Den Mitarbeitern den Rücken stärken

Für das Rückentraining bei Saint-Gobain Glass Deutschland wird ein spezielles computergestütztes Trainingsgerät verwendet, welches individuell auf den Teilnehmer eingestellt wird.
Ein Drittel der Mitarbeiter der Saint-Gobain Glass Deutschland GmbH hat drei Jahre lang regelmäßig seinen Rücken trainiert. Mit Erfolg, wie eine abschließende Evaluation in Zusammenarbeit mit der FH Aachen zeigt. Die Fehltage der Trainingsteilnehmer sind enorm zurückgegangen, während die untrainierten Kollegen weiterhin unter Rückenbeschwerden leiden.
Die Saint-Gobain Glass Deutschland GmbH, eine Sparte des Weltkonzerns Saint-Gobain mit circa 1000 Mitarbeitern, stellt Flachglas für die Bau- und Automobilbranche her. Die Mitarbeiterstruktur ist durch einen hohen gewerblichen Anteil von 70 Prozent gekennzeichnet und weist ein relativ hohes Durchschnittsalter von über 47 Jahren auf. In der Regel beträgt die Betriebszugehörigkeit mehr als 20 Jahre und der Anteil männlicher Mitarbeiter überwiegt mit mehr als 80 Prozent deutlich. Die Folgen der fortschreitenden Alterung der Arbeitskräfte, gepaart mit der Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre, wurden zunehmend im Unternehmen spürbar. Interne Analysen zeigten, dass der Krankenstand von vier auf fünf Prozent angestiegen war. Davon sind circa 25 Prozent auf Muskel-Skelett-Erkrankungen mit dem Schwerpunkt Rückenleiden zurückzuführen.
Vor diesem Hintergrund beschloss die Geschäftsführung der Saint-Gobain Glass Deutschland GmbH, mit dem externen Gesundheitsdienstleister ZS Unternehmen Gesundheit aus Aachen ein dreijähriges betriebliches Gesundheitsprogramm anzustoßen, welches allen Mitarbeitern die Möglichkeit zum präventiven Rückentraining eröffnet. Zielsetzungen, die mit diesem Programm vornehmlich angestrebt wurden, waren die Verstärkung des Gesundheitsbewusstseins der Mitarbeiter, die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die Erhöhung des körperlichen Wohlbefindens sowie die Verringerung der krankheitsbedingten Arbeitsausfälle. Die Geschäftsführung war bereits beim Start des Programms davon überzeugt, dass der Erfolg des Projekts insbesondere auch in wirtschaftlicher Hinsicht nachgewiesen werden sollte, bevor eine Verlängerung bewilligt wird. Um die Wirksamkeit des Trainings zu evaluieren, wurde die FH Aachen direkt zu Beginn des Programms eingebunden.
Regelmäßigkeit heißt das Zauberwort
Das Gesundheitsprogramm wurde ab 2011 an allen sechs Standorten des Unternehmens in Deutschland über einen Zeitraum von drei Jahren zur freiwilligen Teilnahme während der Arbeitszeit angeboten. Kern des Programms stellt ein wöchentliches Rückentraining dar. Hierzu wird ein spezielles computergestütztes Rückentrainingsgerät verwendet, welches individuell auf den Teilnehmer eingestellt wird (siehe Abbildung oben). Die durchgeführten Übungen zielen darauf ab, die Lendenwirbelsäulenmuskulatur zu kräftigen.
Hierbei handelt es sich um die sowohl bei sitzenden Tätigkeiten, als auch beim Bücken und Heben besonders stark beanspruchte Muskulatur des Rückens. Durch das Training sollen akute Rückenschmerzen gelindert und vor allem dem Entstehen von chronischen Rückenleiden durch aktive Kräftigung und Stabilisierung der gesamten Wirbelsäulenmuskulatur vorgebeugt werden. Inklusive der individuell auf jeden Teilnehmer abgestimmten Übungen, zum Beispiel gegen Verspannungen, für Beweglichkeit und Gleichgewicht, Stabilisation der Körpermitte und Empfehlungen für eigene Übungen ist jede Trainingseinheit zehn Minuten lang, wobei im Mittelpunkt das dreiminütige Training am Rückentrainingsgerät steht.
