Ausgabe 5 - 2015
Muße für Manager

Die deutschen Arbeitnehmer sind gestresst – allen voran unsere Manager, die die Geschicke einer der größten Industrienationen der Welt leiten. Unsere Führungskräfte stehen unter hoher Anspannung, absolvieren ein immenses Arbeitspensum, leisten unendliche Überstunden, arbeiten nach Feierabend und an Wochenenden – und zahlen dafür oft einen zu hohen Preis.
Vielfach scheint bei Führungskräften die Fast-Forward-Taste permanent gedrückt zu sein. Im Schnelldurchlauf werden große Mengen an Informationsbröckchen konsumiert, die ständig steigende Erwartung einer sofortigen Reaktion führt zu einer permanenten Eile bei der Arbeit. Dabei bleibt kaum Zeit, um sich einer Sache länger zu widmen, und komplexe Tätigkeiten, die Zeit, Ausdauer und Konzentration erfordern, gehen in einer Flut von vermeintlichen Dringlichkeiten unter. Viele Führungskräfte leiden darunter, keine hohe Qualität mehr liefern zu können, weil ihnen die Zeit fehlt.
Führungskräfte hetzen durch den Arbeitstag
Der klassische Büro- und Arbeitstag, wie es ihn noch vor fünfzehn oder zwanzig Jahren gab, existiert für Manager heute nicht mehr; ständige Erreichbarkeit, permanente Mobilitätsbereitschaft und Hyperaufmerksamkeit sind inzwischen die Realität. Und weil Manager ihre Zeit auch unterwegs mit Arbeit füllen und „gewinnbringend“ nutzen wollen, sind sie permanent online mit ihrem Business verbunden. Zwar ist es grundsätzlich gut für die Gesundheit, wenn Mitarbeiter ihre Arbeit räumlich und zeitlich an die eigenen Bedürfnisse anpassen können.
Doch diese Flexibilität braucht auch Grenzen: Eine repräsentative Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt auf, dass ein Drittel der Erwerbstätigen Anrufe oder E-Mails außerhalb der Arbeitszeit erhält, zwölf Prozent nehmen Arbeit mit nach Hause, und jeder Zehnte arbeitet auch an Sonn- und Feiertagen (obwohl es in Deutschland ein Arbeitsverbot für Sonn- und Feiertage gibt). Nachvollziehbar, dass vor diesem Hintergrund jeder achte Beschäftigte angibt, Probleme mit der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben zu haben – auch wenn diese Vereinbarkeit von vielen Unternehmen in ihren Hochglanzbroschüren werbewirksam vermarktet wird.
Die Wochenarbeitszeit ist deutlich zu hoch
Durch den großen Druck, ihr Arbeitspensum wenigstens zum Teil zu schaffen, liegen die Arbeitszeiten von Führungskräften häufig in einem kritischen Bereich. Nach einer Umfrage des Berufsverbands „Die Führungskräfte (DFK)“ aus dem Jahr 2012 (befragt wurden knapp 4000 Manager) arbeiten die erste und zweite Führungsebene über 50 Stunden pro Woche, Vorstände und Geschäftsführer kommen oft auf 60 Wochenstunden und mehr. Diese Angaben bestätigt auch das Sozio-oekonomische Panel (SOEP). So arbeiten nahezu 20 Prozent der weiblichen Führungskräfte 50 bis 60 Stunden in der Woche, bei den männlichen Führungskräften arbeiten vierzehn Prozent sogar mehr als 60 Stunden in der Woche (Zeitraumbetrachtung: fünf Jahre). Im direkten Austausch mit Führungskräften und Entscheidungsträgern lässt sich allerdings auch der Eindruck gewinnen, dass die geleisteten Wochenstunden vielfach über den in Studien ermittelten Daten liegen und 70 Stunden pro Woche keine Seltenheit sind. Hinzu kommt, dass sich Führungskräfte deutlich weniger Pausen gönnen als ihre Mitarbeiter. Laut einer repräsentativen Befragung unter 20 000 Erwerbstätigen in Deutschland durch das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) verzichten 35 Prozent der vollzeitbeschäftigten männlichen Führungskräfte regelmäßig auf ihre Ruhepausen, bei den weiblichen Führungskräften sind es sogar 41 Prozent. Die kurzfristigen Gewinner dieser hohen Arbeits- und geringen Pausenzeiten sind die Unternehmen. So hat das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) das Volumen an unbezahlter Arbeit für das Jahr 2010 mit rund 1,4 Milliarden Stunden veranschlagt. Das entspricht 2,9 Prozent des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens. Auch wenn die Hälfte dieser Überstunden ausgeglichen oder bezahlt wird, wird ein Viertel nicht kompensiert. Die negativen Folgen für Mitarbeiter und Führungskräfte und damit langfristig auch für die Unternehmen werden häufig nicht bedacht.
