Ausgabe 5 - 2012
Was will ich für wen wo und wie sein?
Personal Branding ist ein Thema, welches derzeit on- und offline die Bewerbungsratgeber dominiert. Dabei scheint die Frage, ob sich Arbeitnehmer über Social Media-Plattformen eine eigene Marke aufbauen sollen, bereits entschieden.
Konkret: Es geht vorwiegend nur darum, wie sie dies am besten tun. Denn, so die These: „Wenn Sie heutzutage nicht über Google gefunden werden können, ist es beinahe so, als existierten Sie gar nicht“. Auf den Arbeitsmarkt angewendet heißt das: Wer sich nicht im Netz präsentiert und vermarktet, den gibt es nicht für Arbeitgeber. So müssten sich aktiv oder latent Arbeitsuchende (das sind nach einer aktuellen Mercer-Studie derzeit ungefähr ein Drittel der Arbeitnehmer in Deutschland) eigentlich die Frage stellen: Was will ich für wen wo und wie sein?
Ich suche nicht – ich muss mich finden lassen
Eine Untersuchung aus dem Jahr 2011 zeigt, dass 89 Prozent der Personaler Recruiting über soziale Netzwerke betreiben. Linkedin ist dabei mit 87 Prozent der gefragteste Anbieter, hält seit Jahren den Spitzenplatz in den USA und wird in Europa zunehmend präsenter. Klassische Stellenanzeigen in Printmedien verlieren an Bedeutung, während Social Media-Recruitingkanäle Spitzenplätze einnehmen.
Erkennbar werden heute die Folgen einer sich verändernden Rekrutierungspraxis. Vom einst rein transaktionalen und bedarfsgetriebenen Vorgehen („auf Vakanz folgt Einstellung“) stellen Personaler auf einen auf Dauer angelegten Beziehungsaufbau mit potenziellen Mitarbeitern um. Man sorgt also auf Unternehmensseite vor. Über einen sirenenartigen Dreiklang aus Employer Branding, Employer Value Preposition und Talent Relationship Management versuchen Firmen interessante Kandidaten über mehrere Kanäle in dauernde, möglichst stabile Kommunikation mit den Talent Scouts, den Personalbeschaffern oder schon direkt mit den Fachbereichen zu verstricken. Wenn die Vakanz entsteht, sind alsdann ausreichend Kandidaten im Netz – oder, wie die Recruiter sagen „in der Talent Pipeline“. Die Methode ist nicht neu, wird jedoch mit Blick auf Zielgruppen und Kommunikationsformate deutlich erweitert und verändert realisiert. Was früher persönlichen Netzwerken vorbehalten war, sickert nun in den Bereich der Young Professionals und Hochschulabsolventen.
Nebenbuhler um den nächsten Job
Wer als Arbeitsuchender gefunden werden will, kann es sich deshalb nicht leisten, nicht „drin“ zu sein. Und kaum drinnen, trifft man dann all die anderen, die potenziellen Nebenbuhler um den nächsten Job. Xing meldete Ende 2011 eine Mitgliederzahl von 11,42 Millionen, Linkedin war zu diesem Zeitpunkt mit über 135 Millionen Mitgliedern das mit Abstand weltweit größte Business-Netzwerk. Das sind ziemlich viele und sie sind aktiv.
Eine Studie der DIS AG aus dem Jahr 2011 zeigt: 70 Prozent der Young Professionals nutzen soziale Plattformen mindestens einmal täglich. Wer sich aus dieser Menge abheben will, kann sich dem Differenzierungsdruck kaum mehr widersetzen – und das mündet in der Regel in ein Selbstvermarktungsverhalten.
Der gute Umgang mit sich selbst
Wir setzen als Personal Branding-Akteure mündige Menschen oder, wenn man es etwas gezierter formulieren wollte, gebildete Personen voraus. Personen, die in unserer (post-)modernen Zeit mit ihren vielzähligen und teilweise widersprüchlichen Anforderungen wechselnde sowie sich verändernde Rollen wahrnehmen müssen. Schon das macht es unwahrscheinlich, dass man immer gleich, „mit sich eins“, mit sich identisch ist. Und ähnlich verhält es sich mit dem Internet.
Auch dieses ist wesentlich prozessual, in Veränderung begriffen und entzieht sich als Ganzes dem gedanklichen und praktischen Zugriff des einzelnen. Als Ganzes hat man es weder im gedanklichen noch praktischen Zugriff. Wie soll man sich bei diesen Vorraussetzungen dann so etwas wie eine Netzidentität – die für all die Digital Natives, Gen Ys, Avatare oder sonstige digitale Selbste angeblich so natürlich ist – aufbauen? Und muss man das überhaupt?
