Betriebliche Personalarbeit am Scheideweg

Personalaufgaben auszulagern, legt den Verdacht nahe, dass HR eines Tages seine betriebliche Daseinsberechtigung einbüßen könnte. Argumente für und wider HR-Outsourcing.
Die Zahlen lassen aufhorchen: Während die Umsätze bereits zum dritten Mal in Folge ansteigen, entfällt inzwischen ein Viertel aller Outsourcing-Verträge auf Personalaufgaben. Das starke Wachstum ist Ausdruck des steigenden Bedarfs an Dienstleistungen und reflektiert nicht zuletzt eine kontinuierliche Entwicklung von immer anspruchsvolleren Partnerschaften zwischen Kunden und Dienstleistern.
Freilich ist in den von Arvato präsentierten Marktzahlen von Großbritannien die Rede. Denn hierzulande tritt HR-Outsourcing seit Jahren auf der Stelle. Und das hat viele Gründe: Laut einer aktuellen Umfrage des amerikanischen Spezialisten für Business Process Outsourcing, ADP, lagert lediglich ein Bruchteil der Personalverantwortlichen in der Wirtschaft die Lohn- und Gehaltsabrechnung aus. Diese HR-Outsourcing-Variante, auch mit dem Begriff „Payroll“ bezeichnet, dominiert im Markt mit großem Abstand. Laut ADP-Umfrage betreiben Personaler Entgeltabrechnungssysteme überwiegend in Eigenregie. Hauptgrund: Man will unabhängig bleiben. Auch der Glauben, die Daten intern vertraulicher behandeln zu können, prägt die Scheu auszulagern.
Der scheue Mittelstand
Im Mittelstand ist das Sicherheitsbedürfnis besonders stark ausgeprägt, bestätigt Sigurd Seifert, Marketingleiter der deutschen ADP-Niederlassung in Neu-Isenburg. „Man traut sich kaum, Personaldaten nach außen zu geben.“ Zudem kursierten unhaltbare Vorstellungen über die Cloud, die meist aus mangelnder Aufklärung resultierten. „Hier müssen wir als Anbieter mehr leisten als bisher“, verspricht der Outsourcing-Manager.
So müssten Provider ihre Kunden davon überzeugen, dass ihre Daten beim Dienstleister sicherer aufgehoben seien als bei ihnen selbst. Das könnten Audits und Zertifizierungen einwandfrei belegen, so Seifert. Zum Beispiel würden regelmäßig Penetrationstests durchgeführt, um das Sicherheitsniveau ihrer Systeme zu prüfen und die Wirksamkeit nachzuweisen. Doch die Zurückhaltung potenzieller Kunden lediglich auf den Sicherheitsaspekt zu reduzieren, würde vom eigentlich zentralen Gedanken ablenken. Vor allem die vielfältigen negativen Erfahrungen in Auslagerungsprojekten, die sich in Personalernetzwerken herumsprechen, halten sogar durchaus geneigte Manager davon ab.
HR-Outsourcing ist auch für Frithjof Reitter, HR-Interim-Manager aus Mömbris-Daxberg, eines der zentralen Themen, für die er als Personalexperte temporär von Unternehmen zurate gezogen wird. Wie er beobachtet, folgen immer mehr Unternehmen dem Modell von Dave Ulrich und fassen Spezialistenaufgaben in einem Shared Service Center zusammen, um für die wirklich wichtigen Aufgaben den Rücken frei zu haben. Im Hinblick auf die Auslagerung von Payroll an externe Dienstleister kann Reitter Personaler jedoch nur davor warnen, voreilige Entscheidungen zu treffen.
Nearshoring als Problem?
Das liegt nicht zuletzt an der Praxis, dass auf HR-Outsourcing spezialisierte Provider die an sie ausgelagerten Aufgaben oft ins Ausland vergeben würden. „Weil unser Steuersystem weltweit am kompliziertesten ist, scheitern viele Auslagerungen ins Ausland an der mangelhaften Kompetenz der dort tätigen Provider.“ Reitter bezieht sich dabei auf zahlreiche Firmen, die ihre zuvor ausgelagerten Aufgaben inzwischen wieder selbst verantworten würden, sich damit also für ein „Insourcing“ entschieden hätten. „Es kostet zwar mehr“, bilanziert Reitter, was für und gegen die Auslagerung spricht, „aber die Qualität ist den Verantwortlichen umso wichtiger.“
Bei genauerem Hinsehen ist der Knackpunkt des HR-Outsourcings schnell zu erkennen. Wie Reitter erläutert, übernähmen internationale Payroll-Dienstleister den Full-Service zunächst an deutschen Standorten, ehe er meist nach einem halben Jahr beispielsweise nach Polen oder Tschechien – „nearshore“ – ausgelagert würde. „Damit beginnen auch die Probleme“, rekapituliert der HR-Experte, wie aus anfänglichem Optimismus herbe Enttäuschung resultieren kann. „Unternehmen benötigen nun intern genauso viel Manpower zur Vorbereitung der Aktivitäten wie vor dem Outsourcing.“
Diese Einschätzung kann auch auf kleinere und nicht international operierende Provider übertragen werden. Auch hier sollten Personaler nicht von werblichen Versprechen irregeleitet vorschnell entscheiden. Statt wie ihnen vielfach eingetrichtert wird, Outsourcing wirke sich kostensparend, motivierend und wettbewerbsstärkend aus, sind Kunden in der Praxis schnell mit wider Erwarten unkundigen oder gar desinteressierten Dienstleistern konfrontiert. Wenn etwa bereits beim ersten Abrechnungslauf auffällt, dass der Service-Provider die gesetzlichen Änderungen bei der Steuerbefreiung von Abfindungen nicht berücksichtigt hat, wie der Personalchef eines hessischen Maschinenbauers berichtet: „Das hat uns niemand gesagt, dass Sie es so wünschen“, hieß es auf Nachfrage lapidar. Reden so Experten?
