Ausgabe 5 - 2018
Vom Schloss in die Schraubenfabrik

Zur Person:
Gero Hesse ist Geschäftsführer der AgenturTerritory Embrace und Betreiber des Blogs Saatkorn.Der von Professor Dr. Christoph Beck von zehn Jahren ins Leben gerufene Recruiting Convent auf Schloss Bensberg war gestern. Gero Hesse hat das Veranstaltungsformat übernommen und einem Facelift unterzogen. Im Interview erklärt er das neue Konzept des #RC18.
Interview: Kirsten Seegmüller
Personalwirtschaft: Herr Hesse, im 11. Jahr haben Sie den Recruiting Convent von Professor Dr. Christoph Beck übernommen. Nun wollen Sie der Veranstaltung ein neues Gesicht geben. Wie soll das aussehen?
Gero Hesse: Das grundlegende Konzept entwickeln wir weiter. Wir werden hochkarätige Referenten und Diskussionsteilnehmer wie zum Beispiel den Philosophen Richard David Precht, Sahra Wagenknecht, Thomas Sattelberger und natürlich den Gründer Professor Dr. Christoph Beck auf der Bühne haben. Aber die Inhalte gehen weit über das Recruiting hinaus.
„Wir haben das disruptive Umfeld absichtlich gewählt. Jetzt haben wir Formate im Sitzen, Stehen und Liegen.“
Das müssen Sie uns genauer erklären.
Durch die demografische Entwicklung und die Digitalisierung beobachten wir in den angrenzenden Themenfeldern viele Möglichkeiten – entsprechend stellen auch wir uns breiter auf und nennen das Event #RC18. Früher ging es vorwiegend um Employer Branding und Personalmarketing, aber wir schauen über den Tellerrand hinaus. Es wird beispielsweise Vorträge, Workshops und Diskussionen geben zu neuen HR-Technologien. Dazu gehören Datenpools, Virtual Reality, der Einsatz von Algorithmen und die SEO-Optimierung von Karrierewebseiten.
Das hört sich so an, als seien die Personaler technologisch noch nicht auf dem neuesten Stand. Welche Defizite beobachten Sie als Berater am häufigsten?
Als Geschäftsführer einer Personalmarketing-Agentur fällt mir immer wieder auf, dass HR-Mitarbeiter Angst vor der technologischen Entwicklung haben. Dabei ist sie unerlässlich, um Mitarbeiter ins Unternehmen zu holen und zu halten. Aber es geht auch um klassische Themen: Mancherorts wird verkannt, wie sich die Zahlen am Arbeitsmarkt entwickeln. Es gibt keinen pauschalen Fachkräftemangel, aber es gibt Zielgruppen, die jeder haben will, und die gilt es zu finden, neugierig zu machen und zu binden. Zudem beschweren sich Personaler vielfach darüber, sie könnten nicht auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung über strategische Ziele diskutieren. Aber sie müssen sich selbst mehr einbringen und den Mut haben, Fakten auf den Tisch zu legen und Neues auszuprobieren.
Die Veranstaltung hat das Motto „Innovate & Survive“. Geht es beim Recruiting und Personalmanagement ums blanke Überleben?
Nein, das bedeutet etwas anderes. „Innovate“ ist notwendig vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung und des Fachkräftemangels. Personalleiter und andere HR-Mitarbeiter sind durch die Digitalisierung gezwungen, neue Prozesse und Tools zu finden und zu integrieren. Bei „Survive“ geht es darum, dass man sein Brot-und-Butter-Geschäft im Griff haben muss. Man braucht keine VR-Konzepte, wenn man nicht mal eine mobil-optimierte Karrierewebseite hat.
Also geht es bei der Digitalisierung nur um technologische Neuerungen? Oder welche anderen Auswirkungen hat sie auf das Personalmanagement?
Es gibt zahlreiche Auswirkungen: Vielfach werden die Kultur und Kommunikation verändert, beschleunigt und transparenter gemacht. Arbeitgeber müssen authentischer agieren als vor zehn Jahren. Digitalisierung kann eine große Arbeitserleichterung sein: Dazu sollten HR-Mitarbeiter neue Technologien nicht abwehren, sondern umarmen – ohne Angst vor Shitstorms. Ein Beispiel ist das Robot Recruiting. Auf unserer Veranstaltung können sich die Teilnehmer einen solchen Roboter live anschauen. Gedacht ist er beispielsweise dazu, Bewerbern auf Messen und Veranstaltungen einfache, wiederkehrende Fragen zu beantworten.
„Der #RC18 kann den Fachkräftemangel natürlich auch nicht beheben, aber er kann Impulse setzen.“
Also quasi ein FAQ-Roboter?
So in der Art. Er erläutert einfache Dinge, damit die Personaler am Stand mehr Zeit für persönliche Gespräche und wichtige Inhalte haben. Im Moment ist der Roboter noch ein Gimmick, aber das Ziel besteht darin, dass er völlig automatisiert und standardisiert arbeitet. Die Technologie ist ein Enabler, um Standardprozesse zu beschleunigen, damit mehr Zeit für Entscheidungen bleibt.
