Ausgabe 5 - 2018
Die Arbeitgeber schaden sich selbst

Gegen den Widerstand vieler Unternehmen will die Große Koalition sachgrundlos befristete Arbeitsverträge beschränken. Dabei würde eine solche Regelung der Wirtschaft nützen.
Von Alex Wehnert
Es ist ein mühsam errungener Kompromiss zwischen SPD und Union. Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten dürfen mit höchstens 2,5 Prozent ihrer Belegschaft sachgrundlos befristete Verträge schließen. Diese dürfen maximal 18 statt bislang 24 Monate gelten, sieht der neue Koalitionsvertrag vor. Auch sogenannte Kettenbefristungen sollen gestoppt werden – kein Arbeitnehmer darf künftig länger als fünf Jahre von verschiedenen Unternehmen auf Zeit eingestellt werden. Arbeitgeberverbände atmen nun auf – zu Unrecht. Denn befristete Arbeitsverträge schaden in vielen Fällen mehr als sie nützen.
Die Argumentation vieler Unternehmen: Befristungen seien besonders in Krisenzeiten wichtig, weil Unternehmen durch sie die Zahl ihrer Beschäftigten rasch und ohne Kündigungen an eine schwächere Auftragslage anpassen könnten. Bessere sich das Geschäft, könnten die Betriebe schnell reagieren, ohne sich langfristig an Beschäftigte binden zu müssen. Ausufernde Lohnkosten nach einem kurzen Boom sind die größte Angst.
Theorie und Praxis
Doch auch für Arbeitskräfte seien Befristungen gut, sagen Befürworter. Unternehmen hätten weniger Scheu, Einsteigern eine Chance zu geben, wenn sie sich nicht sofort fest an sie binden müssten. Die seien dann besonders motiviert, um eine unbefristete Stelle zu bekommen – was in vielen Fällen auch gelinge. Soweit die Theorie. Die Praxis aber sieht oft anders aus. Seit 1985 sind die sogenannten sachgrundlosen Befristungen in Deutschland erlaubt. Mittlerweile sind fast drei Millionen Arbeitnehmer betroffen – also etwa jeder zwölfte. Die Zahl ist stark gestiegen, vor 20 Jahren lag sie noch um eine Million niedriger. Was die Wirtschaft als zunehmende Flexibilität verbucht, birgt große Risiken. „Jobunsicherheit schmälert die Loyalität und das Engagement der Mitarbeiter“, urteilt der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Alfred Kleinknecht. Als Professor an der Technischen Universität in Delft hat er das Phänomen der Befristung vor allem in niederländischen Unternehmen untersucht und forscht nun auch in Deutschland.
Das Hauptproblem ist ein rasches Abfallen der Motivation. Viele starten voller Elan in den neuen Job – um bald erkennen zu müssen, dass sie nur geringe oder gar keine Chancen auf Übernahme haben. Tatsächlich werden laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung fast zwei Drittel der befristet Beschäftigten nicht in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen. Auch in der täglichen Arbeit werden falsche Anreize gesetzt. „Beschäftigte verschweigen dann Möglichkeiten für arbeitssparende Maßnahmen oder blockieren sie sogar“, urteilt Kleinknecht – sie haben Sorge, sich selbst überflüssig zu machen. So verpasst der Arbeitgeber die Chance auf Effizienzsteigerungen, die Kosten sparen könnten.
Mehr Verwaltungsaufwand durch Flexibilisierung
Verteidiger der Befristung führen an, dass sie Mitarbeiter erst einmal kennenlernen wollen, bevor sie sie fest anstellen. Doch auch in unbefristeten Verträgen können Arbeitgeber Probezeiten festschreiben. Bis zu sechs Monate sind möglich – das sollte reichen, um herauszufinden, ob ein Mitarbeiter der richtige ist. Für Personalmanager bedeutet die zunehmende Flexibilisierung zudem mehr Verwaltungsaufwand. Die Zeit wäre mit effektiver Personalentwicklung besser genutzt. Dass ein Betrieb auch ohne Befristungen atmen kann, zeigt das Beispiel des Maschinenbauers Berthold Hermle AG. Dessen ehemaliger Vorstandssprecher Dietmar Hermle sprach sich während der Finanzkrise ab 2007 dafür aus, Mitarbeiter langfristig zu binden. Hermle kam ohne Entlassungen durch die Krise und gilt heute als einer der profitabelsten deutschen Maschinenbauer. Die Strategie: Mitarbeiter machen im Aufschwung Überstunden und bauen ihre Arbeitszeitkonten auf. Bei Konjunktureinbrüchen fahren die Angestellten wieder die Normalzeit oder weniger. Hermle etwa schickte Mitarbeiter an Brückentagen in die Ferien und nutzte die Zeit für Umstrukturierungen.
Auch Kurzarbeit bietet den Arbeitnehmern in Krisenzeiten mehr Sicherheit als eine Befristung, da sie ihre Stelle behalten und den Verdienstausfall teilweise über das Kurzarbeitergeld ausgleichen können. Der Vorteil für Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels: Sie können qualifizierte Kräfte auch in schwierigen Phasen halten. Die Beschäftigten werden es mit hohem Einsatz danken, wenn es wieder besser läuft.
Der Autor studiert an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, absolviert parallel eine Ausbildung an der Kölner Journalistenschule (KJS). Er schreibt im Rahmen eines Kooperationsprogramms mit der KJS für die Personalwirtschaft.
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