Ausgabe 5 - 2014
Nimm das Sieb, nicht die Schrotflinte
Vor nicht allzu langer Zeit wurde „Active Sourcing“ noch als Hype belächelt. Mittlerweile kann eine große Zahl von Unternehmen jedoch praktische Erfahrungen mit der Recruiting-Methode vorweisen. Zeit für eine Bestandsaufnahme und den Blick darauf, welche Ansätze funktionieren und von welchen Unternehmen besser die Finger lassen sollten.
Der klassische Professional von heute möchte nicht nach einer Stelle suchen, er möchte gefunden werden“ – davon ist Marc-Stefan Brodbeck, Leiter Recruiting & Talent Acquisition bei der Deutschen Telekom, überzeugt. „Wer nicht 08/15-Talente sucht, muss Mut beweisen, auffallen und Phantasie ins Recruiting legen.“ Der Telekommunikationskonzern hat sich deshalb bereits vor einigen Jahren dazu entschlossen, öfter auch aktiv auf Kandidaten zuzugehen. Dadurch sei das Unternehmen in der Lage, Stellen mit Top-Kandidaten viel schneller, viel günstiger und auch besser zu besetzen als über andere Kanäle. Die Telekom verfolgt dabei einen umfassenden Ansatz: „Wir gehen auf Messen, an Universitäten und verteilen schon einmal vor den Firmengeländen anderer Unternehmen Eis an deren Mitarbeiter“, erläutert Brodbeck. Aber auch online wird fleißig nach potenziellen Kandidaten Ausschau gehalten. „Wir suchen unter anderem auf Xing, LinkedIn, Experteer, Monster, Careerloft und auf unserer unternehmenseigenen Jobbörse.“ Besonders gute Ergebnisse erziele man durch die Nutzung von Xing-Kontakten von Kollegen. „Bereits zehn Prozent unserer Bewerbungen und 20 Prozent der Einstellungen kommen aus persönlichen Empfehlungen“, so Brodbeck.
Proaktives Recruiting auf dem Vormarsch
Am Beispiel der Telekom zeigt sich: Wer im Recruiting etwas auf sich hält, hat sich von der als altbacken verpönten „Post & Pray-Strategie“ verabschiedet und betreibt das, was in der hiesigen HR-Welt etwa seit 2010 unter dem Schlagwort „Active Sourcing“ zunehmend als ein Königsweg zur Beseitigung von Personalengpässen diskutiert wird. Einer, der diese Diskussion beobachtet, aber auch aktiv mit vorangetrieben hat, ist Wolfgang Brickwedde, Director des Heidelberger Institute for Competitive Recruiting (ICR), das Unternehmen in Sachen Personalbeschaffung berät. Er definiert Active Sourcing als Recruiting-Strategie vor allen Dingen über das Attribut „proaktiv“. Es ergänze die Aktivitäten des reaktiven Recruitings wie die Anzeigenschaltung in Print und Online um eine Komponente, bei der der Arbeitgeber aktiv und gezielt auf potenzielle Kandidaten zugehe. „Active Sourcing dient in der Regel der kurz- und mittelfristigen Stellenbesetzung und kann sowohl offline als auch online betrieben werden“, weist Brickwedde darauf hin, dass die Aktivitäten sich nicht notwendigerweise auf das Internet beschränken müssen. In der Praxis werde gleichwohl heute vor allem die Suche und Ansprache über Business-Netzwerke und CV-Datenbanken darunter verstanden.
„2010 war Active Sourcing – gemessen an den Ergebnissen – noch ein Hype“, blickt Brickwedde zurück. Mittlerweile habe sich das stark geändert, sagt der Experte mit Blick auf die Befunde des „Active Sourcing Reports 2013“, für den er mit seinem ICR 445 Personalverantwortliche befragte. „Gaben 2010 noch 20 Prozent der Unternehmen an, häufig oder immer auch proaktiv nach Kandidaten zu suchen, sind es heute gut 50 Prozent.“ Der Anteil der Bewerber, die Unternehmen über Active Sourcing gewinnen, schwankt allerdings noch deutlich: Knapp die Hälfte der befragten Firmen erreichen bislang weniger als 10 Prozent, 20 Prozent von ihnen allerdings bereits über 40 Prozent (siehe Abbildung 1).
