Ausgabe 5 - 2012
Stockholm, bitte melden!

Aufgewachsen in den USA, beruflich unterwegs zwischen Stockholm und Berlin – als Change Managerin beim Energieunternehmen Vattenfall ist Felicitas von Kyaw eine Kosmopolitin. Ihrer Aufgabe widmet sie sich mit großem Engagement – wenn nicht gerade die Technik dazwischen funkt.
Es klappt nicht. Die Video-Konferenz mit Stockholm, für die frühen Nachmittagsstunden avisiert, scheint zu scheitern, bevor sie überhaupt richtig losgeht, der Monitor bleibt schwarz. Kein Problem für Felicitas von Kyaw, Vice President Organisational Development & Change Group HR bei Vattenfall, wo sie an den schwedischen Personalvorstand der Gruppe berichtet: Kurzerhand zieht sie in das Büro ihres Kollegen Andreas Parchmann um, um dort gemeinsam mit ihm die Video-Konferenz zum Thema Change Management und Internal Engagement zu leiten.
Alltag für die Change Managerin: Viele ihrer Termine finden an diesem Tag im „virtuellen Raum“, sprich, per Video- oder Telefon-Konferenz zwischen Stockholm, ihrem Berliner Büro oder den Niederlanden statt.
Was ist die Triebfeder ihrer Arbeit? „Die People-Dimension soll Beachtung finden“, sagt Felicitas von Kyaw. Ihre Aufgabe macht ihr „unglaublich viel Spaß“. Den merkt man ihr nicht zuletzt beim Umgang mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Berliner Vattenfall-Dependance auch an. Der Ton ist, trotz eines nicht unherheblichen Arbeitspensums, herzlich.
Der Change liegt ihr im Blut
Die Tochter eines Diplomaten ist in den USA aufgewachsen – der „Change“ liegt ihr sozusagen im Blut. In den Vereinigten Staaten ist auch zur Schule gegangen, hat in Washington und New York gelebt.
Lange hat Felicitas von Kyaw als Beraterin bei Capgemini Consulting gearbeitet, was ihr nach eigenem Bekunden jetzt zugute kommt – ebenso wie ihr VWL-Studium, was ihr einen Businessorientierten Blick verschafft. „Veränderungsfähigkeit ist die Grundlage meiner Arbeit“, sagt die Change Managerin. Bei Capgemini Consulting war sie als Leiterin Change Management Beratung tätig – auch für Vattenfall. „Vattenfall ist an mich herangetreten“, erzählt Felicitas von Kyaw. „Die Arbeit bei Capgemini Consulting hat mir viel Freude bereitet, und es hätte vielleicht ewig so weitergehen können, aber mich hat die Aufgabe der Organisationsentwicklung und des Change einmal aus einer anderen Perspektive, aus der internen im Konzern, gereizt“, beschreibt sie ihren Antrieb zum Rollenwechsel.
Insgesamt über 15 Jahre Erfahrung im Umfeld Change und Transformation Management, Human Resources und Vertrieb bringt sie aus Tätigkeiten in Konzern, Beratungsunternehmen und StartUp mit, ein Pfund, mit dem Felicitas von Kyaw wuchern kann: In ihre Arbeit bringt sie ihre – aus unterschiedlichen Perspektiven gesammelte – Erfahrung mit organisatorischen und wirtschaftlichen Anforderungen in Unternehmen ein. Seit August 2010 arbeitet sie bei Vattenfall auf Gruppen-Ebene, unter anderem verantwortlich für Themen wie Organisational Design, Employer Branding, Employee Survey, Diversity und Change Management. Gestartet ist sie direkt mit einem Großprojekt: Die Umstellung des Unternehmens von einem geographisch ausgerichteten Steuerungsmodell hin zu einem länderübergreifenden „Businessled“ Modell. „Bildlich gesprochen: Die Perspektive hat sich verändert“, sagt Felicitas von Kyaw.

Regelmäßig trifft sich Felicitas von Kyaw mit ihrem Kollegen Andreas Parchmann zum Gespräch.
