Ausgabe 6 - 2015
Menschen statt Prozesse im Fokus

Die Umsetzung der Lean-Management-Philosophie ist nicht immer von Erfolg gekrönt. Denn oft vergessen die Unternehmen, für den damit verbundenen Wandel die Mitarbeiter zu gewinnen. Das Beispiel des Ennepetaler Unternehmens Dorma zeigt hingegen, wie die Umsetzung gelingen kann.
Gerade in der Industrie haben viele Unternehmen in den vergangenen Jahren das Thema „Lean“ auf ihre Agenda gesetzt. Lean Manufacturing verspricht effizientere Prozesse, weniger Rücklauf und schnellere Durchlaufquoten. Nicht selten werden die Effizienzgewinne auf 50 bis 80 Prozent veranschlagt. Die Realität ist jedoch zumeist ernüchternd: Etwa 70 Prozent aller Lean-Programme scheitern – trotz erheblicher Investitionen.
Die Gründe liegen selten in der prozessseitigen Implementierung. Diese wird in der Regel sehr professionell vorangetrieben. Vielmehr fokussieren sich Unternehmen zu stark auf Prozessänderungen und unterschätzen, dass eine erfolgreiche Implementierung von Lean Management auch einen tiefgreifenden Kulturwandel erfordert: Lean-Management-Programme scheitern zumeist an der mangelnden Einbindung der Mitarbeiter.
Angst vor Rationalisierung und Monotonie
Trotzdem Mitarbeiter in der Regel mit dem Begriff Lean Management nur wenig assoziieren, entstehen oft Ängste in der Belegschaft. Häufige Fragen, mit denen wir uns bei unserer Beratung konfrontiert sehen, sind: Wird mein Arbeitsplatz entbehrlich, wenn alles effizienter wird? Wird nun noch mehr Leistung von mir gefordert? Wird meine Arbeit jetzt eintöniger? Werde ich noch engmaschiger kontrolliert? Was passiert, wenn ich Fehler mache?
Kurz gesagt: Die Mitarbeiter fürchten Rationalisierung, höheren Leistungsdruck, Monotonie der Arbeit und stärkere Kontrolle. Die Vorteile eines Lean-Management-Programms – auch für den Einzelnen – werden hingegen kaum wahrgenommen. Gemäß der Prospect Theory ist der Status quo dem Menschen zunächst lieber als der Wandel: Die Angst vor Verlusten führt zur Vermeidung von Veränderungen.
Dies hat mitunter gravierende Folgen für den Implementierungsprozess: Zeiten der einzelnen Arbeitsschritte werden falsch angegeben. Verbesserungsvorschläge bleiben aus. Mitarbeiter, die die „Norm nach oben ziehen“, werden ausgegrenzt. Diesen Entwicklungen und vor allem den Ängsten der Mitarbeiter müssen die lokalen Führungskräfte entgegentreten – sie sind jedoch zumeist selbst mit ihrer Rolle und Verantwortung im Veränderungsprozess überfordert.
Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Lean-Management-Implementierung liegt deshalb sowohl in der Schulung von Führungskräften, um sie auf ihre Aufgaben im Veränderungsprozess vorzubereiten. Zum anderen gilt es, einen Rahmen zu schaffen und eine Leidenschaft für Veränderung zu entfachen.
Kulturwandel herbeiführen, Führungskräfte coachen
Herzstück der Lean-Philosophie ist nämlich nicht die bloße Optimierung von Prozessen, sondern die Bereitschaft, Verhaltensweisen grundlegend zu überdenken, gegebenenfalls zu ändern und damit einen grundlegenden Kulturwandel im Unternehmen herbeizuführen. Dafür gilt es, die Mitarbeiter zu gewinnen.
Das ist einfacher gesagt als getan. Wie eine konkrete Umsetzung dieses Ansatzes aussehen kann, zeigt das Beispiel von Dorma, einem international aufgestellten Anbieter von Beschlägen, Sicherungstechnik und Zugangslösungen. Gemeinsam setzten Dorma und Gallup ein Dialogprogramm auf, das die Zusammenarbeit im Team in den Mittelpunkt stellte, um durch die aktive Einbindung der Mitarbeiter die Lean-Management-Aktivitäten zu unterstützen. Der Fokus des Programms „Dorma Dialog“ lag auf der Qualität der Mitarbeiterführung, da Führungskräfte die Katalysatoren des Veränderungsprozesses sind und die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Implementierung setzen. Im Rahmen der Lean-Implementierung lernten die Vorgesetzten, ihre Reaktionen auf Probleme für möglichst viele Mitarbeiter sichtbar zu machen: Was passiert, wenn der Mitarbeiter einen Fehler zugibt? Drohen Verurteilung und Strafe? Oder wird ein Lernen aus Fehlern angestrebt? Dahinter steckte das Ziel, Anerkennung zu zollen, wenn Probleme erkannt und Fehler gemeldet werden. Nur so können Mitarbeiter sehen, dass ihre Bemühungen Früchte tragen. Auch regelmäßiges, konstruktives Feedback sollte zur Selbstverständlichkeit werden.
