Achterbahnfahrt für Expatriates

Mitarbeiter in längeren internationalen Einsätzen durchleben ausgeprägte Phasen von Hochs und Tiefs. Die gute Nachricht ist: Die emotionale Wucht der Phasen kann von den Expatriates, ihren Familien und ihrem Arbeitgeber positiv beeinflusst werden.
Über die Einsatzspanne im Ausland hinweg beschreiben die Phasen bei einer Entsendung einen W-förmigen kulturellen Anpassungsprozess von Erwartungen und Ernüchterung, von Zufriedenheit und Skepsis.
Die Phase hoher Erwartungen
Diese ist geprägt von einer hohen Erwartungshaltung an den Auslandseinsatz: Gedanklich mit der Option beschäftigt, entwickelt der Mitarbeiter eine optimistische Grundstimmung. Sie verstärkt sich, wenn der Arbeitsvertrag unter Dach und Fach ist und sich der Einsatz konkretisiert. Das soziale Umfeld stimmt in die Vorfreude auf das gemeinsame Abenteuer ein. Das berufliche Umfeld stellt sich mehr und mehr auf die Auslandstätigkeit des Kollegen ein, die häufig mit wachsender unternehmensinterner Reputation verbunden ist: Wichtige Leute im Unternehmen kontaktieren den Mitarbeiter im Vorfeld des Einsatzes, um Ziele zu vereinbaren. Die Vorstellungen, wie man das gebotene berufliche Sprungbrett des Auslandseinsatzes nutzen und welche „Projekte“ (zum Beispiel Sprachen lernen) man angehen will, werden immer konkreter: Der Auslandseinsatz kann beginnen.
Der Start in der fremden beruflichen und privaten Umgebung gelingt in der Regel ohne größere (emotionale) Probleme. Die zahlreichen neuen Eindrücke sind interessant, der neue Alltag jenseits der Firma ist spannend, die neuen Kollegen sind aufmerksam und bemüht. Ein „Mentor“, „Pate“, in der Firma, ein Relocation-Service für die privaten Dinge können zudem helfen, die ersten Schritte weiter zu erleichtern.
Die Phase der Desillusionierung
Die optimistische Grundhaltung verliert sich häufig nach einigen Monaten und kann sich in das Gegenteil kehren. In der Firma läuft es oft nach den Flitterwochen des Auslandseinsatzes nicht mehr so rund wie erwartet. Aus Sicht von Vorgesetzten und Mitarbeitern im Gastland ebenso wie im Heimatland ist die Einarbeitungszeit abgeschlossen. Die interkulturellen Bemühungen der einheimischen Kollegen weichen dem gewohnten kulturellen Rhythmus, in den sich der Gast einzuschwingen hat; man erwartet nun reibungslose Einordnung und Leistung. Das Heimatland beginnt, die Lieferung von Vereinbartem einzufordern; der Druck steigt. Zugleich wird dem Mitarbeiter in der Ferne bewusst, dass sich die Welt zu Hause auch ohne ihn weiterdreht und kollegiale Beteuerungen, den engen Kontakt halten zu wollen, von der räumlichen Distanz und von den täglichen Herausforderungen auf eine harte Probe gestellt werden. Erste berufliche Probleme treten auf, und die Erkenntnis ist schmerzlich, dass man sich einigen Illusionen hingegeben hatte.
Die außerordentlichen psychischen Belastungen – Kulturschock, Stress und Frustration im beruflichen wie im privaten Leben – bergen im Zusammenspiel die Gefahr, in eine pessimistische Grundhaltung abzugleiten. Dadurch können sie die Sprengkraft entwickeln, den Auslandseinsatz insgesamt zu gefährden. Die Gefahr eines vorzeitigen Abbruchs ist in der Phase der Desillusionierung besonders groß. Ein interkulturelles Coaching für den Expatriate und dessen Familie kann in dieser Phase helfen, die Sorgen und Hürden zu thematisieren und folglich zu überwinden.
