Ausgabe 5 - 2012
Lass den Bauch sprechen
Personal auszuwählen ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, kostet eine Fehlentscheidung doch eine Menge Zeit und Geld. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Bei der Entscheidung für oder gegen einen neuen Mitarbeiter lohnt es sich, seinen Gefühlen zu vertrauen.
Personalauswahl und Personalmanagement-Entscheidungen werden in der Literatur oft unter dem Aspekt der „besten“ oder der „richtigen“ Entscheidung analysiert. Habe ich wirklich den besten Mann, die beste Frau eingestellt? Oder wartet da draußen ein noch besserer Kandidat auf mich? Die Frage nach der richtigen Entscheidung ist schwer zu beantworten: Personalentscheidungen sind schließlich komplexe Entscheidungen, die in einem komplexen Umfeld getroffen werden. Viele Personalmanager negieren gerne, dass mit Auswahlentscheidungen eine eigene Unsicherheit verbunden sein kann, die manchen Entscheider sogar in Stress geraten lässt (vgl. Freimuth 1999). In diesem Beitrag, der auf der Doktorarbeit des Autors basiert, wird beschrieben, wie ein Emotionen-Management dazu beitragen kann, Entscheider im Auswahlprozess zu unterstützen.
Unsicherheit als lösbares Problem
Es existiert eine Vielzahl an Modellen und Konzepten, mit denen man trotz des Faktors „Unsicherheit“ zu „sicheren“ Entscheidungen gelangt. Ob im Risikomanagement oder im Personalmanagement, Unsicherheit erscheint häufig als ein empirisches und damit situativ lösbares Problem. Die Bedeutung des eigenen Umgangs mit Entscheidungen und die eigene Persönlichkeit werden dabei kaum betrachtet. Dabei ist doch der Umgang mit Auswahlentscheidungen auch ein individuelles Problem. Personalentscheider haben aus verschiedenen Gründen Angst, Fehlentscheidungen zu treffen: Auswählende möchten Konflikte mit Kollegen oder Vorgesetzten vermeiden. Niemand will sich blamieren. Vor allem aber haben Personalmanager das Wohl des Unternehmens im Blick.
Betrachtet man die persönliche Seite einer Entscheidung, so rückt automatisch die Bedeutung von Emotionen in den Fokus. Dass Emotionen eine hohe Relevanz bei Entscheidungen haben, ist mittlerweile fester Bestandteil der Forschung. Im Folgenden wird gezeigt, wie eine genauere Betrachtung des Umgangs mit Emotionen in Auswahlentscheidungen Personalmanagern helfen kann, komplexe, von Unsicherheit geprägte Situationen besser zu meistern.
Der Entscheidungsprozess als emotionales Erlebnis
Zuerst wird ein Blick auf die grundsätzlichen Gefühle von Entscheidern in der Auswahlsituation geworfen. Vom Top-Manager bis zum Ein-Mann Betrieb erleben die Entscheider unterschiedliche Gefühle, welche ihre Einstellung gegenüber der Auswahlsituation beeinflussen, wie diese Zitate zeigen:
Herr C. (Personalberater): „Also, die Situation ist halt immer wieder aufs Neue unangenehm. Dann muss man da schon wieder durch, auch wenn man das schon kennt.“ (vgl. Apelojg 2010, S. 112)
Herr M. (Geschäftsführer): „Ich finde es total spannend, ist eines meiner Lieblingsthemen, die ich überhaupt mache (…).“ (vgl. Apelojg 2010, S. 121)
Die Gefühle der Entscheider gegenüber der Auswahlsituation sind grundsätzlich eher positiv oder eher negativ. Die persönliche Einstellung zur Auswahlentscheidung hat einen Einfluss auf den gesamten Entscheidungsprozess. Entscheider, die sich eher unwohl und unsicher in der Personalauswahl fühlen, neigen dazu, Entscheidungen hinauszuzögern. Dies kann mit einem geringen Vertrauen in die eigene Entscheidungskompetenz und einem geringen Selbstwertgefühl zusammenhängen. In diesem Fall beschäftigen sich einige Entscheider mehr mit der eigenen Innenperspektive (Stelle ich die richtigen Fragen? Fühlt der Bewerber sich wohl?), anstatt sich der eigentlichen Aufgabe, einen geeigneten Bewerber zu finden, zuzuwenden.
Personalmanager, die hingegen gerne Auswahlentscheidungen treffen, fühlen sich in dieser Situation sicher und wohl. Sie konzentrieren sich ganz auf den Auswahlprozess. Auch haben diese Entscheider ein höheres Selbstbewusstsein und mehr Vertrauen in ihre eigenen Entscheidungen.
