Ausgabe 6 - 2016
Auf die Augenhöhe kommt es an

An Erkenntnissen über die nach 1980 Geborenen besteht kein Mangel und die Überlegungen, wie man diese ambitionierte Generation ins Unternehmen integrieren kann, sind vielfältig. Experten raten beispielsweise dazu, die jungen Leute beim Berufseinstieg mit maßgeschneidertem Mentoring zu unterstützen. Doch ist es wirklich das, was die Digital Natives möchten? Und wie stehen Führungskräfte zu dem Thema?
Selbstbewusst treten sie auf. Ehrgeizig, teilweise überambitioniert stürzen sie sich in die Arbeit, reklamieren große Freiräume und wollen sich wie gewohnt über soziale Medien austauschen. Umgekehrt sind die sogenannten Millennials oder Digital Natives Nesthocker, viele wohnen noch mit 25 bei den Eltern. Wer mit solchen Eigenschaften ins Berufsleben eintritt, muss mit Widerständen rechnen. Vorlautes Gehabe kommt nicht gut an. Um sich zu akklimatisieren, muss man zunächst kleine Brötchen backen. Besserwisser werden bei erster Gelegenheit von Kollegen beherzt in die Schranken gewiesen. Den Karrierestart in geordnete Bahnen zu lenken, ist Erkennungszeichen professionellen Mentorings. Führungskräfte nehmen den Einsteiger unter ihre Fittiche und lotsen ihn wie ein väterlicher Freund über die Stolpersteine des beruflichen Alltags.
Irritierende Studienergebnisse
In der Forschungsliteratur und den Medien wird Mentoring überaus wohlwollend eingeordnet. Auch Ulrike Weber, HR-Professorin an der International School of Management (ISM) in Hamburg, nahm an, Studenten würden in ihren Erwartungen an Mentoring dieses Bild bestätigen. Doch ihre Untersuchung kam zu einem irritierenden Resultat: Viele High Potentials befürchten demnach, vom Mentor in ihrer beruflichen Entwicklung eingeschränkt und seinen Erwartungen nicht gerecht zu werden (ausführliche Studienergebnisse auf Seite 51). „Für die Generation Y ist Autonomie ein zentraler Faktor für Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit“, erklärt Ulrike Weber ihren Befund. Das sei freilich nur die halbe Wahrheit, denn viele junge Menschen erwiesen sich als „ausgesprochen schutzbedürftig, leben lange bei den Eltern und suchen spät oder gar nicht das Risiko“. Zwei Drittel würden deshalb einem Konzern als erstem Arbeitgeber den Vorzug geben. Unternehmen seien also gut beraten, dieser Ambivalenz Rechnung zu tragen und Mentoring-Programme verstärkt auf die Erwartungen und Vorbehalte der mit dem Internet groß gewordenen Zielgruppe auszurichten. „Das könnte sich förderlich auf ihre Attraktivität als Arbeitgeber niederschlagen.“
Mentoring-Programme an der Hochschule
Unter Experten, Young Professionals und Studenten treffen die Ergebnisse auf kritische Resonanz. Skepsis hinsichtlich Mentoring – für Katharina Graetz trifft das jedenfalls nicht zu. „Ich habe mir sogar bewusst ein Trainee-Programm ausgesucht, in dem das Mentoring eine zentrale Rolle spielt“, betont die 26-Jährige, die gerade mehrere Monate für den Baukonzern Strabag in Katar tätig ist. Beim Berufseinstieg nach dem Management-Master an der Universität Bochum habe sie eine „gewisse Sicherheit“ darin erkannt, einen Mentor an der Seite zu haben. Ihn könne sie bei Problemen stets ansprechen; er stehe ihr bei Fragen, die im Arbeitsleben auftreten, zur Seite und vermittle ihr neben dem fachlichen Wissen auch wichtige Informationen über das Unternehmen.
Die in der ISM-Studie zum Ausdruck kommenden Vorbehalte kann auch Florian Pfeilschifter, Student der Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München, nicht teilen. Das ist aber auch damit zu erklären, dass er schon seit Studienbeginn von einem Mentoring-Programm profitiert, das die LMU seit Jahren ihren Studenten offeriert. Wie schaffe ich den Übergang vom Studium zum Beruf? Wie punkte ich bei der Bewerbung? Welche Schlüsselqualifikationen sollte ich mir zusätzlich aneignen? Solche Fragen wollen viele Studenten klären, wenn sie sich für eine gewisse Zeit mit einem berufserfahrenen Mentor austauschen, der in dem Bereich arbeitet, in den sie später selbst beruflich einsteigen wollen.