Active Sourcing ergänzt die Stellenanzeige
Wird die Stellenanzeige bald obsolet, wenn die Entwicklung so weitergeht? „Es war bis vor wenigen Jahren auch mein Gedanke, dass Social Media-Recruiting auf Kosten des Einstellungskanals Jobbörsen wächst“, sagt Wolfgang Brickwedde. „Das hat sich in den ICR-Studien allerdings nicht so entwickelt. Im Gegenteil: Jobportale bleiben die wichtigste Quelle für die Einstellung. Ihr Anteil schwankt stabil zwischen 30 und 35 Prozent.“ Grund sei vor allem, dass jeweils unterschiedliche Arbeitsmarktsegmente adressiert würden – über Jobbörsen die aktiv Suchenden, über Social Media die latent Suchenden.
CV -Datenbanken boomen
Gleichwohl hat der zunehmende Drang der Recruiter, selbst auf die Pirsch nach Fachkräften zu gehen, Auswirkungen auf die verschiedenen Dienstleister rund um Personalbeschaffung: Klassische Jobbörsen haben bereits vor einigen Jahren damit begonnen, Lebenslaufdatenbanken einzurichten. Bei Monster.de können Arbeitgeber mittlerweile per semantischer Suche in über 230 000 Profilen stöbern, ähnliches bietet StepStone für über 380 000 Profile. Auch Experteer, das seine exklusive Klientel (in Deutschland über 700 000 Kandidaten mit Zielgehalt 60 000 Euro plus) bis vor eineinhalb Jahren ausschließlich Personalberatern präsentierte, ist auf den Zug aufgesprungen. Geschäftsführer Dr. Christian Göttsch berichtet von wachsendem Interesse der Recruiter: „Vor einem Jahr kam noch lediglich ein Prozent der Profil-Anfragen über Recruiter. Im ersten Quartal des Jahres 2014 waren es bereits fast zehn Prozent.“ Hilfe beim Active Sourcing gibt es seitens Experteer ausgerechnet durch die in diesem Fall nicht mehr klassische Stellenanzeige: „Wenn auf unserem Portal ein Bewerber eine Stellenanzeige anklickt, bekommt der Recruiter angezeigt, wer der Interessent war – sofern der Kandidat sein Profil für Recruiter freigegeben hat. Dadurch erhalten Unternehmen quasi eine Vorauswahl frei Haus und können gegebenfalls selbst über eine Direktansprache auf den Kandidaten zugehen“, erläutert Göttsch. Mehr zu den verschiedenen Anbietern und ihren Suchfunktionen lesen Sie ab Seite 28.
Knappe Arbeitsmärkte und Zeitdruck zwingen zum Handeln
Der Blick in die Praxis zeigt, dass vor allem drei Gründe ausschlaggebend dafür sind, dass Recruiter selbst als Headhunter agieren: knappe Arbeitsmärkte, Dringlichkeit der Stellenbesetzung und der Wille, Personalberatungen erst als ultima ratio hinzuzuziehen.
„Wir machen die Erfahrung, dass es authentisch ist und Vertrauen schafft, wenn ein Mitarbeiter der Telekom oder sogar der potenzielle künftige Chef anruft und Interesse zeigt – und nicht einen Personalberater vorschickt. Und günstiger ist es auch“, sagt beispielsweise Marc-Stefan Brodbeck. „An Active Sourcing kommt man heute nicht mehr vorbei – vor allem, wenn man auf der Suche nach IT-Spezialisten ist“, erklärt Kirstin Birner, die als Recruiterin für den Münchner IT-Dienstleister CompuSafe AG tätig ist. Damit ist sie nicht allein: Laut „Active Sourcing Report“ sind IT-Fachkräfte die Hauptzielgruppe – gefolgt von Ingenieuren/Technikern, Vertrieblern, Führungskräften und Personalmanagern. Typische Beispiele für Positionen, die Birner über Active Sourcing besetzt, sind Projektleiter im Bereich Security oder Programmierer, die spezielle Programmiersprachen beherrschten.
