Ausgabe 5 - 2012
Wenn die Großen fragen
Wie und mit welchen Zielsetzungen führen deutsche Großunternehmen ihre Mitarbeiterbefragungen durch? Eine Kooperationsstudie zwischen der LMU München und der BMW AG hat Antworten gefunden.
Mitarbeiterbefragungen (MAB) haben sich in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelt und gewinnen immer mehr an Bedeutung. Hinter diesem Trend steht die Annahme, dass Unternehmen nur dann mittel- und langfristig erfolgreich sein können, wenn sie über effiziente Rückkopplungsmechanismen und funktionsfähige Feedbackprozesse verfügen.
In der vorliegende Studie sollte geklärt werden, ob in der Praxis von MAB bei deutschen Großunternehmen eine vermehrt strategische Ausrichtung zu erkennen ist und inwiefern die inhaltliche Ausrichtung einen Einfluss auf die Durchführungs- und Umsetzungspraxis hat. Weitere Fragen waren, welche Erfahrungen die Unternehmen bei der Durchführung machen und wo aktuell die Herausforderungen liegen. Die Stichprobe wurde im ersten Schritt durch Teilnehmer der Racer Benchmark Group beziehungsweise des Netzwerkes Mitarbeiterbefragung rekrutiert. Unternehmen des Netzwerks Mitarbeiterbefragung haben sich das Ziel gesetzt, durch einen regelmäßigen Austausch von „Lessons Learnt“ und „Best Practices“ ihr Know-How zu erweitern. Die Unternehmen in der Racer Benchmark Group haben sich zudem das Ziel gesetzt, belastbare Indizes und Vergleiche für MAB zu ermitteln. Dazu gehören Unternehmen im deutschsprachigen Raum mit mehr als 15000 Mitarbeitern (Allianz, Audi AG, BASF SE, Bertelsmann AG, BMW AG, Daimler AG, Deutsche Bahn, Deutsche Bank, Deutsche Börse, Deutsche Post World Net, Deutsche Steinkohle AG, Deutsche Telekom AG, Dresdner Bank/Commerzbank, E.ON AG, Evonik Industries, Generali Deutschland Holding AG, Hilti Corporation, RAG Aktiengesellschaft, Robert Bosch Car, SAP, Thyssen Krupp Steel, Stand Juli 2011). Ausgehend von dieser Expertengruppe wurden weitere DAX-30-Unternehmen kontaktiert. 36 der 39 angeschriebenen Teilnehmer riefen den Link zum Onlinefragebogen auf. Davon nahmen 22 Unternehmen an der Studie teil, was einer Rücklaufquote von 56 Prozent entspricht. 19 Datensätze konnten aufgrund ihrer Vollständigkeit in die Auswertung einbezogen werden. Zur besseren Interpretation der Ergebnisse wurden zusätzlich neun Telefoninterviews geführt.
Zielsetzungen, Bedeutung von Indizes
MAB deutscher Großunternehmen bedienen aktuell sehr heterogene Zielsetzungen (Abbildung 1). Die drei meistgenannten Ziele sind, die Leistung unter Einbindung aller Mitarbeiter zu erhöhen (79 Prozent), das Gewinnen allgemeiner strategischer Informationen für das Management (74 Prozent) und die Möglichkeit für Führungsfeedback sowie die Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit (mit 68 Prozent gleich häufig genannt).
Abbildung 1
Gründe für die Durchführung von Mitarbeiterbefragungen bei deutschen Großunternehmen

MAB deutscher Großunternehmen bedienen aktuell sehr heterogene Zielsetzungen. Neben motivationalen Aspekten spielen strategische Ziele zunehmend eine Rolle.
Die Tendenz, allgemeine strategische Informationen für das Management zu gewinnen, wird dadurch unterstrichen, dass 14 (74 Prozent) der teilnehmenden Unternehmen berichten, dass sie mindestens einen Zielwert für die strategische Unternehmensführung aus der MAB ableiten. Als Beispiele wurden Employee Engagement Indizes, Führungsindizes und mitarbeiter- oder leistungsbezogene Indizes genannt.
Die verbreitete Ableitung von Zielwerten bedeutet jedoch nicht, dass die Befragung gesamthaft strategisch ausgerichtet wäre. Eine Auswertung der Befragungsinhalte zeigt, dass die Top-Themen der MAB im Vergleich zu anderen Studien inhaltlich konstant bleiben (Feedback zum direkten Vorgesetzten, zu persönlicher Entwicklung, zu Zielen, Aufgaben und Arbeitstätigkeit, zu Team, Kollegen und interner Zusammenarbeit et cetera). Inhalte zu strategischen Themen sowie zu Beanspruchung, Belastung und Stress nehmen hingegen zu. Beobachtbar ist eine Tendenz hin zu einem kürzeren Befragungsturnus von einem dreijährigen hin zu einem zwei- bis einjährigen Turnus. Die Frage „In welchem Turnus werden Mitarbeiterbefragungen bei Ihnen durchgeführt?“ beantworteten die meisten Unternehmen mit „alle zwei Jahre“ oder „jährlich“. Zudem zeigt sich die weiterhin große Bedeutung der Unterstützung bei MAB durch einen externen Partner: 17 der teilnehmenden Unternehmen (90 Prozent) nutzen die Expertise eines externen Partners zur Unterstützung ihrer MAB.