Rund 600 ehrenamtliche Mentoren sind inzwischen mit von der Partie. Pfeilschifters Mentor ist ein Manager aus dem Finanzhandel. Seit zweieinhalb Jahren treffen sie sich alle vier bis zehn Wochen, um sich über die oben skizzierte Fragen hinaus auch über wirtschaftliche Themen auszutauschen. „Während ich die eher theoretische Sicht einbringe“, erklärt Pfeilschifter, wie Mentor und Mentee zugleich profitieren, „erfahre ich viel aus der praktischen Perspektive des Finanzhandels.“
Fruchtbarer Dialog auf Augenhöhe
Dass beide Partner voneinander lernen, hält Lothar Wüst für einen wertvollen Effekt funktionierender Mentoring-Beziehungen. „Viele Mentoren lernen im Dialog mit ihren Mentees, ihre eigenen Kinder besser zu verstehen“, sagt der Geschäftsführer der Unternehmensberatung Cormens GmbH, die auf Führungsthemen und Coaching spezialisiert ist. „Freilich setzt das voraus, dass man sich auf Augenhöhe trifft“, betont Wüst, der als „Mentor der ersten Stunde“ bereits zahlreiche Mentees der LMU betreut hat.
Halten wir fest: Kommen Studenten bereits im Studium mit Mentoring in Berührung, erübrigen sich oft die in der ISM-Studie skizzierten Vorbehalte. Pfeilschifter hat schnell seine Scheu abgelegt und pflegt inzwischen einen sehr vertrauten Umgang mit seinem Mentor. „Mehrfach hat er mich mit interessanten Gesprächspartnern zusammengebracht, mit denen ich mich auch vernetzt habe“, gewährt der Examenskandidat Einblick in die fruchtbare Beziehung.
Ähnlich vorteilhaft beurteilt auch Mats van Nistelneul, dass während eines Auslandssemesters an der Polytech Universität in Montpellier „vom ersten Tag zwei Mentorinnen stets als Ansprechpartner für mich da waren“. Der künftige Umweltingenieur hat als Examenskandidat der Hochschule Bremen ziemlich klare Vorstellungen, wie sich Mentoring im Berufsleben gewinnbringend für beide Partner erweisen könnte. In ein Unternehmen einzusteigen, heißt für Nistelneul, „dazulernen zu wollen, sich zu engagieren und frischen Wind mitzubringen“. Von dieser „Win-win-Situation“ profitiere auch das Unternehmen.
Wie wichtig es ist, Mentoring-Programme auf die Generation Y anzupassen, betont Nele Graf, Professorin für Personal und Organisation an der Hochschule für angewandtes Management in Berlin und Geschäftsführerin der Beratungsgesellschaft Mentus in Braunschweig. „Die jungen Leute wachsen in eine komplexe Welt hinein und suchen nach Orientierung.“ Deshalb beschäftigten sie sich intensiv mit ihrer Persönlichkeit und fragten laut Graf auch: „Bin ich gut genug, genüge ich den Ansprüchen von Mentor und Unternehmen?“
Nicht Kontrolle, sondern Unterstützung
Deshalb sollten Unternehmen in vertrauensbildende Maßnahmen für die Tandems aus Mentor und Mentee investieren, betont Graf. „Was besprochen wird, bleibt im Tandem.“ Ferner müssten die Rollen klar definiert werden: „Mentoring dient nicht der Kontrolle, sondern der Unterstützung von Mentees.“ Dieser Einschätzung schließt sich Wüst an. Ein guter Mentor rede nicht wie manche Eltern dauernd rein. „Als neutrale Instanz lässt er den Mentee seinen Weg gehen und begleitet ihn wie ein Coach, der mal eine Frage beantwortet oder eine Empfehlung ausspricht.“
Ferner empfiehlt Graf Unternehmen, in ihren Mentoring-Programmen den Vorteil der abteilungsübergreifenden Vernetzung hervorzuheben. „Die jungen Leute lieben es, sich über soziale Medien kennenzulernen und zu vernetzen.“ Deshalb sollten mehrere Tandems gemeinsam starten, deren Akteure sich zur Erweiterung von Perspektiven aktiv im Netzwerk austauschen könnten. Graf würde dabei das „Blended-Modell“ favorisieren, wonach sich die Teilnehmer nicht nur persönlich treffen, sondern sich auch digital vernetzt austauschen. „Als Anschubhilfe kann ich den Gamification-Ansatz empfehlen.“
