Erstaunlich konservativ

In allen Lebenslagen zu 100 Prozent aufs Smartphone geeicht? Von Helikopter-Eltern sicher durch sämtliche Höhen und Tiefen der Berufswahl geflogen? Schluss mit den Klischees. Denn Azubi-Bewerber ticken anders. Die aktuelle Ausgabe der jährlich durchgeführten Studie „Azubi-Recruiting Trends“ liefert ein differenzierteres Bild.
Welche Rolle spielen Eltern von Bewerbern bei der Suche nach dem Ausbildungsplatz? Schon im vergangenen Jahr hat die Studie „Azubi-Recruiting Trends“ gezeigt: Schülerinnen und Schüler schauen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz weitaus häufiger fragend in die Gesichter ihrer Mütter und Väter, als nach Informationen auf Facebook-Seiten der Ausbildungsbetriebe zu fahnden. In diesem Jahr liefert die Untersuchung ein differenzierteres Bild. Eltern üben tatsächlich einen starken Einfluss auf die Ausbildungsplatzwahl ihrer Kinder aus – aber nicht auf alle gleich und nicht bei allen Themen gleich stark. Stark ist der Einfluss auf Berufswahl und die schriftliche Bewerbung, etwas geringer auf die Wahl des Ausbildungsbetriebs und das Bewerbungsgespräch (siehe Abbildung 1). Die Hilfe ist in den meisten Fällen durchaus erbeten: Die Hälfte der Azubis wünscht sich tatsächlich einen „starken“ oder „sehr starken Einfluss“ ihrer Eltern. Ausbildungsverantwortliche schätzen den Einfluss der Eltern auf die Entscheidungen zur Ausbildung ihrer Söhne und Töchter etwas höher ein als die Zielgruppe, etwa bei der Berufswahl. Sie unterschätzen andererseits den Einfluss auf die Umsetzung, also die schriftliche Bewerbung und das Bewerbungsgespräch.
Doch was ist dran an der These von den Helikopter-Eltern, die ihre Sprösslinge bei der Berufswahl niemals aus den Augen verlieren? Zum einen zeigt schon die quantitative Befragung, dass die Hälfte der Azubis eben gar nicht oder nicht sonderlich von den Eltern unterstützt wird. Zum anderen liefern auch die zahlreichen Kommentare von Ausbildungsverantwortlichen zum Thema ein differenzierteres Bild.
Helikopter-Eltern?
Der größere Teil bestätigt zunächst das Bild der Helikopter-Eltern: Eltern begleiten ihre Sprösslinge bei allen Schritten im Bewerbungsprozess und „verunselbstständigen“ sie durch übertriebene Fürsorge. Mütter und Väter erkundigen sich am Telefon nach dem Stand der Dinge bei der Bewerbung oder beantworten bei Ausbildungsmessen die an ihre Kinder gerichteten Fragen, währen die Azubis in spe „unsicher danebenstehen“. Ausbildungsverantwortliche sehen dieses Verhalten kritisch und verweisen auf den Zusammenhang, dass „von Eltern gelenkte Bewerber“ später als „unselbstständige Azubis“ in den Betrieben wieder auftauchen.
Einige Teilnehmer jedoch berichten von dem gegenläufigen Trend, dass das Interesse der Eltern eher zurückgeht. Die Helikopter-Eltern stehen dem Anschein nach einer anderen Gruppe von Desinteressierten gegenüber. Ein Umfrageteilnehmer bringt es auf den Punkt: „In den meisten Fällen gibt es nur die Extreme – entweder kümmern die Eltern sich sehr und begleiten ihre Kinder sogar zum Vorstellungsgespräch, oder sie kümmern sich gar nicht, was zum Beispiel die Fehler in den Bewerbungen zeigen.“
Die beliebte Bewerbungsmappe
Weitaus eindeutiger fallen die Studienergebnisse bei den bevorzugten Bewerbungsverfahren aus. Keine Frage: Die heutige Generation der Schüler und Azubis ist so online-affin wie keine Generation vor ihr. Das zeigt sich zum Beispiel in der Einstellung gegenüber E-Learning-Formaten in der Ausbildung, die 73 Prozent der Azubi-Teilnehmer gut finden, über die jedoch 53 Prozent der befragten Ausbildungsbetriebe noch nicht nachgedacht haben. Auch den Gebrauch des mobilen Internets hat die Generation quasi im Blut.
