Ausgabe 5, Special Auslandsentsendung - 2017
Erfolgsfaktor kulturelle Intelligenz

Expatriates sollten bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten mitbringen, sonst droht ein Scheitern des Auslandseinsatzes.
Ein zentraler Faktor für die erfolgreiche Auswahl und Vorbereitung potenzieller Kandidaten ist deren kulturelle Intelligenz.Mit zunehmender Globalisierung und verstärkten globalen Aktivitäten von Unternehmen steigt die Bedeutung der internationalen Personaleinsätze von Fach- und Führungskräften. Als Folge werden Karrieren international und grenzenlos. Während der Bedarf an Fach- und Führungskräften, die über verschiedene Kulturkreise hinweg erfolgreich agieren, einerseits steigt, ist andererseits die Anzahl der Personen mit dieser Fähigkeit begrenzt. International agierende Unternehmen sehen sich daher vor der Herausforderung zu verstehen, wie Mitarbeiter, die zur Entsendung bereit sind, identifiziert und gezielt ausgewählt werden können.
Firmen können durch Entsendungen von Mitarbeitern den Wissenstransfer sicherstellen, ihre globale Präsenz garantieren, dem Fachkräftemangel in ausländischen Standorten oder Tochterfirmen entgegenwirken und vor allem ihre Führungskräfte mit internationalen Kompetenzen ausstatten. Um die Identifikation und Auswahl potenzieller Expatriates zu verbessern, ist es für Organisationen entscheidend, die Motivation zu verstehen, die zu der Absicht führt, im Ausland zu leben und zu arbeiten. Unternehmen haben mit hohen Ablehnungsraten und Misserfolgsraten von Fach- und Führungskräften im Hinblick auf Entsendungen umzugehen, was wiederum mit hohen Kosten verbunden ist.
Aus der Perspektive der Mitarbeiter ist der erwartete und wahrgenommene Nutzen einer Entsendung häufig nicht durchgehend positiv. Vielmehr ergibt sich ein Spannungsfeld mit Chancen und Risiken sowie persönlichen Vor- und Nachteilen. Daraus folgt häufig eine kritische Haltung der Mitarbeiter im Hinblick auf eine mögliche Entsendung. Die Fähigkeit von Unternehmen, die Absicht eines möglichen Expatriates zur Arbeit im Ausland vorauszusagen, führt zur Auswahl derjenigen Mitarbeiter, die tatsächlich eine höhere Mobilitätsbereitschaft aufweisen. Entscheidend ist für Organisationen daher die Identifikation der Faktoren, welche die Absicht der Mitarbeiter zur Arbeit im Ausland beeinflussen.
Kulturelle Unterschiede sind nach wie vor groß
Auch wenn durch den Prozess der Globalisierung Länder und Kulturkreise scheinbar näher zusammenrücken, stellen kulturelle Unterschiede nach wie vor eine große Herausforderung dar. Dadurch können Missverständnisse entstehen, die eine effiziente und erfolgreiche Zusammenarbeit in einem Unternehmen behindern. Firmen investieren Zeit und Geld in ihre Mitarbeiter, um sie für eine Entsendung vorzubereiten. Diese Vorbereitung umfasst zumeist kulturelle oder sprachliche Trainings, Informationen über das Zielland sowie einen Austausch mit Mitarbeitern vor Ort. Die Mobilitätsbereitschaft der Mitarbeiter können diese Maßnahmen jedoch nicht nachhaltig beeinflussen.
Die Entsendung mit dem damit verbundenen Leben und Arbeiten in einem anderen kulturellen Umfeld stellt an einen Mitarbeiter wesentlich höhere Ansprüche als die Arbeit am Heimatstandort. Für die Arbeit im Ausland sind besondere persönliche Eigenschaften erforderlich. Die Anpassung an ein bisher unbekanntes kulturelles Umfeld gelingt zumeist nicht innerhalb kurzer Zeit. Trotz kultureller und sprachlicher Vorbereitung basiert die Entsendung häufig auf unvollständigen und unzureichend übermittelten Informationen über das Zielland.
