Ausgabe 6 - 2015
„Systempartner werden sich durchsetzen“

Prof. Dr. Michael Nagy, SRH Hochschule Heidelberg
In einem Forschungsprojekt der Randstad Stiftung hat sich Professor Michael Nagy intensiv mit den Kompetenzen in der Personaldienstleistungsbranche auseinandergesetzt.
Ein Gespräch über die Professionalisierung der Zeitarbeit.
Personalwirtschaft: Wie ist es um die Qualifikation in der Branche bestellt?
Michael Nagy: Im Bereich der Vertriebskompetenz ist die Zeitarbeit relativ gut aufgestellt, also wenn es darum geht, den Kundenunternehmen im direkten Kontakt Dienstleistungen anzubieten. Wobei die Dienstleistung früher die verlängerte Werkbank war. Wenn zum Beispiel eine Firma 16 Lagerarbeiter benötigte, wurden die entsprechend kurzfristig zur Verfügung gestellt. In zwei Bereichen haben sich die Qualifikationen im Vergleich zu früher deutlich verbessert. Zum einen haben die Mitarbeiter deutlich bessere personalwirtschaftliche und personalrechtliche Kenntnisse. Hier haben sich die Personaldienstleister, vor allem die großen, sehr professionalisiert. So tauchen heute in rechtlicher Hinsicht auch weniger Probleme auf als früher. Der zweite Bereich betrifft die Art der Dienstleistung. So wird heute versucht, die Kundenfirmen in ihrer Logik zu verstehen und sie als Business-Partner langfristig zu unterstützen. Damit kommen sie auch eher mit den Führungskräften der Kundenunternehmen in Kontakt und nicht nur mit einzelnen Einkäufern oder Personalreferenten.
Sind die Personaldisponenten der Zeitarbeitsfirmen für diese Art der Geschäftsbeziehungen tatsächlich vorbereitet? Oder sind sie nicht eher die Achillesferse, wenn es darum geht, auf Augenhöhe mit Personalleitern und Geschäftsführern zu sprechen?
Die Großen der Branche haben das erkannt und sind dabei, flächendeckend die Disponenten zu schulen. Teilweise werden auch interne HR-Consultants aufgebaut, die die Filialen dabei unterstützen, mit Kundenunternehmen langfristige Dienstleistungen zu entwickeln. Die Branche hat erkannt, dass an der Professionalisierung gearbeitet werden muss. Sonst bleibt es bei dem oft kleinteiligen und kurzfristigen Projektgeschäft.
Wie attraktiv ist die Branche für gute Personalfachleute?
Am Anfang der Zeitarbeit gab es in Deutschland riesige ideologische Debatten. Deshalb hatten Personalmanager sehr große Vorbehalte gegenüber dieser Branche. Inzwischen hat sich das geändert. Die Branche ist vor allem für die Personaler attraktiv, die unternehmerisch arbeiten und leistungsorientiert bezahlt werden wollen. Man hat Gestaltungsspielräume, kann dort einen eigenen Bereich aufbauen und gutes Geld verdienen. Unsere Studie hat ja auch gezeigt, dass der verwaltende Personaler in der Personaldienstleistungsbranche nicht zu gebrauchen ist. Wenn einer Spaß am Vertrieb, am Business hat, ist die Branche hoch attraktiv.
Welche Erfahrungen haben Sie als ehemaliger Bildungsleiter im Daimler-Konzern mit der Zeitarbeit gemacht?
Das war die Zeit, als das Monopol der Bundesagentur für Arbeit gerade abgebaut wurde und die Zeitarbeit begann, nutzbar zu werden. Gerade aus den Produktionsbereichen kam der Wunsch, mithilfe der Zeitarbeit zu flexibilisieren. Für Daimler stellt sich aus meiner Sicht auch nicht die Frage, ob Zeitarbeit genutzt wird, sondern wie sie rechtlich einwandfrei und von den Gehaltsstrukturen und Arbeitsbedingungen fair und gut eingefädelt wird.
Haben die Unternehmen die Einbindung von Zeitarbeit mittlerweile gut gelöst? Der Gesetzgeber droht ja immer wieder mit neuen Regulierungen, um Missbrauch vorzubeugen. Wird die Branche durch weitere Verschärfungen beispielsweise beim Thema Equal Pay Rückschläge hinnehmen müssen?
Wir haben empirische Studien aus anderen Ländern. Als in Frankreich eine strenge Equal-Pay-Regelung eingeführt wurde, waren die soliden Anbieter mit gutem Vertragsmanagement, geschultem Personal und mit Audits mittelfristig die Gewinner. Andererseits müssen wir in Deutschland aufpassen, dass wir nicht wieder anfangen, die Branche überzuregulieren. Bei teilweise mehreren konkurrierenden Tarifverträgen in den Kundenunternehmen lässt sich Equal Pay nur mit viel bürokratischem Aufwand umsetzen.
