Ausgabe 6 - 2012
Mit 50plus ist noch lange nicht Schluss
Der demografische Wandel hängt wie eine dunkle Wolke über den Personalabteilungen deutscher Firmen. Um der immer älter werdenden Bevölkerung und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssen vorhandene Potenziale gezielter ausgeschöpft und ältere Mitarbeiter verstärkt eingebunden werden. Zeitarbeit bietet hier vielversprechende Chancen.
Wie mittlerweile hinreichend bekannt, wird die deutsche Bevölkerung auf der einen Seite zunehmend älter, während die Anzahl auf der anderen Seite jedoch weiter schrumpft. Laut statistischem Bundesamt liegt der Anteil der über 65-Jährigen mit 21 Prozent in Deutschland so hoch wie in keinem anderen europäischen Land. Deutsche Unternehmen sind in der Pflicht, auf diese Entwicklung zu reagieren.
Die meisten Arbeitgeber scheinen dies zwar wahrzunehmen, leiden offensichtlich aber noch unter jahrelang gewohnter Personalstrategie und vorherrschenden Vorurteilen gegenüber älteren Arbeitnehmern. Hinzu kommt, dass vielfältige Anreize und Begünstigungen in den letzten Jahren auch für Mitarbeiter den frühzeitigen Berufsausstieg erleichtert haben. Nach dem Anheben des Rentenalters auf 67 suchen viele der „Aussteiger“ nun wieder einen Weg zurück in eine feste Anstellung. Die Zeitarbeit steht als Branche für viele nicht unbedingt auf der Agenda, bietet allerdings interessante Möglichkeiten.
Personaldienstleister haben den Trend hin zu älteren Mitarbeitern bereits seit Längerem erkannt und im Zuge des Fachkräftemangels diese Nische für sich entdeckt. Der allgemeine Fokus lag im Recruitment bislang immer auf Young Professionals oder Absolventen. Da sich die Erwartungen und Vorstellungen der jüngeren und älteren Arbeitnehmer erfahrungsgemäß stark unterscheiden, müssen sich Personaler schnellstmöglich umstellen.
Enormes Potenzial für den Arbeitsmarkt
Dies bestätigt auch Carina Jackowski, Human Resources Manager bei Argo: „Flexibilität spielt im Recruitment heute eine ganz entscheidende Rolle. Die Generation 50plus birgt ein enormes Potenzial für den Arbeitsmarkt und wie eine aktuelle Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigt, kann ein Anteil älterer Mitarbeiter sogar zu einer Produktivitätssteigerung im Unternehmen führen. Ich denke, dass viele Vorurteile darin begründet liegen, dass in Einzelfällen Produktivitätsverluste bei älteren Arbeitnehmern daraus resultieren, dass sich Unternehmen nicht entsprechend auf diese einstellen und deren Potenziale nicht gefördert werden.“ Die Studie des Bundesministeriums „Erfahrung rechnet sich“ bestätigt dies und belegt darüber hinaus eine Vielzahl positiver betriebswirtschaftlicher Effekte durch den Einsatz älterer Mitarbeiter. Wer jedoch mit über 50 erst einmal aus dem Berufsleben raus ist, hat auf dem Arbeitsmarkt häufig kaum noch Aussicht auf eine erneute Anstellung.
Dass die Zeitarbeit hierbei einen enormen Vorteil bieten kann, erklärt Angelina Bauer, Recruiterin bei der Kunststofftechnik Bernt GmbH in Kaufbeuren, einem Kundenunternehmen der Argo-Niederlassung Kempten: „In einigen Bereichen geht es schon mit der Bewerbung los. Viele Ältere haben lange keine Bewerbung geschrieben. Manche können es nach heutigen Anforderungen möglicherweise gar nicht, da sie auch nie gelernt haben, wie man es richtig macht. Darüber hinaus haben einige gar keinen Computer oder können nicht entsprechend damit umgehen – all das wirkt sich natürlich negativ aus. Wenn jedoch ein langjähriger Partner wie Argo uns einen Kandidaten empfiehlt, weil sie wissen was er kann, dann vertraut man hier eher darauf.“ Die Zeitarbeit bietet auf diese Weise also gerade für die ältere Generation eine echte Chance und kann als „Türöffner“ fungieren.