Vom Rollentausch profitieren beide
Die in der ISM-Studie konkretisierte Anregung, Vorbehalte gegenüber Mentoring gezielt durch ein erweitertes Onboarding zu entkräften, überzeugt Graf. So könne ein Unternehmen Mentees ab dem ersten Tag der Einstellung für den offenen Austausch und für das Lernen von anderen sensibilisieren sowie seine Werte vermitteln. Eine weitere Überlegung wäre, das Konzept des sogenannten „Reverse Mentoring“ zu praktizieren. „Wenn die Tandempartner ihre Rollen tauschen, profitieren beide davon.“ Gerade beim Aspekt der Digitalisierung, so Graf, „trauen ältere Mentoren jungen Leuten diese Rolle auch zu“.
Wie das funktioniert, zeigt der Versicherungskonzern Axa. Was teilen die jungen Leute in sozialen Medien, warum geben sie so freigiebig ihre persönlichen Daten preis? Führungskräfte, die solche Fragen umtreiben, können sich seit einem Jahr im Rahmen des Reverse Mentoring von Kollegen aus der Generation Y in allen Fragen der Digitalisierung coachen lassen. Die in der Gruppenzentrale in Paris entstandene Idee wird weltweit bereits in mehr als 45 Ländergesellschaften praktiziert.
„Nicht für jede Führungskraft ist der Umgang mit Facebook und Apps selbstverständlich“, erläutert Sarah Rüben, in der Personalabteilung in Köln als Spezialistin für Qualifizierung tätig. „Da unsere jungen Kollegen damit groß geworden sind, nutzen wir sie als interne Experten.“ Nazan Ider etwa findet, es sei „eine schöne Erfahrung“, auch mal den Führungskräften etwas beibringen zu können. Ihrem Mentee, einer weiblichen Führungskraft, zeigte sie viele Tricks, um sich mit dem iPhone schnell zurechtzufinden.
Führungskräfte als Mentees von Azubis
Organisationsprogrammierer Matthias Pöpping gibt zu, vor dem ersten Treffen als Mentee mit seiner Nervosität gekämpft zu haben, zumal er „auch noch eine hohe Position bei der Axa bekleidet“. Neben der Vermittlung von Tipps und Tricks fanden die beiden Partner auch Zeit, über die sozioökonomischen Aspekte der neuen Technologien zu philosophieren. Auch Vertriebsleiter Nobert Pesch fand die Idee des Reverse Mentoring großartig und meldete sich sofort an. „Ich fühle mich gut in der Rolle des Mentee. Von jungen Kollegen zu lernen und sich mit ihnen auszutauschen, macht mir immer Spaß“, betont er.
Reverse Mentoring, meint Axa-Personalentwicklerin Rüben, sei deutlich individueller als externe Standardprogramme und böte Nachwuchskräften gute Entwicklungsmöglichkeiten. Inzwischen tauschen sich knapp 100 Führungskräfte, etwa zehn Prozent des Managements, mit ebenso vielen Azubis und Absolventen in Tandembeziehungen aus. Die Erfahrungen sprechen sich herum: Auch andere Führungskräfte, Absolventen und Azubis wollen sich laut Rüben am Reverse Mentoring beteiligen.
Nach einem Jahr zieht Axa eine positive Bilanz. Danach träfen sich die meisten Tandems öfter als vorgesehen. Die Mentoren seien zu zwei Dritteln Auszubildende und zu einem Drittel Absolventen. Einige hätten sogar mehrere Führungskräfte gecoacht. Unter Azubis seien die Bedenken gegenüber dem engen Kontakt zu den Führungskräften erwartungsgemäß stärker ausgeprägt als bei Absolventen. Seien die Vorbehalte erst einmal vom Tisch, entwickelten sich jedoch intensive und für beide Seiten förderliche Beziehungen.