Der Ruf der Zeitarbeit ist offensichtlich immer noch nicht der beste. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Kompetenzentwicklung und Image der Branche?
Unsere These ist, dass heute schon die direkten Nutzungsbereiche, also Produktions- und Dienstleistungsbereiche, in denen Arbeitnehmerüberlassung stattfindet, eine deutlich positivere Bewertung abgeben würden als die internen Personalbereiche. Die Personaldienstleister sind auch Konkurrenten der internen HR-Bereiche, vor allem, wenn sie auch Recruiting-Prozesse übernehmen. Die Personaldienstleistungsbranche ist aber unabhängig davon sehr gut beraten, weiter an Qualitätssicherungssystemen zu arbeiten und schwarze Schafe auszuweisen.
Wie schätzen Sie die Weiterbildungsmöglichkeiten der Zeitarbeitskräfte ein?
Es mangelt hier weniger an den finanziellen Ressourcen, da die Bundesagentur für Arbeit Fördertöpfe zur Verfügung stellt und auch die Kundenunternehmen sich beteiligen würden. Die große Herausforderung ist die Konzeption flexibler Weiterbildungskonzepte. Die Weiterbildung muss neben einem Einsatz oder in Zeiten von Überlassungspausen stattfinden. Die großen Personaldienstleister benötigen hier Weiterbildungsmanager, die sich darum intensiv kümmern. Reine E-Learning-Programme haben sich dabei nicht bewährt Einige Unternehmen der Branche sind bereits vorbildlich unterwegs. Im Übrigen hat die Branche die große Chance, in der Weiterbildung zum Vorreiter für die Anwendung des europäischen Qualifikationsrahmens zu werden.
Wenn Sie den Unternehmen eine Note hinsichtlich ihrer Kompetenzen geben müssten, welche würden Sie aufgrund Ihrer Studienergebnisse verteilen?
In der Studie haben wir einige der großen Personaldienstleistungsunternehmen erfasst. Denen würde ich eine Zwei minus geben. Das ist insofern eine gute Bewertung, als sie vor fünf Jahren deutlich schlechter ausgefallen wäre. Die Professionalisierung läuft also in die richtige Richtung. Wenn es aber darum geht, als Business-Partner den Kundenunternehmen neue Konzepte in der Zusammenarbeit vorzustellen, gibt es noch eine Menge Luft nach oben.
Noch spielt die Zeitarbeit im Portfolio der Personaldienstleister die Hauptrolle. Wird sich das bei Ihrem Verständnis von Business-Partnerschaft verändern?
Ich möchte mit einem Beispiel antworten. Der Weltkonzern Würth verkauft den Firmen immer noch Schrauben und Befestigungsmaterial, aber sie machen das als umfassender Logistikpartner. Übertragen auf die Personaldienstleister: Die Arbeitnehmerüberlassung wird auf lange Zeit immer das zentrale Brot-und-Butter-Geschäft bleiben, aber die Kundenunternehmen brauchen auch Partner im gesamten Recruiting oder bei der Qualifizierung der Mitarbeiter. Es werden sich die Personaldienstleister durchsetzen, die sich als HR-Systempartner anbieten.
Wir haben viel von den großen Personaldienstleistungsunternehmen gesprochen. Was ist mit den vielen kleinen und mittelständischen Firmen in der Branche? Können die zukünftig noch mithalten?
Durchaus, vor allem wenn sie sich auf Branchen oder Berufe spezialisieren. Aber auch die Kleinen müssen das personalwirtschaftliche und rechtliche Handwerkszeug mehr denn je beherrschen.
Stiftungsprofessur der Randstad Stiftung
Prof. Dr. Michael Nagy leitet das Institut für wissenschaftliche Weiterbildung und Personalentwicklung an der SRH Hochschule Heidelberg. Von 2010 bis 2013 hatte er eine Stiftungsprofessur inne, die die Randstad Stiftung in Kooperation mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft von 2007 bis 2013 förderte. Hochschule und Stiftung entwickelten gemeinsam den Masterstudiengang »Management und Leadership« mit dem Schwerpunkt Personaldienstleistungen.
Das Buch »Kompetenzentwicklung in der Personaldienstleistung«, erschienen 2014 im Heidelberger Hochschulverlag, schließt die Aktivitäten im Rahmen der Stiftungsprofessur mit einem Resümee zum Stand der Aus- und Weiterbildung in der Personaldienstleistungsbranche ab.
Das Interview führte Erwin Stickling.
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