Ausgabe 6 - 2015
„Mitarbeiter brauchen die Sicherheit, dass der Laden weiterläuft“

W. Arndt Bertelsmann
Der W. Bertelsmann Verlag (wbv) ist ein Fach- und Wissenschaftsverlag für Bildung, Beruf und Sozialforschung. Seit 151 Jahren ist das Unternehmen familiengeführt. Die Personalwirtschaft sprach mit W. Arndt Bertelsmann, 54, dem geschäftsführenden Gesellschafter, über Führung, Personal und Motivation.
Personalwirtschaft: Ärgert es Sie gerade manchmal, dass Thomas Middelhoff als ehemaliger „Bertelsmann-Manager“ hin und wieder auch ihrem Unternehmen zugeordnet wird?
W. Arndt Bertelsmann: Natürlich erlebe ich es, dass je nachdem, was die Stiftung oder der Bertelsmann-Konzern tut, der wbv zumindest ambivalent betrachtet wird. Was die Leser wissen sollten: Mein Urururgroßvater, Carl Bertelsmann, hat das Unternehmen in Gütersloh gegründet. Sein älterer Sohn, Heinrich Bertelsmann, hat es noch eine Generation in der Familie Bertelsmann fortgeführt, bevor dann die Familie Mohn eingeheiratet hat. Das ist die Gütersloher Linie. Sein Bruder Wilhelm Bertelsmann hat 1864 unseren Verlag in Bielefeld gegründet. Insofern sind wir seit Anbeginn unabhängig. Klar: Die Bekanntheit des Unternehmens liegt eher in Gütersloh.
Familiengeführte Unternehmen fallen seltener durch Skandale und Gerichtsverfahren auf als Unternehmen mit angestellten Managern. Was machen Sie anders?
Mir liegt es fern, ein Manager-Bashing zu betreiben. Auch in familiengeführten Unternehmen gibt es angestellte Führungskräfte. Das ist eine normale Sache. Leider gibt es in allen Bevölkerungsgruppen auch Menschen, die ein etwas eingeschränktes Wertegerüst haben und vielleicht sich selbst mehr in den Mittelpunkt stellen als das Wohl anderer.
Im wbv-Nachhaltigkeitsbericht 2014 steht der Grundsatz der „professionellen Inhaberschaft“. Was ist damit gemeint?
Das bedeutet, dass man zwar momentan als Person an der Spitze steht, aber sich jederzeit darüber bewusst sein muss, dass auch eine andere Person oder auch Personen das Unternehmen führen können sollten. Beispielsweise für den Fall, dass einen ein Unfall oder eine Krankheit ereilt, muss man verantwortlich Vorbereitungen treffen. Ähnliches gilt auf ganz lange Sicht auch für den Generationenwechsel. Auch die Mitarbeiter brauchen die Sicherheit, dass der Laden weiterläuft, wenn der Chef ausfällt oder nicht da ist.
Ihr Verlag wäre einmal fast nicht mehr weitergelaufen. Vor einigen Jahren mussten Sie eine heftige Umstrukturierung durchführen.
Ja, bei dieser Umstrukturierung mussten wir zum Überleben des Unternehmens die Bereiche Technik und Logistik schließen und damit die Hälfte des Personals abbauen. Dieser extreme Umbau war nur möglich durch wohlwollende Begleitung der Gewerkschaft, der Agentur für Arbeit sowie des Betriebsrats und der Führungskräfte. Das gelang nur, weil ich mir durch langjährige gute Zusammenarbeit Respekt bei allen Beteiligten erarbeitet hatte, sodass diese zu sehr pragmatischen Lösungen bereit waren.
Was macht aus Ihrer Sicht die Attraktivität des wbv-Verlages als Arbeitgeber aus?
Ich denke, es sind vor allem die Möglichkeiten zur Beteiligung, zur Übernahme von Verantwortung, zur Mitwirkung. Es gibt sehr viele Dinge, die bei uns offen diskutiert werden, wo Anregungen aufgenommen werden, egal von wem. Und kongruent dazu gibt es eine Erfolgsbeteiligung. Die wird proportional zum Bruttojahreseinkommen für alle Mitarbeiter fällig, vom Azubi bis zum Prokuristen. Die Erfolgsbeteiligung ist bedingungslos. Heißt: Sie ist nicht individualisiert, und es gibt keine Zielvereinbarungen, keine Abteilungsziele und keine persönlichen Ziele. Meiner Erfahrung nach führen sie nur dazu, dass sich die Leute gegenseitig ausbremsen.
Empfinden besonders engagierte Mitarbeiter diese Ausschüttung nach dem Gießkannenprinzip nicht als ungerecht?