Stressfaktor ständige Erreichbarkeit
Den Zeit- und Erwartungsdruck auf die Manager erhöht auch ein weiteres Phänomen: Viele Manager leiden unter der anwachsenden Flut von E-Mails, die sie täglich erreicht, ob nun als unmittelbarer Empfänger – oft neben zahlreichen anderen Kollegen – oder nur in Kopie. Die Unternehmensberatung Bain & Company fand in einer Umfrage in 2014 heraus, dass jede Führungskraft im Schnitt 30 000 E-Mails im Jahr erhält, die es abzuarbeiten gilt. Hinzu kommen zahlreiche Stunden in Meetings und Teamsitzungen. Und je höher Mitarbeiter auf der Karriereleiter steigen, desto ausgedehnter sind die Meeting-Zeiten: Ein Manager im Rang eines „Senior Vice President“ sitzt jede Woche mehr als 21 Stunden in Besprechungen. Während dieser Sitzungen, die von den Beratern als „low engagement hours“ bezeichnet werden, schreiben und beantworten die Teilnehmenden wiederum zahlreiche E-Mails, um die Zeit effektiv zu nutzen.
Die Qualität der Entscheidungen sinkt
Dass Informationsverluste bei dieser Art parallelen Arbeitens vorprogrammiert sind, zeigt eine Untersuchung des Psychiaters Glenn Wilson am renommierten King's College in London: Um zu wissen, welche Auswirkungen die digitalen Dauerbotschaften auf die Konzentration haben, bildeten die Forscher zwei Probandengruppen, die eine Aufgabe zu lösen hatten. Die Hälfte ihrer Versuchspersonen bearbeiteten nebenher eingehende E-Mails, die andere rauchte Marihuana. Die Teilnehmer, die den Joint rauchten, schnitten dabei deutlich besser ab, als diejenigen, die nebenbei E-Mails checkten. Die Wissenschaftler resümierten, dass ein temporärer Verlust von rund zehn IQ-Punkten durch den Konzentrationskiller E-Mail „äußerst realistisch“ ist.
Auch wenn der Versuch, digitale (aber auch analoge) Kommunikation quasi nebenher via Multitasking zu erledigen, durch hohen Zeitdruck motiviert ist, wird eben dieser Zeitdruck durch die Masse an E-Mails, Anfragen, Besprechungen und Telefonaten noch verschärft. Auch aus diesem Grund haben die Konzerne Telekom, Volkswagen und BMW die Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter in der Freizeit eingeschränkt, um sie vor Burnouts zu schützen. Das ist zwar ein guter Anfang, aber damit alleine lässt sich das Problem nicht lösen. Denn die E-Mails sind ja immer noch da, auch wenn die Führungskraft sie erst nach einem oder zwei Tagen abruft – dann aber in geballter Menge. Hier zeigt sich, dass nicht die Erreichbarkeit das Problem ist, sondern die Menge der Arbeit.
Burnout als Folge chronischer Überlastung
Viele Studien zeigen einen rasanten Zuwachs des Burnout-Syndroms und anderer psychischer Erkrankungen. Auch wenn die Ursachen multifaktoriell sind, spielen Verdichtung und Beschleunigung der Anforderungen im Berufsleben eine wichtige Rolle. Jedoch wird immer noch in Unternehmen das Phänomen Burnout heruntergespielt: Es handele sich um „tragische Einzelfälle“ oder es sei doch nur eine „Modekrankheit“. Vielfach sei nicht das Arbeitsumfeld schuld, sondern die Führungskraft selbst: Sie organisiere sich falsch, könne nicht delegieren und/oder keine Prioritäten setzen.
Eine Untersuchung von Asklepios, Europas führender privater Klinikkette, zeigt allerdings, dass es sich bei Burnout-Erkrankungen bei Berufstätigen mitnichten um Einzelfälle handelt. Im Rahmen der Untersuchung auf Basis der stationären Patienten der Klinikkette wurde die Menge der unter Burnout-Symptomen leidenden Beschäftigten der 30 DAX-Konzerne beziffert: Im Schnitt erleiden pro Jahr 3 Prozent der Mitarbeiter einen Burnout. Die Spitzenreiter liegen bei 5,9 Prozent und 5,6 Prozent.