Die Firma Supplyon, ebenfalls aus München, die mit 140 Mitarbeitern eine B2B-Plattform für die Abwicklung von Geschäften in der Luftfahrt- und Automobilindustrie betreibt, macht ähnliche Erfahrungen. „Gerade im Großraum München ist der Markt für IT-Spezialisten sehr knapp. Wir suchen deshalb über Active Sourcing vor allem Wirtschaftsinformatiker als Produktentwickler, IT-Infrastruktur-Berater oder IT-Berater für Einführungsprozesse“, berichtet Manuel Dauma, bei Supplyon für das Recruiting zuständig: „Heute besetzen wir knapp 40 Prozent der Stellen über Active Sourcing. Bis vor zwei Jahren wurden für diese Fälle noch Headhunter eingesetzt, was mit hohen Kosten verbunden war.“
IT-Spezialisten sind Hauptzielgruppe
Auf geschätzte fünf Prozent Stellenbesetzungen über Active Sourcing kommt bislang die Hettich Unternehmensgruppe aus dem ostwestfälischen Kirchlengern, die Scharniere, Schubkastensysteme und -führungen sowie Schiebetürbeschläge für die Möbelindustrie und das Handwerk herstellt: „In der Region sind wir als guter Arbeitgeber bekannt, haben daher kein generelles Fachkräfteproblem. Bei bestimmten Berufsgruppen wie Ingenieuren oder Technikern und in einigen kaufmännischen Bereichen, bei denen wir aus Erfahrung wissen, dass kein großer Strom an Bewerbungen kommt, greifen wir parallel zur Schaltung von Anzeigen auch auf Active Sourcing zurück“, sagt Heike Sundermeier, Referentin Recruiting. In Zukunft werde man jedoch deutlich proaktiver werden müssen, weshalb wohl auch der Anteil der Einstellungen über Direktansprache zunehmen werde.
Und Christiane Köhler, bei Hubert Burda Media Leitung Recruiting Center, berichtet: „Active Sourcing kommt bei uns vor allem dann zum Einsatz, wenn es um erfahrungsgemäß schwierig zu besetzenden Stellen wie IT, Finance oder gehobenes Management geht. Letzteres suchen wir primär über Active Sourcing. Generell haben wir dabei die Regel: Bevor wir Headhunter einsetzen, kommt immer erst die eigene Direktansprache zum Einsatz.“
Alter Wein in neuen Schläuchen?
Was bei der Recherche auffiel: Es ist sicherlich kein Zufall, dass drei der vier zitierten Recruiter berichteten, in ihrem Berufsleben vorher schon einmal für eine Personalberatung tätig gewesen zu sein. Auch daran zeigt sich: Eine wirklich revolutionäre Idee ist es nicht, in knappen Arbeitsmärkten proaktiv auf potenzielle Kandidaten zuzugehen. „Der Gedanke, dass Post & Pray nicht für alle zu besetzenden Stellen die allein seligmachende Strategie ist, sondern es sinnvoll sein kann, auf potenzielle Kandidaten direkt zuzugehen, ist ja nicht neu. Personalberatungen machen das schon seit Jahrzehnten“, führt auch Professor Dr. Wolfgang Jäger, der an der Hochschule RheinMain BWL am Fachbereich Medienwirtschaft lehrt und Gesellschafter von DJM Consulting in Königsstein ist, noch einmal vor Augen. „Neu ist eher der Gedanke, dass Recruiter die Ansprache selbst übernehmen. Diesen Trend haben übrigens auch Business-Netzwerke und CV-Datenbanken in jüngster Zeit mit cleveren Marketing-Strategien angeheizt, indem sie den Recruitern einfach zu bedienende Tools an die Hand gegeben haben.“
Abbildung 1
Anteil der durch Active Sourcing generierten Bewerber

Der Anteil der proaktiv gesourcten Bewerber an allen Bewerbern schwankt stark. Die Hälfte der Unternehmen kommt aktuell nicht über 10 Prozent.