Im Bewerbungsgeschehen aber zeigen sich Schüler und Azubis überraschend konservativ. Die mit Abstand beliebteste Bewerbungsform bei Azubis ist nach wie vor die Papierbewerbung, dann folgen E-Mail-Bewerbung und Online-Formular. Zur mobilen Bewerbung besteht aktuell ein sehr großer Abstand, sie ist in der Zielgruppe noch wenig akzeptiert. Bei den teilnehmenden Ausbildungsverantwortlichen zeigt sich im Vergleich eine deutlich geringere Vorliebe für die Papierbewerbung und eine größere Zustimmung zu E-Mail-Bewerbungen (siehe Abbildung 2).
Zu den Bewerbungsformen haben die Azubi-Teilnehmer 375 Kommentare abgegeben. Darin melden sich durchaus auch Gegner der Papierbewerbung zu Wort, die vor allem auf Kostenaspekte verweisen: „Ich habe bis zu 200 Bewerbungen geschrieben. Wenn ich alle auf dem Postweg verschickt hätte, dann hätten mich die Kosten erschlagen!“ Ein anderer Teilnehmer schreibt: „Eine Bewerbung mittels einer schriftlichen Bewerbungsmappe ist veraltet, unwirtschaftlich sowie nicht umweltfreundlich.“ Bei den Fans der Papierbewerbung zählt zunächst das Gewohnheitsargument („Die Bewerbungsmappe ist die klassische Variante“) ebenso wie ein gewisses Misstrauen, was die Verlässlichkeit der digitalen Form angeht und das Vertrauen in das Haptische: „Mit einer Bewerbungsmappe finde ich es am besten, weil ich mir sicher sein kann, dass es bei dem Arbeitgeber ankommt. E-Mails oder Online-Bewerbungen können auch im WWW verschwinden.“ Am häufigsten scheint in den Kommentaren jedoch ein anderes Argument auf: Azubi-Bewerber möchten die Bewerbung nutzen, um ihre Persönlichkeit darzustellen. Aus dieser Perspektive ist das Medium aufgrund seiner gehobenen Wertigkeit die Botschaft: „Eine schriftliche Bewerbung kann viel mehr von einer Person zeigen, da viel Mühe investiert werden kann beziehungsweise der erste Eindruck ein ganz anderer ist als bei einer Online-Bewerbung.“ Extrem skeptisch zeigen sich die Teilnehmer in den Kommentaren gegenüber der mobilen Bewerbung, hier spielt das schon erwähnte Argument der Wertigkeit eine Rolle. So meint ein Teilnehmer „wer mit dem Handy eine Bewerbung schreibt, hat keine Lust auf Arbeiten“. Die mobile Bewerbung gilt derzeit einigen Azubi-Kommentatoren außerdem als „unkomfortabel“, da es hier um das „Erstellen von Inhalten“ und nicht um „Konsum“ geht.
Offen für Tests
Dass Azubi-Bewerbern „Persönlichkeit“ im Bewerbungsverfahren wichtig ist, zeigt sich auch im Blick der Teilnehmer auf in der Azubi-Auswahl verwendete Testverfahren. Tests sind, anders als oft propagiert, bei Bewerbern beliebter als bei Ausbildungsverantwortlichen. 65 Prozent finden Tests „gut“ oder „sehr gut“, bei den Ausbildungsverantwortlichen sind es nur 44 Prozent. Im Hinblick auf die Inhalte von Testverfahren unterscheiden sich die Präferenzen der Zielgruppe und die Praxis der Ausbildungsbetriebe deutlich. Azubi-Bewerber mögen Persönlichkeitstests, 77 Prozent finden sie „gut“ oder „sehr gut“, deutlich mehr als zum Beispiel Wissenstests (62 Prozent). Dabei wissen die Azubis durchaus, von was sie reden; fast zwei Drittel der Befragten hat schon mal an einem oder mehreren Testverfahren teilgenommen. Ausbildungsverantwortliche setzen eher auf Leistungs- und Wissenstests. Nur 33 Prozent der befragten Ausbildungsbetriebe setzen Persönlichkeitstests „häufig“ oder „sehr häufig“ ein. Die Betriebe äußern sich auch skeptisch gegenüber der Aussagekraft von Schulnoten.