Auch wenn sich das Bewusstsein und die Sensibilität von Ärzten und Patienten gegenüber psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren deutlich verändert hat, sind die Zahlen besorgniserregend: Laut dem 2013 veröffentlichten „DAK-Gesundheitsreport“, der Daten von 2,7 Millionen erwerbstätigen Versicherten erfasst, sind im Jahr 2012 mehr Beschäftigte als je zuvor wegen psychischer Leiden arbeitsunfähig geschrieben worden. Zwischen 1997 und 2012 nahmen die Fehltage aufgrund von Depressionen und anderer psychischer Krankheiten um 165 Prozent zu. Ein ausgebrannter Arbeitnehmer fällt durchschnittlich 22,5 Tage aus. Und nach Angaben des Centrum für Disease Management der TU München entstehen einem Unternehmen mit 1000 Mitarbeitern durch psychische Störungen jedes Jahr Kosten von 2,25 bis 8,25 Millionen Euro.
Private Beziehungen zerbrechen
Neben den negativen Folgen für die Unternehmen und den psychischen und physischen Risiken für die Führungskräfte leiden auch die sozialen Beziehungen unter der großen Belastung, denen Manager ausgesetzt sind. Immer wieder stellen Führungskräfte ihren Beruf über ihr Privat- und Eheleben: Wichtige Meetings werden der Geburtstagsfeier der Tochter, dem Schulfest des Sohnes oder dem eigenen Hochzeitstag vorgezogen, am Abend trifft man sich zum Afterwork mit Kollegen oder Geschäftsfreunden, und am Wochenende werden Kontakte im geschäftlichen Netzwerk aufrecht erhalten. Wer einen Großteil seiner Zeit inklusive seiner Freizeit in seinen Beruf investiert, vernachlässigt unweigerlich sein Privatleben. Viele Beziehungen halten das auf Dauer nicht aus. Bereits vor einigen Jahren war erkennbar, dass Führungskräfte mit 50 Prozent eine deutlich höhere Scheidungsrate haben als der Bevölkerungsdurchschnitt mit 40 Prozent. Eine Partnerschaft zu führen, in der einer oder beide Partner nur wenig Zeit haben, ist nicht einfach. Dass auf der Rangliste der Trennungsgründe die schlechte oder fehlende Kommunikation zwischen den Partnern steht, erscheint vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Interessant ist dabei, dass die betroffenen Führungskräfte von ihren Mitarbeitern, Kollegen und Kunden vielfach als wertschätzend, kompetent und kommunikativ bezeichnet werden, während der Austausch mit dem Partner häufig in verbalen Auseinandersetzungen endet. Dies bedeutet, dass die stützende Funktion sozialer Beziehungen, allen voran die feste Partnerschaft, verloren geht und so die Gefahr eines Burnouts und anderer Erkrankungen weiter ansteigt.
Die Generation Y lebt und arbeitet anders
Dass das Immer-mehr und Immer-schneller im Arbeitsalltag von Führungskräften eine Sackgasse ist, wird zunehmend deutlich. In Zeiten des Arbeitskräftemangels, der in einigen Jahren auch die Großunternehmen treffen wird, werden die Unternehmen in Zukunft nur schwer Führungspersonal finden, das unter solchen „Stressbedingungen“ arbeiten wird. Spätestens dann müssen die Unternehmen die Arbeitsbelastung ihrer Manager reduzieren. Bereits jetzt wächst eine Generation an Mitarbeitern und Führungskräften heran, die wieder stärker Wert auf ein Leben neben der Arbeit legt: die sogenannte Generation Y.
Gehörte es bei vielen Vertretern der Babyboomer-Generation zum guten Ton, im Hamsterrad-Modus die Karriereleiter nach oben zu hetzen und mit vielen Überstunden den vermeintlich besten Einsatz zu zeigen, stellt die Generation Y die Unternehmen vor neue Herausforderungen: Auf diese Art und Weise möchten junge Menschen keine Karriere mehr machen. Das bedeutet nicht, dass für die zwischen 1980 und 2000 Geborenen die Arbeit keinen hohen Stellenwert hat, aber Karriere ist nicht mehr das Einzige, was in dieser Generation zählt: Sie wollen sich neben dem Beruf auch Zeit für ihr Privatleben nehmen. Das von der Langenscheidt-Jury im Jahr 2012 als „Jugendwort des Jahres“ gekürte Wort „Yolo“, ein Akronym für „You only live once“, bringt das Lebensgefühl der „Digital Natives“ auf den Punkt: Es ist eine Aufforderung, alle Chancen auf Erlebnisse zu nutzen. Doch nicht nur die Generation Y sehnt sich nach einem achtsamen, gelingenden und erfüllten Leben, das es ihnen ermöglicht, gelassen die vielfältigen Anforderungen des beruflichen Alltags zu integrieren. Für viele Menschen beruht ein zufriedenes Leben auf dem ausgewogenen Verhältnis von
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Arbeit und Leistung (Beruf, Karriere, Einkommen),
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Sozialkontakten (Familie, Freunde, soziale Anerkennung z.B. durch Ehrenämter),
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Körper (Gesundheit, Ernährung, Sport, Erholung, Zeit für sich) und
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Sinn (Selbstverwirklichung, Lernen).