Jäger macht keinen Hehl daraus, dass er in der Breite am Erfolg der Bemühungen zweifelt. „Auch wenn es einige wenige Unternehmen gibt, die Active Sourcing professionell betreiben. Meine Einschätzung ist die, dass normale Recruiter im Unternehmen es nicht richtig können. Erstens, weil ihnen Zeit und Manpower fehlen, und zweitens, weil sie nicht über die notwendigen medialen Kompetenzen und technischen Voraussetzungen verfügen. Bei der Suche kommen daher in den meisten Fällen nur in homöopathischen Dosen wirklich passende Profile heraus.“
Auswirkungen auf Personalberatungen
Ist Active Sourcing also nur alter Wein in neuen Schläuchen? Egal, wie die Antwort ausfällt – allein die Tatsache, dass Unternehmen die Direktansprache immer häufiger lieber selbst übernehmen, müsste doch Personalberatungen um Aufträge bangen lassen, sollte man meinen. Wolfgang Brickwedde zumindest ist überzeugt: „Gerade diejenigen Personalberatungen, die sich auf die Suche nach Fachkräften spezialisiert haben, werden Probleme mit ihrem Geschäftsmodell bekommen.“
Wir haben bei Dr. Michael Faller, Geschäftsführer der Baumann Unternehmensberatung Executive Search, nachgefragt, die sowohl Mittelständler als auch Konzerne bei der Suche nach Führungskräften und Spezialisten unterstützt. Faller bestätigt: „Auch wir bemerken natürlich, dass gerade Konzerne und größere IT-Unternehmen hier eigene Kompetenzen aufbauen. Allerdings gilt dies weitgehend für die Spezialisten-Suche – überall dort, wo man versucht, mit möglichst vielen potenziellen Kandidaten in Kontakt zu kommen – nicht für die Suche nach Executives.“ Faller zeigte sich denn auch optimistisch und von den Vorzügen der Personalberatungen überzeugt. Vor allem Gründe der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit sprächen dafür, die Suche und Direktansprache weiterhin externen Dienstleistern zu überlassen. „Aus Ressourcensicht macht es für mittelständische Unternehmen keinen Sinn. Beispielsweise ist es doch so, dass viele potenzielle Kandidaten für den persönlichen telefonischen Kontakt erst ab 19:30 Uhr zu erreichen sind. In kleineren Personalabteilungen bekommen Sie da schnell ein Problem mit der Arbeitszeitgestaltung.“
Bislang sieht Faller für seine Zunft selbst bei der Spezialistensuche die Felle nicht davonschwimmen: „Die Unternehmen versuchen es zunächst einmal mit eigenen Mitteln selbst. In vielen Fällen verschiebt sich für uns das Mandat zeitlich nur nach hinten – nämlich dann, wenn die Suche erfolglos bleibt.“
Manche Kandidaten bevorzugen Personalberater
Auch wenn Unternehmen nachvollziehbarerweise für ihre Active Sourcing-Aktivitäten gerne auf die Kompetenzen ehemaliger Personalberater setzten, ist Faller sicher: „Wir haben die besseren Instrumente. Zudem ist unsere Erfahrung, dass gerade diejenigen Kandidaten, die sich in gesetzten Positionen befinden und sich nicht als wechselwillig outen, die interessantesten sind. Gerade diese Zielgruppe aber spricht erfahrungsgemäß lieber mit Personalberatern, weil sie deren neutralere Perspektive schätzt.“ Diesen Punkt bestätigt Experteer-Geschäftsführer Dr. Christian Göttsch auf Basis seiner Datenlage – wenn er auch andere Motive anführt: „Passive Kandidaten, die gefunden werden wollen, bevorzugen es, diskret angesprochen zu werden. Recruiter des eigenen Unternehmens sollen deren Profile nicht sehen. Daher schalten bei uns bis zu 50 Prozent der passiven Kandidaten ihr Profil für Recruiter auf anonym und lassen sich primär von Personalberatern ansprechen.“
Falscher Weg: Undifferenzierte Massenansprache
Das Argument der Wirtschaftlichkeit, das für Personalberater spreche, will ICR-Chef-Wolfgang Brickwedde indes nicht gelten lassen: „Wirtschaftlich lohnt sich Active Sourcing für Unternehmen immer, wenn es mit den Kosten der Besetzung einer Position durch Personalberatungen verglichen wird. Es ist eine Frage des Ertrages und der Opportunitätskosten.“ Er rechnet vor: „Für zwei bis drei nicht an eine Personalberatung vergebene Besetzungen bei einem Gehaltsniveau von 80 000 bis 120 000 Euro kann jede Firma einen Recruiter oder Sourcer einstellen, der die Stellen besetzt und dann noch jede Menge Kapazitäten frei hat.“