Die Phase der Normalisierung
In der überwiegenden Zahl der Fälle schließt sich eine positive Trendwende bei Erwartungen und Zufriedenheit ein: In dieser Phase wird das fremde Werte- und Kultursystem zunehmend akzeptiert. Der Mitarbeiter kommt im beruflichen Alltag an und versteht seine neue Aufgabe als harten Job mit allen Höhen und Tiefen; nicht zuletzt deshalb stellen sich erste Erfolgserlebnisse ein. Privatleben und Familie verlassen die „Touristenperspektive“; man akzeptiert, dass man nicht auf Langzeiturlaub ist und der Alltag als Alltag gemeistert werden muss. Dies geht – beruflich wie privat – einher mit einem zunehmenden Verständnis der anderen Kultur und häufig mit Bekanntschaften zu Gastlandangehörigen; sie lassen die Vertrautheit mit dem Fremden weiter wachsen.
Die Phase der Repatriierung
Bereits einige Monate vor der geplanten Rückkehr ins Heimatland beginnen sich Gedanken, Gespräche und Herausforderungen zunehmend um die damit zusammenhängenden Themen zu drehen. Es gilt zu klären, wie es beruflich weitergehen wird. Der Auslandsmitarbeiter muss dabei häufig erkennen, dass sein eigenes Großthema des nächsten beruflichen Schritts im Heimatland nur ein kleines ist – und oft genug überhaupt keines. Berufliche und soziale Privilegien in der Fremde – Repräsentant der Firma im fremden Land, weit oben in der Hierarchie der Auslandsgesellschaft – werden zu Hause der Wiedereingliederung in einen oftmals als überbürokratisch empfundenen Apparat weichen müssen. Die Konkurrenz um interessante Aufgaben und Stellen ist groß, und die Konkurrenten in der Heimat haben einen tatsächlichen oder unterstellten Standortvorteil. Die vormalige Hoffnung darauf, der Auslandsaufenthalt sei ein Karrierebeschleuniger, erweist sich als Trugschluss; der Mitarbeiter, so die Sicht des Heimatlands, solle „erst einmal wieder ankommen“, dann werde man weitersehen.
Diese beruflichen Ent-Täuschungen werden oft verstärkt durch die privaten Herausforderungen. Auch Partner und Familie hatten sich im eigenen „Exoten-Status“, in Annehmlichkeiten (großes Haus, vielleicht Personal) und in mit der beruflichen Stellung verbundenen persönlichen Privilegien (Einladungen zu lokal wichtigen Ereignissen) eingerichtet. Nun steht auch hier ein Abschied an, und stattdessen geht es in den „faden Alltag“ des Heimatlandes zurück. Hinzu kommen logistische und organisatorische Herausforderungen: Entscheidungen über Wohnort, Umzug, Anschluss-Schulen, Arbeitsplatz des Partners sind zu treffen. Oft genug realisieren Mitarbeiter und Familie in dieser Phase, dass sie sich von ihrer eigenen Kultur entfernt haben. Schon aus der Ferne und verstärkt in den Wochen des Neu-Einlebens in der alten Heimat fühlen sie sich damit unwohl und schwärmen von den guten Zeiten im Gastland. Diese Phase der Repatriierung ist häufig geprägt von einem „Kontra-Kulturschock“, dessen Ausprägung ähnlich stark sein kann wie zu Beginn des Auslandsaufenthalts.
Die erneute Fülle der Belastungen beruflich wie privat führt nicht selten dazu, dass Mitarbeiter in eine innere Distanzierung zur eigenen Firma abgleiten, den Vorsatz fassen, möglichst bald eine neue Auslandsaufgabe anzutreten, oder sich gar mit einem Arbeitgeberwechsel tragen. Bietet sich eine passende Gelegenheit, kann der Mitarbeiter seinem Unternehmen bereits wenige Monate nach seiner Rückkehr verlorengehen.
Die Phase der Wiedereingliederung
Berufliche wie private Reintegrationsmaßnahmen stellen darauf ab, diese „worst cases“ der Auslandsrückkehr zu vermeiden. Sie helfen, sich wieder in den Alltag der Heimat einzugliedern und gleichsam zu resozialisieren. Das frühere soziale Umfeld revitalisiert sich und neue Kontakte entstehen. Mit der Übernahme neuer Aufgaben in der Firma entwickeln sich eine zunehmende Akzeptanz der Spielregeln der Heimatgesellschaft und neue berufliche Perspektiven. Mitarbeiter und Familie sind wieder zu Hause angekommen.
Autor
Prof. Dr. Michael Heuser, Fachhochschule der Wirtschaft, Mettmann,
michael.heuser@t-online.de