Ausgabe 6 - 2015
Im staatlichen Zugriff

Höchstüberlassungsdauer, Equal Pay – die Politik grenzt den Aktionsradius der Zeitarbeit weiter ein. Nimmt sie ihr die Luft zum Atmen oder zwingt sie die Branche gar, sich selbst zu erneuern? Die Meinungen sind geteilt.
Die Große Koalition macht Ernst: Wie ein Sprecher des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) in Berlin bestätigt, sei das Gesetzgebungsverfahren zur Korrektur des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) „für dieses Jahr geplant und wird sich inhaltlich am Koalitionsvertrag orientieren“. Um – wie dort beschrieben – „den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit zu beenden“, will die Politik die Höchstüberlassungsdauer von Zeitarbeitskräften auf 18 Monate beschränken und ihnen bereits nach neun Monaten den gleichen Lohn wie Stammbeschäftigten garantieren.
Das ruft großen Unmut unter Marktteilnehmern hervor. Die Zeitarbeit, sagt Ingrid Hofmann, Geschäftsführerin von IK Hofmann in Nürnberg und engagiertes Mitglied im Arbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP), habe bisher alle Auflagen „brav“ erfüllt und sich an Tarifvereinbarungen und Branchenzuschläge gehalten. Jetzt sollte erst einmal Zeit bleiben, Erfahrungen zu sammeln, um sie nach einigen Jahren auszuwerten. Doch Hofmann hat den Eindruck, dass „in vorauseilendem Gehorsam“ neue Hindernisse errichtet werden sollen.
Einen schärferen Ton schlägt Siegfried Baumeister an. Der Vorstand der Initiative „Wege zur Selbst GmbH“, zuvor Personalleiter eines Automobilzulieferers, spricht gar von „anachronistischem Sozialismus“. Das erklärt er so: Während das traditionelle Vollzeitarbeitsverhältnis seit Jahren auf dem Rückzug sei, werde die Arbeitswelt „im Interesse von Unternehmen und Beschäftigten“ immer flexibler. „Zeitarbeit spielt dabei eine wichtige Rolle“, betont Baumeister. Nun wollten „ideologisch motivierte Kreise“ das Rad zurückdrehen.
Zeitarbeit ist unverzichtbar
Zeitarbeit ist unverzichtbar für die Wirtschaft, lautet die Botschaft. Sie noch stärker unter die Knute zu zwingen, sei deshalb kontraproduktiv. Tatsächlich hat der Zeitarbeitsmarkt nicht zuletzt dank vorteilhafter konjunktureller Rahmenbedingungen positiv auf die Vorgaben reagiert. Der Geschäftserwartungsindex Zeitarbeit (GIZ), den die Interessengemeinschaft Zeitarbeit (iGZ) regelmäßig ermittelt, ist deutlich gestiegen. Nach Angaben von Hartmut Lüerßen, Partner des Marktanalyse- und Beratungsunternehmens Lünendonk, seien Unternehmen nach Einführung der Branchenzuschlagstarife bereit, einen höheren Preis zu zahlen. Zudem hätten die Betriebe zuletzt viele Zeitarbeitskräfte übernommen. Auf der anderen Seite erzielten Dienstleister höhere Umsätze, obgleich die Profitabilität pro Arbeitsstunde teilweise zurückgegangen sei.
Auch der von der Zeitarbeitsbranche und den Gewerkschaften per Tarifvertrag beschlossene Mindestlohn, der noch vor dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in Kraft trat, sei Lüerßen zufolge in der Branche „mehrheitlich begrüßt“ worden – im Unterschied zu einer Reihe anderer Branchen, die mit dem seit Anfang 2015 gültigen Mindestlohn haderten. Für die Beschäftigten der beiden unteren Tarifgruppen in der Zeitarbeit, immerhin etwa die Hälfte der Beschäftigten, wirke sich der Mindestlohn „ausgesprochen positiv“ aus.
Doch nun überziehe der Gesetzgeber, heißt es. Flexibilität in der Wirtschaft werde laut Lüerßen in erheblicher Weise durch externe Dienstleistungen hergestellt. Es herrsche große Unsicherheit, wie sie künftig überhaupt realisiert werden könne. Ginge dieser Spielraum Unternehmen verloren, „hat keiner etwas davon“. Wie sollte man etwa einem Autokonzern erklären, dass die externen Fachkräfte, die häufig in Projekten mit Laufzeiten von drei Jahren und mehr arbeiten würden, nach 18 Monaten aus dem Projekt aussteigen und durch andere ersetzt werden müssten? „Dafür gibt es keine sachliche Begründung“, sagt Lüerßen.
