Deutsche Karriereseiten nur bedingt mobilfähig
Die mobile Internetnutzung boomt. Im Personalmarketing schenken Unternehmen diesem Trend allerdings bisher kaum Beachtung. Eine Analyse der Karrierewebseiten aus DAX, MDAX, TecDAX und SDAX zeigt den Status quo des Mobile Recruitings in Deutschland und gibt Handlungsempfehlungen.
Der Smartphone- und Tablet-Boom der vergangenen Jahre verlagert unsere Internetnutzung immer mehr auf mobile Endgeräte. In der Internetbranche und im Handel gilt daher schon länger die Devise „Mobile first“. Personalmarketer schenken diesem Trend dagegen bisher kaum Beachtung. Anders als die Fachkräfte, an die sich ihre Angebote richten. So zeigt die Studie „Our mobile Planet Germany“ von Google in Zusammenarbeit mit Ipsos und der MMA (Mobile Marketing Association), dass bereits im Frühjahr 2012 14 Prozent der mobilen Nutzer bei Google nach Stellenanzeigen gesucht haben. In Frankreich betrug der Anteil mobiler Stellensuchender ebenfalls 14 Prozent, in UK 16 Prozent, in den Niederlanden 17 Prozent, in der Schweiz und den USA 25 Prozent.
Personalmarketing hinkt dem Trend hinterher
Seitdem wurden allein in Deutschland rund 20 Millionen Smartphones verkauft, die im Dezember 2012 mit 51 Prozent aller Handys die Vorherrschaft übernommen haben. Dieses Wachstum setzt sich ungebrochen fort, allein bis zum Jahresende 2013 wird der Absatz von weiteren 20 Millionen Smartphones prognostiziert. Die Entwicklung zur mobilen Webnutzung birgt gravierende Folgen für den Personalbeschaffungsprozess. Denn auf einem Arbeitsmarkt, der sich in vielen Bereichen vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt gewandelt hat, trägt die „Candidate Experience“ entscheidend zum Recruiting-Erfolg oder -Misserfolg eines Unternehmens bei. HR-Verantwortliche sollten den mobilen Trend daher zeitnah antizipieren und andere Stakeholder im Unternehmen von seiner Bedeutung überzeugen. Im Unterschied zum Social Recruiting lassen sich im Mobile Recruiting allein durch die Optimierung der Karrierewebseite für mobile Endgeräte nachhaltige Erfolge im Personalmarketing erzielen, da bereits zwischen 10 und 20 Prozent der Zugriffe auf Karrierewebseiten über mobile Endgeräte erfolgen. Ein Blick in die Zugriffs-Analyse der Website versorgt Personalmanager also bereits mit Argumenten für die interne Überzeugungsarbeit. Um festzustellen, wie gut die deutsche Wirtschaft insgesamt auf mobile Fachkräfte vorbereitet ist, wurden in der „Mobile Recruiting Studie 2013“ die Karrierewebseiten der 160 in DAX, TecDax, MDax und SDax gelisteten Unternehmen analysiert.
Geringer Reifegrad
Um die Mobilfähigkeit der Karrierewebseiten zu prüfen, wurde getestet, ob der Kern und technisch komplexeste Part einer Karrierewebseite, die Stellenbörse, auf mobilen Geräten überhaupt darstellbar ist. Denn da die Besetzung offener Stellen das zentrale Ziel des Recruiting-Prozesses ist, ist ihre Abrufbarkeit die absolute Mindestvoraussetzung für Mobile Recruiting. Können potenzielle Bewerber die Stellenangebote eines Unternehmens nicht mobil abrufen, gilt die Karrierewebseite als nicht mobilfähig.
Das Ergebnis: Von den untersuchten Karrierewebseiten waren sieben Prozent auf mobilen Geräten überhaupt nicht abrufbar. Das mag auf den ersten Blick akzeptabel erscheinen. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, dass hier die 160 führenden deutschen Unternehmen untersucht werden und elf die absolute Mindestvoraussetzung für Mobile Recruiting nicht erfüllen, zeigt sich das geringe Ausmaß der Mobile Recruiting-Reife in Deutschland. Dies gilt umso mehr, als es sich für den mobilen Bewerber so darstellt, als böten diese Unternehmen überhaupt gar keine Webseite an.