Solche Qualitätseinbußen sprechen sich schnell im Unternehmen herum: Wenn die HR bis dato zugesprochene administrative Kernaufgabe, beständig für eine reibungslose Lohn- und Gehaltsabrechnung zu sorgen, empfindlich an Qualität einbüßt, mehren sich die Beschwerden von Führungskräften und Mitarbeitern. Vor allem Personaler, die bei der Entscheidung pro Outsourcing auf kurzfristig erzielbaren wirtschaftlichen Erfolg gesetzt hatten, geraten nun in die Klemme. Unversehens sind sie mit weder geplanten noch vertraglich geklärten Kosten für Schnittstellenmanagement, Auftragsänderungen oder erforderliche Leistungsanpassungen konfrontiert und schlagen sich zusätzlich mit ihren verärgerten internen Kunden herum.
Vorsicht vor Enttäuschungen
40 Prozent aller Unternehmen, die EY (Ernst & Young) 2013 über ihre Zufriedenheit mit dem Payroll-Outsourcing befragte, zeigten sich von ihrem aktuellen Provider so enttäuscht, dass sie in Erwägung zogen, schnellstmöglich zu einer Alternative zu greifen. Laut ADP sind daran gleich mehrere Ursachen schuld: Personaler würden demnach nur unzureichend mögliche Anbieter evaluieren, lieber heute als morgen Projekte starten und die tatsächlichen Kosten verkennen. Einer Studie von PriceWaterhouseCoopers (PWC) über die „Total Cost of Ownership“ zufolge ist lediglich ein Drittel der Kosten für Payroll und HR-Administration sichtbar, der Rest bleibt nicht zuletzt deshalb nebulös, weil HR-Prozesse sich häufig auf Finanzen, IT und andere Funktionen verteilen.
Für einen pragmatischen Zugang zum Outsourcing plädiert Wolfgang Appel, Professor für Personalmanagement an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW). Statt gleich den großen Wurf zu verfolgen, empfiehlt er Personalern, zunächst „Daten für die private Krankenversicherung einzupflegen oder Dokumente für die Personalakte zu indexieren“. Wer beabsichtige, das Recruiting auszulagern, könne die Bewerberbetreuung per Telefon oder E-Mail an den Provider vergeben, um so zu erproben, ob die Kooperation professionell verläuft oder von Qualitätsmängeln geprägt sei.
Kleine Schritte wagen
Politik der kleinen Schritte also: Warum nicht? Zumal nun Akteure ins Spiel kommen könnten, die auf Seiten ihrer Geschäftspartner keineswegs suspekt erscheinen: Experten, die in ihrer beruflichen Karriere selbst Personalverantwortung getragen haben und sich mit dieser Erfahrung als selbstständige HR-Profis anbieten. Jemand wie Lothar Hoss zum Beispiel. Bis vor Kurzem war er Vorsitzender des Bundesverbands Selbstständiger Personalleiter (BVSP).
Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland rund 200 solcher selbstständigen Personalprofis, die primär Unternehmen beraten, die zwischen 30 und 300 Mitarbeiter beschäftigen, und auch bei der praktischen Umsetzung tatkräftig mitwirken. Hoss erklärt, wann Personaler mit Experten wie ihm rechnen sollten: Während auf Outsourcing spezialisierte Dienstleister auf Dauer Teile der Aktivitäten im HR-Bereich wie Payroll übernähmen, verhalte es sich im Projektgeschäft anders. Meist verfügten Unternehmen über keinerlei qualifizierte Ressourcen und zögen etwa bei Restrukturierungen, dem Change Management oder zur Einführung von Software externes Know-how heran. „Eine gute Wahl“, sagt Hoss. „Nachlässigkeit könnte die Unternehmen teuer zu stehen kommen.“
Outsourcing-Partner wie Hoss könnten gerade die im Mittelstand ausgeprägten Vorbehalte mindern. Sie gehen sensibler mit solchen Betrieben um, wie Josef Wolf, selbstständiger HR-Experte im Netzwerk Personalprofis (NPP) der Initiative „Wege zur Selbst-GmbH“, betont: Denn HR-Outsourcing sei auch Bauchsache. „Externen Spezialisten Vertrauen zu schenken, birgt durchaus das Risiko des Kontrollverlusts.“ Wolf sowie Gabriele Schmitz, ebenfalls Mitglied im NPP-Netzwerk, vertreten sogar die These, Outsourcing unterstütze jene Personalaufgaben, die man unbedingt als „Kernthemen“ im Unternehmen behalten wolle und an Business-Partner delegiere.