Bei Bedarf konnte auch noch ein Coaching am Arbeitsplatz angefordert werden. Um eine fachgerechte Anleitung und Betreuung der Teilnehmer zu gewährleisten, wurde das Training ausnahmslos von Sportwissenschaftlern und Physiotherapeuten durchgeführt.
Um das Programm an allen sechs Standorten anbieten zu können, wird neben stationär eingerichteten Trainingsräumen an drei Standorten auch ein zu einem Trainingscenter umgebauter LKW eingesetzt, der diese Standorte im wöchentlichen Turnus anfährt (Abbildung 1). Zur optimalen Nutzung der Trainingskapazitäten erhalten die Teilnehmer zeitnah eine Erinnerungs-SMS, wenn ihr Trainingstermin ansteht, und werden gegebenenfalls zusätzlich telefonisch erinnert.
Abbildung 1
Mobiles Rückentraining

Ein zu einem Trainingscenter umgebauter LKW macht es möglich, dass drei der sechs Standorte im wöchentlichen Turnus angefahren werden können.
Das Rückentraining wurde sehr gut angenommen. Mit 334 Teilnehmern von insgesamt 1000 Mitarbeitern wurde ein Durchdringungsgrad von 33 Prozent erzielt. Die Teilnehmergruppe besteht mit über 60 Prozent vorwiegend aus technisch-gewerblichen Mitarbeitern mit einem Durchschnittsalter von 46 Jahren und ist somit repräsentativ für die Beschäftigungsstruktur im gesamten Unternehmen.
Betrachtet man das Teilnehmerverhalten über die drei Jahre hinweg, wird ersichtlich, dass nicht nur die Anzahl der Teilnehmer an allen Standorten, sondern auch deren Trainingshäufigkeit pro Jahr kontinuierlich angestiegen ist. Die Quote der Abbrecher war sehr gering. Der Abbruch des Programms lag im Wesentlichen am Austritt aus dem Berufsleben oder dem Wechsel des Arbeitgebers.
Trainingserfolg ist messbar
Die Wirksamkeit des Gesundheitsprogramms wurde hinsichtlich verschiedener Dimensionen untersucht (Abbildung 2). Zum einen wurden gesundheitsbezogene Parameter der am Rückentraining teilnehmenden Personen analysiert, die direkt computergestützt an den Geräten erhoben wurden. So kann anhand objektiver Daten die Leistungssteigerung über den Zeitraum von drei Jahren gemessen werden. Dabei zeigt sich, dass im Schnitt bei allen Trainingsteilnehmern sowohl die Rückenkraft um mehr als zehn Prozent ansteigt als auch die Beweglichkeit um circa 20 Prozent zunimmt. Bei den Teilnehmern, die häufig trainieren, kann sogar eine Kraftsteigerung der Rückenmuskulatur im Mittel von 24 Prozent festgestellt werden.
Abbildung 2
Dimensionen zur Evaluierung des Gesundheitsprogramms

Neben der messbaren Rückenkraft wurden der subjektive Gesundheitszustand und auch die eingesparten Fehltage von Trainierenden und Nichttainierenden evaluiert.
Darüber hinaus wurden die Personen, die am Gesundheitsprogramm teilgenommen haben, jährlich zu ihrem subjektiv empfundenen Gesundheitszustand befragt. Parallel zur Teilnehmergruppe wurden ebenfalls Personen, die nicht am Training teilgenommen haben, gebeten, den gleichen Fragebogen auszufüllen. Aus der Gegenüberstellung der Entwicklungen in den jeweiligen Personengruppen über den Zeitraum von drei Jahren lassen sich aussagekräftige Erkenntnisse über die Wirksamkeit des Rückentrainings ableiten.
