Ausgabe 6 - 2015
Die Technik ergänzt den Menschen

Optimistisch, was die Gestaltung neuer Arbeitswelten angeht: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales möchte einen breiten gesellschaftlichen Dialog über die Zukunft der Arbeitswelt führen. Zur Auftaktveranstaltung mit dem Titel „Arbeiten 4.0“ lud es Ende April Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Forschung nach Berlin. Ein Rückblick.
Arbeiten 4.0 heißt, technische und soziale Innovationen vorausschauend zusammenzudenken“, sagte Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, in ihrer Auftaktrede und erklärte, was das für sie und für Deutschland bedeute: „Beschäftigung wandelt sich, Berufe fallen weg und neue entstehen. Ich will, dass wir Vorreiter sind und diesen Wandel der Arbeitswelt gestalten. Für uns bietet die Digitalisierung gute Chancen, wirtschaftlichen Erfolg und selbstbestimmtes Handeln positiv zu verbinden.“ Studien, denen zufolge die Digitalisierung in den USA schon bald jeden zweiten Job überflüssig macht, hält Nahles für übertrieben. Sie will dafür sorgen, dass die digitale Revolution möglichst wenige Verlierer produziert: „Ich könnte mir eine Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung vorstellen, die bei den Arbeitsübergängen hilft“, erklärte sie.
Die Fabrik der Zukunft
Was die Technik mit dem Menschen macht, war das Kernthema des ersten Panels. Dabei kamen nicht nur die Experten vor Ort zu Wort: Die Veranstaltung wurde live ins Internet gestreamt, Rückmeldungen per Twitter flossen direkt mit ein. Die Panelisten waren sich einig: Mensch und Technik lassen sich nicht mehr auseinanderdenken. „Wir müssen nach neuen Konstellationen suchen, wie sich Mensch und Technik intelligent vernetzen lassen, mit dem Ziel, eine inklusive digitale Gesellschaft zu entwickeln“, zeigte sich deshalb Gesche Joost, Professorin für Designforschung an der Universität der Künste in Berlin, überzeugt.
Das Schlagwort „Industrie 4.0“ steht auch für den wachsenden Einsatz von Software und Robotern in Fabriken. Horst Neumann, Personalvorstand der Volkswagen AG, zeichnete ein Bild der „Fabrik der Zukunft“ und sprach von einer rasanten Entwicklung: „Es ist unaufhaltsam, dass die Technik den Menschen ein stückweit verdrängt.“ Dass Roboter den Menschen schwere Arbeit abnehmen, sieht der Personalvorstand als Chance und Glücksfall zugleich: „Wir müssen die Potenziale und Stärken unserer Facharbeiter und Ingenieure nutzen und vielseitige, qualifizierte Arbeit ausbauen.“ Die Technik lasse sich um die Qualifizierung der Menschen herumentwickeln. Für die Umsetzung dieses Wandels rechnet Neumann mit einem Zeitfenster von rund 30 Jahren.
Flexibles Arbeiten stärker fördern
Hartmut Hirsch-Kreinsen, Professor an der TU Dortmund, plädierte für eine stärkere Vernetzung zwischen Hochschulen und Industrie: „Wir müssen Industriearbeit ein stückweit interessanter gestalten und Praxisbeispiele in den Lehrstoff einfließen lassen. Der stärkere Praxisbezug schafft die Voraussetzung dafür, dass die Potenziale unserer künftigen Wissensarbeiter besser ausgeschöpft werden.“ Der Industriesoziologe ist sicher, dass die Erfahrungen der Arbeitnehmer nicht automatisierbar sind. Das Thema der zweiten Paneldiskussion erhitzte die Gemüter: Verdrängt die Share Economy traditionelle Dienstleistungen, und schaffen Online- Plattformen im negativen Sinne amerikanische Verhältnisse? „Wir müssen die Chancen dieser neuen Art der Vernetzung ergreifen, die es den Nutzern ermöglicht, kurzfristig zum Beispiel eine Handwerkerdienstleistung einzukaufen. Von den Amerikanern können wir lernen, den Blickwinkel des Konsumenten einzunehmen. Das steht aber nicht im Widerspruch zu unserer sozialen Marktwirtschaft“, fand Christoph Keese, Executive Vice President bei Axel Springer.
Einigkeit herrschte darüber, dass sich Unternehmen künftig für neue Formen der Arbeit öffnen müssen: So wollen zum Beispiel Solo-Selbstständige im Co-Office-Space und Angestellte auch im Homeoffice arbeiten. Gefordert wurde auch, neue Arbeitskonzepte in bestehende einzubinden und selbstbestimmtes, flexibles Arbeiten stärker zu fördern. Auch die Kommentare auf Twitter zeigten: Selbstorganisierte Arbeit schafft Produktivität und fördert innovatives Handeln.
Andere Lebensphasen, andere Bedürfnisse
„Arbeit und Leben“ war das Thema der dritten Paneldiskussion. Thomas Sattelberger, Vorsitzender der HR Alliance, warb für die Wahlarbeitszeit: „Gekoppelt mit der Option einer 32-Stunden-Woche für Paare in der Familiengründungsphase ist Wahlfreiheit innerhalb betrieblich gut definierter Spielregeln der richtige Weg in das Zeitalter 4.0.“ Dass sich die Arbeitszeit in verschiedenen Lebensphasen den Bedürfnissen der Frauen anpassen sollte, dafür plädierte Kerstin Jürgens, Professorin für Mikrosoziologie an der Universität Kassel: „Die Statistik zeigt, dass viele Frauen immer noch ungewollt in die Teilzeit rutschen, weil sie zuerst Kinder und später Angehörige pflegen müssen.“ Sie forderte eine Normalarbeitszeit für beide Geschlechter, die Frauen verlässliches und planbares Arbeiten ermöglicht und auch Männern erlaubt, sich um die Alten zu kümmern. Thorben Albrecht, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, betonte die Vorzüge der Teilzeit, die er künftig durch das Rückkehrrecht auf Vollzeit ergänzen möchte.
Die Arbeitskultur ist hierzulande immer noch stark geprägt von hierarchischen Strukturen und Anwesenheitskontrollen. Tina Egolf, Produktmanagerin bei Podio, Anbieter einer mobilen Kollaborationsplattform, forderte daher, dass sich die Organisation den Bedürfnissen der Menschen anpassen sollte und nicht umgekehrt. Arbeitnehmer sollten Systeme so nutzen können, wie sie es brauchen, damit sie frei und individuell arbeiten können. Auch Andrea Nahles hob noch einmal die Gestaltungschancen für Beschäftigte, Unternehmen, Sozialpartner und Politik hervor.
Der Dialogprozess Arbeiten 4.0
Im Umspannwerk stellte Bundesministerin Andrea Nahles ihr Grünbuch „Arbeiten 4.0“ vor: Es skizziert Trends und wichtige Handlungsfelder der Arbeitsgesellschaft von morgen. Wer sich am Dialog über die Zukunft der Arbeitswelt beteiligen möchte, kann dies unter www.arbeitenviernull.de tun. Dort oder über die sozialen Medien des BMAS oder über Twitter mit dem Hashtag #arbeitenviernull können Sie den Dialog und das Grünbuch direkt kommentieren. Die Beiträge wird das BMAS auf einem Zwischenkongress Anfang 2016 zur Diskussion stellen. Außerdem werden die Wortmeldungen aus dem Online-Bürgerdialog in ein „Weißbuch“ einfließen, mit dem der Dialog Ende 2016 seinen Abschluss finden soll.
Annette Neumann, freie Journalistin, Berlin
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