Vom enormen Erfahrungsschatz profitieren
Den Personaldienstleistern steht eine Vielzahl an älteren Arbeitssuchenden zur Verfügung. Unternehmen können durch deren enormen Erfahrungsschatz nur profitieren. Das durch eine Anstellung bedingte Risiko von Krankheitsausfällen oder Ähnlichem liegt beim Personaldienstleister, was den Einsatz älterer erfahrener Mitarbeiter für dessen Kundenunternehmen interessant macht. Die Einarbeitungszeit ist in der Regel kürzer oder entfällt gänzlich und auch soziale Kompetenzen sind meist stärker ausgeprägt.
Das stellt auch Diana Gropp, Niederlassungsleiterin bei Argo in Kempten, immer wieder fest: „Vor allem unsere älteren Mitarbeiter zeichnen sich durch Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und langjährige Berufs- und Lebenserfahrung aus. Unsere Kunden setzen im Fachkräftebereich eben genau auf diese Werte. Im Anlernkräftebereich spielen vor allem Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit eine entscheidende Rolle. Durch die positiven Erfahrungen mit älteren Mitarbeitern werden diese gerne erneut oder längerfristig eingestellt. Das liegt jedoch nicht zuletzt an unserer Überzeugungsarbeit, die wir immer wieder aufbringen müssen, um deren Einsatz zu ermöglichen.“
Gegenüber Jüngeren gibt es entscheidende Vorteile, die gerade in der Zeitarbeit zum Tragen kommen. Grundlegende Eigenschaften des Arbeitsalltags müssen nicht mehr beigebracht werden. Anspruch und Wirklichkeit stehen meist im richtigen Verhältnis. Zudem verfügen ältere Arbeitnehmer in der Regel, neben dem enormen Erfahrungsschatz, über Fachwissen, Genauigkeit und Geübtheit, bestätigt auch Angelina Bauer: „Wir sind als Kunststoffspritzerei Automobilzulieferer und in vielen Bereichen ist besonderes Fingerspitzengefühl gefordert. Dadurch sind wir auf Zuverlässigkeit und Verantwortungsübernahme angewiesen. Viele unserer Damen in der Produktion sind über 50 und wir konnten feststellen, dass sie vielfach eine grundlegend andere Einstellung haben. Ich glaube, dass die meisten der älteren Zeitarbeiter auf dem freien Markt nicht die Chance auf einen neuen Job bekommen hätten. Somit wissen sie, dass sie diesen brauchen und ich kann mich auf sie verlassen. Zudem stehen sie auch ganz anders zueinander und helfen sich mehr gegenseitig. Wir würden uns definitiv wieder dafür entscheiden, ältere Mitarbeiter einzustellen, da wir nur gute Erfahrungen gemacht haben.“
Einer der älteren Zeitarbeitnehmer bei Argo ist Franz Gottschalk, der nach 35 Jahren im Dienst entlassen wurde und über die Zeitarbeit den Weg zurück in eine Anstellung gefunden hat. Heute ist er mit 59 Jahren im erlernten Wachdienstbereich über Argo Köln bei der Zeppelin Baumaschinen GmbH als Pförtner beschäftigt. Franz Gottschalk: „Ich habe auch in meinem Alter immer wieder Arbeit gefunden. Für mich war wichtig: Hauptsache, ich kann etwas tun. Ich gehöre in der Firma Zeppelin eigentlich schon fast zum Inventar und die Leute sprechen mit mir, als würden sie mich schon ewig kennen. Man ist Mensch.“
Auch Gottschalks Arbeitgeber ist froh, ihn gefunden zu haben, erläutert Klaus Pick, Serviceleiter bei Zeppelin: „Wir würden uns durch Erfahrung im Berufsleben, Zuverlässigkeit, Flexibilität und Gelassenheit der älteren Zeitarbeitnehmer in jedem Fall wieder dafür entscheiden. Auch in Stresssituationen kann man sich immer darauf verlassen, dass die älteren Arbeitnehmer ihren Job gut machen.“
Über die Zeitarbeit zurück in eine Anstellung
Diese Erfahrungen hat auch Katja Kurpjuweit, Abteilungsleiterin bei Argo Personal in Köln, gemacht. Sie weist aber darauf hin, dass man sich auf die Generation 50plus einstellen muss: „Eine der wichtigsten Aufgaben eines Personaldienstleisters ist es, als Vermittler mit den Kunden in ständigem Kontakt zu stehen. Um für ältere Zeitarbeiter Rahmenbedingungen zu schaffen und deren Potenziale zu fördern, gibt es bei uns verschiedene Möglichkeiten, wie individuelle Pausenzeiten, das Einrichten der Arbeitsplätze oder regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen.“ Bei angepassten Schichtmodellen versuche man zum Beispiel besonders auf deren Wünsche einzugehen. Zudem würden ältere Mitarbeiter in ausführlichen Gesprächen auf die meist fremde Thematik Zeitarbeit vorbereitet.