Hinzu komme, dass die Tandempartner über das Thema der Digitalisierung hinaus sich auch über Karrierefragen austauschen würden. Das spräche für ein vertrauensvolles Miteinander, erklärt Rüben. Die jungen Leute würden auch „wissbegierig die Chance nutzen, Führungskräfte auf berufliche Fragen anzusprechen“. Daraus hätten sich sogar Entwicklungsperspektiven ergeben.
Wie das Axa-Beispiel zeigt, kann Reverse Mentoring viele Impulse liefern für den beidseitigen Austausch zwischen der Generation Y und Führungskräften. Davon ist auch Mentoring-Expertin Graf überzeugt. Junge Leute lernten ältere zu akzeptieren und entwickelten Verständnis für sie. Zudem übe man sich in generationsübergreifender Kommunikation. „Voraussetzung ist jedoch, die jungen Leute zunächst als Mentoren zu schulen, zumal sie meist nicht über Führungserfahrung verfügen.“
Matching ist das A und O
Mentoring darf keine Einbahnstraße sein. Beide Partner bringen etwas ein, inspirieren sich und lernen voneinander. Doch handelt es sich beim Reverse Mentoring nicht bloß um ein anders tituliertes Coaching oder gar um Nachhilfe? Diese Gefahr droht beim Thema Digitalisierung. Als Alternative zum Reverse Mentoring, meint Graf, könnte auch das sogenannte „Peer Mentoring“ helfen, Bedenken unter den jungen Berufseinsteigern abzubauen, den Anforderungen nicht gerecht zu werden. Meistens würde diese Mentoring-Variante jedoch mit Qualitätseinbußen einhergehen, wie Graf erläutert. Wichtig sei, zu Beginn präzise Ziele festzulegen. „Persönlichkeitsentwicklung eignet sich nicht als ein solches Ziel, dafür aber das Kennenlernen von Unternehmenskultur und Werten und sich einzuleben“, betont die HR-Expertin. So werde Mentoring zu einem „Buddy-Programm“.
Eine weitere Variante, „Cross Mentoring“, sei eher auf der Branchenebene interessant. Als gutes Beispiel bezeichnet Graf den Cluster Erneuerbare Energien in Hamburg (EEHH). In dessen Mentoring-Programm gewinne der Nachwuchs mehr Perspektiven und lerne, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. „Da gerade in kleinen Firmen mögliche Mentoren auch im Arbeitsalltag des Mentee auftauchen“, hebt Graf einen wichtigen qualitativen Aspekt heraus, „schafft man über ein Cross-Mentoring die nötige Neutralität für eine intensive Zusammenarbeit.“
Ziehen wir Bilanz: Bevor Unternehmen sich bemühen, ihre Mentoring-Programme auf die Generation Y anzupassen, sollten sie zunächst die Qualitätsmängel ihrer praktizierten Varianten verbessern. Vielfach mangelt es an Konzepten und Zielen. Ferner lässt das Matching von Mentor und Mentee zu wünschen übrig. 80 Prozent der Unternehmen, heißt es, bringen beliebige Teilnehmer zusammen. Unter solchen Bedingungen laufen auch eilfertig auf Millennials ausgerichtete Programme ins Leere.
Autor
Winfried Gertz, freier Journalist, München
- Hire for attitude
- Auf die Augenhöhe kommt es an
- Die neue Sachlichkeit
- „Auf dem Teppich bleiben“
- „Es geht nur über die Individuen“
- Als HR-Einsteiger mit Professionalität überzeugen
- Gastgeber mit Herz und Seele gesucht
- Krise als Chance
- „Irgendwann sind die Kräfte am Ende“
- Von der Behörde zum Servicebetrieb
- Moderne Prozesse für ein modernes Personalmanagement
- Unternehmenskulturwandel: schnell und nachhaltig
- Azubi-Bewerbern mit Wertschätzung begegnen
- Angst vor Autonomieverlust
- Enormes Potenzial zum Dauerstreit
- Schlüssel zur Integration
- In drei Stufen zum Abschluss
- Mehr Aufwand für die betriebliche Altersversorgung