Professor Wolfgang Jäger wiederum ist überzeugt, dass diese Rechnung in der Praxis noch nicht aufgeht. „Wenn ich mir die Aktivitäten auch größerer Unternehmen in Sachen Active Sourcing anschaue, traue ich den wenigsten zu, dass damit überhaupt Grenzerträge erreicht werden.“ Jäger befürchtet zudem, dass schlecht ausgebildete Recruiter mit ihren Active Sourcing-Bemühungen mehr Schaden bei der Zielgruppe anrichten, als dass sie nützen. „Viel zu viele Recruiter schießen bei der Ansprache in Netzwerken mit der Schrotflinte um sich und versuchen es mit undifferenzierten Massenmails.“
Auf die Tools kommt es an
Vor typischen Fehlern, die ähnlich gelagert sind, warnt auch Wolfgang Brickwedde: „Grundsätzliche Fehler, die gemacht werden können, sind: fehlende Verknüpfung mit einer übergeordneten Recruiting-Strategie, Einsatz nicht geschulter Mitarbeiter, die einfach mal ausprobieren, falsche Anspracheinhalte.“ Auch würden viele Recruiter ohne professionelle Tools arbeiten – beispielsweise auf Xing nur mit ihrem Premium Account suchen, anstatt den Talent Manager zu nutzen: „Ein Goldsucher braucht ja auch das richtige Sieb, wenn er die Nuggets finden will“, kommentiert Brickwedde. Möglicherweise hängt es auch damit zusammen, dass die Anziehungskraft, die Recruiter beim Active Sourcing entfalten, deutlich variiert. „Die Währung im Active Sourcing ist die Response- oder Antwortquote: Aktuell muss die Hälfte der Sourcer noch mit einer Response-Quote von unter 20 Prozent auskommen. Aber es gibt auch positive Beispiele, bei denen Recruiter deutlich über 50 Prozent liegen“, fasst Brickwedde entsprechende Ergebnisse seines „Active Sourcing Reports 2013“ zusammen.
Lieblingskanäle im Active Sourcing
Der Erfolg der Suche hängt banalerweise auch damit zusammen, wo man sucht. Laut „Active Sourcing Report“ ist das Business-Netzwerk Xing das Eldorado der Talentsucher. 96 Prozent der Befragten Parsonalmanager sind mit Xing als Suchmöglichkeit vertraut, und 70 Prozent geben an, aus dieser Quelle die besten Recruiting-Ergebnisse zu erzielen. Es folgen CV-Datenbanken wie diejenigen von Experteer, Monster, StepStone & Co. Mit ihrer Nutzung sind 60 Prozent der befragten Recruiter vertraut, 14 Prozent finden hier die für sie besten Kandidaten. Danach folgt mit LinkedIn, das besonders bei der Besetzung von Stellen im internationalen Kontext frequentiert wird, wieder ein Business-Netzwerk. (55 Prozent Vertrautheit/7 Prozent beste Ergebnisse). Für die große Masse an zu besetzenden Stellen sind dies sicherlich auch die passenden Kanäle. Jedoch machen viele Recruiter, beispielsweise im IT-Bereich, die Erfahrung, dass sich ihre Klientel im Internet gerne auch in branchenspezifischen Zirkeln austauscht. Unter anderem versuchen die Recruiter dann, in Programmierer-Foren wie Stack Overflow oder GitHub Kandidaten zu identifizieren. „Wir holen hierfür frühzeitig die Hiring Manager mit ins Boot. Diese geben uns Tipps, was gerade die wichtigsten Foren sind, in denen sich die Zielgruppe bewegt“, beschreibt Christiane Köhler von Burda das entsprechende Vorgehen. Kirstin Birner von Compusafe berichtet sogar, dass sie auch Google nutzt und mittels Boolean’scher Suche zum Erfolg kommt. „Es kommt darauf an, ein Gespür dafür zu entwickeln, wie man aus dem Tätigkeitsprofil einer Stelle die richtigen Keywords für die Suche herausfiltert. Hier sind Kreativität und auch ein bisschen Trial & Error gefragt.“
Unternehmen als Bewerber
Sind interessante Profile einmal ausfindig gemacht, kommt es auf geschickte Kontaktaufnahme an. Wie die gelingt, dazu haben die befragten Recruiting-Spezialisten klare Ansichten. Massenanschreiben beispielsweise sind bei allen tabu – anders als bei immerhin ein Drittel der Recruiter, die sich laut der ICR-Erhebung nicht auf wenige Kandidaten beschränken wollen. „Grundsätzlich muss man sich vor Augen halten: Wir bewerben uns beim Kandidaten. Die Kunst ist, diesen nicht mit Informationen zu überhäufen, sondern prägnant darzustellen, warum wir genau diese Person anschreiben und warum genau unser Unternehmen das richtige ist“, steckt Kirstin Birner den Rahmen ab. „Die Rücklaufquoten steigen, je mehr man in der Kontaktaufnahme auf das Profil der Person eingeht und mögliche Schnittstellen zum Unternehmen aufzeigt“, bestätigt Heike Sundermeier von Hettich. Manuel Dauma von Supplyon hält fest: „Man sollte unter den geeigneten Kandidaten schauen, für wen die angebotene Stelle ein Entwicklungsschritt sein könnte. Im Anschreiben sollte man dann unbedingt auch auf fachliche Belange eingehen können.“ Und Christiane Köhler von Burda ergänzt: „Das Profil sollte wirklich auf die Position passen, nicht nur zu 50 Prozent. Sonst sind die Angesprochenen schnell irritiert und fragen: ‚Wie kommt ihr eigentlich auf mich?‛ Das Verständnis für die fachlichen Anforderungen spielt hier eine wesentliche Rolle.“