Die somatischen Marker
Die neurologische Forschung (vgl. Damasio 2006) hilft dabei, die Frage zu beantworten, warum Emotionen bei Entscheidungen hilfreich sein können.
Aus Damasios Sicht braucht es insbesondere bei komplexen Entscheidungen so etwas wie einen inneren Wegweiser, einen Kompass, der die Richtung vorgibt. Bei der Personalauswahl hat man zwischen mehreren Alternativen (Bewerbern) eine Auswahl zu treffen, die auf einer Vielzahl an Informationen beruht. Hierfür bedarf es eines Bewertungssystems, das einem hilft, in angemessener Zeit sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Damasio definiert dieses Bewertungssystem als „somatische Marker“. Die somatischen Marker helfen uns, Informationen zu bewerten und eine Entscheidung zu treffen. Die somatischen Marker, die wir selbst spüren können, bezeichne ich als „Bauchgefühle“: Beispielsweise sagt ein Entscheider: „Ich hatte bei dem Bewerber einfach ein gutes Gefühl!“
Abbildung
Strategien im Umgang mit den eigenen Gefühlen

Quelle: Apelojg, 2011
Manchen Menschen fehlen diese somatischen Marker. Dadurch fällt es ihnen schwer, die Vielzahl an einzelnen Informationen in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Hierzu existieren eine große Anzahl an Studien (vgl. u.a. Damasio 2006). Entscheider, denen die somatischen Marker fehlen, befinden sich ohne Unterlass auf der Suche nach relevanten Informationen, um Entscheidungen treffen zu können. So kann die Frage nach dem passenden Urlaubsort zu einem endlos langen Abwägungsprozess führen, welcher in höchst ineffizienten Entscheidungen endet.
Auch Entscheider, welche mit einem sehr geringen Vertrauen in ihre eigenen Gefühle ausgestattet sind, neigen dazu, immer mehr objektive Informationen einzuholen. Deshalb benötigen sie manchmal zu viel Zeit, um zu einer abschließenden Meinung zu gelangen. In diesem Sinne kann das Vertrauen in die eigenen Emotionen Personalmanagern eine Menge Zeit sparen. Um die Anfangsaussage, dass ein Emotionen-Management bei Auswahlentscheidungen hilfreich ist, zu stützen, lohnt es sich, einen Blick auf die unterschiedlichen Strategien im Umgang mit Emotionen zu werfen.
Drei Basisformen der Entscheidung
Es gibt drei Basisformen der Entscheidungen: „Bauch-Entscheidungen“, „Emotionen-neutralisierende-Entscheidungen“ und „Gegenden-Bauch-Entscheidungen“. Diese drei Formen unterscheiden sich insbesondere in der Frage, wie sie Entscheider dabei unterstützen, gute Personalentscheidungen zu treffen. Bauchgefühle sind negativ oder positiv gerichtete Gefühle, welche das Bewusstsein in eine bestimmte Richtung lenken. Zum Beispiel: Ich möchte diese Person nicht einstellen, weil ich ein ungutes Gefühl habe. Diese Entscheidungen sind mehr als Intuition.
Ehe es zu einer Personalentscheidung kommt, werden Gespräche mit dem Bewerber geführt, Lebensläufe und Zeugnisse durchgesehen, das Verhalten des Bewerbers beobachtet usw. In diesem Prozess sind Gefühle immer vorhanden und geben die jeweilige Richtung vor. Aus diesem Grund erscheint eine Trennung von Emotionen und Verstand nicht unbedingt hilfreich. Der Punkt ist, dass Gefühle den Informationen eine Richtung geben. Folgt man seinem Gefühl, so trifft man eine Bauch-Entscheidung. Entscheidet man entgegen seinem Gefühl, so trifft man eine Gegenden-Bauch-Entscheidung.
Bauch gegen Kopf
Entscheider, welche ihrem Gefühl folgen, treffen deutlich zufriedenstellendere Entscheidungen. Bauch-Entscheider nutzen selbst Fehlentscheidungen als Erfahrungswissen und reduzieren so das Risiko, denselben Fehler in der Zukunft erneut zu begehen. Ein Beispiel: Frau S. (Personalleiterin): „Ich habe gelernt, dass mein Bauch grundsätzlich Recht hat und dass ich mich von solchen angeblichen Kopfentscheidungen da nicht so schnell irritieren lasse. Mein Bauch ist ein ganz, ganz wichtiges Instrument.“ (Apelojg 2010, S. 138)
Im Gegensatz dazu können Entscheider, welche ihre eigenen Gefühle bewusst ausgrenzen, keine positiven Effekte aus ihren auftretenden Gefühlen ziehen. Schließlich behindern in ihren Augen Emotionen nur eine objektive und fehlerfreie Entscheidung. In der Doktorarbeit des Autors haben insbesondere Personalmanagerinnen aus Großunternehmen, in denen ein sehr strukturierter Auswahlprozess stattfindet, Emotionen ausgrenzende Entscheidungen befürwortet. Persönliche Gefühle wie Angst, Wut oder auch Freude und Begeisterung wurden kaum reflektiert. Die Ursache für negative Gefühle gegenüber dem Bewerber lag aus deren Sicht einzig und alleine in einem Fehlverhalten des Bewerbers.