Ein Mammutprojekt, immerhin mussten rund 40 000 Mitarbeiter europaweit in „Lines of business“ gebracht werden. Im September 2010 hatte Vattenfall-CEO Øystein Løseth die Neuaufstellung angekündigt. „Überzeugungskraft beziehungsweise Überzeugungsarbeit ist ein wesentliches Element im Change“, sagt die Personalerin. Im Januar 2011 wurde die Neuorganisation implementiert. „Wir wollten Synergien freisetzen, von einander lernen und das Unternehmen weiter auf den Markt ausrichten“, bringt es Felicitas von Kyaw auf den Punkt. „Die Energiewende hat sicherlich einen zusätzlichen Schub für den Change gebracht“, sagt die Wahl-Berlinerin, die lange in Hamburg gelebt hat und sich nach eigenem Bekunden anfänglich schwer von der Hansestadt trennen konnte. Der Wandel hat auch noch andere Folgen eher praktischer Art: Da die Konzernsprache Englisch ist („durch die praktische Auflösung von Grenzen“), nimmt die Zahl der Sprachkurse, die die Mitarbeiter in Anspruch nehmen, deutlich zu – außerdem sind interkulturelle Trainings gefragt.

Gemeinsam mit Andreas Parchmann leitet die Change-Managerin eine Video-Konferenz.

Mit Romy Behrendt bespricht Felicitas von Kyaw das Thema Diversity.
Besagte Energiewende bedeutete für das Unternehmen allerdings auch einen starken wirtschaftlichen Einschnitt: Der in Deutschland beschlossene Atomausstieg hat Vattenfall schwer getroffen. 2011 brach der Gewinn des Staatsunternehmens um 21 Prozent auf etwa 10,4 Milliarden Kronen (rund 1,18 Milliarden Euro) ein.
Zwischen Stockholm und Berlin
Reisen gehört zum Berufsalltag von Felicitas von Kyaw: Mehrere Tage die Woche ist die Change Managerin normalerweise in Stockholm, um an ihrem dortigen Desk präsent zu sein. „Inzwischen hat mein Reisepensum ein wenig abgenommen“, sagt sie, im Zuge der Neuaufstellung des Unternehmens gibt es zwar immer noch viel zu tun, aber die Arbeitsbelastung lässt sich offenbar auch mit weniger Pendeln schultern.
Video-Konferenzen treten an die Stelle dieser Besuche, indes: „Persönliche Meetings sind wichtig und manchmal durch nichts zu ersetzen“, sagt Felicitas von Kyaw. Auch ein Grund dafür, dass im Zuge des Reorganisations-Prozesses das Management „auf Besuchstour“ durch die verschiedenen Bereiche ging, um sich mit Mitarbeitern zu treffen, nicht zuletzt, um Präsenz vor Ort zu zeigen und um Unsicherheiten beim Wandel aufzugreifen. Tenor: Wo geht die Reise hin? Was erwartet die Mitarbeiter bei der Neuaufstellung des Unternehmens konkret? „Ein Change ist immer auch ein Kraftakt, nichts, was von alleine passiert,“ sagt Felicitas von Kyaw.
Neuaufstellung des Unternehmens
Bereits in 2011 wurde eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt, nicht zuletzt, um zu verstehen, wo die Mitarbeiter des dem schwedischen Staat gehörenden Unternehmens beim Wandel stehen. Eine weitere Mitarbeiterbefragung im April unter dem Motto „Your voice matters“ soll weitere Transparenz bringen.
Insbesondere die Implementierung neuer Werte war mit einem gewissen Widerstand verbunden, räumt Felicitas von Kyaw ein, „das ist ein typisches Merkmal von Change-Prozessen“. Doch man merkt ihr an, dass sie mit dem bislang Erreichten nicht unzufrieden ist. „Wir haben viel Energie in sogenannte Employee Dialogues investiert, in denen die Manager mit ihrem Team die Zusammenhänge der Veränderung von Strategie, Struktur und Kultur erarbeitet haben. Diese Dialoge fortzusetzen bleibt auch zukünftig ein Hauptaugenmerk.“
Als erster großer Termin des Tages steht eine Video-Konferenz auf der Tagesordnung. Thema: der niederländische Energieerzeuger Nuon, der von Vattenfall gekauft wurde und dessen Integration jetzt weiter voran getrieben werden soll. Viel Arbeit auch für Felicitas von Kyaw, die als Mitglied des zehnköpfigen Migration Councils in den Prozess mit eingebunden ist. „Für die Nuon-Mitarbeiter bedeutet das natürlich auch eine gewisse Art von Abschied“, sagt die Change-Managerin. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall kaufte die Nummer zwei auf dem niederländischen Markt im Jahr 2009. Es geht, so Felicitas von Kyaw, nicht zuletzt darum, „die Mitarbeiter engagiert an Bord zu halten“. Es ist ein langwieriger Prozess, der sicher erst nach mehreren Zwischenschritten abgeschlossen sein wird.