Die erfolgreiche Ansprache ist persönlich
Womit die Personalmanager zentrale Aspekte auflisten, die sich auch aus dem „Active Sourcing Report“ als Erfolgsfaktoren herauskristallisieren: Demzufolge geben die Recruiter, die unter 5 Prozent Response-Quote erreichen, viel häufiger einen Link sowie konkrete Informationen zur Position an als die Recruiter, die mehr als 40 Prozent erreichen. Diese nutzen weitaus häufiger persönliche Angaben aus dem Profil und geben häufiger Informationen über sich selbst an.
Abbildung 2
Response-Quote im Active Sourcing

Längst nicht jede Anfrage wird auch beantwortet. Abhängig ist die Response-Quote nicht nur von der Qualität der Ansprache, sondern auch von der Branche und der gesuchten Position.
Christiane Köhler von Burda macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass die Grundlagen für erfolgreiches Active Sourcing auch durch das Umfeld gelegt werden: „Ich kann über Active Sourcing noch so viele Profile beschaffen – wenn der restliche Bewerbungsprozess zu lange dauert und zu kompliziert ist, sind die Kandidaten schnell wieder weg. Wir haben deshalb den ganzen Recruiting-Prozess erheblich gestrafft und beispielsweise eine Vereinbarung mit den Linienmanagern getroffen, dass binnen 48 Stunden nach dem finalen Bewerbungsgespräch eine Entscheidung getroffen sein muss. Die kürzeste ‚Time to Hire‘ lag bei 10 Werktagen.“ Mit den Erfolgsfaktoren für Active Sourcing haben sich kürzlich auch die Xing AG und Experteer in jeweiligen Whitepapern beschäftigt (siehe Kasten „Mehr zum Thema“).
Kandidaten gehen auf Tauchstation
Die für den Artikel befragten Recruiter machten allesamt den Eindruck, dass sie ihr 1×1 des Active Sourcing beherrschen. Teilweise bemerken aber auch sie, dass eine zunehmende Zahl von potenziellen Kandidaten die Schotten dicht macht, aus den relevanten Netzwerken abwandert oder dort zumindest das Profil absichtlich abrüstet, weil sie nicht mehr angesprochen werden wollen. „Vor drei Jahren hatte man noch das Gefühl, dass sich die Angesprochenen gebauchpinselt fühlen und selbst antworteten, wenn sie nicht interessiert waren. Das hat sich deutlich geändert“, stellt etwa Heike Sundermeier von der Hettich Unternehmensgruppe fest. „Die Response-Quote gerade in den Business-Netzwerken hat in den letzten zwei Jahren spürbar abgenommen. Sicher hängt das damit zusammen, dass immer mehr Unternehmen Active Sourcing betreiben“, beobachtet Kirstin Birner. Und Christiane Köhler von Hubert Burda sagt sogar: „Wir machen uns ehrlich gesagt schon Gedanken über Alternativen zum Active Sourcing – auch wenn uns bislang noch nicht die zündende Idee begegnet ist. Ich bin aber der Meinung, dass zukünftig neben dem Activ Sourcing das Beziehungsmanagement zu potenziellen Kandidaten immer wichtiger wird, wobei der Aufbau und die Pflege des persönlichen Kandidaten-Netzwerks eine entscheidende Rolle spielt.“
Dass sich arbeitgeberseitiges Dauerfeuer negativ auf die Ansprechbarkeit von Kandidaten auswirken kann, sieht auch die Xing AG: „Wir raten davon ab, unpersönliche Massenansprache zu betreiben. Das hilft weder dem Recruiter noch dem Kandidaten. Wir empfehlen unseren Kunden, sich auf das Profil zu beziehen, mit einem individuellen und aussagekräftigen Anschreiben“, sagt Managerin Corporate Communications Yee Wah Tsoi, und fügt hinzu: „Sollten sich Mitglieder durch unpersönliche Massenmails belästigt fühlen, können sie sich selbstverständlich an unseren Support wenden.“ Belästigt fühlen könnten sich Netzwerk-Mitglieder in der Tat von den fast fünf Prozent der Recruiter, die im „Active Sourcing Report“ angaben, sich auch bei Kandidaten zu melden, die ausdrücklich angegeben haben, nicht angesprochen werden zu wollen. Auch wenn sich nur ein kleiner Teil derart aufdringlich verhält, kann er in bestimmten Zielgruppen für verbrannte Erde sorgen.