Emotionen werden von diesen Personen im Auswahlprozess als mögliche Quelle für Fehlentscheidungen gesehen. Deshalb darf das Persönliche erst eine Rolle spielen, wenn die fachlichen Fähigkeiten aufgrund objektivierender Auswahlverfahren bestätigt wurden. Solche Entscheidungen sind kritisch zu betrachten: Beispielsweise hat ein Vorgesetzter Probleme mit extrovertierten Personen, spricht dies aber nicht offen an. Stattdessen lehnt er den Bewerber aufgrund seiner „arroganten“ Art ab. Der eigentliche Grund bleibt aber im Verborgenen. Dies ist oft der Beginn eines spekulativen Prozesses, bei dem jeder an der Auswahl Beteiligte die Ängste des Anderen zu kennen scheint, aber keiner sie offen ausspricht.
Gefühle nicht negieren
Die dritte und besonders problematische Entscheidungsform sind Gegenden-Bauch-Entscheidungen. Darunter werden Entscheidungen, bei denen gegen das eigene Gefühl entschieden wird, verstanden. Diese Entscheidungsform kommt bei praktisch allen Entscheidern vor. Es gibt verschiedene Gründe dafür. Ein Grund ist, dass Menschen mit einem geringen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Gefühle deutlich öfter Entscheidungen entgegen ihrer Gefühle treffen. Zum Beispiel Herr S. (Geschäftsführer): „Und es kam, wie gedacht, zum Fiasko. Da bin ich ziemlich sicher, dass ich den Fehler eh schon gerochen habe.“ (Apelojg 2010, S. 167)
Gegen-den-Bauch-Entscheidungen haben in doppelter Hinsicht negative Konsequenzen. Einerseits fühlt sich der Entscheider mit seiner eigenen Entscheidung unwohl. Anderseits macht man sich für jeden Fehler des eingestellten Bewerbers Selbstvorwürfe. Personalauswahl, insbesondere wenn nicht-geeignete Mitarbeiter entlassen werden müssen, ist ein teurer Prozess, der Unternehmen bis zu mehrere 100 000 Euro kosten kann. Das Modell in der Abbildung auf S. 60 zeigt, wie personelle, situative und strukturelle Faktoren die drei Entscheidungsmuster beeinflussen.
Den eigenenen Gefühlen vertrauen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das bewusste Emotionen-Management Personalentscheider im Auswahlprozess unterstützen kann. Personalmanager sollten aus diesem Grund mehr über ihren Umgang mit Emotionen lernen und erfahren, wie die eigenen Gefühle unterstützend in Entscheidungsprozessen eingesetzt werden können. Die Funktionsweise unseres Gehirns und das Zusammenspiel neurologischer, emotionaler und rationaler Prozesse zu verstehen, ist dafür besonders hilfreich. Es ist wichtig, in komplexen Entscheidungssituationen den eigenen Gefühlen zu vertrauen. Ein besonderes Augenmerk sollte darauf gelegt werden, die Anzahl an Gegenden-Bauchentscheidungen zu reduzieren. Insbesondere, da solche Entscheidungen hohe Kosten verursachen können. Außerdem sollten Faktoren, die Gegenden-Bauch-Entscheidungen befördern, möglichst minimiert werden. Beispielsweise sollten bei Auswahlentscheidungen, die im Team getroffen werden, die Gefühle aller Entscheider ernst genommen und berücksichtigt werden. Das richtige Emotionen-Management hilft Managern in einer durch Unsicherheit geprägten Situation richtige Entscheidungen zu treffen. Das verringert Fehlentscheidungen und spart Kosten.
Apelojg, B.: Emotionen in der Personalauswahl. Wie der Umgang mit den eigenen Gefühlen Entscheidungen beeinflusst (Doktorarbeit), Mering 2010.
Damasio, A. R.: Descartes' Irrtum: Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn, Berlin, 4. Auflage, 2006.
Freimuth, J. (Hrsg.): Die Angst der Manager, Göttingen 1999.
LeDoux, J. E.: Das Netz der Gefühle, München, 3. Auflage, 2004.
Autor
Dr. Benjamin Apelojg, wissenschaftlicher Mitarbeiter für ökonomische Bildung, Universität Potsdam,
apelojg@uni-potsdam.de
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