsverhältnisse rechtssicher zu beenden. Der Erfolg hängt im Wesentlichen von der Kommunikation ab. Alle Beteiligten müssen eingebunden werden. Das Management muss den Kommunikationsprozess zu jedem Zeitpunkt steuern und in der Hand halten, alle Beteiligten informieren und die Vorgänge im Betrieb in Relation zum Wettbewerb und zum Markt setzen.
Weitblick ist entscheidend
Sanierungsarbeitsrecht hat – wie der Sanierungsprozess ganz generell – viel mit Planung zu tun. Werden Maßnahmen beizeiten und mit Weitblick eingeleitet, werden die Beteiligten informiert und für die Unterstützung des Prozesses gewonnen, stehen die Chancen gut, dass die Sanierung weder auf Seiten der Kunden noch in der Öffentlichkeit negativ wahrgenommen wird. Nur in diesem Fall kann das Unternehmen seinen Ruf wahren und nach erfolgreicher Sanierung an seinen alten Marktwert anknüpfen. Wird beizeiten ein erfahrener Berater hinzugezogen, so stehen die Chancen für das Unternehmen in den meisten Fällen gut.
Autor
Joachim Zobel, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Kanzlei Schultze & Braun, Nürnberg,
schubra@citigatedr.de
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