Auch die geplante Einführung von Equal Pay nach neun Monaten wird kritisiert. „Die Beschäftigten in der Zeitarbeit sollen selbstverständlich für gleiche Arbeit auch das gleiche Geld kriegen“, räumt Baumeister ein. Freilich liege ihre Produktivität oft unter dem Niveau von langjährigen Stammbeschäftigten. „Auch das muss sich in der Entlohnung widerspiegeln dürfen.“ Zeitarbeitsunternehmerin Hofmann fragt, wie sinnvoll die Vorgabe sei, „wenn Branchenzuschlagstarifverträge in vielen Branchen bereits gültig sind“. Doch die Experten wollen nicht bloß lamentieren, sie präsentieren auch substanzielle Gegenentwürfe zur staatlichen Regulierungsoffensive. Wie Lüerßen zusammenfasst, seien große Hoffnungen an Tariföffnungsklauseln geknüpft, die zum Beispiel eine Höchstüberlassungsdauer von drei Jahren und länger ermöglichten. „Im Gegenzug könnten auf Betriebsebene Höchstquoten bei eingesetzten Zeitarbeitskräften vereinbart werden.“
Gelassene Personalchefs
Personaler sehen das Berliner Tamtam deutlich gelassener. Sie weisen die Branche sogar auf ihre Schwachstellen hin. Joachim Schledt, Personalleiter der Bio-Kette Alnatura in Bickenbach bei Darmstadt, tut sich schwer, überhaupt geeignete Zeitarbeitskräfte zu finden. „Oft steht auch die Qualität der Dienstleistung auf dem Prüfstand.“ Deshalb erhöhe man eher die Zahl der eigenen Mitarbeiter als mit der Zeitarbeit zu kooperieren.
Vom politischen Durchgriff verspricht sich Michael Ecker, Personalleiter der Essilor GmbH in Braunschweig, sogar eine aus seiner Sicht überfällige Bereinigung des Marktes. Unter den neuerlichen Bedingungen könnten sich seriöse Anbieter mit neuen Dienstleistungen doch hervorragend positionieren. Sie ermöglichten den Unternehmen, Fixkosten zu senken, in der Personalabteilung geleistete Arbeit auf den Dienstleister zu übertragen und flexibel auf Fachkräfte zugreifen zu können. „Dagegen bleibe ich skeptisch, ob sich womöglich am anderen Ende der Branche nicht weiterhin schwarze Schafe tummeln, die mit Probearbeitsstunden und Preisdrückerei ins Geschäft kommen wollen.“ Allein in der Logistik kennt Ecker zahllose Beispiele. Vor seinem Wechsel in die Optikwirtschaft war Ecker viele Jahre Personalchef von Dorma, einem Spezialisten für Schließtechnik in Ennepetal. Er nimmt die Zeitarbeit an die Kandare: Ohne Tarifbindung hätten Anbieter bei ihm keine Chance. Ferner müssten Betriebsrat des Dienstleisters und Betriebsrat seines Kunden aufs Engste kooperieren. Zudem besteht Ecker darauf, die Verträge der Zeitarbeitskräfte genau zu prüfen. Er bittet sie um Feedback, ob sie von ihrem Arbeitgeber gut betreut werden, der vereinbarte Lohn wirklich bei ihnen ankommt oder ob sie ihre Arbeitsbekleidung womöglich selbst kaufen müssen. Als Gesundheitsanbieter, sagt Ecker, könne man es sich einfach nicht leisten, in eine Grauzone zu rutschen. „Da verstehen wir keinen Spaß.“ Solche Argumente sind unter Personalern verbreitet. Um Missbrauch zu verhindern, müssten HR und Betriebsrat gemeinsam praktikable und gerechte Regelungen schaffen, betont auch Baumeister. Freilich sollte die Regulierung der Zeitarbeit unbedingt den Tarifpartnern und der betrieblichen Mitbestimmung überlassen sein. „Dann funktioniert sie auch.“ Interveniere jedoch der Staat per Gesetz, werde das Gesetz unterlaufen. „Wie aktuell beim Mindestlohn, der mit allen möglichen Tricks vermieden wird.“ Tarifverträge hingegen würden nicht so schnell unterlaufen. „Sie bürgen dafür, dass es auch friedvoller zugeht.“
Tarifautonomie stärken
Das ist auch Linie der Branche. Herwarth Brune, Geschäftsführer von Manpower in Eschborn, plädiert entschieden dafür, die Tarifautonomie zu stärken. „Tarif vor Gesetz“, sagt er. „Wir benötigen keine neuen Regulierungen.“ Lieber wolle man das umfangreiche Tarifwerk, das mit den Gewerkschaften vereinbart wurde, „auch weiterhin erfolgreich umsetzen“. Den Arbeitnehmervertretern wird nicht entgangen sein, dass Personaler in Unternehmen trotz aller Vorbehalte gegenüber der Zeitarbeit offenbar große Stücke auf die temporären Kräfte halten. Das zeigt eine Umfrage von Robert Half, einem auf Fach- und Führungskräfte spezialisierten Dienstleister, unter 200 deutschen HR-Managern. Jeder zweite Personaler behauptet, Bewerber mit Erfahrungen in der Zeitarbeit seien Bewerbern mit lupenreiner Festanstellungshistorie ebenbürtig. Etwa ein Drittel der Befragten würde sogar Kandidaten mit Zeitarbeitserfahrung bevorzugt behandeln, sofern sie zum Stellenprofil passt. Alnatura-Personalchef Schledt geht noch einen Schritt weiter. Zeitarbeitskräfte, so seine These, würden bald mehr verdienen als vergleichbare Stammbeschäftigte. „Wer in großem Umfang Flexibilität unter Beweis stellt, hat mit den Jahren schlicht Anspruch auf eine höhere Vergütung.“