Eigenwerbung im professionellen Kontext
Ganz alltäglich erlebt man es selbst: Die Profile (man könnte auch sagen „Identitäten“) ein und derselben Person bei Facebook und Xing unterscheiden sich. Letzteres ist Eigenwerbung im professionellen Kontext. Facebook dagegen ist zunächst einmal die technologisch erweiterte Sphäre des Privaten. Und im Arbeitsalltag überlappt sich schon lange (immer?) Berufliches und Privates. Aber dennoch kommt es nie zu einer vollständigen Deckung. Wer glaubt, Facebook würde der Personal Brand dienen, der möge sich selbst fragen, ob er zum nächsten Vorstellungsgespräch die Familienalben anstelle von Arbeitszeugnissen mitbringt. Genau darum geht es beim Personal Branding: Wenn man sich entschieden hat mitzumachen, sollte man dies professionell tun. Und das bedeutet eben auch Selektion, viel Substanz und (ein) wenig Inszenierung.
Wenn, dann richtig branden
Wichtig beim Personal Branding sind Antworten auf folgende Fragen: Wem will ich mich auf Social Media-Plattformen präsentieren? Was ist für diese Zielgruppe relevant und wie kann ich deren Aufmerksamkeit gewinnen? Über welche Kanäle erreiche ich diese Gruppe? Und nicht zuletzt: Wie behalte ich die Kontrolle über mein Bild im Netz? Brauchbare Hinweise lassen sich entlang der Schlagworte Kontrast, Kanal, Kongruenz, Kontinuität, (Ko-)Relation und Kontrolle finden.
Um wahrgenommen zu werden, muss man sich von anderen differenzieren, einen Unterschied machen. Das geht beispielsweise durch wiedererkennbare Namensgebung. Die bekommt man durch den realen Klarnamen, über gebrandete Namen oder sogar einen eigenen Claim. Letzteres erfordert freilich neben einer gehörigen Portion Chuzpe und Selbstbewusstsein auch Erfahrung, die hält, was ein Claim verspricht.
Wichtig sind die Geschichten, die über Verknüpfungen um das eigene Profil herum gewoben werden. Dabei sollten nur die für Arbeitgeber wichtigen und relevanten inhaltlichen Linien miteinander verknotet werden. Wer meint, mit privaten Aktivitäten für den neuen Job punkten zu können, kann dies immerhin mit Max Frisch begründen: „Wir haben Arbeitskräfte gerufen und es sind Menschen gekommen“ und mag dies in wohldosierter Weise tun. So lässt sich dann auch das Arbeitgeberinteresse nach Persönlichkeit selektiv bedienen.
Nicht nur bei den Marktführern präsent sein
Steht fest, wie ein zu potenziellen Arbeitgebern anschlussfähiges Profil aussehen soll, stellt sich die Frage, über welche Social Media-Plattformen man dieses am besten etabliert. Neben der Präsenz bei den Marktführern kann es nicht schaden, sich eine URL mit dem eigenen Namen registrieren zu lassen. Wer angesichts der unterschiedlichen Plattformen den Überblick zu verlieren droht oder keine eigene Homepage aufbauen will, der kann ein Personal-Portal eröffnen, beispielsweise bei about.me oder flavors.me, und dort auch Verlinkungen setzen. Dabei gilt, dass die Wahl des Mediums selbst schon etwas über den professionellen Stil aussagt. Wer das nüchterne, sachliche und auf minimales Design setzende LinkedIn dem spielerischeren Flavors vorzieht, verleiht dadurch seiner Marke schon mal eine bestimmte Duftnote.
Ein möglichst konsistentes Bild hinterlassen
Bevor man sich nun bei allen möglichen Plattformen anmeldet, nebenbei noch twittert und Blogs verfasst, sollte man sich klarmachen: Man will über alle Kanäle und professionellen Zielgruppen hinweg ein möglichst konsistentes Bild hinterlassen. Wie für Unternehmen beim Employer Branding ist auch für den Einzelnen sicherzustellen, dass keine Doublebind-Situationen entstehen. Wer sich bei Xing mit anderen Spezialkenntnissen vermarktet als bei Linkedin, noch dazu öffentlich bei Facebook als arbeitsscheuer Dandy oder Partygirl auftritt, irritiert potenzielle Arbeitgeber negativ. Diese werden sich heute mit großer Wahrscheinlichkeit der ganzen Social Media-Bandbreite bedienen, um sich einen möglichst umfassenden Eindruck von einem Kandidaten zu verschaffen. Der Lackmustest kommt ja sowieso und ist dann ausschlaggebend: Bleiben virtuell geweckte Erwartungen im persönlichen Gespräch unerfüllt, folgt ein rasches Ende der im Netz angebahnten Beziehung.