Anzahl der Fragen
Es zeigen sich aktuell gegensätzliche Positionen bezüglich eines identischen Fragenumfangs der MAB für alle Mitarbeiter. In etwa der Hälfte der Unternehmen haben einzelne Bereiche oder Hierarchieebenen die Möglichkeit, die Inhalte der Befragung flexibel anzupassen und Zusatzfragen zu stellen.
Abbildung 2
Qualitätscheck Mitarbeiterbefragung

Vernetzung mit Personalinstrumenten
Es findet sich nur vereinzelt eine inhaltliche Vernetzung der MAB mit anderen Personalinstrumenten. Von den zehn Unternehmen, die eine bereits vorhandene Vernetzung generell bestätigten, nutzen nur drei Unternehmen die Extrem-Position der Antwortskala.
Es besteht jedoch die Tendenz, die Ergebnisse der MAB in die Leistungsbeurteilung der Führungskräfte aufzunehmen: zwölf der 19 befragten Unternehmen (63 Prozent) geben an, dass die Ergebnisse der MAB innerhalb des jährlichen Zielvereinbarungsprozesses in die persönliche Leistungsbeurteilung der Führungskraft eingehen.
Weiterhin besteht ein Trend zur Verknüpfung der Ergebnisse der MAB mit den Managementsystemen. Von einer Verknüpfung der MAB mit den Managementsystemen berichten zwölf Unternehmen (63 Prozent). Eine solche Verknüpfung besteht beispielsweise mit Sonderformen der Balanced-Scorecard (BSC) und Key Performance Indicators (KPI). Die Ergebnisse zeigen die Bedeutung der zentralen Rolle der Führungskräfte im Folgeprozess der MAB. So sehen beispielsweise 17 der teilnehmenden Unternehmen (90 Prozent) die Führungskraft bei der Ergebnisrückmeldung an die Mitarbeiter in der Verantwortung. Außerdem zeigen sich durchgängig Schwachstellen in der Darstellung der Kontingenz zwischen Erhebung und Folgeprozess. Die Zuordnung der Ergebnisse der Maßnahmenumsetzung zu der Mitarbeiterbefragung als eigentlichem Initiator bleibt unklar.
Datenbezogene Potenziale
Im Gespräch mit Befragungs-Experten wurden verschiedene Potenziale und Herausforderungen für MAB genannt. Auf Ebene der Daten aus MAB werden Potenziale in Benchmarks gesehen. Hier ist vor allem auf die Relevanz der Benchmark-Daten zu achten. Beim Einkauf von Benchmark-Daten bei kommerziellen Anbietern sind insbesondere die Aktualität der Daten und die Vergleichbarkeit der Unternehmen zu berücksichtigen. Für deutsche Großkonzerne bietet sich die Teilnahme an der Racer Benchmark Group an, da hier neben der Aktualität der Daten auch ein nahtloser Vergleich der Inhalte garantiert ist.
Datenbezogenes Potenzial wird auch in Linkage-Analysen gesehen. Eine Verknüpfung zwischen den Soft-Faktoren der MAB mit harten Kennzahlen des Unternehmens oder eines Bereichs kann den Ergebnissen eine höhere Qualität verleihen. Dazu gehören beispielsweise Produktivitäts- und Qualitätskennzahlen sowie Krankenquoten. Auf diese Weise können Maßnahmen abgeleitet werden, die sich direkt auf diese Kennzahlen auswirken. Schwierigkeiten liegen allerdings oft darin, Zugriff auf die harten Kennzahlen zu erhalten.
Prozessbezogene Potenziale
Neue Formate, die in Veränderungsprozessen angewendet werden, leben von der Schnelligkeit, sichtbare Ergebnisse zu produzieren. Erfolgsvokabeln lauten hier „High Impact“, „Rapid Results“ oder „Real Time“. Eine stärkere Ergebnisorientierung im Management von Befragungen kann der Analyse-Orientierung entgegenwirken, die durch MAB oft ausgelöst wird. Der messbare Mehrwert einer MAB findet sich erst in Verbesserungen, die ohne die Befragung nicht zustande gekommen wären. Der Fokus einer MAB muss deswegen verstärkt auf dem Folgeprozess und auf konkreten Ableitungen liegen.
