Ausgabe 6 - 2012
Zwei Seiten einer Medaille
Chancengleichheit und Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind fester Bestandteil der Personalstrategie der DRV Baden-Württemberg. Um diesen Zielen näherzukommen, setzt das Unternehmen auf die Schulung seiner Führungskräfte und andere Entwicklungsmaßnahmen.
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Baden-Württemberg ist mit über 3500 Beschäftigten einer der größten Sozialversicherungsträger und ein bedeutender Arbeitgeber. Dort wird es als eine Pflicht und als eine personalpolitische Notwendigkeit angesehen, die berufliche Chancengleichheit von Frauen und Männern und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern. Dazu fanden in der Vergangenheit bereits viele Aktivitäten statt, die allerdings einer Systematisierung und gezielten Weiterentwicklung bedürfen. Aus diesem Grunde haben sich Geschäftsführung und Vorstand dazu entschlossen, die Vorschriften des Chancengleichheitsgesetzes des Landes Baden-Württemberg anzuwenden, obwohl hierzu keine rechtliche Verpflichtung besteht. Folgen sind die Ernennung einer Gleichstellungsbeauftragten und die Aufstellung eines Chancengleichheitsplans. Eine besondere Absicht ist dabei, dass ein Organisationsentwicklungsprozess die nachhaltige Umsetzung der Ziele sicherstellt.
Zwei Ziele, zwei Prozesse
Chancengleichheit und Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind nach Ansicht der DRV Baden-Württemberg zwei Seiten einer Medaille. So werden zunächst zwei strukturierte Prozesse zur Bearbeitung beider Themenstellungen angegangen. Zur Förderung der Chancengleichheit hat das Unternehmen die Gleichstellungsbeauftragte mit der Erstellung eines Chancengleichheitsplans betraut. Die Inhalte eines solchen Plans schreibt das Chancengleichheitsgesetz vor. Zunächst ist die Beschäftigtenstruktur zu erheben und getrennt nach Frauen und Männern über verschiedene Kriterien wie zum Beispiel Besoldungsgruppen, Laufbahngruppen und Anteile an Voll- beziehungsweise Teilzeitbeschäftigung zu ermitteln und darzustellen. Weitere Aspekte der Analyse sind die Beschäftigten mit Vorgesetzten- und Leitungsfunktion sowie die Auszubildenden.
Im Folgenden werden Ziele formuliert, die die DRV Baden-Württemberg anstrebt. Zur Erreichung formulieren die Beteiligten Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit. Bei der Erstellung des Chancengleichheitsplans wurde Wert darauf gelegt, dass alle Mitglieder der Geschäftsführung, der Personalrat und die Gleichstellungsbeauftragte die Inhalte des Plans vollständig mittragen und das Schriftstück zur Verabschiedung gemeinsam unterschreiben.
Wesentlich für die Umsetzung und die weitere Entwicklung sind die Führungskräfte. Hier liegt eine besondere Verantwortung, damit der Chancengleichheitsplan lebt und nicht als „Papiertiger“ in den Schubladen landet. Deshalb sollen Workshops die Auseinandersetzung fördern, praxisnah die Absichten und Auswirkungen des Plans bearbeiten sowie Anregungen aufnehmen.
Zertifizierte Familienfreundlichkeit
Der zweite Prozess, der ebenfalls in der Verantwortung der Gleichstellungsbeauftragten liegt, ist die Zertifizierung als familienfreundlicher Arbeitgeber durch die gemeinnützige Hertie-Stiftung. Aufbauend auf dem Ist-Stand bezogen auf Instrumente zur Vereinbarkeit über acht Handlungsfelder wird konkret und verpflichtend ein Prozess zur weiteren Bearbeitung definiert. Damit begibt sich die DRV Baden-Württemberg auf einen strukturierten Weg zur weiteren Förderung familienfreundlicher Maßnahmen. Schließlich sollen die Ergebnisse aus beiden Prozessen zusammengeführt werden und gemeinsam in weitere Maßnahmen einfließen. Zwei Stränge, die zunächst parallel bearbeitet werden, wirken dann gemeinsam auf die sich ergänzenden Ziele der Chancengleichheit und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Im Folgenden möchten wir uns in der Darstellung auf den Prozess zur Umsetzung der Chancengleichheit konzentrieren.