Abbildung 1
Einfluss der Eltern

Ausbildungsverantwortliche schätzen den Einfluss der Eltern bei der Wahl des Ausbildungsberufes und des Ausbildungsbetriebes deutlich höher ein als die Auszubildenden selbst.
Abbildung 2
Bevorzugte Bewerbungsform

Die jungen Bewerber favorisieren immer noch die Bewerbungsmappe. Die mobile Bewerbung per Smartphone oder Tablet stößt dagegen kaum auf Vorliebe.
Sinn als Attraktivitätstreiber
Was suchen Auszubildende in der Ausbildung? Die naheliegende Antwort: langfristige Einkommensperspektiven. Doch das ist nicht alles. Die in Untersuchungen zur Motivation von Arbeitnehmern weit verbreitete „Lotto-Frage“ bringt in der Studie ein eindeutiges Ergebnis hervor: „Stell Dir vor, ein Lottogewinn oder eine Erbschaft sichert Dir lebenslang ein müheloses Einkommen. Hättest Du dann bzw. würdest Du trotzdem eine Ausbildung machen?“ 90 Prozent antworten hier mit „Ja“. Mal unabhängig davon, wie stark die soziale Erwünschtheit hier wirkt: Die Zielgruppe sieht in der Ausbildung offensichtlich noch etwas anderes als die Sicherung einer langfristigen Einkommensquelle.
Dazu passt ein weiterer Befund: Der Typus des zweckorientierten Karrieristen stellt unter den befragten Azubi-Bewerbern ebenso eine Minderheit dar (22 Prozent) wie der des freizeitorientierten Hedonisten, der den Beruf nur als Mittel zum Zweck sieht (21 Prozent). Die meisten suchen Erfüllung im Beruf und möchten bei der Arbeit ihre Wertvorstellungen umsetzen (57 Prozent). Bei männlichen Umfrageteilnehmern ist diese Gruppe etwas kleiner (49 Prozent), bei den weiblichen etwas größer (61 Prozent). Der wichtigste Grund, sich für einen Ausbildung zu bewerben, ist geschlechterübergreifend das „Interesse am Ausbildungsberuf“, das für 66 Prozent der Befragten Azubis und Schüler „auf jeden Fall“ den Ausschlag gibt, beim „Interesse am Ausbildungsbetrieb“ sind es 32 Prozent.
Es überrascht nicht, dass bei den mehrheitlich sinnorientierten Azubi-Bewerbern nicht nur monetäre Anreize ziehen. Aufgrund des zunehmenden Azubi-Mangels haben in den vergangenen Jahren immer mehr Ausbildungsbetriebe zusätzliche Angebote und Anreize in die duale Ausbildung eingeführt. Nachrichten von spektakulären Leistungen wie Firmenwagen auf Zeit für die besten Azubis machten die Runde durch die Presse. Weit vorn in der Gunst der Azubis und Azubi-Bewerber stehen jedoch Zusatzqualifikationen (wie zum Beispiel Sprachzertifikate, Führerscheine oder BWL für gewerblich-technische Azubis), die 93 Prozent der Befragten „interessant“ oder „sehr interessant“ finden. Erst 56 Prozent der befragten Ausbildungsbetriebe machen mit diesem Angebot schon heute ihre Ausbildung schmackhaft. Ebenfalls sehr viele (76 Prozent) der Azubis finden Auslandsaufenthalte während der Ausbildung „interessant“ oder „sehr interessant“. Angeboten werden sie trotz Förderungsmöglichkeiten für Azubis wie etwa Erasmus+ erst von 36 Prozent der befragten Ausbildungsbetriebe. 30 Prozent von ihnen lehnen dieses Angebot sogar kategorisch ab, 20 Prozent haben sich noch keine Gedanken darüber gemacht. Dabei kann ein Auslandsaufenthalt für Azubis durchaus auch in jenen Betrieben die Ausbildung bereichern, die nur auf dem deutschen Markt tätig sind.