Bis dahin ist es wohl noch ein weiter Weg. Denn in Deutschland bleibe die Zeitarbeit gegenüber anderen Ländern zurück, sagt Baumeister. In England etwa sei sie ein anerkanntes Arbeitsmarktinstrument sowie eine breit akzeptierte Karriereschiene. Nirgendwo sonst als in der Zeitarbeit könne man so viele Erfahrungen sammeln. „Zeitarbeitsetappen im Lebenslauf sind eindeutig ein Pluspunkt.“
Zusätzlich zur gestiegenen Wertschätzung von Zeitarbeitskräften erkennen Personaler auch, was ihnen die Dienstleister offenkundig voraushaben: Kompetenz im Recruiting. „Viele Firmen sind noch nicht übers Post and Pray hinausgekommen“, sagt Marc Mertens. Inserate schalten und passiv aufs Ergebnis hoffen sei weit verbreitet; modernes Recruiting via Active Sourcing hingegen in vielen Firmen unbekannt. Nach knapp zehn Jahren als Disponent und Projektleiter in der Personaldienstleistung bringt Mertens nun sein Recruiter-Know-how gezielt für den Aufbau eines Münchner Start-ups ein. „Zeitarbeitsfirmen sind viel weiter als ihre Kunden, deutlich agiler im Markt und ständig vernetzt. Recruiting ist das Maß aller Dinge.“
Kompetenz im Recruiting
Mertens ist keine Ausnahme. Um ihr Recruiting zu professionalisieren, kaufen immer mehr Unternehmen erfahrene Experten ein und werben sogar Geschäftsführer von Zeitarbeitsfirmen ab. Unter dem Eindruck des aufziehenden Fachkräftemangels lagern sie zunehmend auch personalwirtschaftliche Aufgaben an Dienstleister aus, die sich mit Recruiting, Personalvermittlung und Direct Search als margenträchtige Services neben der Arbeitnehmerüberlassung erfolgreich positionieren.
Wäre da bloß nicht das Imageproblem. „Einzelfälle haben uns sprachlos gemacht“, erklärt Zeitarbeitsmanagerin Hofmann, warum die Branche hierzulande so in die Defensive geraten ist. Ihr sei nicht gelungen, sich überzeugend dem medialen Druck zu widersetzen. „Deshalb gelingt es uns nicht, Erfolgsstorys bekannt zu machen. Personaler trauen sich nicht, über gute Erfahrungen zu sprechen. Außerdem interessiert das in den Medien niemanden“, fasst Hofmann das Dilemma zusammen.
Hofmann ist alles andere als optimistisch. Die gesetzlichen Vorgaben würden sich für diejenigen Menschen nachteilig auswirken, die man eigentlich glaubt schützen und unterstützen zu müssen. Anders als von der Großen Koalition beabsichtigt, würden Ungelernte und einfach qualifizierte Zeitarbeitskräfte der unteren Tarifgruppen als Folge der zusätzlichen Regulierungen eben nicht von Kunden in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen. Hofmann befürchtet, „dass einfache Arbeitsplätze verschwinden, durch Roboter ersetzt und ganz problemlos woanders aufgebaut werden“.
„Industrie 4.0“ ist laut Christoph Kahlenberg, Leiter der Randstad Akademie, längst Realität. Von allen Beteiligten verlange der mit der Digitalisierung verknüpfte Wissenszuwachs ein höheres Lerntempo. „Auch im gewerblichen Bereich steigen die Anforderungen“, sagte Kahlenberg auf einer Tagung in München. Wie sehr sich die Branche bemühe, Qualifikationslücken zu schließen, oft in Kooperation mit Arbeitsagenturen und Jobcentern, werde jedoch von der Politik nicht hinreichend gewürdigt.
Um aus der Defensive zu kommen, wünscht sich Manpower-Chef Brune einen faktenbezogenen und vorurteilsfreien Dialog mit der Politik statt „dicke Bretter bohren zu müssen“ für gerade einmal zwei Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland. „Wir tun Gutes für die Menschen und die Wirtschaft.“ Sogar Betriebsräte führender Zeitarbeitsfirmen hätten sich an Bundesministerin Nahles mit der Bitte gewandt, den Nutzen der Zeitarbeit zu erläutern. Noch ist die Hoffnung nicht verloren.
Winfried Gertz, freier Journalist, München
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