Inhalte des Chancengleichheitsplans
Insgesamt verfügt die DRV Baden-Württemberg über einen Frauenanteil von 64 Prozent. Diese sind vor allem im Bereich der Sachbearbeitung (79 Prozent) tätig. Bereits im Bereich anspruchsvollerer Sachbearbeitung und erster Führungsfunktionen (gehobener Dienst) geht der Anteil auf 53 Prozent zurück. In den weiteren Führungsfunktionen (höherer Dienst) sind über alle Besoldungsstufen lediglich 33 Prozent Frauen vertreten. Steigt man in die einzelnen Stufen ein, dann zeigt sich, dass eine Unterrepräsentanz (Anteil kleiner als 50 Prozent) bereits ab der ersten Ebene mit Führungsfunktion gegeben ist. Im Unternehmen wird im sozialmedizinischen Dienst eine große Zahl von Ärztinnen und Ärzten beschäftigt. Der in diesem Bereich hohe Anteil von Frauen (46 Prozent) sorgt – so zeigt es die nähere Analyse – für die 33 Prozent Anteil der Frauen im gesamten höheren Dienst. Würde man diese spezielle Berufsgruppe herausrechnen, läge der Anteil um einiges unter dem ermittelten Wert.
Was bedeutet das? Personalpolitisch gesehen gelingt es derzeit der DRV Baden-Württemberg noch nicht in ausreichendem Maße, Frauen gezielt unter Berücksichtigung der im Beamten- beziehungsweise Tarifrecht festgeschriebenen Eignung und Befähigung in weiterführende Positionen zu entwickeln. Neben dem Willen, für Frauen und Männer gerechte Chancen bieten zu wollen, ist dieser Faktor auch unter Berücksichtigung demografischer Entwicklungen relevant. Auch der öffentliche Dienst wird unter dem zukünftig verschärften Mangel an Fach- und Führungskräften auf dem Arbeitsmarkt zu leiden haben. Deshalb gilt es, jetzt die Weichen so zu stellen, dass in Zukunft für das Unternehmen hinsichtlich Qualität und Quantität Potenzialträgerinnen und –träger erkannt und gefördert werden sowie zur Übernahme weitergehender Aufgaben motiviert sind. Denn nur auf diese Art und Weise wird ein moderner Arbeitgeber den gesellschaftlichen Veränderungen gerecht werden und die Anforderungen, zur Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden seinen Auftrag als Sozialversicherungsträger zu erfüllen, umsetzen können.
Führungskräfte-Workshops – Inhalte und Aufbau
Dazu wurde festgeschrieben, dass das Beurteilungsverfahren und –verhalten hinsichtlich Geschlechtergerechtigkeit bearbeitet wird. Ferner wird in Stellenausschreibungen auf die grundsätzliche Teilbarkeit von Stellen hingewiesen. In der Stellenausschreibung wird außerdem erwähnt, dass die Bewerbungen von Frauen in Bereichen der Unterrepräsentanz besonders erwünscht sind. Führungskräfte sind angehalten, gezielt Frauen, die sie für geeignet halten, auf Stellenausschreibungen aufmerksam zu machen und auf die Bewerbung hinzuwirken. Auswahlgremien sollen – wenn möglich – geschlechtergemischt besetzt werden, damit sowohl männliche als auch weibliche Gesichtspunkte in die Auswahlentscheidungen einfließen können.
Darüber hinaus werden zahlreiche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Frauen angeboten und deren Teilnahme daran gefördert. Ein Mentoring-Programm soll bis 2013 durch den Bereich Personalentwicklung aufgesetzt werden. Mit diesen Punkten wird das Thema Chancengleichheit umgesetzt und gefördert. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn die Führungskräfte ihre Verantwortung und Funktion in dem Prozess erkennen und bereit sind, daran mitzuarbeiten. Deshalb werden in Zusammenarbeit mit der IGS Organisationsberatung GmbH Workshops zur Information und Auseinandersetzung durchgeführt.
Zur Einführung wird die Beschäftigtenstruktur vorgestellt und im Plenum diskutiert. Die Ursachen für die heutige Situation werden sodann in Kleingruppen erarbeitet. Rollenbilder, unterschiedliches Verhalten von Frauen und Männern, Karrierepausen durch Familienzeiten und andere Gründe werden genannt und ausgemacht. Ziel ist es, bereits in diesem Stadium der Veranstaltung deutlich zu machen, dass Führung Einfluss nehmen kann, um die Situation zu ändern.
Der nächste Gesichtspunkt ist die Auseinandersetzung mit demografischen Entwicklungen und deren Folgen auf dem Arbeitsmarkt. Beschäftigte werden in Zukunft nicht mehr im Überfluss zur Verfügung stehen, Potenzialträgerinnen und –träger müssen gezielt ausgemacht werden und in der Führungsverantwortung besondere Aufmerksamkeit erhalten.
Im Folgenden werden die Fragestellungen der Führungskräfte zum Thema Chancengleichheit diskutiert. Teilzeit, Führung in Teilzeit, Telearbeit, Beurteilungsverhalten und Rückkehrprogramme für Wiedereinsteigerinnen sind beispielhafte Themen, die lösungsorientiert diskutiert werden. Selbstverständlich werden hier auch Erfahrungen und Erkenntnisse aus anderen Organisationen eingebracht. Wichtig ist die Auseinandersetzung mit praktischen Fragen, um Akzeptanz und Praxisnähe zu erzielen.