So sinkt beispielsweise in der Teilnehmergruppe der Anteil der Personen, die unter oft auftretenden oder fortwährend andauernden Rückenschmerzen leiden, um mehr als 30 Prozent. In der Kontrollgruppe der Nichtteilnehmer ist hingegen eine gegenläufige Entwicklung feststellbar. Hier steigt der Anteil der Befragten mit häufigen oder andauernden Rückenschmerzen im gleichen Betrachtungszeitraum um mehr als 100 Prozent an. Gezieltes Rückentraining führt also nachweislich zu einer Reduzierung der Rückenschmerzen.
Sport macht Spaß
Betrachtet man die Einschränkungen im Beruf, die auf Rückenschmerzen zurückzuführen sind, zeichnet sich ebenfalls ein positiver Effekt durch die Teilnahme am Gesundheitsprogramm ab. Während sich in der Kontrollgruppe der Anteil der befragten Personen, bei denen Rückenschmerzen zu einer Einschränkung im Beruf geführt haben, mehr als verdoppelt hat, ist dieser Anteil in der Teilnehmergruppe um 20 Prozent gesunken.
Auch wenn in der betrieblichen Gesundheitsförderung gesundheitliche Beeinträchtigungen am Arbeitsplatz im Vordergrund stehen, so ist es trotzdem erwähnenswert, dass die Beeinträchtigungen durch Rückenleiden im privaten Umfeld in vergleichbarem Umfang abnehmen. Somit zeigt das Programm auch bezüglich dieser Wirkungsdimension einen eindeutig positiven Effekt.
Die Teilnahme am Rückentraining strahlt zudem auf das allgemeine Sportverhalten ab. Die Rückentrainierenden intensivieren ihre sportlichen Aktivitäten auch über das wöchentliche Rückentraining hinaus. So ist der Anteil derjenigen, die in ihrer Freizeit mindestens einmal pro Woche einer sportlichen Betätigung nachgehen, um 13 Prozent gestiegen. In der Kontrollgruppe hingegen ist ein Rückgang von zwölf Prozent an Freizeitsportlern mit einer entsprechenden Trainingsintensität zu verzeichnen. Eine gestärkte Rückenmuskulatur trägt demnach dazu bei, Freude an Bewegung und Sport zu entfachen und das eigene Sportverhalten in der Freizeit positiv zu verändern.
Fehltage haben sich reduziert
Die Evaluation des Gesundheitsprogramms in wirtschaftlicher Hinsicht erfolgt auf der Basis von krankheitsbedingten Ausfalltagen. Um hier konkret auf die Fehlzeiten Bezug zu nehmen, die durch Rückenerkrankungen bedingt waren, war es erforderlich, Krankenkassendaten hinzuziehen. Als Partner konnte die DAK-Versicherung gewonnen werden, bei der ein Großteil der Mitarbeiter versichert ist. Die Anonymität der Daten wurde durch die Verschlüsselung der Personencodes sichergestellt. Zudem wurde, wie vom Betriebsrat gefordert, eine Einverständniserklärung der betroffenen Personen eingeholt. Bei der Untersuchung der Fehlzeit infolge von Muskel-Skelett-Krankheiten, wozu in besonderem Ausmaß Rückenleiden zählen, wird die positive Wirkung des Gesundheitsprogramms offensichtlich. Nach dem dreijährigen Training sind die jährlichen muskuloskelettalbedingten Ausfalltage um 756 Fehltage beziehungsweise 60 Prozent bei den Teilnehmern gesunken. Bei den Nichttrainierenden ist im gleichen Zeitraum sogar ein Anstieg von Ausfalltagen infolge von Muskel-Skelett-Krankheiten von 20 Prozent zu verzeichnen. Während in der Gruppe der Nichtteilnehmer die Unterscheidung nach Beschäftigungsart keine Rolle spielt, kristallisiert sich in der Gruppe der Teilnehmer ein noch positiverer Effekt für die gewerblichen Beschäftigten heraus. Bei Personen, die physisch belastende Tätigkeiten ausführen, scheint das Gesundheitsprogramm demnach noch mehr Wirkung zu entfalten.