Aber für immer mehr berufstätige Menschen wird die Balance zwischen Beruf und den anderen Lebenswelten zu einer Herausforderung.
Das absichtslose Nichtstun
Statt weiterer (privater) Termine sollten sich auch Führungskräfte daher hin und wieder ein bisschen Zeit nehmen nichts zu tun, Muße zu finden. Muße ist weder etwas Antiquiertes, das im 21. Jahrhundert nichts zu suchen hat, noch Trägheit und Herumhängen. Muße ist auch nicht nur Lebenskünstlern vorbehalten, die sich für ein Leben jenseits des Mainstreams entschieden haben. Muße ist weder spirituell noch esoterisch. Mit Muße ist auch nicht das Konsumieren von Freizeitangeboten gemeint; keine Sportprogramme, die nur den einen Zweck haben, die Arbeitnehmer und Manager fit zu halten für die Zumutungen des Arbeitsmarktes.
Muße ist, um es mit den Worten der österreichischen Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny zu sagen, „die Intensität des Augenblicks, der sich zeitlich zu Stunden oder Tagen ausdehnen kann, um sich auf ein Einziges zu konzentrieren: Eigenzeit.“
Muße hat die abendländische Kultur ebenso geprägt wie das hohe Arbeitsethos, dem der moderne Mensch verpflichtet ist. Isaac Newton kam bei einem entspannten Blick auf einen Apfel im Garten der zündende Einfall zu seiner Gravitationstheorie. Christoph Columbus entschloss sich bei einem langen Blick auf das Meer zu seinem Aufbruch … Von solchen kreativen Auszeiten können die meisten Manager heute jedoch nur träumen. Denn Muße ist zur bedrohten Ressource geworden, weil die Beschleunigungsgesellschaft mit dem scheinbar permanenten Zwang zur Kommunikation und dem hohen Arbeitsdruck uns nicht zur Ruhe kommen lässt. Aber gerade solche kleinen Inseln der Muße könnten eine Fülle von Anregungen hervorbringen, die auch für andere Lebensbereiche genutzt werden könnten. Daher sollten sich Führungskräfte in ihrer Lebensgestaltung wieder mehr darauf konzentrieren, eine ausgewogene Balance zwischen Arbeit und Muße zu finden.
Muße hat nichts mit Faulheit gemein
Allerdings ist für viele Manager das Wort „Muße“ nicht nur ein Begriff, der in ihrem aktiven Wortschatz keinen Platz hat, sondern häufig ist er auch negativ besetzt. Allenfalls wird Muße Kindern und Jugendlichen zugestanden, die chillen dürfen, Däumchen drehen oder an die Wand starren und dabei an nichts Bestimmtes denken. Führungskräfte haben stattdessen Gewissensbisse, die sinnlos verstrichene Zeit nicht inhaltsvoller genutzt zu haben. Doch für ein schlechtes Gewissen gibt es keinen Grund: Es ist bekannt, dass gerade Phasen des absichtslosen Nichtstuns die Regeneration des Gedächtnisses fördern und es stärken. Zudem sind sie eine wichtige Voraussetzung für Kreativität und Einfallsreichtum. Ideen benötigen häufig nur zwei Dinge: Zeit und Muße.