Kontinuität ist wichtig
Eine nachhaltige Vermarktung über Social Media verlangt, dass diese Marke einigermaßen stabil über die Zeit hinweg wahrnehmbar bleibt. Wer seine Berufswahl von gestern am liebsten ungeschehen und ungesehen machen will, der vergisst, dass das Netz nichts vergisst. Dabei geben, genau wie beim geschriebenen Lebenslauf, Lücken Anlass zur Spekulation und wirken nachteilig. Dann besser keinen Mut zur Lücke haben, aber – wie Unternehmen eben auch – kreativ und produktiv mit der eigenen Geschichte umgehen.
Durch Verbindungen eigene Sichtbarkeit erhöhen
Social Media nutzen heißt auch, durch Verbindungen zu anderen eigene Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Wichtig ist, mit wem man sich vernetzt. Hier die Balance zwischen Beliebigkeit auf der einen Seite und einem zu blasierten Distinktionsbedürfnis auf der anderen Seite zu finden, ist freilich im Netz etwas schwieriger. Nicht geglückte Peer Group- oder gar Elitenbildung ist im Web ob der größeren Unverbindlichkeit aber auch weniger tragisch.
Sinnvoll ist es, die Initiative zu ergreifen und professionelle Beiträge zu kommunizieren oder zu kommentieren (zum Beispiel in speziellen Fachgruppen), von einschlägigen Kongressen zu berichten oder gar einen eigenen Blog zu betreiben. Von dem gewöhnungsbedürftigen Wort „Netiquette“ mag man halten, was man will, es weist jedenfalls auf eine sinnvolle Überprüfung des eigenen Kommunikationsverhaltens hin. Sicher: Entscheidend ist bei sozialen Plattformen, dass man sein Wissen teilt, anderen Tipps gibt und hilft, um so auch ohne direkte Gegenleistung die Vernetzung zu stärken. Doch Wissen ohne substanzielle persönliche Einschätzung und vergleichende Wertung ist bloße Information – und die liefern Google und Co. schon zuhauf.
Kontrolle über das eigene Bild
Ein einmal aufgebautes Bild sollte gepflegt, weiterentwickelt, aber auch geschützt werden. Online Reputation-Management ist hier das Stichwort: Unerwünschte und gegebenenfalls nachteilige Inhalte, wie der vor Jahren in einem Forum freimütig diskutierte Bandscheibenvorfall oder die diffamierenden Einträge, die manch ein Manager in Foren anonym zu lesen bekommt, müssen gelöscht werden.
Zumindest sollen sie auf den hinteren Ergebnisseiten einer Suche mit Google und Co. landen. Nützt alle Suchoptimierung nichts, bleibt noch der Griff zur Löschsoftware oder der Anruf bei Reputation Defenders (zum Beispiel www.deinguterruf.de). Natürlich könnte man auch der Empfehlung folgen, so wenige Daten wie möglich zu veröffentlichen.
Read-only ist vorbei – was kommt nun?
Das Absuchen und Lesen von Stellenanzeigen ist eine Arbeitsmarktstrategie von gestern. Als Folge der Konvergenz sozialer Netzwerke zeichnen sich heute neue Formen und Formate der Interaktion ab: Es geht um die Verknüpfung unterschiedlicher Darstellungsmöglichkeiten, die kürzere und längere Selbstbeschreibungen (Twitter, Blogs, eBooks) ebenso umfassen wie Bilder und Videos.
Augenmaß und gesunder Menschenverstand gelten jedoch heute immer noch: Ob man Videos von Extremsportarten als Hobby mit dem eigenen Profil verknüpft oder das Parteibuch, welches unter dem Kopfkissen liegt, fotografiert, sollte man sich zweimal überlegen. Professionalität, sicht- und belastbare Vorteilhaftigkeit sind wichtiger und richtiger als pralle Authentizität. Deshalb erfordert der Aufbau, die Pflege, Kontrolle und Vermarktung der Personal Brand auf Social Media-Plattformen sowohl bewusste Zurückhaltung als auch aktive Informationspolitik. Wie bei Unternehmen eben auch. Bleibt noch die Frage: „Muss man das alles überhaupt?“ Während Personalberater, Kommunikations- und Marketing-Spezialisten oder Journalisten täglich mit Social Media konfrontiert sind und deshalb auch zeigen sollten, dass sie damit professionell umgehen können, wird das von Brauern, Metzgern, Bäckern und Ingenieuren derzeit noch nicht erwartet.
Dennoch sind diese Berufsgruppen keine Identitätsverweigerer wie Max Frischs Gantenbein oder Lady Gaga, die eher vielfältige Geschichten als ein greifbares Selbst produzieren. Auch zukünftig wird es neben Lady Gaga noch ausreichend Platz für authentische Talente geben, die für die Inszenierung ihrer Marke kein Fleischkleid auftragen müssen – sondern überzeugende Personen aus Fleisch und Blut sind.
Autoren
Dr. Christian Gärtner (Professurvertreter), Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg,
christian.gaertner@hsu-hh.de
Dieter Kern, Leiter HR Transformation & Change Management Beratung, Mercer, München,
dieter.kern@mercer.com
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