Entlastung auch außerhalb der Payroll
Dabei beobachten die HR-Experten eine spannende Entwicklung. Neben Payroll würden zunehmend auch qualitative Personalaufgaben wie Weiterbildung oder Konfliktmanagement ausgelagert. „Freilich sind Personaler nicht begeistert, am liebsten möchten sie nichts aus der Hand geben“, sagt Wolf. „Doch interne Ressourcen und Kosten setzen ihnen hier Grenzen.“ Schmitz zufolge rückt auch das Recruiting immer mehr auf die Auslagerungsagenda. Freilich sei es eine „grundsätzlich sehr zeitaufwendige HR-Aufgabe“. Würde das Recruiting auslagert oder dafür eine eigene Organisation aufgebaut, die durch externes Know-how ergänzt werde, betont Schmitz, trage das auch zu erheblicher Entlastung bei. „Recruiting-Outsourcing ist ein Trend, der uns vorläufig erhalten bleibt“, gibt sie sich sicher. Überhaupt sind die HR-Experten davon überzeugt, dass die Professionalität im HR-Outsourcing „eindeutig“ zugenommen habe. Primär verantwortlich sei der Druck, Kosten zu reduzieren.
Wie die selbstständigen HR-Experten im Einzelnen beobachten, würden sich Personaler konsequenter als zuvor dem Outsourcing zuwenden, Detailkenntnisse erwerben und auf ein besseres Briefing des Kooperationspartners achten. „Der Nutzen, der durch kostenschonende Einbindung externen Know-hows entsteht, wie Vielfalt und State of the Art“, unterstreicht Wolf, „wird inzwischen klar erkannt.“
Dass die Einbindung externen Know-hows für viele Personaler wichtig sei, bestätigt auch ADP-Manager Seifert. Freilich räumt er offen ein, wie schwer sich Provider tun, das so sehr geschätzte Wissen, das ihre Kunden von den Dienstleistern erwarten, auch personell zu garantieren. Das Problem ist der Mangel an Spezialisten, die das Outsourcing mit Leben und Qualität erfüllen. Etwa beim Thema Payroll: Beim Recruiting von Fachkräften für die Lohn- und Gehaltsabrechnung sei ADP je nach Region mit einem „leergefegten Arbeitsmarkt“ konfrontiert, so Seifert.
Als Konsequenz müssen Dienstleister wie ADP viel Geld in die Weiterbildung investieren. Schließlich erwartet der Kunde, dass die Mitarbeiter fit sind im Arbeits-, Sozialversicherungs- oder Steuerrecht und bei Gesetzesänderungen immer auf dem Laufenden bleiben. Ein besonderes Augenmerk legt ADP laut Seifert darauf, dass die Kundenberater auch in der Lage seien, die gebotene Servicequalität an den Tag zu legen und mit Kunden vertrauensvoll zu kooperieren. „Das muss der Kundenberater neben seinen Fachkenntnissen mitbringen.“
Klar ist auch: Das hier skizzierte Wissens- und Kompetenzdefizit ist eher bei den Providern als bei den selbstständigen HR-Experten zu erkennen. Laut Schmitz sei es deshalb vernünftig, Outsourcing-Projekte zu stoppen, wenn sie sich wegen hoher Fehlerquoten und nachlassender Kundenzufriedenheit nicht rechnen. Wobei dann die gestandenen Personalprofils ins Geschäft kommen könnten.
Steht die betriebliche Personalarbeit nicht vor dem Aus, wenn sich nahezu jedes HR-Sujet zur Auslagerung anböte? Die These, dass sich HR womöglich erübrigt, betont Schmitz, „steht und fällt mit der Qualität und der Position des Personalbereichs“. Wo Personalarbeit sich auf die wirklich wichtigen Themen konzentriere und sich gezielt externen Know-hows bediene, um noch besser zu werden, „dort überzeugt HR“. Im Umkehrschluss: Unternehmen, die ihre Personalabteilung nicht auf diesen Level trimmen können, hätten damit allen Grund, auf HR zu verzichten.
Winfried Gertz, freier Journalist, München
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