Kulturelle Intelligenz ist emotionale Intelligenz
Leben und arbeiten in einem unbekannten kulturellen Umfeld bedeutet für den Mitarbeiter ein beträchtliches Ausmaß an Stress. Neben den beruflichen Herausforderungen und Aufgaben muss er sich an bisher unbekannte physische wie auch psychologische Umstände anpassen. Die Arbeit im Ausland erfordert, vom gewohnten Verhalten im eigenen kulturellen Umfeld hin zu einer neuen kulturellen Verhaltensweise zu wechseln. Zugleich stellt die kulturelle Anpassung einen wesentlichen Erfolgsgarant der Auslandsentsendung dar. Diese unbekannten Gegebenheiten und die nötige Verhaltensanpassung erfordern ein hohes Maß an kultureller Intelligenz (Culturell Intelligence – CQ), die als Teilbereich der emotionalen Intelligenz betrachtet wird.
Kulturelle Intelligenz beschreibt die Fähigkeit einer Person, sich in unbekannte kulturelle Umgebungen oder Situationen erfolgreich einzufinden und mit diesen zurechtzukommen. Personen mit einer ausgeprägten kulturellen Intelligenz besitzen ein großes Interesse an fremden Kulturen, sind folglich eher bereit, das Risiko einer Entsendung einzugehen. Sie verfügen weiter über die soziale Fähigkeit, schnell auf Veränderungen im sozialen Verhalten innerhalb interkultureller Situationen zu reagieren. Damit ist die kulturelle Intelligenz eine entscheidende individuelle Fähigkeit mit persönlichen, zwischenmenschlichen und arbeitsrelevanten Einflüssen auf die Auswirkungen der globalisierten Arbeitswelt.
Die kulturelle Intelligenz ist durch vier Verhaltensdimensionen gekennzeichnet. Sie umfasst kognitive, verhaltensbezogene und motivationale Komponenten: Die CQ-Drive (motivationale kulturelle Intelligenz) beschreibt die intrinsische Motivation, den eigenen Antrieb und das Interesse von Personen, neuartige Kulturen kennenzulernen und mit Menschen aus fremden Kulturkreisen zu interagieren. Sie umfasst weiter den Wunsch, Neuartiges kennenzulernen und zu verstehen, sowie sich auf Situationen einzulassen, in denen unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen. Personen mit einem hohen Maß an motivationaler kultureller Intelligenz vertrauen in ihre Fähigkeit, mit den Herausforderungen kultureller Unterschiede umzugehen.
Die CQ-Knowledge (kognitive kulturelle Intelligenz) steht für die Kenntnis und das Verstehen von Verhaltensregeln und Normen anderer Kulturen. Dabei geht es um das Wissen über Wirtschafts- und Rechtssysteme anderer Länder. Auch wird das Wissen über soziale Verhaltensregeln in der Interaktion mit Personen mit einem anderen kulturellen Hintergrund adressiert. Zudem deckt diese Komponente das Verständnis über die Unterschiede zweier Kulturen ab, ausgehend von dem Bewusstsein über die eigene Kultur. Die CQ-Strategy (metakognitive kulturelle Intelligenz) bezieht sich auf das interkulturelle Bewusstsein. Sie hilft beim Verständnis kultureller Aspekte und Prozesse sowie bei der Beurteilung eigener und fremder Gedanken. Folglich reflektiert diese Facette die strategische Denkweise über kulturelle Unterschiede und das Verständnis über verschiedene kulturelle Kontexte. Eine ausgeprägte metakognitive Intelligenz hilft Personen dabei, die Bedeutung der Vorbereitung oder Planung kultureller Interaktionen zu verstehen, die mit einer internationalen Mobilität verbunden sind. Die CQ-Action (verhaltensbezogene kulturelle Intelligenz) schließlich beruht auf der Bereitschaft und Fähigkeit, das eigene Verhalten dahingehend zu verändern, dass es sich anderen Kulturen anpasst. Dies umfasst nonverbale Verhaltensweisen (Körpersprache, Gesten, Gesichtsausdrücke) wie auch verbale Verhaltensweisen (Tonalität und Ausdrucksweise der Sprache, Akzent).
Der Auftrag für HR
Nicht jeder Mitarbeiter ist gleichermaßen kulturell intelligent. Allerdings lässt sich die kulturelle Intelligenz entwickeln und trainieren, so etwa durch Fremdsprachenkenntnisse, Zugang zu Netzwerken im Zielland oder internationale Erfahrung. Aufgabe des Personalmanagements internationaler Unternehmen ist es, diejenigen Mitarbeiter zu identifizieren, die kulturell intelligent sind oder das Potenzial dafür aufweisen.
