Hire for attitude
Wir alle kennen die Situation: Ein Bewerber bringt optimale fachliche Qualifikationen und Erfahrungen mit. Die Interviews verlaufen gut. Der Mann oder die Frau ist sympathisch und scheint auf die Stelle optimal zu passen. Man wird sich schnell handelseinig – und erlebt nicht selten genauso schnell eine böse Überraschung. Irgendetwas scheint nicht zu passen. Der neue Mitarbeiter fühlt sich unwohl, sein Team fühlt sich unwohl, die Vorgesetzten sind enttäuscht. Eine Trennung ist unausweichlich.
Mit einem gezielten Blick auf die persönlichen Einstellungen und Werte des Kandidaten hätte diese kostspielige Fehlentscheidung vermieden werden können. So wundert es nicht, dass ein in der angelsächsischen Unternehmenswelt bereits seit Jahren genutzter Begriff nun auch in der deutschsprachigen Recruiting-Szene intensiver diskutiert wird: der sogenannte Cultural Fit.
Das Bewusstsein der Recruiter für die kulturelle Passung von Bewerber und Unternehmen hat stark zugenommen, wie eine aktuelle Studie zeigt (ab Seite 16). Die diagnostische Professionalität zur Überprüfung dieser Passung lässt allerdings immer noch zu wünschen übrig.
Der Einsatz von standardisierten Verfahren in der Eignungsdiagnostik mag zwar seit einigen Jahren zunehmen, zur Erfassung des Cultural Fit liegt er bei gerade mal neun Prozent. Dabei gibt es mittlerweile einige Online-Tools am Markt, die in der Lage sind, valide Hinweise zur kulturellen Passung geben zu können. Werden damit die Zeiten bald vorbei sein, in denen der Nasenfaktor oder das Bauchgefühl über das Wohl und Wehe einer Einstellung entscheidet?
Wohl kaum. Aber es gibt zumindest Hoffnung, dass dem Bauchgefühl und der durchaus wichtigen Intuition ein wenig mehr Sachlichkeit zur Seite gestellt wird. Die Diagnose-Tools sind aber keine Plugand-Play-Heilsbringer, wie einige von uns befragte Psychologen und Recruiting-Experten warnen. Bevor sie zum Einsatz kommen, bedarf es zunächst einer genauen Analyse der eigenen Unternehmenswerte, um sie dann auch diagnostisch nutzen zu können. Und die Angebote selbst sollten hinsichtlich ihrer Validität genauestens geprüft werden. Hier muss also gute Vorarbeit geleistet werden.
Sicherlich ist der mit dem Begriff Cultural Fit verbundene Spruch „hire for attitude, train for skills“ übertrieben. Aber er verdeutlicht einen Sinneswandel: Die Fachkompetenz eines Bewerbers spielt in einer VUCA-Welt nur noch eine notwendige, aber nicht mehr die entscheidende Rolle für eine erfolgreiche Karriere.
Erwin Stickling,
Chefredakteur
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