Zentrale Botschaften
Zum Schluss der Veranstaltung werden die Maßnahmen, die der Chancengleichheitsplan vorsieht, dargestellt. Auf diese Art und Weise werden – dies zeigen die Beurteilungen der Veranstaltungen – folgende Botschaften erfolgreich vermittelt:
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Der DRV Baden-Württemberg ist das Thema Chancengleichheit wichtig.
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Ein entscheidender Stellhebel bei der Umsetzung ist das Führungshandeln.
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Nehmen Sie als Führungskraft das Thema ernst und überprüfen Sie, wie Sie in Ihrem Bereich Chancengleichheit weiterbringen können.
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Achten Sie darauf, dass Frauen als Potenzialträgerinnen vielleicht besondere und andere Unterstützung benötigen als Männer.
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Gehen Sie als Führungskraft raus aus der Tabuzone und sprechen Sie das Thema Chancengleichheit offensiv an.
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Holen Sie sich bei Bedarf Unterstützung von der Gleichstellungsbeauftragen oder von der Personalabteilung.
Insgesamt werden innerhalb eines halben Jahres alle Führungskräfte zu dem Thema Chancengleichheit geschult sein. Als Maßnahme wurde nach einem Zwischenbericht bereits verabschiedet, dass die Teilnahme von Frauen an speziellen Weiterbildungsveranstaltungen gezielt analysiert wird. Ferner wird an einem Umsetzungskonzept für die Erprobung von Telearbeit gearbeitet. Den Geschäftsführern ist bewusst, dass gezielte Maßnahmen und eine fortwährende Thematisierung die Bedeutung unterstreichen. Darüber hinaus werden auch Kenntnisse etwa zum Thema unerlaubte Fragen im Auswahlverfahren nochmals in der Organisation platziert. In die Seminare für Führungskräfte wurden bereits heute Themen wie männliche und weibliche Verhaltensweisen zum Beispiel in Bezug auf Kommunikation aufgenommen.
Status quo und zukünftige Handlungsfelder
Neben diesen umgesetzten Vorschlägen, die von Führungskräften in den Workshops eingebracht wurden, zeigt sich aber auch strategischer Handlungsbedarf. Zum einen bedarf es weiterer Maßnahmen zum Thema Familie und Beruf. Dies ist insofern erfreulich, als dies zu einer unmittelbaren Verzahnung mit dem Projekt zur Zertifizierung als familienfreundlicher Arbeitgeber führt. Dies ist im nächsten Schritt ohnehin angestrebt und zeigt, dass die ursprüngliche Überlegung, beide Projekte zunächst getrennt anzugehen und in einem nächsten Schritt zu verbinden, der richtige und von den Führungskräften auch akzeptierte und unterstützte Weg ist.
Ergänzend ergibt sich aber auch derzeit das Bild, dass sich für die Personalentwicklung sowohl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch von Führungskräften neue Ansatzpunkte ergeben. Auch für die Bewältigung und Lösung möglicher Konflikte im Team durch zum Beispiel hohe Teilzeitquoten oder unterschiedliche Bedürfnisse zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden von den Führungskräften Unterstützungen angefragt. Für die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg ist die Förderung der Chancengleichheit und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein entscheidendes Thema für die Zukunft. Aus der gezielten Bearbeitung der unterschiedlichen Aspekte und der folgenden Verzahnung beider Stränge wird ein weiteres Prozessdesign auch nach den Anregungen der Führungskräfte entwickelt. Dabei müssen die Anregungen aufgenommen, auf Umsetzbarkeit überprüft, bewertet und auch priorisiert werden. Die stetige weitere Bearbeitung und Auseinandersetzung wird zu einer nachhaltigen Umsetzung führen und zu einer Balance zwischen Unternehmenszielen und Mitarbeiterinteressen beitragen. Dafür sorgen auch ein jährliches Controlling der Beschäftigtenstruktur (Frauenanteile in den Laufbahnen und Besoldungsgruppen), ein vorgeschriebener Zwischenbericht nach drei Jahren und ein nächster Chancengleichheitsplan im Jahre 2015. So führt die DRV Baden-Württemberg den Weg, einerseits ein attraktiver Arbeitgeber für Frauen und Männer und andererseits ein qualitativ hochwertig arbeitender Sozialversicherungsträger zu sein, fort.
Autoren
Volkart Steiner, Geschäftsführer DRV BW, Karlsruhe,
volkart.steiner@drv-bw.de
Gabriele Prestel, Gleichstellungsbeauftragte DRV BW, Karlsruhe,
gabriele.prestel@drv-bw.de
Marcus Schmitz, Geschäftsführer IGS Organisationsberatung GmbH, Köln,
marcus.schmitz@igs-beratung.de
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