In vielen Unternehmen herrscht jedoch die Haltung vor, dass man im Alter dem täglichen Druck und den heutigen Anforderungen nicht mehr gewachsen und daher weniger produktiv ist. Dies widerlegt unter anderem die Studie „Erfahrung rechnet sich“. Sie zeigt auf, dass Ältere unter anderem zu Qualitätsverbesserungen, zur Vermeidung von Fehlern und zur Optimierung von Prozessen beitragen. Angelina Bauer bestätigt dies: „Die älteren Zeitarbeiter bringen sich zum Teil mehr ein und äußern durch ihre Erfahrungswerte neue Ideen oder Verbesserungsvorschläge für einzelne Prozesse. Sie denken ein bisschen mehr mit und arbeiten nicht nach Schema F, sondern hinterfragen auch mal etwas. Jüngere haben eben noch nicht die Routine und machen es so, wie man es ihnen gesagt hat, aus Angst sonst etwas falsch zu machen.“
Vorurteile in vielen Unternehmen
Die Jüngeren können von einem Anteil älterer Mitarbeiter im Team zudem enorm profitieren. Gerade Zeitarbeiter, die möglicherweise mehrere Stationen in unterschiedlichen Unternehmen durchlaufen haben, bringen häufig ein großes Innovationspotenzial sowie neuartige Ideen mit. In den gemischten Teams sieht auch Klaus Pick einen großen Vorteil: „Aufgrund der langjährigen Berufserfahrung sind die Tätigkeiten älterer Zeitarbeitnehmer meist klar bestimmt und die bereits mehrfach genannten positiven Attribute werden zum Teil genutzt, um jüngeren Mitarbeitern etwas beizubringen oder sie anzulernen.“
Es gibt aber laut Franz Gottschalk immer Zeitarbeiter, deren Erwartungen und Ansprüche nicht ihren Leistungen entsprechen. So äußert sich Gottschalk gerade in Bezug auf seine Generation kritisch: „Man muss sich ebenso im Alter noch etwas sagen lassen, denn auch nach 30 Jahren im Job hat man nie ausgelernt. Ohne die Bereitschaft etwas zu investieren und Neues zu erlernen, wird man natürlich auch nicht unbedingt für eine Übernahme in Betracht gezogen.“ Dass Übernahmen der älteren Zeitarbeiter jedoch nicht unüblich sind, bestätigt auch Angelina Bauer: „Gerade für die ältere Generation ist das eine wirklich gute Chance über die Zeitarbeit noch einmal voll ins Berufsleben einzusteigen. Die ersten sechs Monate kann man wie eine Probezeit verstehen, in denen sich schnell herauskristallisiert, ob zuverlässig gearbeitet wird. Häufig ist das der Fall und somit übernehmen wir immer wieder sehr viele der Zeitarbeiter – wenn sie es denn wollen.“
Ein Beispiel für abgelehnte Übernahmen ist in diesem Fall Jürgen Bauer. Der 64-Jährige ist im vergangenen Jahr mit Argo in Rente gegangen, nachdem er zehn Jahre für die Niederlassung Kempten tätig war. Bauer hat diesen Weg bewusst gewählt und das ein oder andere Übernahmeangebot abgelehnt. Bei Argo habe er zuverlässiger und auch einmal kurzfristiger Geld bekommen und war auf den Fahrdienst angewiesen, da er selbst kein Auto besitzt. Heute zieht er Bilanz: „Ich kann von mir sagen, dass ich in den Unternehmen, in denen ich beschäftigt war, akzeptiert wurde. Doch um das zu erreichen, muss man sich natürlich auch durch gute Leistung während der Einsatzzeit und durch Motivation hervorheben und bewähren. Natürlich kommt es auch vor, dass man in Unternehmen nicht klar kommt, doch wenn ich böse Erfahrungen gemacht habe, wurde ich dort nicht mehr eingesetzt.“
Die große Chance in der Zeitarbeit liegt für die Generation 50plus darin, sich während des Einsatzes durch Kompetenz zu beweisen und den Erfahrungsschatz als wertvolles Alleinstellungsmerkmal herauszustellen. Personaldienstleister können auf diese Weise eine wichtige Brückenfunktion einnehmen, um den Weg zurück in eine Festanstellung zu ebnen.
Autor
Marcus Schulz, Geschäftsführender Gesellschafter, Argo Personal Service GmbH, Hamburg,
info@argo-personal.de
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