Potenzielle juristische Probleme
Abgesehen davon, dass dieses Vorgehen Image-Probleme mit sich bringt, kann es theoretisch auch juristische Konsequenzen haben. Darauf weist Rechtsanwältin Nina Diercks aus Hamburg hin, die sich auf Social Media-Recht spezialisiert hat: „Bislang gibt es noch relativ wenig bekannte Fälle, in denen sich Angesprochene juristisch zur Wehr gesetzt haben. Wenn man sich allerdings heute den Arbeitsmarkt anschaut, gibt es einige Beschäftigtengruppen wie ITler oder Ingenieure, bei denen man sich nicht wundern darf, wenn sie sich zunehmend genervt fühlen.“ Gerade, wenn Recruiter den Weg über die vermeintlich zurückhaltender wirkende elektronische Ansprache wählten, sei das Recht auf der Seite der Angesprochenen. „Die aktuelle Rechtslage besagt, dass potenzielle Kandidaten zwar kurz via Cold Call im Büro angerufen werden dürfen, um sie auf ein Angebot aufmerksam zu machen und ein Gespräch außerhalb des beruflichen Umfelds zu vereinbaren.“ Grund sei, dass die Rechtsprechung in diesem Fall den Mitarbeiter – jedenfalls noch – als sogenannten Marktteilnehmer betrachtet und somit eine gesetzliche Ausnahme greife. „Anders verhält es sich bei elektronischen Nachrichten. Hier sind Kontaktaufnahmen nur mit ausdrücklicher vorheriger Genehmigung erlaubt und derartige Ausnahmen nicht vorgesehen“, so Diercks. Dies führe zu dem für viele sicherlich paradox wirkenden Ergebnis, dass die Übersendung einer Nachricht via Xing zu Zwecken der An- oder Abwerbung grundsätzlich rechtswidrig sei. „Allerdings wird kaum ein Kandidat, der ‚an Jobchancen interessiert‘ in seinem Profil stehen hat, gegen eine entsprechende Nachricht eines Unternehmens vorgehen.“
Also werden Recruiter wohl auch in Zukunft verständlicherweise zunächst die elektronische Ansprache wählen – auch weil sie von den meisten Angesprochenen im ersten Schritt als die höflichere Variante gesehen wird. Wenn allerdings zu viele Recruiter und Berater mit der oben zitierten Schrotflinte unterwegs sind, dürfen sie sich vielleicht nicht wundern, wenn das Feuer irgendwann erwidert wird.
Autor
Alexander Kolberg
Experteer GmbH (Hrsg.): Direktansprache von Spitzenkräften. Expertenwissen für Entscheider, München 2013.
Institute for Competitive Recruiting (Hrsg.): Active Sourcing Report 2013. Erfahrungen der ersten Jahre, Heidelberg 2013
Tim Wetzel, Andreas Eckhardt et al: Recruiting Trends 2014, Bamberg/Frankfurt 2014.
Xing AG (Hrsg.): Active Sourcing: Das Erfolgsrezept in Zeiten des Fachkräftemangels?
Ein Whitepaper in Kooperation mit dem ICR, Hamburg 2014.
Linktipp für weitere juristische Aspekte beim Active Sourcing: www.socialmediarecht.org
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