Muße ist die Zeit, die sich ein Mensch nehmen und nach eigenen Wünschen gestalten kann, um sich zu erholen. Das kann auch Wellness sein, Sport und vieles mehr – doch nur dann, wenn diese Freizeitaktivitäten nicht von Fremdinteressen bestimmt werden. Die Hauptmotivation von Muße sollte die Freude sein, die der Augenblick bereitet. Mußezeiten können auch für spontane Aktivitäten genutzt werden, für Dinge, die nicht gemacht werden müssen, um Geld zu verdienen, sondern die erfüllen. Ein Buch schreiben, ein Instrument spielen, malen, im Café bei einem Latte Macchiato das hektische Treiben der Innenstadt beobachten, auf der Terrasse sitzen und die Vögel auf den Bäumen betrachten. Doch halten wir das überhaupt aus – Muße statt Konsum und Arbeit? Wie so oft ist die Dosis entscheidend. Doch viele Führungskräfte kommen erst gar nicht in die Verlegenheit auszuprobieren, wie viel Muße ihnen gut tut. Sie fokussieren sich auf ein Leben für die Arbeit und den Arbeitsmarkt. Der Ökonom Robert Skidelsky und sein Sohn, der Philosoph Edward Skidelsky, stellen fest, dass bereits unsere Kinder auf ein solches Leben vorbereitet werden: Sprachprogramme im Kindergarten, bilinguale Grundschulen, verkürztes Abitur, straffe Bachelorstudien. Vielleicht ist es an der Zeit, einmal kritisch über unsere Werte und die unserer Gesellschaft nachzudenken. Die Skidelskys schlagen vor, unseren Kindern zu vermitteln und vorzuleben, was wir jenseits von Arbeit und Leistung noch alles mit uns und unserer freien Zeit anfangen können.
Nicht nur nebenbei genießen
Viele Menschen kennen das Gefühl, dass sie ihre Freizeit irgendwie verbracht haben, ohne etwas Schönes gemacht zu haben. Aber es kommt nicht so sehr darauf an, dass die Aktivitäten möglichst schön oder irgendwie besonders sind. Wichtig ist das sogenannte euthyme Erleben, die Aufmerksamkeitsfokussierung auf Freude, Genuss und eine lebensbejahende Haltung.
Viele Menschen genießen heute vieles „nebenbei“ und verwechseln Genuss mit Konsum. Häufig sorgen Leistungsdruck, Regeln und Verbote für ein schlechtes Gewissen und sind Grundlage für Genusshindernisse. Dabei ist Genussfähigkeit Teil eines gesunden Lebensstils. Es gilt, sich zu sensibilisieren, Bedürfnisse zu erkennen und sich das Genießen zu erlauben. Genießen bedeutet, ganz bewusst auszuwählen, was in diesem Moment guttut. Es bedeutet, sich Zeit für das Genießen zu nehmen und alle Sinne zu aktivieren.
Das, was beim Genuss zählt, ist die Qualität. Und das ist der Unterschied zum Konsum. Sich zu verwöhnen, gibt Kraft für den Alltag. Also: Wenn Sie als Führungskraft das störende Gefühl haben, rund um die Uhr erreichbar sein zu müssen, keinen Moment der Ruhe mehr zu haben, keine Zeit mehr für Familie, Freunde, für sich selbst, dann sollten Sie das nicht länger hinnehmen. Denken Sie darüber nach, ob nicht zwei Dinge wichtig sind, um die Freude an der Arbeit zu behalten: Erholungszeiten, um leistungsfähig zu bleiben, und die bewusste Freizeitgestaltung, also auch gezielt einmal nichts tun, sich Zeit für Muße zu nehmen, um den Kopf wieder freizubekommen und den Augenblick genießen zu können. Fragen Sie sich, wann Sie das letzte Mal spazieren gegangen sind und nicht an die Arbeit gedacht, sondern sich an der Natur erfreut haben. Wann Sie das letzte Mal Ihrem Kind länger als nur einen Augenblick beim Spielen zugesehen haben. Wann Sie das letzte Mal einfach nichts getan haben ohne ein schlechtes Gewissen. Und dann tun Sie es.
Badura, Bernhard/Ducki, Antje/Schröder, Helmut/Klose, Joachim/Meyer, Markus (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2012, Berlin 2012.
Buchhorn, Eva/Kröher, Michael O. R./Werle, Klaus: Burn-out: Stilles Drama, in: manager magazin online vom 18.07.2012.
Hartmann-Wolff, Elke: E-Mail-Sucht: Bemailt oder bekifft?, Focus-Magazin Nr. 16 vom 16.04.2007.
Müller, Stefan: Arbeit und Familie – Feinde für immer?, in: Perspektiven 05-06/2005, S. 18–19.
Schnabel, Ulrich: Muße: Vom Glück des Nichtstuns, Verlag Blessing, 2010.
Schurig, Jörg: Der Druck wächst, in: Allgemeine Zeitung vom 24.05.2014.
Skidelsky, Robert/Skidelsky, Edward: Wie viel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens, Verlag Antje Kunstmann, München, 2013.
SOEP – Sozio-oekonomische Panel im Auftrag des DIW Berlin; online: http://www.diw.de/soep
Autor
Prof. Dr. Norbert Rohleder,
Fachbereich Wirtschaft – Human Resource Management, Hochschule Mainz,
norbert.rohleder@hs-mainz.de
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