Insgesamt ging es in darum, eine neue Fehlerkultur zu etablieren. Der Fokus wurde nicht mehr auf die Person als Verursacher gelegt, sondern auf die Frage: Warum lässt das System solche Fehler zu? Darüber hinaus wurden beispielsweise die Ängste vor zu hohen Vorgaben entkräftet, weil Leistung nicht verdichtet wurde, sondern nicht wertschöpfende Anteile Schritt für Schritt reduziert wurden.
Die Lean-Philosophie basiert stark auf Teamwork. In den Arbeitsgruppen muss untersucht werden: Wo bestehen Barrieren in der Zusammenarbeit? Aufgabe der Führungskraft ist es dabei, diese Barrieren auszuräumen. Diese kann beispielsweise darin bestehen, dass Mitarbeiter zu viel Zeit darauf verwenden müssen, Informationen oder Materialien zu suchen. So wurde in einem Werk im Rahmen von Team-Workshops eine Wissensdatenbank geplant, die etwa 3000 Stunden Suchzeit pro Jahr einspart. Wichtiger psychologischer Effekt: Die Mitarbeiter haben nun das Gefühl, dass die Arbeit leichter von der Hand geht, es gibt weniger Frustration durch unnötiges Suchen.
Durch lokale Initiativen von Dorma wurden die Mitarbeiter in den Implementierungsprozess eingebunden und erhielten die Möglichkeit, den Wandel mitzugestalten. Im Rahmen lokaler Veränderungen wurde nicht zwanghaft eine „Corporate Identity“ verordnet – stattdessen war es das Ziel, dass die Mitarbeiter schnell etwas „auf ihre Art“ optimieren konnten. In den Werken wurden Multiplikatoren aufgebaut und gefördert, die Lean-Gedanken und -Know-how an ihre Kollegen weitergaben. Und Teams, die bereits in den Implementierungsprozess eingebunden waren, besuchten andere bereits optimierte Werke, um die Mitarbeiter zum Mitmachen zu motivieren.
Mehr Produktivität, höhere Durchlaufzeiten
Gerade die lokalen Initiativen führten den Mitarbeitern den Nutzen von Lean Management vor Augen: In einem Werk konnten nach Verbesserungsvorschlägen durch das Team Produktionsschritte so weit optimiert werden, dass die dafür erforderliche Werksfläche von 200 Quadratmetern auf die Größe eines Einzelbüros schrumpfte.
Das Ergebnis: Dorma hat große Fortschritte bei der Implementierung von Lean gemacht und kann sich hier definitiv mit den großen Playern vergleichen. Gleichzeitig zeigte sich aber auch, dass die Umsetzungserfolge sehr heterogen waren und sich je nach Werk unterschieden, was sich vor allem auf die jeweilige Einbindung der Mitarbeiter in den Prozess zurückführen ließ. Ein Werk konnte innerhalb von 18 Monaten die Produktivität überproportional steigern, die internen Durchlaufzeiten um 50 Prozent reduzieren und die Liefertreue auf 99 Prozent erhöhen. In einem andern Werk wurden die Lager um 50 Prozent abgebaut und Lieferzeiten um bis zu 66 Prozent reduziert.
Veränderungen brauchen Zeit
Das Beispiel zeigt: Lean Management kann nur dann erfolgreich sein, wenn ein sogenannter Mindset-Change bei Mitarbeitern und Führungskräften einsetzt. Auf dieser Basis können neue Verhaltensweisen in der Unternehmenskultur verankert werden, die Voraussetzung für eine erfolgreiche Implementierung von Lean-Methoden.
Unternehmen müssen deshalb ihren Fokus nicht nur auf Prozesse, sondern auch auf Menschen legen. Sie müssen glaubwürdig transportieren, welche Ziele sie mit Lean verfolgen und welchen Mehrwert die Mitarbeiter erwarten können. Nur so können sie den notwendigen Bewusstseinswandel bei Mitarbeitern und Führungskräften herbeiführen.
Gewinne überbetonen – Verlusten den Schrecken nehmen
Herangehensweisen bei der Implementierung von Lean-Management-Programmen, die sich in der Praxis bewährt haben:
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Erste Erfolge sofort feiern und belohnen: Ziel ist es, den „Gewinn“ durch die Veränderungen zu unterstreichen und die Mitarbeiter von „Zuschauern“ zu „Teilnehmern“ zu machen.
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Mitarbeiter von Anfang an einbinden und informieren: Ziel ist es zu vermeiden, dass Risiken von den Mitarbeitern überschätzt werden, und die Angst vor Veränderungen abzubauen.
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Emotional kommunizieren: Ziel ist es, Vertrauen und Empathie zu signalisieren und den Mitarbeitern zu vermitteln, dass sie als Menschen zählen. Auch sollte der Mehrwert der Veränderungen für den einzelnen Mitarbeiter hervorgehoben werden.
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Konstruktiv mit Fehlern und Problemen umgehen: Ziel ist es, den Umgang mit Fehlern als Möglichkeit zur Verbesserung darzustellen. Fehler erscheinen dann nicht mehr als Verlust, sondern als potenzieller Gewinn.
Autorin
Mandy Baumann, Client Development Consultant, Gallup Deutschland, Berlin,
mandy_baumann@gallup.de
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