Natürlich denkt sich mal der eine oder andere: ‚Ich habe doch mehr geleistet als der Kollege.‘ Das mag sogar stimmen, aber das wird sich dann auch im Grundgehalt ausdrücken. Denn natürlich haben wir kein Einheitsgehalt. Auf dieser Basis kann jeder zum Erfolg beitragen – und es hilft ihm mehr, einem anderen zu helfen, als selber voranzukommen. Und das bedeutet, dass man mehr Achtsamkeit im Unternehmen hat und mehr gegenseitigen Respekt. Damit sind wir beim „Unternehmensklima“, ein Begriff, den ich ungern pauschal nutze. Ich mache das lieber an Mechanismen wie dem eben beschriebenen fest, die meiner Ansicht nach eine wahrnehmbare Wirkung entfalten.
Hat sich durch die Gewinnbeteiligung die Produktivität oder Stimmung im Unternehmen verbessert?
All diese Dinge kann man nicht in einen einfachen Kausalzusammenhang bringen. Das ist nicht belastbar. Es ist eine Gesamtheit von Maßnahmen, die letztlich dazu beiträgt. Dadurch, dass wir als Verlag auch Literatur im Bereich der Personalführung verlegen, sehe ich natürlich die durchaus redlichen Bemühungen, diese Dinge zu analysieren, Zusammenhänge herauszuarbeiten. Das will ich auch gar nicht negieren. Natürlich gibt es diese Zusammenhänge, aber es liegt nun mal in der Problematik jeglicher Forschung, einzelne Phänomene oder auch Kausalitäten so zu isolieren, dass sie belastbar nachzuweisen sind.
Wie haben Sie führen gelernt?
Es gab drei Faktoren: Erstens: Ich hatte die Chance, beim Technischen Hilfswerk und bei der Bundeswehr Führungshandwerk zu erlernen. Es wird sehr oft verkannt, dass genau diese Dinge in Einsatzorganisationen sehr stark gepflegt werden. Zweitens: Seit meiner Jugend bin ich politisch aktiv und habe in so manchem Gremium gewirkt. Drittens: Achtsamkeit. Die für mich bedeutet, für sich selbst ganz klar Werte aufzubauen und zu pflegen. Jeder, der an seinen eigenen Werten arbeitet, wird feststellen, dass er Brüder und Schwestern im Geiste findet, die auch daran arbeiten. Man kann nur mit denjenigen Menschen weniger anfangen, die gar nicht an sich arbeiten. Denn bei Führung gilt: Wer sich nicht an seinen Werten orientiert, also nur bestimmte Vokabeln nachplappert, der wird erleben, dass die Mitarbeiter das sehr schnell merken.
Welche Tipps geben Sie jungen Menschen, die Führungskraft werden wollen?
Meine Empfehlung ist: sich ehrenamtlich zu betätigen und in diesem Bereich Verantwortung zu übernehmen. Das schult ungemein. Man kann je nach gewähltem Bereich sehr viel lernen. Als Sporttrainer, als Leiter einer Jugendgruppe, in der Kirchengemeinde, oder – wie ich das gemacht habe – beim THW. Oder aber auch in der Politik. Es geht dort häufig nicht allein um Führung – sondern auch um die Gestaltung von Prozessen, die Gestaltung des Miteinanders. Wenn jemand es außerhalb des Erwerbslebens schafft, über längere Zeit Dinge zu gestalten, dann hat er jede Menge Rüstzeug, auch im Unternehmen gestaltend und führend tätig zu sein.
Wie wird beim wbv-Verlag Verantwortung übernommen?
Wir arbeiten nach dem Prinzip der geteilten Verantwortung. Wenn ich eine Verantwortung an einen anderen übertragen habe, dann erwarte ich auch, dass er die Entscheidungen trifft. Dann erwarte ich, dass er sich zunächst in seinem Bereich konsultiert, dann die Nachbarbereiche miteinbezieht. Er kann sich auch externe Beratung holen – entweder durch persönliche Netzwerke oder von außen. Das interessiert mich nicht. Wenn die Person nicht klarkommt, dann kann sie auch mich fragen. Aber ob ich wirklich der bessere Ratgeber bin, das wage ich in manchen Bereichen zu bezweifeln. Die Menschen erleben mich hier im Unternehmen in dreierlei Rollen: a) gelegentlich als Chef, b) in operativer Verantwortung – unter anderem als Programmleiter für Bildungs- und Sozialforschung und für crossmediale Redaktionssysteme und c) als Mitarbeiter, der zwar Fragen beantwortet, aber nicht die Entscheidungen trifft. Ich habe dafür ein geflügeltes Wort: ‚Ich bin hier nur Chef‘.
Das Interview führte Jobst Hagedorn.
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