Ausgabe 5, Special Auslandsentsendung - 2017
„Nicht auffallen ist Verhaltensregel Nummer eins“

Zur Person:
Katrin Boege ist Referentin und Dozentin für internationale Seminare beim Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung ((IAG) in Dresden. Zuvor war die Diplom-Psychologin unter anderem als beigeordnete Sachverständige bei der Educational, Scientific and Cultural Organization der Vereinten Nationen in Santiago de Chile tätig.
Erkrankungen, Überfälle, Entführungen: Mitarbeiter in Krisenregionen sind erhöhten Risiken ausgesetzt. Doch es mangelt oft noch an der entsprechenden Vorbereitung. Was für die Gefahrenprävention wichtig ist, erklärt Sicherheitstrainerin Katrin Boege.
Interview: Annette Neumann
Personalwirtschaft: Frau Boege, Terrorismus und politische Krisen haben in der jüngeren Vergangenheit zugenommen. Ist auch das Bewusstsein für die Gefahren größer geworden?
Katrin Boege: Ja, wir nehmen Gefahren heute sensibler wahr, auch, weil sie sich quasi vor der eigenen Haustür abspielen. Der wachsende islamistische Terrorismus ist in Europa angekommen und mit ihm die gefühlte Bedrohung. Die Schlagzeilen von Nizza, Berlin und jüngst London haben sich eingeprägt, mit der Konsequenz, dass viele Menschen nicht nur das Reisen in arabische und islamische Länder meiden, sondern auch in ehemals beliebte europäische Urlaubsländer wie die Türkei.
Wie wirken sich die Gefahren auf die Sicherheit von Expatriates in Risikogebieten aus?
Grundsätzlich stellt nicht nur der Terrorismus eine Gefahr für Expatriates dar. Auch Erkrankungen, Überfälle oder sogar Entführungen zählen zu den erhöhten Risiken eines Auslandseinsatzes in einer Krisenregion. In Ländern wie Brasilien, Mexiko und Südafrika etwa sind Auslandsentsandte der Gefahr ausgesetzt, Opfer eines Autoüberfalls oder Express-Kidnappings zu werden. Auch Diebstahl und Einbruch sind an der Tagesordnung. Nicht zu unterschätzen sind außerdem gesundheitliche Risiken, wie zum Beispiel die zunehmende Luftverschmutzung in China oder Erkrankungen wie Malaria in afrikanischen Ländern aufgrund eines unzureichenden Impfschutzes.
„Von einer Selbstbewaffnung ist dringlichst abzuraten.“
Wie groß ist das Gefahrenbewusstsein in den Betrieben?
Unternehmen haben tendenziell heute ein stärkeres Bewusstsein für Gefahren. Gerade Konzerne, die sich beispielsweise entscheiden, einen Standort in einem Krisengebiet aufzubauen, gehen bei der Vorbereitung auf eine Langzeitentsendung standardisiert vor. Dazu gehört neben einer Gefährdungsbeurteilung für den Auslandsarbeitsplatz auch, sich mit den jeweiligen landesspezifischen Risiken auseinanderzusetzen und Mitarbeiter im Rahmen eines vorbereitenden Trainings auf sicherheitsrelevante Aspekte aufmerksam zu machen.
Was ist mit Kurzzeiteinsätzen und Dienstreisen?
Dort sieht es anders aus, denn es gibt meist keinerlei Vorbereitung. Gefahren werden oft schlichtweg unterschätzt. So kommt es immer wieder vor, dass sich Mitarbeiter in São Paulo oder Kapstadt nicht mit dem Firmenwagen vom Flughafen abholen lassen, sondern selbst ein Taxi nehmen oder in einem Hotel absteigen, das – wie in vielen Ländern notwendig – nicht bewacht wird. Diese Nachlässigkeit kann schwere Folgen haben.
Auch viele mittelständische Unternehmen machen Geschäfte in Krisenregionen. Damit steigt bei ihnen der Bedarf an Mitarbeitern, die das Risiko eines Auslandseinsatzes nicht scheuen.
Für Mittelständler ist es generell schwieriger, geeignete Expats zu gewinnen. Auch wenn sie sich durchaus ihrer gesetzlichen Fürsorgepflicht bewusst sind, angemessene Vorsorge zu leisten, wollen sie die Gefahr lieber nicht zu sehr an die Wand malen. Zu groß ist die Sorge, dass der Mitarbeiter abgeschreckt wird und kurzfristig von seinem Auslandsvorhaben zurücktritt. Unternehmen sollten sich aber nicht scheuen, Worst-Case-Szenarien mit dem Entsandten gedanklich durchzuspielen und Maßnahmen in einem Krisenplan zu fixieren. Gerade für Mittelständler kann es schwerwiegende Folgen haben – nicht zuletzt finanziell und für ihr Image –, wenn Mitarbeiter wegen vernachlässigter Sicherheitsvorkehrungen in tödliche Gefahr geraten.