Handlungsempfehlungen
Ausbildungsbetriebe könnten sich die Sinnorientierung ihrer Bewerberzielgruppen zunutze machen und in ihrer Kommunikation zeigen, wie der Ausbildungsberuf und das Arbeiten im Betrieb Sinnerlebnisse verschafft. Auch zusätzliche immaterielle Anreize wie Zusatzqualifikationen oder Auslandsaufenthalte erreichen Azubi-Bewerber.
Die These von den Helikopter-Eltern lässt sich für die aktuelle Azubi-Bewerbergeneration insgesamt nicht halten. Dennoch üben Eltern einen großen Einfluss aus. Ausbildungsbetriebe sollten Eltern als Zielgruppe von Azubi-Marketingmaßnahmen daher ernst nehmen. Die Studienergebnisse legen nahe, stärker als bislang den Blick dafür zu schärfen, dass die Qualität schriftlicher Bewerbungen möglicherweise nicht direkt auf die Bewerber, sondern auf deren Mütter und Väter zurückgeht.
Ausbildungsbetriebe sollten besonders bei knappen Zielgruppen verschiedene Bewerbungsverfahren bieten – und persönliche Darstellungsmöglichkeiten in der Online-Bewerbung zulassen. Kein Handlungsdruck besteht aktuell beim Thema „mobile Bewerbung“, wenn darunter verstanden wird, den Gesamtprozess mobil abzubilden. Dennoch sollten Ausbildungsangebote für die Suche mobil verfügbar sein, zumal die Mobiloptimierung seit Neuestem ein hartes Kriterium fürs Google-Ranking darstellt. Betriebe, die Talentreservoirs gezielt ausschöpfen möchten, sollten über Alternativen zur reinen Schulnotenbewertung, wie zum Beispiel Arbeitsproben und Tests, nachdenken und dabei die Frage nach der Akzeptanz durch die Zielgruppe im Auge behalten.
Literatur-Tipp
Christoph Beck/Stefan Dietl (Hrsg.):
Ausbildungsmarketing 2.0. Die Fachkräfte von morgen ansprechen, gewinnen und binden, Köln 2014 (erschienen in der Personalwirtschaft-Buchreihe).
Studie „Azubi-Recruiting Trends 2015“
2015 hat der Ausbildungsspezialist u-form Testsysteme zum sechsten Mal Ausbildungsverantwortliche auf der einen und Azubis sowie Azubi-Bewerber auf der anderen Seite zu Themen des Azubi-Marketings und -Recruitings befragt. Professorin Dr. Daniela Eisele von der HSBA Hamburg School of Business Administration hat die deutschlandweite Online-Befragung wissenschaftlich begleitet. Unterstützt wurde die Studie vom Azubi-Portal Yousty.de. In diesem Jahr haben 2227 Teilnehmer (799 Ausbildungsverantwortliche, 1428 Auszubildende und Bewerber) die Fragebögen ausgefüllt. Interessierte können die Studienergebnisse unter www.testsysteme.de/studie bestellen. Der Erlös aus dem Verkauf der Management Summary geht an die Initiative „Rock your life“, die durch gezieltes Mentoring Hauptschülern den Weg in die Ausbildung ermöglicht.
Autorin
Prof. Dr. Daniela Stephanie Eisele,
Professorin für Personalmanagement, HSBA Hamburg
School of Business Administration,
daniela.eisele@hsba.de
Autorin
Felicia Ullrich,
Geschäftsführerin, u-form Testsysteme, Solingen,
f.ullrich@testsysteme.de
- Bewegende Ergebnisse
- Die neuen Regeln für HR
- Talentstrategie auf dem Prüfstand
- Wearables, Apps und Co. auf dem Vormarsch
- „Digitale Technologien müssen in die strategischen Gesundheitsziele eingebunden ...
- Die hohen Hürden des Datenschutzes
- Fitness-Tools mit Spaßfaktor
- Muße für Manager
- Ein offenes und neutrales Ohr
- Im Tandem fährt es sich leichter
- Erstaunlich konservativ
- „Die Betriebe müssen einiges tun“
- Erfolgsfaktoren einer zukunftsfähigen Ausbildung
- Unternehmen ziehen die Notbremse
- Führungskräfte in der Pflicht
- Pferdestärken statt Euro
- Musik kennt keine Grenzen
- Ein Trommelwirbel für das Wirgefühl
- HR Governance auf Indisch
- Volle Kostenkontrolle statt Blindflug
- Die neue Familienpflegezeit