Die Probleme mit der Darstellung der Karrierewebseite beziehungsweise der Stellenangebote lagen in den meisten Fällen an der technischen Inkompatibilität der für die Programmierung der Webseite verwendeten Technologien mit den Anforderungen mobiler Web-Browser.
Viele Karriereseiten basieren auf alten Systemen
Am häufigsten treten Kompatibilitätsprobleme bei der Mobilfähigkeit bei Webseiten auf, die auf schwerfälligen und komplexen Systemen wie SAP aufbauen. Denn viele gängige Content- und Bewerbermanagement-Systeme, auf denen einige Unternehmens-Stellenbörsen aufbauen, sind technisch nicht mehr zeitgemäß. Entsprechend schlecht lassen sie sich an die Anforderungen des mobilen Webs anpassen und schaden den Unternehmen, die sie dennoch nutzen, ganz nebenbei seit Jahren im Hinblick auf die Suchmaschinenoptimierung ihrer Inhalte im Web. In einem solchen Fall sollten Unternehmen überlegen, ob es organisatorisch möglich wäre, den Karrierebereich aus dem Gesamtkonstrukt der Unternehmensseite technisch herauszulösen und auf einer eigenen zeitgemäßen Lösung aufzubauen. Auch die Verwendung von Flash-Elementen auf den Web- und Karrierewebseiten ist technisch überholt. Da Flash von Apple nicht länger unterstützt wird, können iOS -Nutzer Flash-Elemente gar nicht sehen. Und auch auf anderen mobilen Betriebssystemen treten Probleme auf. Dennoch gibt es Unternehmen, die sich von dieser ehemals „hübschen“ und praktischen Technologie noch nicht getrennt haben und handfeste Reichweitenverluste in Kauf nehmen.
Nur 11 von 160 Websites mobiloptimiert
Die Mobiloptimierung der Karrierewebseite ist der erste ernsthafte Schritt in Richtung einer mobilen Zielgruppe. Mobiloptimierung bedeutet, dass die Webseite so konzipiert ist, dass sie den mobilen Nutzer eigenständig als solchen erkennt und ihm eine optimierte Ansicht präsentiert. Inwiefern dies gelingt, hängt von den folgenden Fragen ab.
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Können die wichtigsten Inhalte auf einen Blick erfasst werden?
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Ist die Lesbarkeit von Texten gewährleistet?
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Funktioniert die Navigation?
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Sind die Schaltflächen groß genug?
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Lassen sich Kontakt- und Bewerbungsformulare bequem ausfüllen?
Wenn nur eine dieser Fragen mit „Nein“ beantwortet werden musste, gilt die Website als nicht mobil-optimiert. Unser Ergebnis: Lediglich 11 der 160 Karrierewebseiten waren mobil-optimiert. Der überwältigende Teil der börsennotierten deutschen Unternehmen ist mobil also nur sehr eingeschränkt nutzbar. Nach dem Laden der Karrierewebseite, das aufgrund großer Datenmengen häufig viel Zeit beansprucht, sind die Nutzer ständig zum Zoomen und Scrollen gezwungen, um die Webseite lesen zu können. Anstatt sich auf die Informationen zu konzentrieren, liegt der Hauptfokus der Interessenten auf dem ständigen Vergrößern und Verkleinern einzelner Seitenbereiche, um die Navigation oder sonstige Schaltflächen verwenden zu können (siehe Abbildung).
Abbildung
Ohne Mobiloptimierung nur eingeschränkt nutzbar

Das Beispiel zeigt deutlich, wie wichtig eine optimierte Ansicht für das mobile Nutzererlebnis sein kann.
Insgesamt wird also auf das mobile Nutzererlebnis weitestgehend kein Wert gelegt. Hier riskieren die Unternehmen unnötigerweise, potenzielle Bewerber zu verlieren, deren Aufmerksamkeit sie an anderer Stelle erst mit viel Aufwand gewonnen haben. Mit Blick auf den Ressourceneinsatz und die Candidate Experience ein fragwürdiges Vorgehen und ein deutliches Signal für Handlungsbedarf.