Was gehört in einen Krisenplan?
Wichtig sind klare Absprachen, wer wann und wie im Krisenfall kontaktiert wird. Der Umgang mit Evakuierungsplänen und Krankentransporten sollte ebenfalls dokumentiert werden. Sind die medizinische Versorgung oder die Infrastruktur wie etwa in manchen chinesischen oder indischen Städten schlecht, sollte der Mitarbeiter für den Notfall Informationen darüber haben, in welche umliegenden Krankenhäuser er eingeliefert werden könnte – und falls diese nicht den medizinischen und hygienischen Standards entsprechen, in welches Nachbarland er ausgeflogen werden könnte. Für deutsche Unternehmen ist es ratsam, sich vor Ort von sogenannten Assistance-Unternehmen unterstützen zu lassen, die in der Regel eine 24/7-Servicehotline anbieten. Dort können sich Expats in Notlagen oder bei traumatischen Belastungen, zum Beispiel infolge eines Überfalls, beraten lassen. Auch Sicherheitstrainings vor Ort gehören zum Serviceangebot.
„Unternehmen sollten sich nicht scheuen, Worst-Case-Szenarien gedanklich durchzuspielen.“
Ist es für ein Sicherheitstraining nicht etwas spät, wenn es erst im Zielland stattfindet?
Wir empfehlen ein Training vor der Ausreise und im Gastland durch einen ortskundigen Landeskenner. Im Vorfeld geht es darum, den Expat und unbedingt auch die Mitausreisenden für mögliche Gefahren zu sensibilisieren und ihnen Sicherheitsregeln und Verhaltenstipps an die Hand zu geben. Verhaltensprinzip Nummer eins ist das Low Profile, sprich sich unauffällig zu kleiden und Wertgegenstände nicht zur Schau zu stellen. Eine wichtige Sicherheitsregel ist auch, die eigene PIN immer dabei zu haben, um bei einem Raubüberfall Geld an einem Bankautomaten herausrücken zu können und so einer möglichen Entführung mit Lösegelderpressung vorzubeugen. Wer eine hohe Position im Unternehmen hat, sollte diese nicht auf seine Visitenkarte drucken lassen. Sonst bietet man sich als lohnendes Zielobjekt für eine längere Entführung geradezu an.
Welche Schwerpunkte setzen Sie bei Ihren Verhaltenstrainings?
Zunächst lasse ich die Teilnehmer reflektieren, wie sie in einer Stresssituation wie einem gewalttätigen Überfall reagieren würden. Im nächsten Schritt lernen sie, zu deeskalieren. Dabei gilt es, kulturelle Besonderheiten zu beachten. Ist für uns der erhobene Daumen eine positive Geste, gilt sie in vielen Ländern als obszön. Besser ist es, mimisch, also mit dem Gesicht, zu reagieren, was universell eher interpretierbar ist. Ruhe zu bewahren, klare Signale zu senden und keine Gegenwehr zu leisten, sind wirksame Deeskalationsstrategien.
Man kann aber sicher auch vieles falsch machen.
Leider bringen sich Menschen oftmals dadurch in Gefahr, dass sie sich auf eigene Faust eine Pistole oder einen Schlagstock besorgen. Von einer solchen Selbstbewaffnung ist dringlichst abzuraten!
Vor Ort unterstützt dann idealerweise ein einheimischer Berater. Aber er kann den Expatriate ja nicht die ganze Zeit an die Hand nehmen.
Nein. Am Anfang braucht der Auslandsmitarbeiter noch Schwimmflügel. Wenn er dann ein Gefühl für das Land hat und Gefahrensituationen besser einschätzen kann, kann er sich freischwimmen und selbstständig das neue Umfeld entdecken. Einheimische können zum Beispiel erklären, welche Plätze an welchen politischen Feiertagen zu meiden sind, in welchen Gegenden man sich abends nicht aufhalten sollte und warum es sinnvoll ist, zu verschiedenen Uhrzeiten und durch verschiedene Eingangstüren das eigene Haus zu betreten. Wichtig ist, dass der Mitarbeiter versteht: Es ist auch seine Pflicht, für seine Sicherheit zu sorgen. Er beeinflusst sie durch sein Verhalten. Eine absolute Sicherheit kann es freilich nicht geben.
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