Da Fremdsprachenkenntnisse die kulturelle Intelligenz positiv beeinflussen, sollten Unternehmen vor der Auslandsentsendung gezielt in Sprachtrainings investieren. Auch der Kontakt zu ehemals oder gegenwärtig entsandten Kollegen hilft bei der Ausprägung der kulturellen Intelligenz. Daneben wird es für das HR- Management international agierender Unternehmen immer bedeutender, die mobilitätsbereiten Mitarbeiter im Hinblick auf ihr Wissen über Wirtschafts- und Rechtssysteme, Werte und Normen oder sprachliche Regeln zu sensibilisieren, was von der Facette CQ-Knowledge abgedeckt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Mitarbeiter in einem Land arbeiten soll, das sich kulturell sehr stark vom Heimatland unterscheidet. Auch sollten Unternehmen gezielt jene Mitarbeiter für eine Auslandsentsendung auswählen und unterstützen, die bereits über internationale Erfahrung verfügen, sei es Auslandserfahrung im Studium oder im Zuge unternehmensinterner Traineeprogramme mit Auslandsstationen.
Ansetzen beim Auswahlprozess
Den Pool an international mobilen Mitarbeitern können Organisationen dadurch erhöhen, dass sie bereits beim Rekrutierungsprozess die Kandidaten im Hinblick auf ihre internationale Mobilitätsbereitschaft analysieren und auswählen. Um die kulturelle Intelligenz ihrer Mitarbeit gezielt zu identifizieren, haben Unternehmen die Möglichkeit, Rollenspiele oder Interviews mit den potenziellen Expatriates durchzuführen. Wissenschaftlich entwickelte und begleitete Assessments und Tests ermöglichen eine standardisierte Abfrage und Einschätzung der individuellen kulturellen Intelligenz. Da Persönlichkeitstests inzwischen bei einem Großteil der Unternehmen einen festen Bestandteil des Auswahlprozesses und der Beurteilung von Mitarbeitern bilden, sollten die Persönlichkeitstests um die Komponente der kulturellen Intelligenz erweitert werden.
Schließlich ist die Rolle des jeweiligen Vorgesetzten nicht zu unterschätzen: Ein gezieltes Mentoring sowie eine persönliche Unterstützung bei der Vorbereitung des Auslandsaufenthaltes können sich positiv auf die motivationale Facette der kulturellen Intelligenz auswirken. Dabei nimmt der jeweilige Vorgesetzte eine Vorbildfunktion ein, indem der Mitarbeiter über Auslandseinsätze aufgeklärt und motiviert wird.
Die Aufgabe des Mitarbeiters
Sofern sich ein Mitarbeiter zum Auslandseinsatz entschieden hat, liegt es an ihm, nicht nur auf kulturelle Unterschiede zu achten. Vielmehr gilt es, von der neuen Kultur zu lernen und zu erfahren, anstatt den Austausch nur mit Kollegen aus dem gleichen kulturellen Umfeld zu suchen. Es versteht sich von selbst, dass Mitarbeiter, Teams und Unternehmen, die auf Gemeinsamkeiten aufbauen und nicht auf kulturellen Unterschieden zwischen ihren Mitarbeitern beharren, die Gewinner der heutigen globalisierten und multikulturellen Welt sind.
Die vier Ausprägungen kultureller Intelligenz

Bei der kulturellen Intelligenz wirken kognitive, verhaltensbezogene und motivationale Komponenten zusammen.
Autor
Dr. Stefan Remhof, Fachbereichsleiter BWL und VWL, Campus M21, München,
stefan.remhof@campusm21.de
Cultural Intelligence Center: What is CQ? Online verfügbar unter: https://culturalq.com/what-is-cq/ Remhof, S./Gunkel, M./Schlaegel, C.: Working in the ‚Global Village‘. The Influence of Cultural Intelligence on the Intention to Work Abroad. In: Zeitschrift für Personalforschung, 27 (3), 2013, S. 224-250. Thomas, D.C./Inkson, K.C.: Cultural Intelligence – Surviving and Thriving in the Global Village. Oakland/CA, 2017. |