Königsdisziplin Karriere-App
Eine mobile Karriere-App ist die Königsdisziplin des Mobile Recruitings und erlaubt eine besondere Art der Bindung eines potenziellen Bewerbers an das Unternehmen – wenn er sich entscheidet, die App zu installieren. Durch das Abonnieren der Unternehmensnews und der Stellenangebote bleibt das Unternehmen in regelmäßigem Kontakt mit dem Nutzer. Im Idealfall, der Platzierung der Karriere-App auf dem Hauptbildschirm des mobilen Geräts, sogar täglich. Vor der Entwicklung einer Karriere-App gilt es allerdings stets die Karrierewebseite für mobile Geräte zu optimieren.
Insgesamt fanden wir über alle Plattformen (Android, iOS, Windows Phone, Blackberry) hinweg lediglich zehn Karriere-Apps. Diese verteilten sich auf sieben der Unternehmen. 96 Prozent der untersuchten Unternehmen haben also keine mobile Karriere-App. Dieses Ergebnis ist nicht verwunderlich, da die meisten Karrierewebseiten noch nicht mobiloptimiert sind, was in der mobilen Strategieentwicklung gemeinhin als Vorstufe der App-Entwicklung gilt. Zumal die Entwicklung einer guten mobilen App für mehrere Plattformen teilweise höhere konzeptionelle und finanzielle Anforderungen stellt als die Entwicklung einer mobiloptimierten Karrierewebseite. Die Nutzbarkeit der zehn Karriere-Apps ist im Großen und Ganzen zufriedenstellend. Die meisten beinhalten zumindest grundlegende Unternehmensinformationen sowie die Jobangebote. Auch die Option, Jobs zu empfehlen, ist bei den meisten Apps vorhanden. Eine Möglichkeit zur Bewerbung über das mobile Gerät ist jedoch nur bei zwei Apps zu finden beziehungsweise nutzbar. Entsprechend variieren die Nutzerratings in den App-Stores zwischen 2 und 4,5 von 5 möglichen Punkten.
Eine Frage des Budgets
Was die Auswahl von Plattformen betrifft, konzentrieren sich mit 70 Prozent der Apps die meisten Unternehmen auf iOS, obwohl Android in Deutschland bereits seit 2012 das marktführende mobile Betriebssystem ist. Eine naheliegende Vermutung zur Erklärung dieses Verhaltens ist die Bekanntheit des iPhones kombiniert mit begrenzten Budgets. Es ist daher wichtig zu wissen, dass es teure und günstigere Wege der mobilen App-Entwicklung gibt. Der teure Weg ist die „native“ Entwicklung, bei der für jede Plattform in der jeweiligen Programmiersprache eine unabhängige Variante der App erstellt wird. Wollen Sie vier Plattformen bedienen, brauchen Sie im Grunde vier Mal die gleiche App, die aber jedes Mal anders entwickelt werden muss und grob gerechnet folglich auch das vierfache Budget erfordert. Die wesentlich günstigere Alternative stellt die Cross Platform-Entwicklung dar, bei der der Kern der App nur einmalig erstellt und anschließend auf die gewünschten Plattformen lediglich portiert/leicht angepasst werden muss. Diese Vorgehensweise schont das Budget und macht die Entwicklung von Karriere-Apps auch für KMUs zugänglich. Die technische Erörterung der Frage Native vs. Cross Platform-Entwicklung würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Es sei an dieser Stelle aber versichert, dass sich gerade Karriere-Apps aufgrund ihrer relativ einfachen Anforderungen und Funktionalitäten sehr gut für die Cross Platform-Entwicklung eignen.
Nur Bayer erfüllt alle Kriterien
Das Fazit unserer Untersuchung fällt sehr ernüchternd und gleichzeitig doch erwartungsgemäß aus. Von den 160 untersuchten Unternehmen der Börsensegmente DAX, TecDAX, MDAX, SDAX fanden wir nur ein einziges Unternehmen, dass unserer Meinung nach alle Kriterien erfüllt, um den Anforderungen der mobilen Nutzer umfangreich zu entsprechen. Die Bayer AG bietet sowohl eine gut strukturierte mobil-optimierte Karrierewebseite als auch mobile Karriere-Apps auf drei von vier gängigen Plattformen an. Ansonsten haben wir vereinzelt positive Tendenzen festgestellt. Mal verfügt ein Unternehmen über eine mobil-optimierte Karrierewebseite, mal gibt es eine mobile Karriere-App. Insgesamt wird dem Thema „Mobile“ im Personalmarketing aber noch viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Autor
Jan Kirchner, Partner, atenta – social web stuff, Hamburg,
kirchner@atenta.de
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