Enorme Einsparungen
Ausgehend von der Reduktion der durch Muskel- und Skeletterkrankungen induzierten Fehlzeiten kann die Wirksamkeit des Gesundheitsprogramms auch monetär bewertet werden. Unter der Annahme, dass sich die Fehlzeiten bei den Trainierenden ohne die Teilnahme am Gesundheitsprogramm nicht reduziert sondern so entwickelt hätten, wie in der Kontrollgruppe der Nichtteilnehmer, wären als Folge zusätzlich 1009 Fehltage durch Muskel- und Skeletterkrankungen vom Unternehmen zu kompensieren gewesen. Bewertet man – in Anlehnung an die Zukunftsinitiative Personal, Whitepaper 2012 – die Kosten für einen Ausfalltag mit 400 Euro, dann lässt sich ein jährliches Einsparpotenzial von circa 400 000 Euro durch das Rückentraining ermitteln. Diesbezüglich ist noch einmal zu betonen, dass bei der Fehlzeitenanalyse lediglich die Ausfalltage der Teilnehmer analysiert werden konnten, die bei der DAK versichert sind, was bei einem Großteil der Teilnehmer der Fall war. Wenn man davon ausgeht, dass sich die Fehlzeiten bei den Trainierenden, die nicht bei der DAK versichert waren, analog entwickelt hätten, würde sich das Einsparpotenzial nahezu verdoppeln.
Geschäftsführung verlängert das Angebot
Die Wirksamkeit der Gesundheitsförderung kann in allen untersuchten Dimensionen nachgewiesen werden. Dies hat dazu geführt, dass die Geschäftsführung entschieden hat, das zunächst für drei Jahre konzipierte Angebot im vergangenen Jahr für weitere drei Jahre zu verlängern. Zukünftig soll durch adäquate Werbe- und Kommunikationsmaßnahmen die Teilnehmerquote weiter verbessert werden, damit eine noch größere Anzahl von Mitarbeitern von diesem Angebot profitiert.
Bei der Entscheidung zur Programmverlängerung war die Reduktion der Fehltage infolge von Muskel- und Skeletterkrankungen in besonderem Maße ausschlaggebend. Denn genau an diesem Krankheitsbild setzt das Training an. Das hier dargelegte Beispiel zeigt somit, wie betriebliche Gesundheitsförderung, die auf Rückentraining fokussiert ist, dazu beitragen kann, dass Mitarbeiter auch im hohen Alter leistungsfähig bleiben, sogar wenn sie physisch belastende Tätigkeiten wie beispielweise in der Produktion ausüben.
Autorinnen
Prof. Dr. Constanze Chwallek, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, FH Aachen,
chwallek@fh-aachen.de
Sandra Fohn, stellv. Personalleiterin Werk Stolberg, Saint-Gobain Glass Deutschland GmbH, Stolberg,
sandra.fohn@saint-gobain.com
Uhle, Thorsten/Treier, Michael: Betriebliches Gesundheitsmanagement: Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt – Mitarbeiter einbinden, Prozesse gestalten, Erfolge messen, Berlin 2015.
Froböse, Ingo/Wilke, Christiane/Biallas, Bianca: Unternehmen unternehmen Gesundheit.
Betriebliche Gesundheitsförderung in kleinen und mittleren Unternehmen. Online verfügbar unter: http://www.bmg.bund.de/fileadmin/redaktion/pdf_broschueren/Betriebliche-Gesundheitsfoerderung-Broschuere.pdf
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