Das wird erreicht, indem nach der Befragung möglichst ohne Verzögerung flächendeckende Transparenz über die Befragungsergebnisse hergestellt wird und zeitnah sehr konkrete Maßnahmen gefunden werden. Das Ableiten von Handlungsfeldern ist dabei nur ein erster Schritt, denn Handlungsfelder sind meist übergeordnet und zusammenfassend formuliert. Damit die Mitarbeiter erleben, dass sich aufgrund der MAB-Ergebnisse tatsächlich etwas ändert, sind konkrete, sichtbare Ergebnisse notwendig. Diese können in der Kommunikation im Folgeprozess prägnant herausgestellt werden.
Instrumentbezogene Herausforderungen
Der Trend, stärker auch strategische Inhalte in der MAB zu erheben, kann zu einer unklaren Positionierung des Instruments führen. Das kann dann problematisch sein, wenn falsche Erwartungen bei den Befragten geweckt werden. Bei MAB haben die befragten Mitarbeiter die Erwartung, Feedback zu ihren Ergebnissen zu erhalten und in den Folgeprozess eingebunden zu werden. Geht es in zunehmend strategischen Befragungen darum, Informationen für die Unternehmensführung zu generieren, um strategische Entscheidungen zu treffen, so ist die Einbindung der Mitarbeiter in den Folgeprozess nicht notwendigerweise flächendeckend vorgesehen. Ein klares Erwartungsmanagement im Vorfeld ist diesbezüglich notwendig, damit die Akzeptanz der Befragung erhalten bleibt.
Für das Befragungs-Management ergibt sich an dieser Stelle ganz grundsätzlich die Frage, welche Inhalte in die MAB gehören, und welche weiteren Befragungs-Instrumente das Unternehmen benötigt. Insbesondere Instrumente mit ähnlichen Befragungsinhalten sollten gut aufeinander abgestimmt sein. Dazu gehören Instrumente des 360-Grad-Führungsfeedbacks und auch Monitoring-Tools. Für die klare Positionierung unterschiedlicher Befragungen ist eine systematisch aufeinander abgestimmte Instrumentenlandschaft die Vo raussetzung. Themenbezogene Befragungen haben den Vorteil, die Befragungsbelastung für die Gesamtorganisation zu minimieren und den befragten Personen Sinn und Zweck der jeweiligen Befragung zu vermitteln.
Die Parallelisierung von Instrumenten birgt gleichzeitig die Gefahr der Überbefragung einzelner Mitarbeiter. Eine zentrale Stelle im Unternehmen mit Supervisor-Funktion kann diese Gefahr abwenden, indem sie in einem ersten Schritt kritisch prüft, ob tatsächlich die Notwendigkeit einer Befragung vorliegt. Viele Befragungs-Initiativen sehen in einer Befragung die Möglichkeit für einen Dialog. Zu prüfen wäre, ob dieser Dialog auch auf andere Weise hergestellt werden kann. Oft sind Workshop-Formate mit Groß- oder Fokusgruppen gute Alternativen. Gleichzeitig kann eine zentrale Funktion im Fall einer zusätzlichen Befragung die Qualität sicherstellen, durch systematisches Stichproben-Management die Überbefragung von Einzelpersonen verhindern und die generierten Daten miteinander in Bezug setzen, um für das Unternehmen übergreifende Erkenntnisse abzuleiten.
Bungard,W., Niethammer, K. & Müller, C.: Mitarbeiterbefragung – was dann…? MAB und Folgeprozesse erfolgreich gestalten. Heidelberg 2007.
Koerner, S., Bruch, H., & Stephany, U.: Mit Energie und Vertrauen voran: Der BMW Group Change Monitor. Organisationsentwicklung, 1 (2012), S. 32-37.
Stephany, U.: Mehr als Worte. Die Verarbeitung organisationaler Veränderungsbotschaften im sozialen Kontext. Berlin 2011.
Präsentationsunterlagen der detaillierten Befragungsergebnisse können bei Simone Gutzan angefragt werden: simone.gutzan@gmx.de
Autoren
Dr. Ulrich Stephany, Change Management Beratung, BMW AG,
ulrich.stephany@bmw.de
Simone Gutzan, Bachelor-Studium Psychologie, Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München,
simone.gutzan@gmx.de
Prof. Dr. Jürgen Schultz-Gambard, emeritierter Professor für Organisations- und Wirtschaftspsychologie, Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München,
schultz-gambard@t-online.de
- Freiheit und Gerechtigkeit
- Stockholm, bitte melden!
- „Habt Ihr genügend Freiheiten?“
- Väter im Fokus
- Talente und Kompetenz im Gleichgewicht
- Frische und Vielfalt
- Was will ich für wen wo und wie sein?
- Aufspringen ist Pflicht
- Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile
- Mit den falschen Netzen fischen
- Der neue Ethik-Kodex des iGZ
- Mehr Selbstverantwortung wagen
- Lass den Bauch sprechen
- Warum „Nein“ manchmal „Ja“ bedeutet
- Wenn die Großen fragen
- Mitarbeiter führen heißt Gehirne führen
- Traum oder Trauma?