Beim Lunch wird über Interkulturelles geredet
Anschließend trifft sich Felicitas von Kyaw zum Lunch mit Andreas Parchmann, verantwortlich für Organisational Development and Change in der Business Division Production. Diversity und interkulturelle Zusammenarbeit sind beim Essen heute ihre Themen – kein Wunder bei einem Unternehmen, dessen Firmenzentrale in Schweden liegt, das aber europaweit agiert. „Schweden sind eher konsensorientiert, Niederländer sind direkter“, nennt Andreas Parchmann Beispiele der unterschiedlichen Herangehensweise verschiedener Länder und Kulturen. Parchmann und von Kyaw besprechen außerdem ein Mentoring-Programm, das die Unternehmensvorstände zur Steigerung der Quote von Frauen in Führungspositionen übernehmen. Nach dem gemeinsamen Mittagessen steht eingangs beschriebene Videokonferenz an. Die Sprache ist Englisch, der Ton locker, aber sachlich.
Workshop-Abstimmung
Nachmittags trifft sich Felicitas von Kyaw mit Romy Behrendt, Expertin für Diversity Management. Eine Frauenquote gibt es bei Vattenfall nicht, allerdings steht das Thema Diversity durch feste Ziele manifestiert ziemlich weit oben auf der Agenda. Heute steht die Organisation eines Diversity-Workshops mit Vertretern aus dem Business auf dem Programm: Wie sieht das Papier aus, auf dessen Grundlage der Workshop stattfinden soll?
Felicitas von Kyaw ist eine aufmerksame Zuhörerin mit einem Blick für Details. „Du brauchst ein selling chart dazwischen“, rät sie ihrer Mitarbeiterin angesichts der zahlreichen Abbildungen, Zahlen und Grafiken in dem Papier, dass die beiden besprechen und in dem unter anderem aktuelle Statistiken zum Thema präsentiert werden. Testimonials und Fotos sollten ebenfalls berücksichtigt werden. Romy Behrendt verspricht, sich darum zu kümmern.
Die Diversity-„Vision“ schließlich soll als wichtigstes und auch schwerwiegendstes Element in dem Papier stehen, gefolgt von einem „Action Plan“. „Es geht uns dabei ausdrücklich nicht nur um Gender Diversity, konkret, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, sondern um die gesamte Bandbreite des Themas“, stellt Felicitas von Kyaw klar. Eines steht jedenfalls fest: Für die Vattenfall-Change Managerin bleibt es weiterhin spannend. Auch wenn sie vielleicht nicht mehr ganz so oft zwischen Berlin und Stockholm pendelt wie zu Anfang der Transformation.
Vattenfall Gruppe
Vattenfall ist einer der größten Stromerzeuger und Wärmeproduzenten in Europa. Der konsolidierte Umsatz belief sich 2011 auf 181 040 Millionen SEK. Die von Vattenfall gelieferten Hauptprodukte sind Strom, Wärme und Gas. Bei Strom und Wärme ist Vattenfall über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg tätig: Erzeugung, Verteilung und Vertrieb. Bei Gas ist Vattenfall vor allem im Vertrieb tätig. Darüber hinaus betreibt Vattenfall Energiehandel und Braunkohlebergbau.
Die Gruppe beschäftigt rund 34 000 Mitarbeiter. Vattenfall AB, die Muttergesellschaft, befindet sich zu 100 Prozent in Händen des schwedischen Staates und ist europaweit tätig.
Autor
Sven Frost
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