Aber der beste Recruiting-Roboter und die interessanteste Veranstaltung nützen nichts, wenn der Markt leer gefegt ist. Gerade Mittelständler (KMU) leiden darunter.
Der #RC18 kann den Fachkräftemangel natürlich auch nicht beheben, aber er kann Impulse setzen. Die Mittelständler wissen genau, dass sie nicht mit den Budgets der Großen mithalten können. Sie punkten stattdessen mit Kommunikation. Das Problem liegt aber ganz woanders: Viele wissen gar nicht, was auf dem Arbeitsmarkt passiert. Die HR-Abteilungen sind viel zu klein, als dass sie sich um innovative Themen und Recruiting-Maßnahmen kümmern könnten. Eigentlich müssten sich aber gerade die Mittelständler damit auseinandersetzen und in neue Tools investieren. Aber das geschieht leider nicht. Die große Masse an KMU wird abgehängt. Die Quittung kommt in den nächsten Jahren, denn es sind immer weniger qualifizierte Fachkräfte auf dem Markt.
Gehen wir mal weg vom Recruiting. Ein weiterer Schwerpunkt lautet „New Work“. Was verstehen Sie darunter?
Wir verstehen darunter die Demokratisierung der Arbeitswelt, mehr Freiraum, mehr Transparenz – alles getrieben durch Technologie. Früher gab es Probleme, das Homeoffice ans Unternehmen anzubinden …
… aber das ist schon sehr lange her.
Ja, aber trotzdem verläuft die Umsetzung noch sehr problematisch.
Warum? Wenn die Technik funktioniert, liegt es dann am Vertrauen der Arbeitgeber?
Das Homeoffice ist technisch möglich, aber die wichtige Frage lautet: Ist es auch kulturell möglich? Ich berate viele Unternehmen in dieser Hinsicht und stelle fest, dass heute immer noch über die zeitliche und örtliche Flexibilität diskutiert wird. Also ja, das Thema Vertrauen spielt hier eine Rolle, egal ob große oder kleine Unternehmen. Die Arbeitswelt verändert sich nicht von heute auf morgen.
Bei der Veranstaltung werden fünf HR-Startups prämiert. Welche Rolle spielen sie und welche Vorteile haben HR-Abteilungen von deren Ideen und Technologien?
Den Award für beste HR-Tech-Innovation richten wir zusammen mit Queb aus, dem Bundesverband für Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting. Die spannendsten fünf HR-Startups stellen ihre Konzepte vor und werden vor Ort prämiert. Zu den Neuheiten gehören beispielsweise Matching-Algorithmen, VR-Lösungen und Datenpools. Der Award ist dabei nur ein Mittel, um den Start-ups Raum und inhaltliche Bedeutung zu geben. Wichtig für uns alle ist der Kontakt zu jungen Leuten, die komplett neue Ideen und Sichtweisen im HR-Umfeld entwickelt haben, die etablierten Konzernstrukturen nicht entsprechen. Da geht es nicht nur um ein Tool, sondern um ganz neue Prozesse. Da sind Revolutionäre am Werk und hinterfragen Dinge radikal. Ob diese Ideen am Ende erfolgreich sind, wird sich zeigen, aber zumindest geben sie einen Impuls für weitere Entwicklungen.
Wie wird der #RC 18 ablaufen? Die üblichen Vorträge und Diskussionsrunden?
Nein, wir versuchen in jeglicher Hinsicht, das Konzept aufzubrechen. Früher fand der Convent meist auf Schloss Bensberg in feudalem Ambiente statt, jetzt haben wir als Location eine alte Schraubenfabrik ausgewählt, in der Vernissagen und Konzerte stattfinden. Wir haben das disruptive Umfeld absichtlich gewählt, um weg von Frontalvorträgen zu kommen. Jetzt haben wir Formate im Sitzen, Stehen und Liegen.
Im Liegen?
Ja, zum Beispiel im Workshop „Digital Detox“. Darin geht es darum, dem Datenwirrwarr und der Informationslawine zu entgehen, und dabei spielen Entspannungstechniken eine große Rolle.
Und wie wird der #RC19 aussehen?
In den nächsten Jahren werden wir uns noch breiter und internationaler aufstellen. Dann wird es nicht nur deutsche Redner und Workshop-Referenten geben, sondern auch welche aus dem Ausland.
- Die bittere Pille danach
- Frischer Wind für die DGFP
- #MeToo aus Sicht von HR
- Vom Schloss in die Schraubenfabrik
- „Ich brenne immer noch für das Recruiting“
- Im agilen Caféhaus
- Den Kunden im Fokus
- Ignoranz kann teuer werden
- Oberste Arbeitgeberpflicht
- Recruiting erfordert Vertrauen
- „Finger weg von privaten Netzwerken“
- Die Quintessenz: Dos and Don'ts für Personaler in Sachen Datenschutz
- Wechsel mit Aussicht
- Trennung mit Neuanfang
- Bürokratie statt Flexibilität
- Die Arbeitgeber schaden sich selbst
- „Personaler sollten sich an Technik herantrauen“
- Besser testen
- Inhalt schlägt Form
- Kein Durchblick beim Entgelt
- Das geglückte siebte Jahr
- Next Act, Next Hope
- „Personal ist mir eine Herzensangelegenheit“